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Singleton Soul - Ein Edinburgh-Krimi mit Rowan Lockhart

Mara Laue

 

Verlag Dryas Verlag, 2013

ISBN 9783940258281 , 308 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

EINS

 

Donnerstag, 23. August 2012

 

Sanft schimmerte der kleine Rest des Singleton rotbraun am Grund der meergrünen Flasche. Das Glas daneben war leer. Die männliche Leiche saß schlaff im Sessel. Am Boden lag eine SIG Sauer P226, ganz in der Nähe der rechten Hand des Toten, die über der Armlehne hing. Detective Inspector Bill Wallace stand neben der Wohnzimmertür und ließ den Raum auf sich wirken, ohne den Leuten von der Spurensicherung im Weg zu stehen. Die Verteilung von Blut, Knochenpartikeln und Gehirnmasse an der Wand hinter dem Sessel passte zu dem Bild, dass der Mann sich den Lauf der Waffe in den Mund gesteckt und abgedrückt hatte. Lediglich der aufgeschraubte Schalldämpfer war ungewöhnlich, widersprach aber nicht unbedingt dem augenscheinlichen Selbstmord.

Die fast leere Flasche Singleton und das Glas auf dem Tisch neben dem Toten sprachen ebenfalls für Selbstmord. Der Mann hatte sich erst genug Mut angetrunken und war dann zur Tat geschritten. Zwar war kein Abschiedsbrief vorhanden, aber nicht jeder Selbstmörder hielt es für nötig, irgendjemandem seine Gründe zu erklären. Viele setzten voraus, dass ihre Angehörigen schon wüssten, warum sie diesen Schritt getan hatten. Und wenn nicht, war es den Toten wohl sowieso egal.

Bill aber nicht. Er fragte sich bei jedem Selbstmord, mit dem er es zu tun bekam, wieso der Tote keinen anderen Ausweg gesehen hatte. Ohne Abschiedsbrief, der einen Grund nannte, konnte er nur raten. Wenn der Tote sich wie in diesem Fall zu Hause umgebracht hatte, gab ihm oft die Einrichtung des Hauses einen mehr oder weniger subtilen Hinweis. Spuren von Armut, Vernachlässigung, Arbeitslosigkeit oder Einsamkeit sprachen Bände. Oder die Reaktionen der Angehörigen verrieten ihm etwas.

In diesem Fall jedoch zeigte sich Bill kein noch so kleiner Hinweis. Das Gegenteil war der Fall. Auszeichnungen in einer Vitrine verrieten, dass Captain Finn Macrae seinem Land im Namen Ihrer Majestät in den vergangenen dreißig Jahren treu und tapfer gedient hatte. Wappen und Clanwimpel der Macraes an der Wand über dem Kamin zeigten, dass er ein traditionsbewusster Mann gewesen war. Sah man von der Schweinerei ab, die die Bluttat verursacht hatte, war zumindest das Wohnzimmer sauber aufgeräumt und zeigte kein Anzeichen von Vernachlässigung.

Bill warf einen Blick durch die offene Tür in den Nebenraum, wo Sergeant Annie Armstrong die Witwe befragte, die ihren Mann bei ihrer Rückkehr vom Einkaufen tot aufgefunden hatte. Sie wirkte überraschend gefasst. Das konnte daran liegen, dass sie noch nicht richtig begriffen hatte, dass ihr Mann nicht mehr lebte. Oder auch an einer traditionellen asiatischen Erziehung, die ihr diktierte, unter allen Umständen die Contenance zu wahren. Es bestand aber auch die Möglichkeit, dass sie und ihr Mann sich auseinandergelebt oder zerstritten hatten. Vielleicht war sie sogar froh über seinen Tod. Was auch immer. Jeder gewaltsame Tod war einer zu viel. Ihn aufzuklären war Bills Job.

