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Comeback

Dick Francis

 

Verlag Diogenes, 2013

ISBN 9783257600087 , 368 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

[7] 1

Ich heiße Peter Darwin.

Die Frage kommt immer wieder, darum sage ich am besten gleich, daß ich nicht mit Charles verwandt bin.

Eigentlich wurde ich als Peter Perry geboren, doch John Darwin, der meine verwitwete Mutter heiratete, als ich zwölf war, gab mir unter vielem anderen ein neues Leben, einen neuen Namen und eine neue Identität.

Zwanzig Jahre legten sich wie Nebel auf die Erinnerungen an meine Kindheit damals in Gloucestershire, und jetzt war ich, Peter Darwin, zweiunddreißig, Adoptivsohn eines Diplomaten, selbst im diplomatischen Dienst.

Da es ganz von der Laune des Auswärtigen Amtes abhing, wohin mein Stiefvater und später auch ich selbst versetzt wurden, hatte ich die zwanzig Jahre in vieler Herren Ländern zugebracht, drei lange Jahre hier, vier schnelle dort, von Caracas bis Lima, von Moskau über Kairo bis Madrid, hatte in kargen Betonbunkern und prächtigen Villen gewohnt, die das Außenamt zur Verfügung stellte, und mich nirgends zu Hause gefühlt.

Freundschaften waren auf Zeit, besonders mit Einheimischen, die man zurückließ. Andere Diplomaten und ihre Kinder kamen und gingen. Ich hatte keine festen Bindungen, führte ein Wanderleben und war zufrieden damit.

»Besuchen Sie uns mal in Florida«, sagte Fred Hutchings beiläufig, als er Tokio verließ, um Konsul in Miami zu werden. »Bleiben Sie ein, zwei Tage, wenn Sie auf der Durchreise sind.«

Diese »ein, zwei Tage«, dachte ich ironisch, zeigten recht klar, was für Gefühle wir füreinander hegten: mäßig bis lau.

[8] »Danke«, sagte ich.

Er nickte. Wir hatten über Monate reibungslos zusammengearbeitet. Die Einladung war halbwegs ernst gemeint. Fred war auf Höflichkeit getrimmt wie wir alle.

Ich selber wurde fast ein Jahr darauf überraschend nach England versetzt, ins Amt für Auswärtige Angelegenheiten und die Länder des Commonwealth in Whitehall.

»Was?« Mein Stiefvater in Mexiko-Stadt gluckste vor Vergnügen am Telefon, als ich es ihm mitteilte. »Persönlicher Referent! Gratuliere! Die Bezahlung ist lausig. Aber vorher wirst du noch Urlaub machen. Komm uns besuchen. Du fehlst deiner Mutter.«

Nach einem knapp vierwöchigen Aufenthalt bei ihnen wollte ich über Miami weiter nach England, verpaßte wegen einer Verspätung aber den Anschlußflug, und so kam es, daß ich vierundzwanzig Stunden totzuschlagen hatte und mir die Einladung von Fred Hutchings durch den Kopf ging. Warum nicht? dachte ich, ließ mir von der Auskunft seine Nummer geben und rief ihn einfach an.

Er klang ehrlich erfreut am Telefon, und ich stellte ihn mir am anderen Ende der Leitung vor – um die Vierzig, dick, sommersprossig und beflissen, mit schwitzender Stirn bei der geringsten nervlichen Belastung. Mir fiel wieder ein, wie wenig ich ihn eigentlich mochte, doch für einen Rückzieher war es zu spät.

»Fein, fein«, sagte er herzlich. »Ich würde Ihnen ja anbieten, hier zu übernachten, aber den Kindern geht’s nicht gut. Sollen wir essen gehen? Nehmen Sie ein Taxi zum ›Tauchenden Pelikan‹ in der 186. Straße, North Miami Beach. Wir treffen uns da gegen acht. Ist Ihnen das recht?«

»Prima«, sagte ich.

»Gut. Gut. Schön, sich mal wiederzusehen.« Er nannte mir noch einmal die genaue Adresse des Restaurants. »Da essen wir oft. Und dabei fällt mir ein…«, er legte Begeisterung in seine Stimme, »…zwei von unseren Freunden dort fahren morgen [9] auch nach England. Die werden Ihnen gefallen. Vielleicht sind Sie ja alle im selben Flugzeug. Ich kann Sie miteinander bekannt machen.«

»Vielen Dank«, sagte ich schwach.

»Nichts zu danken.« Ich spürte förmlich, wie er vor Wohlwollen strahlte. »Bis dann.«

Seufzend legte ich den Hörer auf, quartierte mich und mein Gepäck für die Nacht im Flughafenhotel ein und fuhr zur festgesetzten Zeit mit dem Taxi zu meiner Verabredung.

»Der tauchende Pelikans weniger eindrucksvoll als sein Name, lag schummrig beleuchtet am Ende einer dunklen Ladenzeile. Sonst schien in der Ecke nicht viel los zu sein, doch die rund zwanzig Parkplätze vor dem Lokal waren belegt. Ich zog die Tür auf, betrat die kleine Eingangshalle und wurde von einer jungen Frau begrüßt, die mit einem strahlenden Lächeln sagte: »Und wie geht’s uns heute?«, als ob sie mich seit Jahren kennen würde.

»Gut«, sagte ich und fragte nach Fred.

Das Lächeln wurde breiter. Fred war schon da. Fred war anscheinend gern gesehen.

Er saß allein an einem runden Tisch mit einem cremefarbenen Spitzendeckchen über einer rosa Schutzdecke. Rostfreies Besteck, rosa Servietten, schlichte Weingläser, Öllämpchen, eine Nelke in einer Solitärvase – das Zubehör der mittleren bis gehobenen Preisklasse. Kein sehr großes Lokal, aber gut besucht. Von einem tauchenden oder sonst einem Pelikan war nichts zu sehen.

