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Dunkle Herzen - Roman

Nora Roberts

 

Verlag Heyne, 2013

ISBN 9783641111663 , 624 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Erstes Kapitel


Das Ritual begann eine Stunde nach Sonnenuntergang. Lange zuvor war der Kreis – exakt neun Fuß im Durchmesser  – vorbereitet worden, man hatte Büsche und Schößlinge gerodet und geweihte Erde über den Boden verstreut.

Dunkle Wolken tanzten geheimnisvoll über die fahle Scheibe des Mondes.

Innerhalb des schützenden Kreises standen dreizehn in schwarze, kuttenähnliche Kapuzenmäntel gehüllte Gestalten. Draußen im Wald stimmte eine einsame Eule ihr Klagelied an. Als der Gong ertönte, verstummte auch sie. Einen Augenblick lang war nur das Flüstern des Windes in den jungen Frühlingsblättern zu hören.

In einer kleinen Grube zur linken Seite des Kreises flakkerte bereits das Feuer. Bald würden die Flammen hoch aufzüngeln, angefacht vom Abendwind – oder von anderen Kräften.

Man schrieb den Vorabend des ersten Mai, die Walpurgisnacht, jene Nacht, in der man den Göttern opferte, sie pries und um eine reichhaltige Ernte und den Fortbestand der Familie bat.

Zwei in rote Gewänder gekleidete Frauen traten in den Kreis. In ihren unverhüllten, leichenblassen Gesichtern leuchteten nur die Lippen scharlachrot. Sie wirkten wie Vampire, die sich gerade am Blut ihrer Opfer gelabt hatten.

Eine von ihnen ließ gemäß den genauen Anweisungen, die man ihr erteilt hatte, ihr Gewand fallen und stand einen Augenblick lang nackt im Licht des Dutzends schwarzer Kerzen, ehe sie sich auf dem hohen, polierten Holzklotz in Positur legte.

Heute nacht würde sie ihnen als lebender Altar dienen, die Jungfrau darstellen, die sie anbeteten. Einige von ihnen störten sich allerdings an der Tatsache, daß es sich bei der Frau um eine Prostituierte handelte, für die Keuschheit ein Fremdwort war. Andere genossen einfach den Anblick ihrer üppigen Rundungen und weit gespreizten Schenkel.

Der Hohepriester, der seine Maske Baphomet, dem Bock von Mendes, gewidmet hatte, stimmte einen monotonen Gesang in verfälschtem Latein an. Als er geendet hatte, hob er die Arme zu dem umgekehrten Pentagramm über dem Altar empor. Dann wurde, um die Luft zu reinigen, eine Glocke geläutet.

Von ihrem Versteck im Gebüsch aus beobachtete ein kleines Mädchen mit großen, neugierigen Augen die Szene. Von der Feuerstelle, wo die Flammen prasselten und Funken in die Luft stoben, zog ein unangenehmer Geruch herüber, und in die Bäume, die den magischen Kreis umgaben, waren seltsame alte Zeichen eingeritzt.

Das Mädchen fragte sich, wo sein Vater wohl war. Es hatte sich, vor Freude über den gelungenen Streich in sich hineinkichernd, auf dem Rücksitz seines Wagens versteckt. Und als es ihm durch den Wald gefolgt war, hatte es gar keine Angst gehabt. Nicht ein bißchen. Es hatte sich im Gebüsch verborgen und wartete auf einen geeigneten Moment, um sich in seine Arme zu werfen.

Doch er hatte, wie alle anderen, einen langen, dunklen Mantel übergestreift, und nun wußte es nicht mehr genau, wer aus der Gruppe nun eigentlich sein Daddy war. Die nackte Frau machte es verlegen und faszinierte es zugleich, doch das, was die Erwachsenen da taten, kam ihm nicht länger wie ein Spiel vor.

Das Herz pochte ihm bis zum Hals, als der Mann mit der Maske wieder zu singen begann.

»Wir rufen dich, Amon, Gott des Lebens und der Fortpflanzung. Und dich, Pan, Gott der Fleischeslust.«

Jeder Name wurde von den anderen wiederholt. Die Liste war lang.

Die Gruppe begann, sich rhythmisch hin- und herzuwiegen und zu summen, als der Hohepriester einen silbernen Kelch ergriff, trank und den Kelch zwischen die Brüste des Altars setzte.

Dann nahm er ein Schwert auf und wies damit gen Süden, Osten, Norden und Westen, wobei er die vier Höllenfürsten beschwor:

Satan, Herr des Feuers,
Luzifer, der Lichtbringer,
Belial, der keinen Gebieter kennt,
Leviathan, Schlange der Tiefe –

Das kleine Mädchen im Gebüsch erschauerte vor Angst.

»Ave, Satan!«

»Ich rufe dich, Meister, Fürst der Finsternis, Herrscher der Nacht! Öffne die Pforten der Hölle und höre uns an!« Die weithin hallenden Worte des Hohenpriesters ähnelten weniger einer Bitte als vielmehr einem Befehl. Während er seine Stimme erhob, hielt er ein Stück Pergament empor, das im Licht der gierigen Flammen blutrot aufleuchtete. »Auf daß unsere Felder reiche Frucht tragen und unser Vieh sich vermehre. Vernichte unsere Feinde und schlage die, die uns übelwollen, mit Unheil. Schenke uns, deinen getreuen Anhängern, Reichtum und Macht.« Er legte eine Hand auf die Brust des Altars. »In deinem Namen, Herr der Fliegen, nehmen wir, was wir begehren. In deinem Namen sprechen wir: Tod dem Schwachen, Sieg dem Starken. Laß unser Blut heiß durch die Adern fließen und unsere Ruten sich heben! Laß unsere Frauen für uns entbrennen und uns lustvoll empfangen!« Seine Hand glitt den Körper des Altars hinunter bis zu der Stelle zwischen den Schenkeln. Die gut geschulte Prostituierte begann zu stöhnen und sich unter seiner Hand zu winden.