Er ging in den Nebenraum, das Esszimmer, an das sich die Küche anschloss, abgetrennt durch eine Schiebetür. Die Taschen mit den Einkäufen, die Mrs Macrae mitgebracht hatte, standen ordentlich nebeneinander auf dem Tisch. Ein Bild, das auf den ersten Blick nicht passte. Bill sah sich um. Ging zur Schiebetür und warf einen Blick in die Küche. Kein Nebeneingang, zumindest nicht in der Küche und auch nicht im Esszimmer. Die Frau musste also in jedem Fall mit ihren Einkäufen durch das Wohnzimmer gegangen sein, in dem ihr toter Ehemann lag, um die Sachen hier abstellen zu können. Bill hatte noch nie gehört, dass eine Ehefrau, die beladen nach Hause kam und ihren Mann tot im Wohnzimmer fand, erst die Taschen in einem Nebenzimmer abstellte, bevor sie die Polizei rief. Jeder normale Mensch würde sie beim Anblick einer Leiche vor Schreck oder Entsetzen oder beidem einfach dort fallen lassen, wo er stand.

Die Frau sah auf, als Bill zu ihr trat. Tiefschwarze Augen wie Abgründe, in denen sich das durch das Fenster scheinende Licht der Sonne spiegelte. Wie zwei Mandeln in einem Gesicht von einer Farbe wie Honigcreme. Glänzendes Haar wie Rabenflügel, das eng an ihrem Kopf lag und akkurat und wie mit dem Lineal geschnitten auf Kinnlänge endete. Perfekt gezupfte Augenbrauen und fein geschwungene Lippen, deren Farbe an reife Pfirsiche erinnerte. Ihre Schönheit musste Macrae bezaubert haben.

Der ungerührte Ausdruck ihres Gesichts störte diesen Eindruck jedoch.

Bill neigt den Kopf. „Mrs Macrae, mein Beileid zu Ihrem Verlust.“

Sie stand auf, verneigte sich und murmelte etwas in einer Sprache, die er nicht verstand, ehe sie in fast akzentfreiem Englisch hinzufügte: „Ich danke Ihnen, Sir.“

„Ich bin Inspector William Wallace vom CID Edinburgh, vom Criminal Investigation Department. Ich weiß, wie furchtbar und wie bedrückend die Situation für Sie sein muss, Madam, aber ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen. Fühlen Sie sich in der Lage, sie zu beantworten? Wenn nicht, hat das Zeit.“

Sie senkte den Kopf. „Bitte, fragen Sie.“ Ihre Stimme klang angenehm melodisch. Bill fragte sich, aus welchem Land die Frau stammte.

„Falls Sergeant Armstrong Ihnen schon dieselben Fragen gestellt hat, bitte ich um Entschuldigung, wenn ich sie wiederhole.“

Wieder neigte sie den Kopf. „Bitte, fragen Sie.“

„Sie sind, wenn ich das richtig verstanden habe, nach Hause gekommen und haben Ihren Mann gefunden.“

„Ja.“

„Und woher kamen Sie?“

„Ich habe eingekauft.“ Sie deutete auf die Tüten und Taschen.

Er nickte. „Sie sind mit den Einkäufen ins Haus gekommen?“, vergewisserte er sich.

„Ja.“

„Können Sie mir sagen, was genau Sie getan haben, als Sie Ihr Haus betreten haben?“

„Das habe ich schon gefragt, Sir, und Mrs Macrae hat mir die Frage beantwortet.“ Sergeant Armstrong klopfte mit dem Kugelschreiber auf ihren Notizblock.

Bill ging nicht darauf ein. „Mrs Macrae?“

Sie faltete ihre Hände im Schoß und blickte zu Boden. Sie vermied es, Bill oder Annie Armstrong anzusehen. „Ich habe die Haustür aufgeschlossen, bin durch die Diele ins Wohnzimmer gegangen und habe – meinen Mann gesehen. Tot. Ich habe die Polizei gerufen.“

Bill war die kurze Pause nicht entgangen, die sie gemacht hatte. Aber auch das konnte viel oder gar nichts bedeuten. Er war jedoch überzeugt, dass es nicht an mangelnder Sprachkenntnis lag, denn ihr Englisch hatte nur einen kaum hörbaren Akzent.

