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Winterspelt

Alfred Andersch, Dieter Lamping

 

Verlag Diogenes, 2013

ISBN 9783257600810 , 624 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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12,99 EUR


 

[15] Im Westen nichts Neues

Der westliche Kriegsschauplatz / Die Kampfhandlungen vom 25. September bis 9. Oktober 1944 / Im Großraum Aachen fanden nur örtliche, an Schwere jedoch zunehmende Kampfhandlungen statt; in der Eifel und an der Moselfront herrschte Ruhe. (Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht [Wehrmachtführungsstab], KTB, geführt von Helmuth Greiner und Percy Ernst Schramm, Bd. IV, S. 400)

Hitler oder Die fehlende Tiefe

Der Führer rechnete damit, daß im Herbst das Wetter die feindliche Luftwaffe zeitweise ausschaltete und dadurch deren Überlegenheit herabgemindert werde. Ein operatives Vorgehen hielt der Führer schon deshalb für geboten, weil den Franzosen nicht die Gelegenheit gegeben werden durfte, ihre Verbände anschwellen zu lassen; denn nach seiner Auffassung waren die 70 Verbände, mit denen bei den Anglo-Amerikanern zu rechnen war, nicht stark genug für eine Front von 700 km. Es mußte daher nach seiner Meinung möglich sein, auf einer solchen Frontlinie eigene Kräfte so zu massieren, daß sie im Angriffsraum dem Gegner überlegen waren. Vorerst wurden die Burgundische Pforte und der holländische Raum als Ausgangsbasis ins Auge gefaßt. Zu diesem Zwecke stellte der WFStab in der Mitte der dritten September-Dekade die erforderlichen Kräfteberechnungen an.

[16] Jetzt handelte es sich jedoch nicht mehr um eine aus der Bewegung geführte Operation, welche Lücken in der feindlichen Front oder tiefe Flanken ausnutzen konnte, sondern um einen Angriff aus einer festen, durch die feindliche Luftaufklärung ständig überwachten Front, der erst in der – inzwischen vom Gegner ausgebauten – gegenüberliegenden Front ein Loch aufreißen mußte, also um eine Operation, die einer langen Vorbereitung bedurfte und für die – da das Westheer abgekämpft war – auch erst durch Auffrischung und Neuaufstellungen die Kräfte zu gewinnen waren. Schließlich war sogar noch mehr Zeit erforderlich, als sich anfangs voraussetzen ließ: von der Festlegung der ersten Pläne bis zum letzten Befehl vor dem Angriff vergingen rund 2½ Monate.

Die Leitung in dieser Zeit blieb ganz in der Hand des Führers, der nicht nur die Anregungen gab und die Entscheidungen traf, sondern sich auch um alle Einzelheiten kümmerte und dabei die Vorbereitung des Angriffs auf die Abwehr abstimmte, die in der Zwischenzeit an der Westfront zu leisten war.

Um die Wende vom September zum Oktober hatte sich als geeigneter Durchbruchsraum bereits die Front ostwärts Lüttich abgezeichnet. Da dort bereits im Mai 1940 der Durchbruch erzwungen worden war, wurden aus den nach Liegnitz ausgelagerten Archiven Unterlagen über die damaligen Operationen der 6. und 4. Armee angefordert. Diese wurden am 5. 10. abgesandt. Leider ergaben sich in den Archivbeständen Lücken, da 1941 einem Brande wesentliche Akten zum Opfer gefallen waren. Jedoch fanden sich noch aufschlußreiche Aufzeichnungen, vor allem eine Geländebeurteilung vom Januar 1940, die zu dem Ergebnis gekommen war, daß ein Vormarsch in Luxemburg und Südbelgien weitaus günstigere Verhältnisse finde als im Abschnitt des nördlichen Nachbars, [17] da die Zahl der hintereinander gestaffelten Gelände- und Befestigungsabschnitte, die quer zum Angriff lagen, geringer und das Gelände sowie die Verkehrsdurchlässigkeit günstiger waren als im Nordteil der Ardennen.

Als Voraussetzung für die geplante Operation wurde angesehen:

das Halten der Weststellung, einschließlich der Niederlande und die Sperrung der Westerschelde, eine die Kräfte des BdE (Befehlshaber des Ersatzheeres, d. A.) nicht beanspruchende Ostlage,

Fortdauer des personellen und materiellen Zulaufs in den Westen zur Auffrischung,

Eintritt einer 10  14tägigen Schlechtwetterperiode als Ausgleich der fehlenden Luftwaffen-Unterstützung, schnelle Vernichtung des Feindes in der Front, um die fehlende Tiefe zu ersetzen, (KTB 1944, Bd. IV. Erster Halbband, 4. Abschnitt, Frankfurt a. M. 1961)

Bradley oder Acht Kilometer

Eine Zeitlang hatten wir zwischen Trier und Monschau auf einer etwa 120 km breiten Front nur drei Divisionen stehen. Mehr als vier Divisionen konnten wir in diesem Gebiet niemals einsetzen. Während mein Stab sich ständig so eingehend wie möglich mit dieser Lage befaßte, sprach ich auch persönlich zu verschiedenen Malen mit Bradley darüber. Wir kamen zu dem Schluß, daß wir im Raum der Ardennen entschieden gefährdet waren, doch hielten wir es für falsch, unsere Angriffe an der ganzen übrigen Front lediglich aus Gründen der Sicherung einzustellen, bis aus den Vereinigten [18] Staaten alle Verstärkungen eingetroffen wären und unsere Stärke ihr Höchstmaß erreicht hätte.

