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Night School 1. Du sollst keinem trauen - Actiongeladene Mystery-Liebesgeschichte in einem englischen Internat

C.J. Daugherty

 

Verlag Verlag Friedrich Oetinger, 2013

ISBN 9783862742134 , 464 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

Zwei


Trotz des konstanten Lärmpegels, der an diesem sommerlichen Freitagabend auf der Polizeiwache herrschte, hörte Allie die Stimme ihres Vaters so deutlich, als stände er vor ihr. Sie unterbrach das Gezwirbel an ihren Haaren und sah besorgt zur Tür.

»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich das zu schätzen weiß. Es tut mir sehr leid, dass Sie so viel Ärger hatten.« Sie kannte diesen Ton in seiner Stimme nur zu gut: gedemütigt. Durch sie. Sie hörte eine zweite männliche Stimme, die sie aber nicht recht verstand, und dann wieder ihren Vater: »Ja, wir werden etwas unternehmen, ich weiß Ihren Rat sehr zu schätzen. Wir werden das besprechen und morgen eine Entscheidung treffen.«

Entscheidung? Was für eine Entscheidung?

Dann ging die Tür auf, und ihre grauen Augen blickten in seine müden blauen. Ihr Herz zog sich ein kleines bisschen zusammen. Er sah älter aus, so unrasiert und zerknittert, wie er war. Und sehr müde.

Er reichte einer Beamtin mehrere Papiere, die sie achtlos auf den vor ihr liegenden Stapel mit Schreibkram legte. Dann griff sie in eine Schublade, nahm den Umschlag mit Allies Sachen heraus und schob ihn über den Schreibtisch Allies Vater zu. Ohne einen der beiden anzusehen, sagte sie roboterhaft: »Wir übergeben dich hiermit in die Obhut deines Vaters. Du kannst jetzt gehen.«

Allie erhob sich steif und folgte ihrem Vater durch den engen, hell erleuchteten Flur zum Ausgang.

Als sie draußen in der frischen Sommerluft standen, atmete sie tief durch. Die Erleichterung, nicht mehr auf der Polizeiwache zu sein, mischte sich mit Besorgnis über den Gesichtsausdruck ihres Vaters. Schweigend gingen sie zum Wagen.

Schon von der anderen Straßenseite aus entriegelte ihr Vater mit der Fernbedienung den schwarzen Ford, der mit einem unpassend vergnügten Willkommensgruß antwortete. Als ihr Vater den Motor anließ, wandte sie sich ihm mit einem Blick zu, der ernst war und voller Erklärungen.

»Dad …«

Er spannte den Kiefer an und starrte stur geradeaus.

»Alyson, nicht …«

»Nicht was?«

»Nicht reden. Einfach … dasitzen.«

Die Fahrt verlief schweigsam. Zu Hause stieg er ohne ein Wort aus. Allie schlurfte hinter ihm her, während das ungute Gefühl in der Magengrube anwuchs.

Er wirkte nicht böse. Er wirkte … leer.

Allie ging die Treppe hoch und den Flur entlang, vorbei am verwaisten Zimmer ihres Bruders. In der Sicherheit ihres eigenen Zimmers betrachtete sie sich eingehend im Spiegel. Ihr schulterlanges, hennarotes Haar war strähnig, schwarze Farbe klebte an einer Schläfe, und die Wimperntusche unter den Augen war verschmiert. Sie roch nach altem Schweiß und Angst.

»Na«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild, »das hätte auch schlimmer ausgehen können.«

 

Als sie am nächsten Morgen aufwachte, ging es schon auf Mittag zu. Sie kroch unter der zerknitterten Decke hervor und streifte eine Jeans und ein weißes Trägertop über. Dann öffnete sie vorsichtig die Tür.

Stille.

Auf Zehenspitzen ging sie in die Küche hinunter, wo die Sonne durch große Fenster auf eine saubere Arbeitsplatte aus Holz schien. Jemand hatte ihr Brot hingestellt, die Butter schmolz langsam vor sich hin. Neben dem Wasserkocher stand eine Tasse mit Teebeutel.

Sie hatte einen Bärenhunger. Sie schnitt sich eine Scheibe Brot ab und steckte sie in den Toaster. Dann machte sie das Radio an, um die Stille zu übertönen, schaltete es aber gleich wieder aus.

Sie aß hastig und blätterte dabei die Zeitung von gestern durch, ohne richtig hinzusehen. Erst als sie fertig war, bemerkte sie den Zettel neben der Küchentür.

A-

Bin Nachmittag zurück. NICHT aus dem Haus gehen.

M

Instinktiv wollte sie nach dem Telefon greifen, um Mark anzurufen, aber es lag nicht an seinem üblichen Platz neben dem Kühlschrank.

Sie lehnte sich gegen die Holztheke und trommelte mit den Fingern darauf herum, während sie auf das stete Ticken der großen Uhr über dem Herd lauschte.

Sechsundneunzig Ticks. Oder Tacks? Wo ist der Untersch…?

»Genau!« Sie richtete sich auf und klatschte die Handflächen auf die Arbeitsfläche. »Scheiß doch drauf.«

Sie rannte nach oben in ihr Zimmer und riss die oberste Schreibtischschublade auf, wo sie ihren Laptop aufbewahrte.

Die Schublade war leer.

Allie stand reglos da und sann darüber nach, was das zu bedeuten hatte. Ihre Schultern sackten nach unten.

* * *

Ihre Eltern kamen erst am späten Nachmittag nach Hause. Allie hatte sie bang erwartet und war jedes Mal, wenn eine Autotür schlug, aufgesprungen, um aus dem Fenster zu schauen. Doch als sie endlich da waren, tat sie ganz gleichgültig, blieb zusammengekauert in dem großen Ledersessel sitzen und schaute auf den Fernseher, der mit abgestelltem Ton lief.