Mit schallender Stimme fuhr der Hohepriester fort, seine Forderungen zu stellen, stach dann mit der Spitze des Schwertes durch das Pergament und hielt es über die Flamme einer schwarzen Kerze, bis nichts davon übrigblieb außer einem leichten Brandgeruch.

Auf ein Zeichen hin zerrten zwei der maskierten Gestalten einen jungen Ziegenbock, der vor Furcht mit den Augen rollte, in den Kreis. Der Gesang steigerte sich zu einem schrillen Crescendo. Athamas, das zeremonielle Messer, dessen frisch geschliffene Klinge im Mondlicht glitzerte, wurde gezückt.

Als die Klinge die Kehle des weißen Ziegenbocks durchtrennte, versuchte das Mädchen zu schreien, aber kein Laut kam über seine Lippen. Es wollte davonlaufen, doch seine Beine schienen bleischwer und fesselten es an den Boden. So barg es schluchzend das Gesicht in den Händen und wünschte, es könnte nach seinem Vater rufen.

Als es endlich wieder hinzuschauen wagte, war der Boden blutgetränkt. Blut tropfte auch über den Rand einer flachen Silberschale. Die Stimmen der Männer verschwammen in seinem Kopf zu einem dröhnenden Summton, als es sah, wie der enthauptete Kadaver des Ziegenbocks ins Feuer geworfen wurde.

Nun hing der übelkeiterregende Geruch verbrannten Fleisches in der Luft.

Aufheulend riß sich der Mann mit der Bocksmaske seine Kutte vom Leib. Darunter war er nackt, und trotz der kühlen Nachtluft schimmerten feine Schweißperlen auf seiner schneeweißen Haut. Auf seiner Brust glitzerte ein silbernes Amulett mit fremdartigen eingravierten Symbolen.

Er setzte sich rittlings auf den Altar und zwängte sich grob zwischen ihre Schenkel. Mit einem keuchenden Schrei warf sich ein zweiter Mann auf die andere Frau und riß sie zu Boden, während die übrigen ihre Kutten abwarfen, um nackt um die Feuerstelle zu tanzen.

Das Mädchen sah, wie sein Vater, sein eigener Vater, die Hände in das Opferblut tauchte. Es tropfte von seinen Fingern, als er sich den Tanzenden anschloß …

 

Clare erwachte von ihrem eigenen Schrei.

Schweratmend und schweißüberströmt kuschelte sie sich enger unter die Bettdecke und tastete mit zitternden Fingern nach dem Schalter der Nachttischlampe. Da ihr das schwache Licht, das diese verbreitete, noch nicht ausreichte, stand sie auf und knipste weitere Lampen an, bis der kleine Raum hell erleuchtet war. Ihre Hände bebten noch immer, als sie eine Zigarette aus der Packung zupfte und ein Streichholz daranhielt.

Eine Weile blieb sie rauchend auf der Bettkante sitzen.

Warum war der Traum gerade jetzt wiedergekommen?

Ihr Therapeut würde behaupten, es handle sich um eine unbewußte Reaktion auf die erneute Heirat ihrer Mutter – Unterbewußtsein wertete das als Verrat an ihrem Vater.

Unsinn!

Ärgerlich stieß Clare den Rauch aus. Ihre Mutter war seit über zwölf Jahren Witwe. Jede geistig gesunde, liebevolle Tochter würde sich wünschen, daß die Mutter glücklich ist. Und sie war eine liebevolle Tochter. Nur was die geistige Gesundheit anging, da war sie nicht so sicher.

Sie erinnerte sich noch gut an das erste Mal, als sie diesen Traum gehabt hatte. Sechs Jahre war sie alt gewesen und schreiend in ihrem Bett erwacht, genau wie heute. Doch dann kamen ihre Eltern ins Zimmer gestürzt, um sie zu beruhigen und zu trösten. Sogar ihr Bruder Blair kam mit weit aufgerissenen Augen und leise wimmernd hinterhergetapst. Die Mutter hatte ihn dann hinausgebracht, während der Vater bei ihr blieb, ihr mit seiner ruhigen, tiefen Stimme vorsang und ihr wieder und wieder versicherte, alles sei nur ein böser Traum gewesen, den sie bald vergessen würde.

Was auch der Fall gewesen war, eine lange Zeit jedenfalls. Doch dann kehrte der Traum wie ein im Dunkel lauerndes Monster dann und wann zurück, gewöhnlich immer dann, wenn sie angespannt, erschöpft oder besonders verletzlich war.

Clare drückte die Zigarette aus und preßte die Finger gegen die Augen. Im Moment stand sie allerdings unter Spannung. In weniger als einer Woche wurde ihre Ausstellung eröffnet, und obwohl sie höchstpersönlich jede einzelne Skulptur, die gezeigt werden sollte, ausgewählt hatte, wurde sie von Zweifeln geplagt.

Vielleicht lag es daran, daß die Kritiker ihre erste Ausstellung vor zwei Jahren so begeistert aufgenommen hatten. Jetzt sonnte sie sich im Ruhm und hatte demzufolge viel mehr zu verlieren. Und sie wußte, daß die Werke, die ausgestellt wurden, ihre Glanzstücke waren. Wenn diese für mittelmäßig befunden wurden, dann war sie selbst als Künstlerin mittelmäßig.

Konnte es ein vernichtenderes Urteil geben?

Besser, sie machte sich um greifbarere Dinge Sorgen. Sie stand auf und öffnete die Vorhänge. Die Sonne ging gerade auf und überzog die...