Bei der Besprechung dieses Problems wies Bradley ausdrücklich auf die Umstände hin, die seiner Ansicht nach für die Fortsetzung der Offensive in seinem Abschnitt sprachen. Ich stimmte ihm in allen Punkten zu. Zunächst führte er die gewaltigen relativen Vorteile an, die sich im Hinblick auf die Verluste für uns ergaben. Der Feind hatte im Durchschnitt pro Tag doppelt soviel Verluste wie wir. Ferner glaubte Bradley, das Ardennengebiet sei der einzige Abschnitt, wo der Feind einen ernsthaften Gegenangriff unternehmen konnte. Die beiden Punkte, an denen wir Truppen der Zwölften Armeegruppe für Angriffsoperationen zusammengezogen hatten, flankierten aber diesen Raum unmittelbar. Der eine Teil derselben, der Hodges unterstand, befand sich gleich nördlich, und der andere, unter Patton, gleich südlich davon. Bradley meinte deshalb, für einen massierten Einsatz unserer Kräfte gegen die Flanken eines eventuellen deutschen Angriffs im Ardennengebiet könnte unsere Aufstellung gar nicht günstiger sein. Überdies vermutete er, der Feind werde bei einem überraschenden Angriff in den Ardennen große Nachschubschwierigkeiten haben, falls er den Versuch machen sollte, bis an die Maas vorzustoßen. Wenn es ihm nicht gelang, unsere großen Materiallager in die Hand zu bekommen, dann mußte er bald in Bedrängnis geraten, besonders, wenn unsere Luftwaffe zur gleichen Zeit wirkungsvoll operieren konnte. Bradley zeigte auf der Karte die Linie, welche die deutschen Spitzen seiner Meinung nach eventuell erreichen konnten. Diese Voraussagen erwiesen sich später als außerordentlich zutreffend. Er hatte sich nirgends um mehr als acht Kilometer geirrt. In dem Raum, den der Feind seiner Ansicht nach überrennen konnte, legte er nur sehr wenige Nachschublager an. Wir hatten zwar große Depots in Lüttich [19] und Verdun, aber er glaubte zuversichtlich, daß der Feind nicht so weit kommen würde. (Dwight D. Eisenhower, Crusade in Europe, New York 1948, zitiert nach der deutschen Ausgabe, Amsterdam 1950)

Weisung an von Rundstedt, Generalfeldmarschall

Am 3. 10. wurde dem OB West mitgeteilt, daß ihm am 5. 10. zum Einsatz in einer ruhigen Front aus Dänemark die 416. Inf.-Div. zugeführt werden solle. Dieser Befehl wurde am dahin ergänzt, daß der Führer befohlen habe, durch die 416. Inf.-Div. eine voll bewegliche Division herauszulösen. (KTB, Bd. IV, S. 449)

Der arme General Middleton

Es überrascht nicht, daß die vier schwachen Infanterie-Divisionen, dünn verteilt über die 75 Meilen der Ardennenfront, von der Wucht des feindlichen Angriffs überwältigt wurden. Trotz des schweren Sperrfeuers, das dem Angriff vorausging und das manche für ›freundlich‹ hielten, nahmen sie an, sie befänden sich in einem ruhigen Abschnitt, beinahe in einem Urlaubs- und Erholungsbezirk, in dem ›grüne‹ Truppen sich ohne große Gefahr an die Unbequemlichkeiten der Frontlinie gewöhnen konnten. Von den drei Divisionen des amerikanischen VIII. Corps unter General Middleton hatten zwei, die 4. und die 28., in den grimmigen Herbst [20] schlachten weiter nördlich furchtbare Schläge ausgehalten und schwere Verluste erlitten. Sie waren hundemüde und geplagt von ›Grabenfuß‹, Husten und anderen kleinen Beschwerden. Die dritte Infanterie-Division, die 106., hatte vier Tage zuvor die 2. Division an der Linie abgelöst, nach einer erschöpfenden Lastwagen-Fahrt durch Frankreich und Belgien in beißender Kälte. Sie war eine ›grüne‹ Division. Ihr beigegeben war die 14. Kavallerie-Gruppe, die in einer acht Meilen weiten Lücke zwischen dem VIII. und dem V. Corps patrouillierte, einer gefährlich schwachen Nahtstelle. Die rechts flankierende Infanterie-Division des V. Corps, die 99., vervollständigte das Bild. Sie war eine unerfahrene, aber gut ausgebildete Division. Sie bewies ihr Können. (R. W. Thompson, Montgomery The Field Marshal, London 1969, S. 243)

Phasen eines Umschlags von Dokument in Fiktion

1.

Ob auch die deutsche 416. Infanterie-Division ihr Können bewies, konnte nicht eruiert werden. In den Verzeichnissen (KTB, Ellis, von Manteuffel) der Truppenverbände, die für die Ardennen-Offensive bereitgestellt wurden, findet sie sich nicht. Wahrscheinlich wurde sie vor Beginn des Angriffs aus der Front zurückgenommen und wieder durch eine voll bewegliche Division ersetzt.

Vollends reine Annahme ist es, daß sie sich im Oktober 1944 in dem Frontabschnitt befunden hat, der den Schauplatz der im Folgenden...