dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Ein verführerischer Schuft - Roman

Stephanie Laurens

 

Verlag Blanvalet, 2010

ISBN 9783641051570 , 544 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

4,99 EUR


 

1
Bastion Club
Montrose Place, London
15. März 1816
 
»Es ist noch ein ganzer Monat, bis die Saison offiziell beginnt, aber die Hyänen haben sich schon wieder zur Jagd zusammengerottet.« Charles St. Austell ließ sich in einen der hochlehnigen Stühle um den Mahagonitisch im Versammlungsraum des Bastion Clubs sinken.
»Wie wir es vorhergesagt haben.« Anthony Blake, der sechste Viscount Torrington, nahm ihm gegenüber Platz.
»Der ganze Trubel auf dem Heiratsmarkt grenzt schon fast an Hysterie.«
»Hast du davon schon etwas zu spüren bekommen?« Deverell setzte sich neben Charles.
»Ich muss zugeben, ich warte noch den rechten Moment ab und halte mich so lange bedeckt, bis die Saison richtig losgeht.«
Tony verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
»Meine Mutter mag zwar vielleicht in Devon leben, aber sie hat einen würdigen Statthalter in meiner Patentante Lady Amery. Wenn ich mich auf ihren Gesellschaften nicht wenigstens kurz blicken lasse, kann ich mich darauf verlassen, am nächsten Morgen eine scharf formulierte Nachfrage zu erhalten, weshalb ich ferngeblieben sei.«
Die anderen lachten – schicksalsergeben, zynisch oder mitfühlend -, während sie Platz nahmen. Christian Allardyce, Gervase Tregarth und Jack Warnefleet setzten sich ebenfalls an den Tisch, dann richteten sich aller Augen gleichzeitig auf den leeren Stuhl neben Charles.
»Trentham lässt sein Bedauern ausrichten.« Am Kopf des Tisches gab sich Christian nicht die Mühe, eine ernste Miene zu behalten.
»Zugegeben, er klang nicht wirklich aufrichtig. Er hat geschrieben, er habe heute eine dringendere Verabredung, wünsche uns aber Freude an und Erfolg in unserem Vorhaben. Er rechnet damit, innerhalb einer Woche wieder in der Stadt zu sein und freut sich darauf, uns sechs in der sich abzeichnenden Mühsal nach Kräften beizustehen.«
»Wie überaus freundlich von ihm«, spottete Gervase; alle grinsten.
Trentham – Tristan Wemyss – war der Erste von ihnen, dem es gelungen war, das zu erreichen, was sie alle sich vorgenommen hatten. Sie mussten alle heiraten; dieses gemeinsame Ziel war der Grund für diese Idee hier, diesem Club gewesen – die letzte Bastion gegen die ehestiftenden Horden der guten Gesellschaft.
Die sechs, die noch ledig waren, hatten sich hier versammelt, um die letzten Neuigkeiten auszutauschen. Tony war sich sicher, dass er derjenige war, der die größte Verzweiflung verspürte, allerdings konnte er sich selbst nicht erklären, weshalb er sich so rastlos, so frustriert fühlte, als wäre er auf dem Sprung, bereit zum Angriff – jedoch ohne, dass ein Feind in Sicht wäre. So unruhig war er seit Jahren nicht gewesen. Andererseits war er in den vergangenen Jahren ja auch kein Zivilist gewesen oder eben nur ein gewöhnlicher Gentleman.
»Ich schlage vor, dass wir uns alle vierzehn Tage treffen«, erklärte Jack Warnefleet.
»Wir müssen schließlich auf dem Laufenden bleiben.«
»Dem stimme ich zu.« Gervase nickte.
»Und wenn einer von uns irgendetwas Dringendes zu berichten hat, berufen wir ein Treffen außer der Reihe ein. Bedenkt man, mit welchem Tempo sich die Dinge derzeit in der Gesellschaft verändern, sind zwei Wochen die Grenze – bis dahin haben wir eine völlig neue Ausgangssituation.«
»Ich habe gehört, die Hüterinnen von Almack’s spielen mit dem Gedanken, dieses Jahr die Saison vorzeitig zu eröffnen, so groß ist das Interesse.«
»Stimmt es denn, dass man immer noch Kniehosen tragen muss?«
»Sicher. Sonst muss man damit rechnen, dass einem der Einlass verwehrt wird.« Christian hob seine Brauen.
»Allerdings muss ich erst noch herausfinden, weshalb das schlimm sein sollte.«
Die anderen lachten. Sie fuhren fort, Informationen auszutauschen – über gesellschaftliche Ereignisse, die neueste Mode und die angesagten Zerstreuungen – und wandten sich dann Warnungen vor einzelnen Matronen zu, vor heiratswütigen Müttern, allgemein den Drachen des ton sowie den schlimmsten Schreckschrauben und alten Hexen, kurz all denen, die ahnungslosen Junggesellen auflauerten, um sie in die Ehefalle zu locken.
»Lady Entwhistle sollte man unbedingt aus dem Weg gehen – wenn sie einen erst einmal in den Klauen hat, ist es teuflisch schwer, sich daraus wieder zu befreien.«
So versuchten sie mit der schweren Aufgabe fertig zu werden, die vor ihnen lag.