„Mrs Macrae, wenn ich Sie richtig verstehe, haben Sie, als Sie Ihren toten Mann sahen, zuerst die Einkäufe hier abgestellt und dann die Polizei gerufen.“

„Ja.“ Sie hob den Blick. „Ist das wichtig?“

Er lächelte beruhigend. „Jedes Detail kann wichtig sein. Gibt es Anzeichen dafür, dass während Ihrer Abwesenheit außer Ihrem Mann noch jemand im Haus gewesen ist?“

Ihre Augen weiteten sich. „Sie glauben nicht, dass es Selbstmord war?“

„Dafür gibt es bis jetzt keine Hinweise. Aber da Ihr Mann keinen Abschiedsbrief hinterlassen hat, müssen wir jede Möglichkeit in Betracht ziehen, bis wir die Todesursache zweifelsfrei geklärt haben.“ Er blickte sie aufmerksam an. „Hatte Ihr Mann Feinde?“

Wieder senkte sie den Blick. „Ich weiß von niemandem.“

Bill wartete, ob sie noch etwas sagen wollte, aber sie schwieg. „Mrs Macrae, wissen Sie einen Grund, warum Ihr Mann sich das Leben genommen haben könnte?“

Schweigen. Sie saß vollkommen reglos, als wäre sie eine Statue. Nur ihr Brustkorb hob und senkte sich. Ein klares Ja.

„Bitte, Madam, antworten Sie mir. Wenn es etwas gab, finden wir es sowieso heraus.“

„Ich weiß nichts.“

Aus Erfahrung wusste Bill, dass es keinen Zweck hatte, in jemanden zu dringen, der sich so abgeschottet hatte wie Mrs Macrae. Deshalb ließ er ihre Lüge vorläufig auf sich beruhen.

„Madam, Ihr Haus ist gegenwärtig ein Tatort. Das heißt, dass Sie nicht mehr darin wohnen können, bis unsere Ermittlungen abgeschlossen sind. Haben Sie Verwandte oder Freunde, bei denen Sie vorübergehend unterkommen können?“

Sie schüttelte den Kopf. „Meine Mutter lebt zwar hier in Edinburgh, aber ihre Wohnung ist viel zu klein. Ich möchte sie nicht belästigen.“

In ihrer Stimme schwang ein Hauch von Bitterkeit mit. Oder war es Ärger? Vielleicht würde Bill es in einem späteren Gespräch herausfinden.

„In dem Fall werden wir Sie in einem Hotel unterbringen. Sergeant Armstrong wird Ihnen helfen, ein paar Sachen zu packen und Sie hinfahren.“ Er nickte Armstrong zu. „Ich halte so lange Ihren Notizblock, Sergeant.“

„Ja, Sir.“ Sie reichte ihm den Block und stand auf. „Kommen Sie bitte, Mrs Macrae. Zeigen Sie mir Ihr Schlafzimmer, dann packen wir ein, was Sie mitnehmen möchten.“

Bill wartete, bis die beiden Frauen das Zimmer verlassen hatten, ehe er Armstrongs Notizen las. Mrs Macrae hieß mit Vornamen Jin-Hee – wie immer man das aussprach – und stammte aus Korea. Sie war mit Macrae seit knapp zwei Jahren verheiratet und arbeitete als Lehrerin an einer Musikschule. Wie Armstrong gesagt hatte, hatte sie sie bereits gefragt, was sie getan hatte, als sie nach Hause gekommen war. Armstrong hatte notiert: „M. gefunden, Tüten i. Nebenzi. abgest., Polizei anger., auf deren Eintreffen gewartet. I. d. Zwischenz. nichts getan, nur gesessen + gewartet.“ Dahinter stand ein großes Fragezeichen.

„Nur gesessen + gewartet“, das...