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Volksmärchen der Deutschen

Johann Karl August Musäus

 

Verlag Jazzybee Verlag, 2012

ISBN 9783849632465 , 700 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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0,99 EUR


 

Rolands Knappen


 


Vetter Roland hatte, wie alle Welt weiß, seines Oheims Kaiser Karls Kriege mit Glück und Ruhm geführt und unsterbliche Taten getan, von Dichtern und Romanziern besungen, bis ihm Ganelon der Verräter, bei Ronceval am Fuß der Pyrenäen, den Sieg über die Sarazenen und zugleich das Leben entriß. Was half's dem Helden, daß er den Enakssohn, den Riesen Ferracutus, den hohnsprechenden Syrer aus Goliaths Nachkommenschaft erlegt hatte, da er den Säbelstreichen der Ungläubigen dennoch unterliegen mußte, wogegen ihn sein gutes Schwert Durande diesmal nicht schützen konnte; denn er hatte seine Heldenbahn durchlaufen und befand sich am Ende derselben. Von aller Welt verlassen lag er da unter den Scharen der Erschlagnen, schwer verwundet und von brennendem Durst gequält. In diesem traurigen Zustande nahm er alle Kräfte zusammen und stieß dreimal in sein wundersames Horn, um Karln das verabredete Zeichen zu geben, daß es mit ihm am letzten sei. Obgleich der Kaiser mit seinem Heer acht Meilen weit vom Schlachtfelde kampierte, vernahm er doch den Schall des wunderbaren Horns, hob alsbald die Tafel auf zu großem Verdruß seiner Schranzen, welche eine leckerhafte Pastete witterten, die eben zerlegt wurde, und ließ sein Heer flugs aufbrechen, seinem Neffen zu Hülfe zu eilen, wiewohl es damit zu spät war; denn Roland hatte so gewaltsam intoniert, daß das güldene Hörn geborsten war, er hatte sich alle Adern am Halse zersprengt und seinen Heldengeist bereits ausgeatmet. Die Sarazenen aber freueten sich ihres Sieges, und legten ihrem Heerführer den Ehrennamen Malek al Nasser oder des siegreichen Königes bei.

 

In dem Getümmel der Schlacht waren die Schildknappen und Waffenträger des tapfern Rolands, indem er sich mitten in die feindlichen Geschwader warf, von ihrem Herrn getrennt worden und hatten ihn aus den Augen verloren. Da nun der Held fiel und das mutlose Heer der Franken sein Heil in der Flucht suchte, wurden die mehresten von ihnen in die Pfanne gehauen. Nur dreien gelang es aus dem Haufen durch die Leichtigkeit ihrer Füße dem Tode oder den Sklavenfesseln zu entrinnen. Die drei Unglückskameraden flüchteten tief ins Gebürge, in unbetretene wüste Gegenden, und schaueten nicht rückwärts auf ihrer Flucht; denn sie meinten, der Tod trabe mit raschen Schritten hinter ihnen her. Von Durst und Sonnenbrand ermattet, lagerten sie sich unter eine schattigte Eiche, um da zu rasten, und nachdem sie ein wenig verschnoben hatten, ratschlagten sie zusammen, was sie nun beginnen wollten. Andiol, der Schwertträger, brach zuerst das pythagorische Stillschweigen, welches ihnen die Eile der Flucht und die Furcht vor den Sarazenen auferlegt hatte. »Was Rats Brüder«, frug er, »wie gelangen wir zum Heere, ohne den Ungläubigen in die Hände zu fallen, und welche Straße sollen wir ziehen? Laßt uns einen Versuch machen, durch diese wilden Gebürge zu dringen; jenseits derselben, mein ich, hausen die Franken, die uns sicher ins Lager geleiten werden.« »Dein Anschlag wär gut, Kompan«, versetzte Amarin der Schildhalter, »wenn du uns Adlersfittige gäbest, uns damit über den Wall der schroffen Felsen zu schwingen; aber mit diesen gelähmten Knochen, aus welchen Mangel und Sonnenglut das Mark verzehret hat, werden wir traun nicht diese Zinnen erklimmen, die uns von den Franken scheiden. Laßt uns vorerst eine Quelle aufsuchen, unsern Durst zu löschen und die Kürbisflaschen zu füllen, und hernach ein Wild erlegen, daß wir was zu zehren haben: dann wollen wir wie leichtfüßige Gemsen über die Felsen hüpfen und bald einen Weg zu Karls Heerlager finden.« Sarron, der dritte Knappe, der dem Ritter Roland die Sporen anzulegen pflegte, schüttelte den Kopf und sprach: »Für den Magen, Kamerad, ist dein Rat nicht übel; aber Euer beider Anschlag ist gefahrvoll für den Hals. Meint Ihr, daß es uns Karl Dank wissen würde, wenn wir ohne unsern guten Herrn zurückkehrten, und auch seine köstliche Rüstung, die uns anvertraut war, nicht zurückbrächten? Wenn wir nun an den Teppich seines Throns knieeten und sprächen: ›Held Roland ist gefallen!‹ Und er spräch: ›Viel schlimm ist diese Botschaft; aber wo ist Durande sein gutes Schwert geblieben?‹ Was wolltest du antworten, Andiol? Oder er spräch: ›Knappen, wo habt ihr seinen spiegelblanken stählernen Schild?‹ Was wolltest du darauf sagen, Amarin? Oder er früg nach den goldenen Sporen, die er unserm Herrn anlegte, als er ihn weiland zum Ritter schlug, müßte ich nicht mit Scham verstummen?« »Du erinnerst wohl«, erwiderte Andiol, »dein Verstand ist hell wie Rolands Schild, durchdringend, fein und scharf wie Rolands Schwert. Wir wollen nicht ins Heerlager der Franken zurückkehren; Karl möchte schellig8 sein und uns lassen Profeß tun im Kloster zu den dürren Brüdern9

