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Tod hinter dem Stephansdom - Ein Wien-Krimi

Beate Maxian

 

Verlag Goldmann, 2013

ISBN 9783641099626 , 352 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

3

SARAH PAULI

Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit. Sarah nahm einen Schatten wahr, dann eine eilige Bewegung. Das schwarze Wesen verschwand unter ihrem Schreibtisch und berührte ihre Waden.

»Wenn du etwas größer wärst und glutrote Augen hättest, würdest du glatt als Dämon durchgehen.«

Sarah lachte, griff unter den Tisch und streichelte dem Mops über den Kopf.

Conny Soe folgte in turmhohen Stöckelschuhen, engen Jeans und weißer Bluse. Die Gesellschaftsreporterin blieb direkt vor Sarahs Schreibtisch stehen.

»Kann ich Sissi bei dir lassen?«

Ihre kupferrote Lockenmähne war ordentlich hochgesteckt. Die Frisur ließ sie seriös aussehen. Ihr Make-up war dezenter als üblich. Bis auf die High Heels schien es, als habe sich die Society-Löwin neu erfunden und von der schrägen Mode-Ikone zur vertrauenswürdigen Berichterstatterin gemausert. Sie hielt einen Hundekorb in ihren Händen.

»Ich muss zu einem Interview mit einem Produzenten.«

Sie rollte mit den Augen und stellte den Korb auf den Boden.

»Der Kerl hat Angst vor Hunden.«

Sarah blickte auf den kleinen schwarzen Mops unter ihrem Schreibtisch. »Angst? Vor Sissi?«

»Ist mir auch unverständlich.«

Die Society-Löwin schüttelte den Kopf.

»Normalerweise würde ich Sissi in meinem Büro lassen, aber wie ich den Kerl kenne, dauert der Termin wieder ewig.«

»Wen interviewst du denn?«

Conny schob den Korb mit der Spitze ihres linken Schuhs unter Sarahs Tisch. Der Hund nahm augenblicklich darin Platz.

»Kennst du nicht. Eigentlich sind es zwei. Ein österreichischer Produzent und ein deutscher Regisseur. Der Deutsche will Teile seines nächsten Films in Wien drehen.« Sie grinste. »Und das muss jetzt werbewirksam unter die Leute gebracht werden.«

Sarah wartete auf die Fortsetzung. Normalerweise folgte nach einer solchen Einleitung die ausführliche Erklärung über das Schaffen und die Wichtigkeit der Interviewpartner.

»Und an welcher Voodoo-Story arbeitest du gerade?«, fragte Conny mit gespieltem Interesse. Sie hatte es inzwischen aufgegeben, Sarah in die Welt der Stars und Sternchen einzuführen.

»Herbst.«

»Herbst?«, wiederholte Conny verständnislos.

»Im Herbst beginnt die Geisterzeit und damit die wilde Jagd auf Dämonen.« Sarah strich eine Haarsträhne nach hinten. »Außerdem stehen Allerheiligen und Allerseelen auf dem Programm, das bietet jede Menge Stoff zum Thema.«

In Gedanken notierte sie, mit Chris über den bevorstehenden Besuch am Grab ihrer Eltern zu reden. Sie wollte noch vor Allerheiligen ein Gesteck hinbringen.

»Du solltest ein Museum eröffnen mit dem Sammelsurium, das dir die Leute so schicken.« Conny zeigte auf Sarahs Regal, in dem sich Bücher, Zeitschriften zum Thema und verschiedenste esoterische Objekte angehäuft hatten. Sie schüttelte beim Hinausgehen amüsiert den Kopf. »Und damit füllen wir unsere Seiten.« Im Türrahmen drehte sie sich noch einmal um. »Da fällt mir ein, hast du nicht bald Geburtstag?«

»Am siebten November.«

»Den Dreißigsten. Stimmt’s?«

Sarah nickte.

»Du machst hoffentlich eine wilde Party.«

Conny verschwand, ohne eine Antwort abzuwarten.

Sarah seufzte. Sie wusste nicht, ob ihr nach einer wilden Party war.

Sissi rollte sich in ihrem Hundekorb zu einem winzigen Knäuel zusammen. Sarah bückte sich und streichelte dem Hund einige Male über den Kopf. Dann klickte sie sich durch das Fotomaterial, das Simon ihr geschickt hatte.

Der Fotograf musste zu jeder Tages- und Nachtzeit durch halb Wien gefahren sein. Oder hatte er die Bilder alle im Archiv? Jedenfalls hatte er Fotos mit und ohne Nebel, Morgen- und Abendstimmungen, Großstadtaufnahmen, baufällige Gebäude und Landschaften geliefert. Sarah entschied sich, als Aufhänger ein Foto der Lobau zu nehmen. Simon musste sie vom Josefsteig aus aufgenommen haben. Im Vordergrund war deutlich die Holzbrücke zu erkennen, die Dechantlacke und die Baumreihe im Hintergrund konnte man allerdings durch den dichten Nebel nur erahnen. Sie starrte gebannt auf den Bildschirm. Ihre Finger flogen über die Tasten. Bis Mitte, wenn nicht sogar Ende November konnte sie das Thema Herbst locker ausreizen. Danach wollte sie sich den Raunächten mit all dem damit verbundenen Brauchtum widmen. Somit war ihre Kolumne bis Mitte Jänner thematisch besetzt.

Ihr Telefon läutete. Geistesabwesend hob sie ab.

