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Heilige Drachen Band 1 - Alte Welt - Indien - China

Gerhardt Staufenbiel

 

Verlag Tredition, 2012

ISBN 9783849119638 , 296 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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20,99 EUR


 

1. Einleitung

1.1 Vorbemerkung

Eigentlich wollte ich ein Buch über Drachen in Japan und China schreiben. Immerhin ist das Jahr 2012 das Jahr des Wasser-Drachens und ich bin selbst nach dem chinesischen Horoskop ein Drache.

Aber je länger ich nachdenke, desto mehr habe ich die Vermutung, dass es in China und Japan überhaupt keine Drachen gibt. Die Wesen, die in China „Long“ und in Japan „Ryū“ heißen, sind von ganz anderer Art als die Drachen, die jeder von uns kennt. Ich meine damit nicht die Drachen, die viele von uns zu Hause haben, das ist wieder eine andere Gattung. Ich meine die Drachen, die Jungfrauen und Schätze rauben und bewachen, und die feuerspeiend in Höhlen hausen und ganze Landstriche verwüsten. Aber diese Drachen sind schon längst ausgerottet, weil sie alle in einer Zeit, als es noch keinen Artenschutz gab, von tapferen Rittern und Drachentötern erbarmungslos verfolgt wurden. Immerhin haben ja auch viele von denen als Lohn ein halbes oder auch ein ganzes Königreich gewonnen. Und die Prinzessin noch dazu. Und schon hatten sie ihren Drachen zu Hause. Aber wenn sie das bemerkten, dann war es zu spät.

Eigentlich also wollte ich ein kleines Buch mit Geschichten über die Drachen in China und Japan zusammenstellen. Aber je länger ich mich mit den Drachen beschäftigt habe, desto nachdenklicher und "philosophischer" sind die Texte geworden. Inzwischen ist das Material so reichhaltig geworden, dass es auf zwei Bände aufgeteilt werden muss. Es ist nicht nur ein Gang durch die Welt der Drachen, es ist ein Stück weit ein Bild meines Lebens geworden. Viele Jahre der Beschäftigung mit dem griechischen Mythos, dem indischen Denken aus den Veden und den Upanischaden und dem Yoga, der chinesischen Philosophie und mit Japan und Korea sind darin enthalten.

So ist eigentlich ein Un-Buch entstanden. Es ist voller Geschichten und dennoch an manchen Stellen etwas philosophisch geraten. Hölderlin, der Meister der deutschen Lyrik hat einmal auf den Vorwurf, seine Gedichte seien zu kompliziert geantwortet: "Ich gestehe, ich kann nicht anders!" Nun denn, auch ich gestehe, ich kann nicht anders. Aber ich hoffe trotzdem, dass die vergnüglichen Passagen überwiegen und beim "wohlgeneigten Publikum Gefallen erregen" mögen, wie Hölderlin schrieb.

Ursprung der Drachengeschichten im Westen ist Griechenland mit seinen mythischen Geschichten von den Drachen. Sogar der Name Drache stammt aus dem Griechischen. Dort heißen große Schlangen Drakon δρακων - Drache. Einer der bekanntesten Drachen ist Typhon, der in einem fürchterlichen Kampf schließlich dem Göttervater Zeus unterliegt. Es gibt aber auch viele weibliche δρακαινα Drakaina, etwa die fürchterliche Echidna. Die meisten der griechischen Drachen sind bösartig, so wie der Lindwurm im Alpenraum, der ganze Landstriche zerstört.

Von den chinesischen Long und den japanischen Ryū sagt man, dass sie Glück und Reichtum bringen, ja dass sie „göttlich“ seien. Nicht nur der chinesische und der japanische Kaiser sind Drachen, auch viele weise Menschen, Philosophen und Zen - Priester gelten als Drachen. Und man strebt sogar an, selbst ein Long oder Ryū zu werden, weil man damit ein vollkommener Mensch wird - so wie die chinesischen Weisen und ‚Unsterblichen‘. Wir werden im Buch sogar Übungen kennen lernen, wie man auf Drachen fliegen oder selbst zum Drachen werden kann.

Es ist also ein himmelweiter Unterschied zwischen den westlichen Bösewichter-Drachen und den fernöstlichen Glückswesen, den Long oder Ryū oder den Naga in Indien. In China sind die Long nicht nur Teil der Volkslegenden. Auch im einheimischen Daoismus finden sich reiche Anspielungen auf sie. Ihre pulverisierten Knochen finden sogar als nahezu göttliches Allheilmittel Verwendung in der traditionellen chinesischen Medizin.

Aus Indien kam der Buddhismus nach China und der brachte ebenfalls reiche Legenden und Geschichten von drachengestaltigen Wesen mit, die aber in Indien eher als riesige Schlangen, die Nāgās, beschrieben werden. Aber auch in Griechenland waren die meisten Drachen eher Schlangen als die geflügelten Drachen des Abendlandes.

In Japan schließlich vereinigen sich die indischen mit den chinesischen Einflüssen und treffen auf einheimische Erzählungen von schlangenförmigen Ungeheuern, die ähnlich bösartig sind wie die westlichen Drachen. Aber die Ryū als Glücksbringer und positive Gestalten überwiegen auch in Japan.