Sie alle hatten die letzten zehn Jahre oder sogar mehr in den Diensten der Regierung Seiner Majestät verbracht – als Agenten mit inoffiziellen Aufträgen, um überall in Frankreich und den angrenzenden Staaten Informationen über feindliche Truppen, Schiffe, Vorräte und Strategien zu sammeln. Sie hatten ihre Berichte an Dalziel geschickt, einen Meisterspion, der irgendwo in den Tiefen von Whitehall hauste, wie eine Spinne in der Mitte ihres Netzes hockte; ihm unterstanden alle englischen Militärspione auf fremdem Boden.
Sie waren überragend gut in ihrer Arbeit gewesen; als Beweis dafür diente allein schon die Tatsache, dass sie alle noch am Leben waren. Jetzt jedoch war der Krieg vorüber und das Zivilistenleben hatte sie eingeholt. Jeder hatte Reichtum, Titel und Ländereien geerbt; alle stammten aus vornehmer Familie, dennoch war ihnen ihr natürliches Umfeld – der elitäre Kreis, zu dem sie von Geburt an Zutritt hatten und an dem teilzuhaben durch ihre Titel und ihren Besitz mitsamt den dazugehörigen Verpflichtungen für sie unumgänglich war – in weiten Gebieten fremd.
Um Informationen zusammenzutragen, sie zu bewerten und zu untersuchen – darin waren sie schließlich Experten – hatten sie den Bastion Club gegründet. Die Absicht war, sich gegenseitig bei ihren einzelnen Vorhaben zu unterstützen und beizustehen. Wie Charles es so dramatisch umschrieben hatte, war der Club ihr sicherer Zufluchtshafen, ihre Ausgangsbasis, von der aus ein jeder sich unter die gute Gesellschaft mischen würde, die Dame, die er heiraten wollte, finden und dann die Stellungen des Feindes im Sturm nehmen und die Auserwählte an sich binden. So lautete der Plan.
Tony nahm einen kleinen Schluck von seinem Brandy und dachte daran, dass er der Erste gewesen war, der erkannt hatte, dass sie eine sichere Zuflucht brauchten. Mit einer französischen Mutter und seiner französischen Patin, die alle, die Lust dazu verspürten, einzuladen schienen, ihm schöne Augen zu machen, war er doppelt gestraft – beide Damen waren sich im Übrigen darüber im Klaren, dass eine solche Taktik die Garantie dafür war, dass er selbst unverzüglich die Initiative ergriff, sich eine Frau zu suchen. Daher hatte er im Freundeskreis hier warnend die Stimme erhoben – die gute Gesellschaft war kein sicherer Ort für Männer wie sie.
Auch in den Herrenklubs waren sie nicht sicher. Verfolgt von vernarrten Vätern und grimmig blickenden Matronen, begraben unter einer wahren Lawine von Einladungen, die täglich bei ihnen eintrafen, war das Leben eines unverheirateten, wohlhabenden und in jeder Hinsicht begehrenswerten Herren mit Titel voller Gefahren.
Zu viele waren auf den Schlachtfeldern auf der spanischen Halbinsel und – noch nicht so lange her – bei Waterloo gefallen.
Die Überlebenden waren angezählt.
Sie waren vielleicht zahlenmäßig unterlegen, aber sie wollten verdammt sein, wenn sie sich einfach überrennen ließen.
Sie waren schließlich Fachmänner im Kampf, in Taktik und Strategie; sie würden nicht einfach erobert werden. Wenn sie in der Sache etwas zu sagen hatten, würden sie die Eroberer sein.
Das war im Grunde genommen der Sinn und Zweck des Bastion Clubs.
»Gibt es noch etwas?« Christian blickte in die Runde.
Alle schüttelten die Köpfe; dann leerten sie ihre Gläser.
»Ich muss mich heute bei Lady Hollands Soirée blicken lassen.« Charles schnitt eine Grimasse.
»Ich nehme an, sie hat das Gefühl, Trentham zur Hand gegangen zu sein, und meint nun, sie müsse ihr Glück an mir ausprobieren.«
Gervase hob die Brauen.
»Und du willst ihr die Gelegenheit dazu bieten?«
Charles, der bereits aufgestanden war, erwiderte seinen Blick.
»Meine Mutter, meine Schwestern und meine Schwägerinnen sind in der Stadt.«
»Oje! Verstehe. Spielen sie mit dem Gedanken, einstweilen hier ihre Zelte aufzuschlagen?«
»Nein, gegenwärtig nicht, aber ich will nicht abstreiten, dass mir der Gedanke gekommen ist, sie könnten auf die Idee verfallen.«
»Ich begleite dich.« Christian ging um den Tisch herum.
»Ich möchte ohnehin mit Leigh Hunt über das Buch sprechen, das er gerade schreibt. Er ist sicherlich in Holland House anzutreffen.«
Tony erhob sich.
Christian sah ihn an.
»Genießt du noch deinen ledigen Familienstand?«
»Ja, dem Himmel sei Dank – meine Mutter ist in Devon.« Er zuckte die Achseln, damit sein Rock richtig saß.
»Meine Patin hat mich aber nach Amery House zu einer Gesellschaft bestellt. Ich werde dort kurz erscheinen müssen.« Er schaute sich um.
»Kommt jemand mit?«
Gervase, Jack und Deverell verneinten. Sie hatten beschlossen, sich in die Bibliothek des Clubs zurückzuziehen und den Rest des Abends in einvernehmlichem Schweigen zu verbringen.
Tony verabschiedete sich; grinsend wünschten sie ihm Glück. Zusammen mit Christian und Charles stieg er die Stufen hinab zur Straße. Auf dem Bürgersteig trennten sie sich. Christian und Charles begaben sich nach Kensington in...