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Palliativmedizin

Stein Husebø, Eberhard Klaschik

 

Verlag Springer-Verlag, 2006

ISBN 9783540298892 , 578 Seiten

4. Auflage

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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22,99 EUR


 

9 Die Rolle des Arztes (S. 507-508)
S. Husebø
9.1 Wenn Ärzte an ihre Grenzen stoßen


An der täglichen Morgenbesprechung in der Anästhesie- und Intensivabteilung nehmen alle Ärzte teil. Es wird über Patienten gesprochen und Situationen, die in den letzten 24 Stunden außergewöhnlich waren oder von der Routine abwichen, werden analysiert.

 

Beispiel aus der Praxis
Die Oberärztin, die für den Dienst am Abend und in der Nacht die Verantwortung getragen hatte, gab ihren Bericht. Sie erzählte dabei, dass ein 6-jähriges Kind nach einem Verkehrsunfall schwer verletzt in der Nacht aufgenommen worden sei.

Trotz massiven Therapieeinsatzes nach der Aufnahme starb das Kind nach vier Stunden. Zu diesen und anderen Teilen ihres Berichtes hatten einige Kollegen eine Frage oder einen Kommentar. Die Besprechung dauerte insgesamt wie gewöhnlich etwa 15 Minuten. Als die Ärztin fertig war, war es selbstverständlich, der Kollegin folgende Frage zu stellen:

»Und wie war es für dich, als das Kind starb?«

Die junge, aber erfahrene Oberärztin zeigte eine Reaktion, die zwar gut verständlich war, die aber alle Anwesende zutiefst betroffen machte. Sie schluckte einige Sekunden. Dann konnte sie die Gefühle und den Schmerz nicht mehr verbergen und brach in Tränen aus. Es fiel uns an diesem Morgen schwer, die Sitzung zu beenden. Eine Stunde später saß sie allein bei mir. »Ich war fertig und erschöpft«, sagte sie. »Die Eltern waren angekommen, ich hatte kurz mit ihnen gesprochen. Für kurze Zeit war es möglich, den Kreislauf des Kindes zu stabilisieren. Dann kam es zu einer dramatischen Verschlechterung, die nicht mehr therapiert werden konnte.

Ich musste zu den Eltern gehen und sagen, das Kind sei tot. Meine Tochter ist im gleichen Alter. Sie sagten nichts, nichts. Und ich? Die ganze Zeit denke ich: Was habe ich falsch gemacht? Warum passiert es gerade mir? Heute morgen war es nicht leicht für mich, den Ablauf zu beschreiben, und es wurde nicht besser durch die Fragen und Kommentare der Kollegen. Als du dann gefragt hast, wie es mir geht, konnte ich die Fassung nicht mehr wahren. Ich denke: Ich möchte nie wieder Dienst machen. Ich suche mir einen anderen Beruf… Wir halten uns selbst für stark und nicht hilfsbedürftig. Wir werden nicht krank, wir bekommen kein Burnout, wir fallen nicht auf die Schnauze. Es ist schwer für uns zu erkennen, dass wir in Problemen stecken, und noch schwerer, dieses vor uns selbst zuzugeben.«
 
Ein besonderer und seltener Fall? Eine außergewöhnliche Geschichte, die nicht häufig vorkommt? Gespräche zu diesem Thema mit vielen Kollegen haben mich vom Gegenteil überzeugt.

Ein Freund und Kollege, gynäkologischer Oberarzt, nahm sich unter tragischen Umständen das Leben. Der Kollege war anerkannt und gewissenhaft in seinem Arbeitsalltag. Seine Kollegen berichteten, dass er sich in den letzten Monaten wiederholt Vorwürfe machte, unter anderem deshalb, weil ein Kind bei einer spät gestellten Indikation zur Sectio gestorben war.

Was kostet es uns, Patienten beizustehen, wenn ihr Leben nicht mehr zu retten ist? Wie kommen wir mit dem Gedanken zurecht, dass wir eine Diagnose vielleicht früher hätten erkennen müssen oder früher eine suffiziente Therapie hätten durchführen können? Wie ist das Verhalten der Kollegen bei solchen Problemen?