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Gefilmt

Dick Francis

 

Verlag Diogenes, 2013

ISBN 9783257600100 , 240 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

[5] 1

Naßgeschwitzt, durstig, eingeengt und zum aus der Haut fahren müde.

Zynisch zählte ich meine Leiden.

Sie waren beträchtlich. In mehr als einer Hinsicht beträchtlich.

Ich saß auf dem Fahrersitz einer aerodynamischen Sportwagen-Sonderanfertigung, dem ausrangierten Spielzeug des Sohnes eines Ölscheichs. Ich saß nun bereits seit fast drei Tagen dort. Vor mir erstreckte sich die sonnendürre Ebene bis hin zu ein paar fernen, braun und violetten Hügeln, und deren bucklige Formen blieben Stunde um Stunde genau, wo sie waren, am Horizont, denn der 150 Meilen schnelle Sportwagen bewegte sich nicht von der Stelle.

Und ich auch nicht. Verdrießlich sah ich auf die massiven blanken Handschellen, die sich um meine Handgelenke spannten. Einer meiner Arme war von innen durch das Lenkrad geführt, der andere außen rum, so daß ich regelrecht an das Steuer gefesselt war und daher fest mit dem Wagen verbunden.

Dazu kam noch die Kleinigkeit mit dem Sicherheitsgurt. Der Sportwagen sprang nur an, wenn man den Gurt geschlossen hatte. Jetzt steckte zwar kein Schlüssel in der Zündung, aber festgeschnallt war ich trotzdem: Der Gurt lag quer über meinem Magen und schräg über meiner Brust.

Ich bekam die Beine nicht aus ihrer gestreckten Sportflitzerposition heraus, um das Lenkrad mit den Füßen zu attackieren. Ich hatte es versucht. Ich war zu groß und konnte die Knie nicht weit genug anziehen. Außerdem war das Steuer auch nicht aus – möglicherweise zerbrechlichem – Kunststoff. Wer sündhaft [6] teure Autos wie diese Spezialanfertigung baute, hatte mit Plastiklenkrädern nichts im Sinn. Das Teil hier war aus lederbezogenem Metall, mit kleinem Durchmesser, so beständig wie der Mont Blanc.

Ich hatte es gründlich satt, in dem Wagen zu sitzen. Jeder Muskel in meinen Beinen, dem Rücken und den Armen protestierte energisch gegen das Eingezwängtsein. Eine harte, schwere Eisenklammer hinter meinen Augen zog sich zu einem spürbaren Schmerz zusammen.

Es war wieder einmal Zeit für einen entschlossenen Ausbruchsversuch, wenn ich auch von zahllosen ähnlichen Versuchen wußte, daß es nicht zu schaffen war.

Ich zerrte und zog mit aller Kraft an dem Gurt und an den Handschellen, kämpfte, bis mir erneut der Schweiß übers Gesicht lief – und kam, wie zuvor, nicht einen Millimeter frei.

Ich lehnte den Kopf gegen die gepolsterte Nackenstütze und drehte mein Gesicht zu dem offenen Fenster rechts neben mir.

Ich schloß die Augen. Wie einen Hieb fühlte ich das Sonnenlicht mir auf Wangen, Hals und Schulter knallen, mit der ganzen Glut eines Julinachmittags um drei auf 37 Grad nördlicher Breite. Ich spürte die Hitze auf meinem linken Augenlid. Ich ließ Falten der Frustration und des Schmerzes auf meiner Stirn entstehen, gab meinem Mund einen Zug ins Grimmige, ließ einen Muskel am Unterkiefer zucken und schluckte wie einer, der alle Hoffnung aufgegeben hat.

Danach saß ich reglos und wartete.

Die Wüstenlandschaft war sehr still. Ich wartete.

Dann rief Evan Pentelow mit erkennbarem Zögern: »Schnitt«, und die Kameraleute nahmen ihre Augen vom Sucher. Nicht ein Windhauch fuhr in die großen bunten Schirme, die ihnen und ihrer Ausrüstung Schatten boten. Evan fächelte sich heftig mit seinem Drehplan, um so den Luftzug zu erzeugen, für den die Natur nicht gesorgt hatte, und andere aus der kleinen Gruppe [7] unter den tragbaren grünen Polystyrol-Sonnendächern erwachten träge zum Leben, nachdem die erbarmungslose Hitze sie vor Stunden schon ihrer Energie beraubt hatte. Der Tonmann nahm die Kopfhörer ab, hängte sie über die Stuhllehne und drehte langsam an den Knöpfen seines Nagra-Aufnahmegerätes herum, während die Beleuchter freundlicherweise den Haufen Minibrute-Lampen ausschalteten, die die Sonne unbarmherzig verstärkt hatten.

Ich sah in das Objektiv der Arriflex, die aus zwei Metern Abstand von meiner rechten Schulter jede schwitzende Pore aufgenommen hatte. Terry, hinter der Kamera, wischte sich mit einem staubigen Taschentuch den Hals, und Simon ergänzte den Bildnegativbericht für das Kopierwerk.

Von weiter hinten, aus einem anderen Winkel, hatte die Mitchell mit ihrem 300-Meter-Magazin dieselbe Szene aufgenommen. Lucky, der sie bediente, wich geflissentlich meinem Blick aus, wie er es schon seit dem Frühstück tat. Er dachte, ich sei sauer auf ihn, weil sich herausgestellt hatte, daß seine letzten Aufnahmen von gestern – auch wenn er schwor, daß er nichts dafür konnte – verschleiert waren. Ich hatte ihn unter den Umständen recht mild gebeten, darauf zu achten, daß heute nicht wieder was danebenging, da ich glaubte, nicht mehr allzu viele Wiederholungen von Szene 623 ertragen zu können.

