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Zwischen den Laken

Ian McEwan

 

Verlag Diogenes, 2013

ISBN 9783257603293 , 224 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

[39] Betrachtungen eines Hausaffen

Wer Spargel ißt, kennt den Geruch, den er dem Urin verleiht. Man hat ihn als reptilisch beschrieben oder als einen widerwärtig anorganischen Gestank, dann wieder als herbes, weibliches Odeur… erregend. Auf alle Fälle erweckt er die Vorstellung von einer wie auch immer gearteten sexuellen Aktivität zwischen exotischen Geschöpfen, vielleicht aus einem fernen Land, von einem anderen Stern. Dieser unirdische Geruch ist eine Sache für Dichter, und ich fordere sie auf, sich ihrer Verantwortung zu stellen. All dies als Vorrede… bevor der Vorhang hochgeht und Sie mich in einem kleinen, überheizten Kabuff stehen, urinieren und Betrachtungen anstellen sehen. Die drei Wände um mich herum sind in einem leuchtenden aufdringlichen Rot angemalt, gestrichen von Sally Klee, als ihr solche Dinge noch etwas bedeuteten, eine weit zurückliegende Zeit von einzigartigem Optimismus. Die Mahlzeit, die in völligem Schweigen verlief und von der ich mich soeben erhoben habe, bestand aus [40] verschiedenen Konserven, Büchsenfleisch, Kartoffeln, Spargel, bei Zimmertemperatur serviert. Es war Sally Klee, die die Dosen geöffnet hat und deren Inhalt auf Pappteller tat. Ich trödele noch in meiner Toilette, wasche mir die Hände, klettere auf die Spüle, um mein Gesicht im Spiegel zu betrachten, gähne. Verdiene ich es, ignoriert zu werden?

Ich treffe Sally Klee so an, wie ich sie verlassen habe. Sie ist in ihrem Eßzimmer und spielt in trübem Kerzenlicht mit abgebrannten Streichhölzern. Wir waren einst Liebende und lebten fast wie Mann und Frau, glücklicher als die meisten Ehefrauen und Ehemänner. Weil sie dann meiner Eigenheiten überdrüssig wurde und ich ihren Unwillen täglich durch meine Dickköpfigkeit verschlimmerte, bewohnen wir jetzt verschiedene Zimmer. Sally Klee blickt nicht auf, als ich ins Zimmer komme, und ich zögere zwischen ihrem Stuhl und meinem, den gedeckten Tellern und Dosen. Vielleicht bin ich ein bißchen zu gedrungen, um ernstgenommen zu werden, sind meine Arme ein bißchen zu lang. Ich strecke sie aus und streichele behutsam Sally Klees schimmerndes, schwarzes Haar. Ich spüre die Wärme ihres Schädels unter ihrem Haar, und das berührt mich so lebhaft, so traurig.

Sie werden vielleicht von Sally Klee gehört haben. Vor zweieinhalb Jahren veröffentlichte sie einen [41] Kurzroman, und der war ein Volltreffer. Der Roman beschreibt die Versuche und bitteren Fehlschläge einer jungen Frau, ein Baby zu bekommen. Medizinisch scheint weder ihr, noch ihrem Gatten, noch dessen Bruder etwas zu fehlen. Es ist, in den Worten von The Times Literary Supplement, eine mit »blasser Behutsamkeit« erzählte Geschichte. Andere ernsthafte Rezensionen waren weniger wohlwollend, doch im ersten Jahr wurden dreißigtausend gebundene Exemplare verkauft, und bis jetzt eine Viertelmillion Taschenbücher. Wenn Sie das Buch nicht gelesen haben, werden Sie immerhin den Umschlag der Taschenbuchausgabe beim Kauf Ihrer Morgenzeitung am Bahnhof gesehen haben. Eine nackte Frau kniet, das Gesicht in den Händen vergraben, inmitten einer unfruchtbaren Wüste. Seitdem hat Sally Klee nichts mehr geschrieben. Endlose Monate sitzt sie jeden Tag an ihrer Schreibmaschine und wartet. Bis auf einen plötzlichen Aktivitätsschub am Ende jedes Tages schweigt ihre Maschine. Sie kann sich nicht erinnern, wie sie ihr erstes Buch zustande gebracht hat, sie wagt nicht, von dem abzuweichen, was sie kennt, sie wagt nicht, sich zu wiederholen. Sie hat Geld und Zeit und ein komfortables Haus, in dem sie, gelangweilt und verwirrt, wartend herumsitzt.