Daraus ergibt sich die Frage, ob die Long Chinas, die Ryū Japans und die Nāgā Indiens nicht zu einer völlig anderen Gattung von Wesen gehören, als die Drachen im Westen. Das Wort Long oder Ryū wurde nur deshalb mit Drachen übersetzt, weil es bei uns einfach keine entsprechenden Wesen mit den Eigenschaften der Ryū gibt. Zwar besteht eine gewisse äußere Ähnlichkeit zwischen den Drachen, den Lindwürmern und den Long und Ryū, aber es gibt auch deutliche Unterschiede. Am auffälligsten ist das Fehlen der Flügel bei den fernöstlichen Wesen. Sie speien kein Feuer, sondern leben im Wasser und bringen Regen. Sie fliegen nicht mit Flügeln, sondern mit der Kraft ihres Geistes.

Sie sind verwandt mit den indischen Nāgā, die sehr häufig in den heiligen Büchern des indischen Buddhismus erwähnt werden. Die Nāgā haben ihre schlangenförmige Gestalt, weil sie nicht nur in Flüssen leben, sondern sogar die Flüsse verkörpern. Sie können aber auch als Nāgā-Könige oder als schöne Frauen erscheinen.

Aber sei es drum, heuer haben wir das Jahr des Wasser-Drachens.1 Und Wasserdrachen sind von allen Drachen die mildesten und am ehesten zu einem Kompromiss bereit. Vor allem die Metall-Drachen würden niemals von dem abweichen, was sie als richtig erkannt haben. Es ist nun schon genau 60 Jahre her, dass es das letzte Wasserdrachen-Jahr gegeben hat. Denn alle zwölf Tiere des chinesischen Tierkreises gehen durch die fünf Elemente Wasser, Holz, Feuer, Erde und Metall. Die erste Wiederholung einer bestimmten Kombination des Elementes und des Tieres ist also nach genau sechzig Jahren. Wenn man unter einem bestimmten Tier in einem bestimmten Element geboren wurde, zum Beispiel im Zeichen des Drachens und des Wassers, wiederholt sich die Geburtskonstellation nach 60 Jahren wieder. Darum sagt man in China auch, dass man mit 60 Jahren neu geboren wird. Es stimmt schon, die meisten von uns werden ab sechzig wieder wie die Kinder! Und ist es nicht schön, dass man im Alter den Ernst des Lebens hinter sich lassen kann, um zu spielen, wie die Kinder spielen?

Wir müssten bis zum nächsten Wasserdrachen - Jahr wieder sechzig Jahre warten. Darum - dem Wasserdrachen sei Dank - soll hier ein Kompromiss geschlossen werden: Weil alle Welt die chinesischen Long und die japanischen Ryū als Drachen bezeichnet, wollen wir es ebenfalls dabei belassen, damit die Verwirrung nicht noch größer wird. Aber zunächst soll doch ein wenig über die Unterschiede gesprochen werden. Darum müssen wir auch in einem Buch über die fernöstlichen Drachen ein wenig über die Drachen im Westen reden.

In diesem Buch soll versucht werden, die alten Geschichten aus China und Japan wissenschaftlich korrekt aber dennoch möglichst vergnüglich zu erzählen. Dabei wird auf alte Quellen, wie das chinesische I Ging, die japanischen Annalen Kōjiki und Nihonshoku die buddhistischen Sūtren oder andere alte Quellen zurückgegriffen, die - wenn überhaupt - nur in schwer lesbaren wissenschaftlichen Fassungen vorliegen. Aber viele der Geschichten sind so bilderreich, dass es sich lohnt, sie aus dem Dunkel des Vergessens wieder hervorzuholen und bei uns im Westen bekannter zu machen.

1.1.1 Anmerkung zu chinesischen und japanischen Namen

Zuvor aber noch ein paar Anmerkungen zu der Verwendung der chinesischen und japanischen Schrift in diesem Buch. Wer die Zeichen nicht lesen kann, kann einfach darüber hinweg sehen. Aber ich habe mich oft beim Studium von Büchern über China und Japan geärgert, dass der Autor Worte aus diesen Sprachen übersetzt, ohne die fremdsprachliche Aussprache anzugeben. Ein anderer Autor übersetzt dasselbe Wort ganz anders, und dem Leser bleibt jede Möglichkeit verwehrt, selbst nachzuprüfen, ob die Übersetzung richtig ist oder ob in verschiedenen Texten mit anderen Begriffen möglicherweise von derselben Sache die Rede ist. Selbst die Aussprache nutzt oft nicht viel, weil sich für die chinesische Sprache die Umschreibung in westliche Lautschrift in den letzten Jahrzehnten mehrfach erheblich geändert hat. Darum stehen hier in diesem Buch bei allen wichtigen Worten die entsprechenden Schriftzeichen. Außerdem sind oft die Schriftzeichen als Bilder betrachtet so schön, dass sie schon für sich sprechen und sogar oft das Wesen der Sache erhellen können. Oft werden deshalb in diesem Buch die Bilder der Schriftzeichen herangezogen, um den Bildgehalt der Worte deutlich zu machen. Denn in...