Fred stand auf, um mir die Hand zu geben, und die lächelnde Dame rückte mir einen Stuhl zurecht, präsentierte eine Speisekarte aus Glanzpapier und zeigte ihre Backenzähne.

»Fein, fein«, sagte Fred. »Tut mir leid, daß ich solo bin, aber Meg wollte die Kinder nicht allein lassen. Sie haben die Windpocken.«

Ich gab ein paar mitfühlende Laute von mir.

[10] »Sind voller Flecken, die Ärmsten«, sagte Fred. »Nehmen Sie Wein?«

Wir aßen Salat als Vorspeise, wie es die Amerikaner tun, und tranken einen annehmbaren Roten. Als ich ihn nach der Arbeit in seinem Konsulat fragte, erzählte mir Fred, er habe es hauptsächlich mit britischen Touristen zu tun, die sich über verlorene Ausweise, gestohlenes Geld und entfleuchte Liebhaber beklagten.

»Die binden einem die wildesten Bären auf«, sagte Fred. »Rührstücke am laufenden Band.« Mit heimlicher Belustigung sah er mich von der Seite an. »Ein netter kleiner Legationsrat wie Sie, der das Leben in der Botschaft gewöhnt ist, wäre diesen Unglücksraben hilflos ausgeliefert. Die Hälfte von denen will nichts als eine kostenlose Heimfahrt.«

»Sie sind zynisch geworden, Fred.«

»Ich habe dazugelernt«, meinte er.

Sei immer auf Lügen gefaßt, hatte mein Stiefvater vor Jahren gesagt, als er anfing, mich in die Geheimnisse seines Berufs einzuweihen. Politiker und Diplomaten sind Lügner, bis das Gegenteil erwiesen ist. »Du auch?« hatte ich bestürzt gefragt, und er hatte sein höfliches Lächeln aufgesetzt und mir die Sache erklärt. »Dich und deine Mutter belüge ich nicht. Du darfst uns auch nicht anlügen. Wenn du mich in der Öffentlichkeit die Unwahrheit sagen hörst, bist du bitte still und denkst darüber nach, warum ich geflunkert habe.«

Wir waren auf Anhieb gut miteinander ausgekommen. Ich hatte keine Erinnerung an meinen leiblichen Vater, der starb, als ich noch ein Baby war, und daß jemand anders seinen Platz einnahm, störte mich überhaupt nicht. Ich hatte mich danach gesehnt, einen Vater zu haben wie andere Jungen auch, und auf einmal war er da, der große fremde Mann mit seinem ansteckenden Lachen. Wie ein Sturmwind war er in unseren Mutter-und-Kind-Haushalt hineingefegt, und ehe wir’s uns versahen, hatte er [11] uns an den Äquator entführt. Später erst begriff ich nach und nach, wie unwiderruflich er mich umgekrempelt hatte und was für ein Glück das für mich gewesen war.

Fred sagte: »Wohin kommen Sie nach Ihrem Urlaub?«

»Nirgendwohin. Nach England, meine ich. Persönlicher Referent.«

»Sie Glückspilz!« Es hörte sich an, als sei er wegen meiner Beförderung etwas eifersüchtig, und das paßte sehr gut zu seiner Stichelei über die leichtgläubigen jungen Männer in den Botschaften, zu denen er schließlich selbst einmal gezählt hatte.

»Vielleicht muß ich anschließend nach Ulan Bator«, sagte ich. Ulan Bator war das letzte, wo wir hinwollten. Angeblich wurde dem Botschafter dort statt eines Dienstwagens ein Yak zugeteilt. »Niemand bekommt nur die Rosinen vom Kuchen.«

Fred lächelte beschämt, weil ich gemerkt hatte, daß er neidisch war, und fiel schmatzend, voller Heißhunger über unsere Fettucini mit Meeresfrüchten her. Er hatte sie als die Spezialität des Hauses empfohlen. Ich hatte mich überreden lassen, und sie waren wirklich gut.

Während wir aßen, wurde plötzlich laut geklatscht, und Freds Augen leuchteten auf, während seine Gabel auf dem Weg vom Teller in den Mund in der Luft verharrte.

»Ah«, sagte er väterlich. »Vicky Larch und Greg Wayfield. Die Bekannten, von denen ich sprach, die morgen nach England fliegen. Sie wohnen hier gleich um die Ecke.«

Vicky Larch und Greg Wayfield waren nicht bloß Bekannte; sie waren Sänger. Unangekündigt hatten sie das Restaurant durch einen Vorhang am anderen Ende betreten, sie in einem paillettenbesetzten weißen Kasack, er in einem bunt karierten Sakko, beide in hellen Hosen. Das einzig wirklich Überraschende an ihnen war ihr Alter. Sie waren sozusagen in reiferen Jahren und nicht mehr ganz schlank.

Besorgt dachte ich, daß ich mir die Peinlichkeit, zwei [12] ehrenvoll ergrauten Amateuren auf dem ganzen Weg nach England Beifall spenden zu müssen, gern erspart hätte. Sie hantierten mit Verstärkern und klopften auf Mikrofone, um sich zu vergewissern, daß alles funktionierte. Fred nickte ihnen und mir ermunternd zu und widmete sich gutgelaunt wieder seiner Mahlzeit.

Sie setzten die Anlage in Gang und spielten ein Band ab: leichte Unterhaltungsmusik aus alten Bühnenshows, bekannt und anspruchslos. Greg Wayfield summte schließlich ein paar Takte mit, dann stimmte er den Text an, und ich sah überrascht von meinen Fettucini auf, denn zu hören war kein altersschwaches Gegreine, sondern...