Seitdem hatten wir sie sechsmal neu aufgenommen. Unterbrochen allerdings von einer kurzen Mittagspause, das gebe ich zu.

Evan Pentelow hatte sich laut und oft bei jedermann entschuldigt, daß wir die Szene eben immer wieder drehen müßten, bis ich sie richtig hinbekäme. Nach jeder zweiten Aufnahme änderte er seine Meinung darüber, wie sie sein sollte, und obwohl ich mich ziemlich genau an seine minutiösen Regieanweisungen hielt, hatte er sich noch kein einziges Mal zufrieden geäußert.

Jedes einzelne Mitglied des Teams, das zum Abschluß der Außenaufnahmen nach Südspanien gekommen war, wußte, [8] welche Feindseligkeit hinter der disziplinierten Höflichkeit lag, mit der er mich ansprach – und mit der ich ihm antwortete. Angeblich hatten sie Wetten darauf abgeschlossen, wie lange ich mich beherrschen würde.

Das Mädchen, das den kostbaren Schlüssel für die Handschellen verwahrte, kam langsam von dem am weitesten entfernten grünen Sonnendach herüber, unter dem das Scriptgirl, die Maskenbildnerin und die Kostümfrau erschöpft auf ausgebreiteten Handtüchern saßen. Feuchte Haarkringel klebten am Hals des Mädchens, als sie die Wagentür öffnete und den Schlüssel ins Loch steckte. Es waren die bei der britischen Polizei üblichen Handschellen mit der Schraube, die zu öffnen man Kraft braucht, und sie hatte immer etwas Mühe, den Schlüssel um die entscheidenden letzten Widerstände herumzudrehen.

Sie sah mich ängstlich an, da sie wußte, daß ich vom Überkochen nicht weit entfernt sein konnte. Ich brachte wenigstens die Muskelbewegung eines Lächelns zustande, und die Erleichterung darüber, daß sie nicht angeschnauzt wurde, verlieh ihr den nötigen Schwung, um die Handschellen jetzt flott herunterzubekommen.

Ich schnallte den Sicherheitsgurt los und trat steif hinaus in die Sonne. Es war gut zehn Grad kühler draußen als in dem Sportwagen.

»Steigen Sie wieder ein«, sagte Evan. »Wir müssen es noch mal machen.«

Ich zog eine Lunge voll reinster Saharaluft ein und zählte im Geist bis fünf. Dann sagte ich: »Ich fahre jetzt rüber zum Wohnwagen, ein Bier trinken und pinkeln, und wir schießen das noch mal, wenn ich wiederkomme.«

Dafür würden sie den Pott nicht austeilen, dachte ich belustigt. Das mochte ein Riß im Vulkan sein, aber es war nicht der große Krakatau-Ausbruch. Ich fragte mich, ob sie auch von mir selbst eine Wette auf den Zeitpunkt der Eruption annehmen würden.

[9] Niemand hatte daran gedacht, die Plane über den Minimoke zu decken, um ihn gegen die Sonne zu schützen. Ich stieg in den kleinen offenen Wagen, der hinter dem größten Sonnendach abgestellt war, und fluchte, als ich mich durch die dünne Baumwollhose am Leder des Sitzes verbrannte. Das Steuer war heiß genug zum Eierbacken.

Meine Hosenbeine waren bis zu den Knien hochgerollt, und an den Füßen hatte ich Strandschuhe. Sie bildeten einen merkwürdigen Gegensatz zu dem förmlichen weißen Hemd und der dunklen Krawatte, die ich dazu trug, doch schnitt die Arriflex mich bei der Aufnahme ja in Kniehöhe ab und die Mitchell noch weiter oben, über der Taille.

Ich fuhr den Moke ohne Hast zu der zweihundert Meter entfernten Senke, in der im Halbkreis die Wohnwagen standen.

Ein armseliger Baum warf einen dünnen Schatten, besser als nichts für den Moke, und so hielt ich dort an und ging zu Fuß zu dem Wohnwagen hinüber, der mir als Garderobe zugeteilt war.

Die klimatisierte Luft im Innern wirkte wie eine frische Brise und fühlte sich fantastisch an. Ich lockerte meinen Schlips, knöpfte den obersten Knopf an meinem Hemd auf, holte ein Bier aus dem Kühlschrank und setzte mich müde auf die Liege, um es zu trinken.

Evan Pentelow war damit beschäftigt, eine alte Rechnung zu begleichen, und leider gab es für mich keine Möglichkeit, ihn daran zu hindern. Ich hatte bisher erst einmal mit ihm gearbeitet, bei seinem ersten großen Film und meinem siebten, und zum Schluß konnten wir uns nicht mehr ausstehen. Die Lage hatte sich auch nicht dadurch gebessert, daß ich es anschließend abgelehnt hatte, unter seiner Regie zu filmen, ein Umstand, durch den ihm mindestens zwei Kassenknüller entgangen waren, die er sonst hätte ergattern können.

Evan war der Liebling jener Kritiker, die glaubten, daß Schauspieler nur spielen können, wenn der Regisseur ihnen haarklein [10] sagt, was zu tun ist. Evan machte keine halben Sachen: Er sah es gern, wenn seine Filme als »der neue Pentelow« bezeichnet wurden, und das erreichte er, indem er die Leichtgläubigen überzeugte, daß die ganze Kiste von A bis Z auf sein Talent zurückging – und nur auf seines. Egal, was für ein alter Hase ein Schauspieler war, Evan brachte ihm rigoros sein Handwerk bei. Evan erörterte nicht, wie eine Szene gespielt, ein Wort betont werden sollte. Er schrieb es vor.

Er hatte...