Ihre Mutter ließ wie gewohnt die Handtasche auf den Tisch im Flur fallen und folgte dann ihrem Mann in die Küche, um Tee zu machen. Durch die offene Tür sah Allie, wie sie ihm kurz beruhigend die Hand auf die Schulter legte und dann zum Kühlschrank ging, um Milch zu holen.

Sieht gar nicht gut aus.

Ein paar Minuten später saßen sie ihr gegenüber auf dem marineblauen Sofa. Das Haar ihres Vaters war jetzt sorgfältig gekämmt, dafür hatte er Ringe unter den Augen. Der Gesichtsausdruck ihrer Mutter war ruhig, doch ihre Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengekniffen.

»Alyson …«, begann ihr Vater, doch dann geriet er ins Stocken und rieb sich müde die Augen.

Ihre Mutter übernahm. »Wir haben darüber gesprochen, wie wir dir helfen können.«

Oje.

»Offenbar bist du auf deiner jetzigen Schule nicht glücklich gewesen.« Sie sprach deutlich und langsam. Allies Augen huschten von einem Elternteil zum andern. »Aber nachdem du in die Schule eingebrochen bist, deine Akte angezündet und ›Ross ist eine Fotze‹ an die Tür der Rektorin gesprüht hast, dürfte es dich kaum überraschen, dass man dort auch nicht sehr glücklich mit dir ist.«

Allie kaute an der Nagelhaut ihres kleinen Fingers und kämpfte gegen den Drang, nervös zu kichern. Jetzt kichern wäre wenig hilfreich.

»Das wird nun schon die zweite Schule sein, die uns sehr höflich bittet, dich anderswo zum Lernen hinzuschicken. Wir sind es leid, sehr höfliche Briefe von Schulen zu bekommen.«

Ihr Vater beugte sich vor. Zum ersten Mal, seit er sie von der Polizeiwache abgeholt hatte, sah er Allie in die Augen.

»Wir verstehen, dass du dich abreagieren willst, Alyson«, sagte er. »Wir verstehen, dass du diese Art gewählt hast, um mit dem, was passiert ist, umzugehen, aber es reicht uns jetzt. Graffiti, Schule schwänzen, Vandalismus … Es reicht. Wir haben’s begriffen.«

Allie öffnete den Mund, um sich zu verteidigen, doch ihre Mutter blitzte sie warnend an. Allie winkelte die Beine an und schlang die Arme um die Knie.

Jetzt sprach wieder ihre Mutter: »Der hilfsbereite Kontaktbeamte bei der Polizei von gestern Abend – der übrigens genau über dich Bescheid wusste – hat vorgeschlagen, dass wir dich auf eine andere Schule schicken. Außerhalb Londons. Weit weg von deinen Freunden

Das letzte Wort sprach sie mit bitterer Verachtung aus, dann sagte sie:

»Heute Morgen haben wir mehrere Telefonate geführt, und wir haben …«, hier machte sie eine Pause, in der sie ihrem Mann einen beinahe unsicheren Blick zuwarf, »wir haben einen Ort gefunden, der auf Teenager wie dich spezialisiert ist, …«

Allie zuckte zusammen.

»… und haben ihn uns am Vormittag angeschaut. Wir haben mit der Rektorin gesprochen, …«

»Die absolut reizend war«, warf ihr Vater ein, doch ihre Mutter beachtete ihn nicht.

»… und sie hat zugestimmt, dass du noch diese Woche anfängst.«

»Moment mal … Diese Woche?«, fragte Allie ungläubig. »Aber wir haben doch erst seit zwei Wochen Sommerferien!«

»Du wirst dort auch wohnen, …«, sagte ihr Vater, als hätte er sie nicht gehört.

Allie starrte ihn mit offenem Mund an.

Wohnen?

Das Wort hallte in ihrem Kopf wider.

Das soll wohl ein Scherz sein!

»… was für uns eine große finanzielle Belastung bedeutet, aber wir sind der Meinung, dass es den Versuch wert ist, dich vor dir selbst zu schützen, bevor du dein ganzes Leben wegwirfst. Vor dem Gesetz giltst du jetzt noch als Jugendliche, aber das wird nicht ewig so bleiben.« Er schlug mit der Hand auf die Sofalehne, Allie starrte ihn an. »Du bist fünfzehn, Alyson. Es kann so nicht weitergehen.«

Allie lauschte auf ihren Herzschlag.

Dreizehn Schläge. Vierzehn, fünfzehn …

Das war übel. Unglaublich übel. Geradezu rekordverdächtig übel. Sie beugte sich vor.

»Hört mal, ich weiß, ich hab Mist gebaut. Es ist mir echt peinlich«, sagte sie so aufrichtig sie konnte. Ihre Mutter sah sie ungerührt an, deshalb wandte sie sich flehentlich an ihren Vater. »Aber findet ihr nicht, dass ihr überreagiert? Dad, das ist doch Wahnsinn!«

Erneut warf Allies Mutter ihrem Mann einen Blick zu, gebieterisch diesmal. Er sah Allie traurig an und schüttelte den Kopf.

»Es ist zu spät«, sagte er. »Die Entscheidung ist getroffen. Mittwoch fängst du an. Bis dahin kein Computer, kein Handy, kein iPod. Und keinen Ausgang, du bleibst im Haus.«

Als ihre Eltern aufstanden, kam es Allie so vor, als würde der Richter den Saal verlassen. In der Leere, die sie hinterließen, atmete Allie zitterig aus.

 

Die folgenden Tage verschwammen: Allie...