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Die Mühlen des Herrn

Andrea Camilleri

 

Verlag Verlag Klaus Wagenbach, 2013

ISBN 9783803141286 , 240 Seiten

Format ePUB

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Samstag, 1. September 1877


»Dominovobisdu.«

»Ettkumm spiri tutuho«, antworteten an die zehn Stimmen, die sich im tiefen, nur hier und da gelegentlich von übelriechenden Talglichtern durchbrochenen Dunkel der Kirche verloren.

»Ite, missa jetzt.«

Betstühle wurden gerückt. Die erste Morgenmesse war zu Ende. Eine Frau bekam einen Hustenanfall, Padre Artemio Carnazza machte eine halbe Kniebeuge vor dem Hochaltar und verschwand danach eilig in die Sakristei, wo der Sakristan, tot vor Müdigkeit, wie immer auf ihn wartete, um ihm aus den Meßgewändern zu helfen. Die glaubenstreuen Besucher der Frühmesse verließen die Kirche, nur Donna Trisìna Cìcero nicht, das war die, die gehustet hatte. Sie blieb knien, tief ins Gebet versunken. Seit ungefähr zwei Wochen stellte sie sich zur Frühmesse ein. Sie galt durchaus nicht als eine, die ständig in die Kirche rennt. Zur Messe erschien sie normalerweise lediglich sonntags und an den festgelegten Feiertagen. Es war daher offenkundig, daß sie in Sünde gefallen war und diese sich jetzt von Unserem Gnädigen Herrn vergeben lassen wollte. Donna Trisìna war eine schwarzhaarige Dreißigerin, mit wildfunkelnd grünen Augen und zwei Lippen so rot wie die Flammen der Hölle. Unglückseligerweise war sie vor drei Jahren Witwe geworden. Von da an kleidete sie sich nur noch in Schwarz, nach strengster Trauer. Dennoch stellten sich bei den Männern, wenn sie sie vorübergehen sahen, sündhafte Gedanken ein. So viel göttliche Anmut, ohne daß ein strammer Kerl sie bändigen durfte. Doch im Ort gab es einige, die behaupteten, daß dieses Feld durchaus bepflügt und reichlich besät worden war, und zwar von mindestens zwei freiwilligen Helfern: dem Advokaten Don Gregorio Fasùlo und dem Bruder des Polizeiamtsleiters, Gnazio Spampinato.

Donna Trisìna wartete, bis der Sakristan die Kirche verlassen hatte, dann bekreuzigte sie sich, stand auf und ging zur Sakristei. Vorsichtig trat sie ein. Das frühe Licht des Tages reichte ihr, um sich davon zu überzeugen, daß sich keine Menschenseele in dem Raum befand. Gleich neben dem großen Schrank aus amerikanischer Bergkiefer, in welchem die Meßgewänder aufbewahrt wurden, führte eine kleine Türe auf eine Holztreppe und diese weiter zur kleinen Wohnung des Priesters hinauf.

Padre Artemio Carnazza war ein Mann zwischen vierzig und fünfzig, von rötlicher Haut, kräftiger Statur, der das Essen und Trinken liebte. Mit wahrhaftem Christenherzen war er stets bereit, Bedürftigen Geld zu leihen, was er sich dann, mit wahrhaftem Heidenherzen, doppelt und gelegentlich dreifach zurückzahlen ließ. Besonders liebte Padre Carnazza die Natur. Nicht die Vögelein, die Schäflein, die Bäume, die Morgen- und die Abenddämmerungen, nein, die scherten ihn sogar einen Dreck. Das, was ihm die Sinne bis zum Wahnsinnigwerden raubte, war die Natur der Frau, die, in ihrer unendlichen Vielfalt, das Lob auf den Phantasiereichtum des Schöpfers sang: bald schwarz wie Tinte, bald rot wie Feuer, bald blond wie die Ähre des Weizenhalmes, doch stets mit anderen Farbschattierungen, wobei die Gräser manchmal hochstanden und unter seinem Atem wogten, wenn er über sie hinwegblies, ein anderes Mal niederlagen, als wären sie gerade gemäht worden, und wieder ein anderes Mal sich ganz dicht und ineinander verwoben zeigten wie eine dornige Wildhecke. Immer wieder verwunderte es ihn, daß er derart eine neue Natur entdeckte, neu, brandneu mit all dem Besonderen, das es zu erforschen gab, wenn er Zentimeter für Zentimeter bis zur ausgehöhlten, feuchten kleinen Grotte hinabstieg, in die man nur langsam eindringen durfte, vorsichtig, sanft, weil einen nachher die kleine Grotte eng umschloß, ihre Wände fest an einen schmiegte, um einen in die tiefste Tiefe zu geleiten, dorthin, wo das Wasser des Lebens hervorquillt.

Donna Trisìna stieg die Holztreppe hinauf, hob ein Bein, setzte das andere ab, sorgsam darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, doch das Holz knarrte von Stufe zu Stufe mehr, bis es schließlich wie eine Klage klang.

»Besser so«, hatte der Pfarrer ihr erklärt, »wenn jemand zu mir kommt, höre ich es gleich.«

Während Donna Trisìna hinaufstieg, hatte Padre Carnazza den Priesterrock abgelegt und über das Unterhemd und die Unterhose einen Morgenmantel gezogen, aus goldbestickter roter Seide, wie sie nicht einmal der Bischof kennt, das Geschenk einer Frau aus seiner Gemeinde.