»Pauli.«

Eine Kollegin meldete sich. »Ich hab’ hier eine Frau am Apparat, die will unbedingt dich sprechen. Klingt leicht hysterisch, wenn du mich fragst.«

»Und wie heißt sie?«

»Irgendwas mit Zimmer, hab’ nicht genau hingehört. Die redet so schnell, dass’d kaum verstehst, was’s sagt.«

»Wie ist sie an dich geraten?«

»Kennst doch den Einserschmäh … Du wählst einfach irgendeine Zahl nach der offiziellen Nummer, wenn du Glück hast, ist es eine Durchwahl, und irgendwer hebt ab. Und so is’ jetzt bei mir gelandet … heut’ ist Samstag und die Zentrale nicht besetzt.«

»Hat sie gesagt, was sie will?«, fragte Sarah, während sie gleichzeitig versuchte, sich auf den soeben verfassten Text zu konzentrieren.

»Nein, hat’s nicht«, kam es gereizt aus der Leitung. »Was ist jetzt? Nimmst’ sie oder nicht? Ich hab’ nicht den ganzen Tag Zeit.«

»Okay, ja, stell durch.«

Ihre Kollegin legte auf.

»Pauli«, wiederholte Sarah.

»Sind Sie die, die diese Kolumne über Aberglauben schreibt?«

Die Stimme der Frau klang gehetzt.

»Ja, die bin ich«, bestätigte Sarah.

»Gott sei Dank! Endlich hab’ ich Sie am Apparat.«

»Mit wem spreche ich?«

»Mathilde Zimmermann«, antwortete sie so, als müsste Sarah ihren Namen schon einmal gehört haben.

»Und was kann ich für Sie tun?«, fragte Sarah und fügte das ausgewählte Bild in die Maske neben ihrem Artikel ein.

»Es geht um die schwarze Frau.«

Sarah ließ die Maus los und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.

»Worum geht’s?«

»Sie wissen, wer die schwarze Frau ist und was das bedeutet?«, kam es misstrauisch aus der Leitung.

»Das kommt ganz darauf an, in welchem Zusammenhang«, erwiderte Sarah vorsichtig. »Wenn Sie auf den Aberglauben anspielen, kündigt diese Frau einen Todesfall an. Aber das ist …«

»Ich habe sie gesehen«, unterbrach sie die Anruferin. »Sie geht um. Die Todesbotin … sie geht in Wien um. Diesmal im Blutgassenviertel. Glauben S’ mir!«

Nein, bitte nicht, schoss es Sarah durch den Kopf, bitte jetzt keine Wahnsinnige mit übersinnlichen Wahrnehmungen. Genervt fuhr sich Sarah mit der Hand durchs Haar. Sollte sie einfach auflegen?

»Und was soll ich jetzt machen?«

Sie notierte sich Datum und Uhrzeit des Anrufs.

»Sie sollen darüber schreiben. Kommt ja nicht jeden Tag vor, dass die schwarze Frau umgeht.«

Eindeutig eine Wahnsinnige, diagnostizierte Sarah.

»Aha. Und warum soll ich das tun?«

»Ich hab’s Ihnen doch schon erklärt. Weil ich sie gesehen hab’. Nicht ein Mal, wenn S’ meinen. Zwei Mal hab’ ich sie schon gesehen. Zwei Mal!«

Schwachsinn, hätte Sarah am liebsten gesagt, wir leben im 21. Jahrhundert, es gibt keine schwarz gekleideten Frauen, die den Tod vorhersagen.

»Das erste Mal ist noch gar nicht so lange her … auf dem Parkplatz oben am Cobenzl. Dort hab’ ich sie zum ersten Mal gesehen. Ich bin mit meiner Hündin spazieren gegangen. Normalerweise gehe ich mit ihr zum Donaukanal, aber manchmal am Wochenende fahre ich zum Cobenzl. Da oben ist es ja sehr schön«, fuhr die Anruferin hemmungslos fort.

»Und was hat sie gemacht?«

Warum fragte sie das eigentlich alles? Leg einfach auf, ermahnte sich Sarah stumm. Um das Gespräch tatsächlich unhöflich abzubrechen, war sie jedoch zu höflich.

»Sie ist einfach nur auf der Mauer gesessen, hat aber nicht auf Wien runtergeschaut, sondern auf einen bestimmten Fleck am Parkplatz. Kennen S’ den überhaupt, den großen Parkplatz am Cobenzl?«

»Ja, ich kenne ihn.«

»Aber da war nichts. Verstehen S’? Zuerst hab’ ich mir gedacht, die denkt einfach nur nach, aber sie ist dann aufgestanden und hat etwas auf den Boden gelegt.«

»Etwas auf den Boden gelegt? Was?«

»Ein Heiligenbild. Ich hab’ mich schon ein bisschen gewundert, aber auch, weil ich damals nicht begriffen hab’, wer mir da erschienen ist.«

Erschienen!, wiederholte Sarah in Gedanken, ein Geisterwesen in Wien, das gäbe eine Schlagzeile.

»Wann haben Sie die Frau denn am Cobenzl gesehen?«

»In der Walpurgisnacht. Aber wer rechnet ausgerechnet dann mit der schwarzen Frau?«

Stimmt, dachte Sarah, da rechnet man eher mit Hexen auf dem Besen.

»Aber als ich sie jetzt noch einmal gesehen hab’, da ist es mir sozusagen wie Schuppen von den Augen gefallen, habe ich’s begriffen.«

»Und es war dieselbe … ähm, Gestalt?«

»Da bin ich mir absolut sicher. Auch weil sie dieselbe Kleidung trug, so einen langen schwarzen Mantel mit Kapuze.«

Eine Gestalt im langen schwarzen Mantel mit Kapuze. Sarah verplemperte hier ihren Samstagvormittag.

»Gestern Nacht ist sie aus einem Haus gekommen … es war in der Blutgasse. Wissen Sie, wo die Blutgasse ist?«

»Ja, das weiß ich.«

Wahrscheinlich wohnte die Frau dort. Sie verkniff sich eine Bemerkung, doch Mathilde Zimmermann...