 

Über diese Konsultationen war die grausenvolle Nacht hereingebrochen; kein Sternlein flimmerte am umnebelten Himmel; kein Lüftgen regte sich. In der weiten Einöde war tiefe Totenstille umher, die nur durch das Krächzen irgend eines Nachtvogels zuweilen unterbrochen wurde. Die drei Flüchtlinge streckten sich unter die Eiche auf den Rasen, und gedachten den bellenden Hunger, welchen das strenge Fasten des langen Tages erregt hatte, durch den Schlaf zu betäuben; aber der Magen ist ein ungestümer Gläubiger, der den Zahlungstermin seiner Intraden nicht gern vierundzwanzig Stunden lang kreditiert. Ihrer Ermüdung ungeachtet gestattete ihnen der Hunger keinen Schlaf, ob sie gleich ihr Wehrgehenke zum Schmachtriemen gebraucht, und sich damit so eng gegürtet hatten als möglich. Indem sie aus Unmut und Langerweile wieder anfingen miteinander zu kosen, erblickten sie durchs Gebüsche ein fernes Lichtlein, das sie anfangs für das Dunstkind salpetrischer schweflicher Dämpfe ansahen. Weil aber das vermeintliche Irrlicht nach einiger Zeit weder den Ort noch den Schein veränderte, faßten sie den Entschluß, die Sache genauer zu untersuchen. Sie verließen ihr Standquartier unter der Eiche, und nachdem sie manche Schwierigkeit überwunden, in der Finsternis über manchen Stein gefallen, und mit dem Kopf gegen manchen Ast angerennt waren, gelangten sie an einen freien Platz vor einer aufrechtsstehenden Felsenwand, wo sie zu ihrer großen Freude einen Kochtopf auf dem Dreifuß über dem Feuer fanden, und die auflodernde Flamme ließ ihnen zugleich den Eingang einer Höhle wahrnehmen, über die sich von oben Efeuranken herabschlangen, und welche durch eine feste Tür verschlossen war. Andiol ging hinzu und pochte an, vermutend, der Bewohner der Höhle möchte irgend ein frommer gastfreier Einsiedler sein. Aber er vernahm eine weibliche Stimme von innen, welche frug: »Wer klopft, wer klopft an meinem Hause?« »Gutes Weib«, sprach Andiol, »tut uns auf die Tür zu Eurer Grotte, drei irrende Wandrer harren hier an der Schwelle und verschmachten vor Durst und Hunger.« »Geduld!« antwortete die Stimme von innen, »daß ich vorerst das Haus beschicke und es zum Empfang der Gäste bereite.« Der Horcher an der Tür hörte darauf von innen groß Geräusch, als würde das ganze Haus aufgeräumt und ausgescheuert. Er verzog eine Zeitlang, solang es seine Ungeduld verstattete; als aber die Hausmutter kein Ende finden konnte, ihre Wohnung zu säubern, klopft' er nochmals etwas soldatisch an die Tür und verlangte mit seinen Gefährten eingelassen zu werden. Die vorige Stimme antwortete: »Gemach, ich höre! Laßt mir doch Zeit, meine Dormöse aufzustürzen, daß ich vor den Gästen mich kann sehen lassen. Schüret indessen draußen das Feuer an, daß der Topf wohl siede, und nascht mir nichts von der Brühe.«

 

Sarron, der in Ritter Rolands Küche immer der Topfgucker gewesen war, hatte aus natürlichem Instinkt sich dieser Funktion, das Feuer zu unterhalten, bereits unterzogen, auch den Topf vorläufig sondiert und eine Entdeckung gemacht, die ihm eben nicht behagte. Denn da er die Stürze aufhob und mit der Fleischgabel zu Boden fuhr, zog er einen stachlichten Igel hervor, dessen Anblick seine Eßlust dergestalt verminderte, daß der Magen von allen ungestümen Forderungen abstund. Er ließ sich aber nichts von dieser Küchenbeobachtung gegen seine Gefährten merken, damit, wenn das Igelragout unter dem Inkognito einer leckerhaften Brühe aufgetischt würde, er ihnen den Appetit nicht verderben möchte. Amarin war vor Müdigkeit eingeschlummert, und hatte beinahe ausgeschlafen, ehe die Bewohnerin der Grotte mit ihrer Toilette fertig war. Wie er erwachte, gesellt' er sich zu dem lärmenden Andiol, der unter heftigen Kontestationen mit der Eignerin der Höhle über den Einlaß kapitulierte. Nachdem endlich alles zur Richtigkeit gebracht war, hatte sie zum Unglück den Hausschlüssel verkramt, und weil sie noch dazu aus großer Eil ihre Lampe umgestoßen hatte, konnte sie solchen nicht wieder finden. Die schmachtenden Wanderer mußten also die ihnen gleich anfangs angepriesene Geduld üben, bis nach langer Pause der Schlüssel gefunden war und die Tür aufgetan wurde. Aber ein neuer Verzug, die Kontenanz der Fremdlinge zu prüfen! Kaum war die Tür halb geöffnet, so sprang eine große schwarze Katze heraus mit feuerfunkelnden Augen: sogleich schlug die Hausmutter die Tür wieder zu und verriegelte sie wohl, schalt und schmähte auf die ungestümen Gäste, die ihre Wohnung verunruhigten und sie um ihr liebes Hausvieh gebracht hätten. »Haschet meinen Kater ein, ihr Wichte«, rief sie von innen, »oder laßt euch nicht einfallen meine Schwelle zu betreten.«

 

Die drei Kameraden sahn einander...