Da der Diener Gottes nicht im Eßzimmer war (nach der Frühmesse machte er sich ein Frühstück aus einem halben Liter Ziegenmilch und einem halben Dutzend Spiegeleiern), trat Donna Trisìna an die Tür des Schlafzimmers und schaute hinein, wobei sie den Kopf leicht vorbeugte. Die Fensterläden waren zwar angelehnt, ließen aber das Licht eines Tages herein, der noch sehr heiß zu werden versprach. Aber auch dort sah sie niemanden. Schließlich gelangte sie zu der Überzeugung, daß Padre Artemio sich gezwungen gesehen habe, sich auf dem stillen Örtchen einzuschließen, um einem natürlichen Bedürfnis nachzugeben. Sie machte einen Schritt nach vorn. Da schoß der Gottesmann, der versteckt hinter einer Türe gestanden und den Atem angehalten hatte, hervor, packte sie von hinten, stieß sie zum Bett hinüber und zwang sie, sich bäuchlings darauf zu legen. Donna Trisìna gelang es, keinen Laut von sich zu geben, so erschrocken war sie, doch als sie spürte, wie die freie Hand Padre Artemios (mit der anderen preßte er ihren Rücken nach unten, um sie in dieser Stellung zu halten) sich ohne viel Federlesens unter ihren Rock, ihren Unterrock und ihr Leibhemd schob, um ihren Schlüpfer herunterzuziehen, reagierte sie und stieß ein trockenes »Laß das!« hervor, das wie ein Peitschenknall schnalzte. Der Gottesmann schien sie nicht gehört zu haben, er atmete so schwer, daß sie den Eindruck hatte, ihn könne jeden Augenblick der Schlag treffen. Donna Trisìna begriff, daß die Stellung, in der der Diener Gottes sie festhielt, ziemlich gefährlich war, sie hob einen Fuß und trat einfach irgendwohin. Voll in die Samenkugeln getroffen, lockerte Padre Artemio seine Umklammerung, beugte sich vor Schmerzen mit weit aufgerissenem Mund vornüber und schnappte nach Luft.

Diese Gelegenheit nutzte Trisìna, um sich vom Bett aufzurichten und ihre Kleider in Ordnung zu bringen.

»Ich sagte: Laß das doch!« Sie war äußerst verärgert. »Du weißt, daß ich den vollen Akt nicht vollziehen will! Noch ist die Leiche meines armen Ehemannes im Grabe nicht erkaltet!«

Padre Carnazza war noch benommen vom Schmerz, doch bei Donna Trisìnas Worten fühlte er, wie ihm das Blut in den Kopf schoß.

»Was für einen Quatsch faselst du denn da! Auch Lazarus fing nach zwei Tagen im Grabe an zu stinken. Was soll dann da nicht erkaltet heißen, nicht erkaltet, wo doch das riesengehörnte Rindvieh von deinem Mann schon drei Jahre tot ist!«

Ohne ihn eines Wortes der Erwiderung zu würdigen, kehrte Donna Trisìna ins Eßzimmer zurück, nahm einen Stuhl und setzte sich. Nach einer kurzen Weile machte der Diener Gottes das gleiche: wenn nämlich Trisìna nicht empört weggegangen war, bedeutete das, daß die Verhandlungen weitergehen konnten.

Diese Geschichte ging nun schon seit zehn Tagen so: Trisìna tauchte nach der Messe in seiner Wohnung auf, doch sobald er sie mit der Hand berührte, wand und drehte sie sich wie eine Viper, die sie im Grunde auch war. Aber was für eine schöne Viper! Er konnte ihr nicht widerstehen. In seinem Inneren wußte er, daß er, wenn er eine auch noch so kleine Kleinigkeit von ihr erhalten wollte, wieder dafür zahlen mußte.

Bis jetzt hatte ihn der Anblick einer ihrer nackten Brüste hundert Gramm guten Bohnenkaffees gekostet; der Anblick beider nackten Brüste dreihundert Gramm Zucker; ein Kuß ohne Zunge ein Pfund Mehl; ein Kuß mit Zunge ein Kilo feiner neapolitanischer Pasta; ein Kuß mit Zunge und zwei nackte Brüste drei Mokkatassen aus Porzellan mit den jeweiligen Untertassen; ein hauchzartes Streicheln der nackten Brüste ein Kaffeelöffelchen aus echtem Silber; ein Kuß auf jede Brustwarze einen Ballen feinsten Mousselinestoffs für Blusen. Trisìna war zwar eine durchaus vermögende Frau, ihr Gemahl hatte ihr Häuser und Grundstücke hinterlassen, aber sie hatte vor allem anderen den Instinkt einer diebischen Elster und an zweiter Stelle den Verstand einer ausgesprochenen Hure, der es Spaß machte, sich bezahlen zu lassen.

»Diese Matratzensau räumt mir noch die Wohnung aus«, dachte der Gottesmann verbittert, »und dafür erlaubt sie mir lediglich, mir in ihren oberen Etagen zu schaffen zu machen!«

Und da kam ihm eine Idee, wie er es anstellen könnte, sich in diesen oberen Etagen bequemer einzurichten.

Trisìna sah sich unterdessen ein bißchen um.

»Wie schön diese Lampe ist!« rief...