Sally Klee legt ihre Hand auf die meine, als die ihr [42] über den Kopf fährt, entweder um Zärtlichkeiten abzuwehren oder um sie dankbar anzuerkennen – ihr Kopf ist noch immer gesenkt, und ich kann ihr Gesicht nicht sehen. Vorsichtshalber gehe ich einen Kompromiß ein und halte ihre Hand, und Sekunden später fallen unsere Hände schlaff neben uns. Ich sage nichts und beginne, wie der vollkommene Freund, die Teller und das Besteck, Dosen und Dosenöffner abzuräumen. Um Sally Klee zu versichern, daß ich wegen ihres Schweigens überhaupt nicht pikiert bin oder schmolle, pfeife ich durch die Zähne fröhlich den Lillibullero, etwa so wie Sternes Uncle Toby in Krisenzeiten.

Als ob nichts wär. Ich stapele in der Küche die Teller und schmolle so sehr, daß ich darüber fast zu pfeifen vergesse. Trotz meiner negativen Gefühle mache ich mich daran, den Kaffee zuzubereiten. Sally Klee will eine Mischung aus nicht weniger als vier verschiedenen Bohnensorten, Balzac nacheifernd, dessen Biographie sie in einer üppig illustrierten Ausgabe las, während sie die Fahnen ihres ersten Romans korrigierte. Wir nennen ihn immer ihren ersten Roman. Die Bohnen müssen sorgfältig abgemessen und von Hand gemahlen werden – eine Aufgabe, für die mein Körperbau geradezu wie geschaffen ist. Insgeheim hege ich den Verdacht, Sally Klee glaubt, daß guter Kaffee die Essenz eines [43] guten Autors ausmacht. Man denke nur an Balzac (sagt sie, glaube ich, zu sich selbst), der mehrere tausend Romane schrieb und dessen Kaffeerechnungen sich dem Interessierten in stillen Vorstadtmuseen in Glasschaukästen darbieten. Nach dem Mahlen muß ich eine Prise Salz hinzugeben und die Mischung in die Silberhöhlung einer kompakten, rostfreien Edelstahlmaschine schütten, die von Grenoble per Post hierhergeschickt wurde. Während der Kaffee sich auf dem Herd erwärmt, luge ich hinter der Eßzimmertür hervor rasch zu Sally Klee hinein. Sie hat jetzt die Arme verschränkt und läßt sie vor sich auf dem Tisch ruhen. Ich trete ein paar Schritte ins Zimmer und hoffe, ihre Aufmerksamkeit zu erregen.

Vielleicht war das Arrangement von allem Anfang an zum Scheitern bestimmt. Andererseits waren die Wonnen, die es – vor allem Sally Klee – bescherte, bemerkenswert. Und während sie glaubt, daß ich in meinem Benehmen ihr gegenüber ein bißchen zu hartnäckig war, zu manisch, zu »eifrig«, und während ich meinerseits noch immer meine, daß sie sich mehr an meiner Fremdheit ergötzte (»lustig kleiner schwarzer ledriger Penis« und »deine Spucke schmeckt wie dünner Tee«) als an meinem eigentlichen Wesen, möchte ich doch annehmen, daß keine Seite tiefes Bedauern empfindet. [44] Wie sagt doch Moira Sillito, die Heldin von Sally Klees erstem Roman, beim Begräbnis ihres Mannes zu sich selbst: »Alles wandelt sich.« Zitiert die stille, entschlossene, doch letztendlich tragische Moira ihren Yeats bewußt falsch? Also, kein nachhaltiges Bedauern, hoffe ich, während ich an diesem Nachmittag mein bißchen persönliche Habe aus Sally Klees geräumigem Schlafzimmer in mein eigenes kleines Zimmer ganz oben im Haus schaffe. Ja, Treppensteigen macht mir ziemlich Spaß, und ich ging ohne Murren. Praktisch (warum es leugnen?) war ich entlassen, doch ich hatte auch meine eigenen Gründe dafür, dies Bett zu räumen. Bei all ihren Wonnen verstrickte mich diese Liaison zu tief in Sally Klees Kreativitätsprobleme, und ein letzter Akt von wohlmeinendem Voyeurismus vermochte mir zu zeigen, wie sehr mein Begriffsvermögen überfordert war. Künstlerisches Trächtigsein ist Privatsache, und meine Nähe war, und ist es vielleicht noch, obszön. Sally Klees Blick löst sich vom Tisch und begegnet für den Bruchteil einer Sekunde dem meinen. Mit einer leichten, bestätigenden Kopfbewegung zeigt sie an, daß sie bereit ist für den Kaffee.

Sally Klee und ich schlürfen unseren Kaffee »in bedeutungsschwangerem Schweigen«. So zumindest schlürfen Moira und ihr Gatte Daniel, ein [45] aufstrebender, junger leitender Angestellter in einer ortsansässigen Flaschenabfüllfabrik, ihren Tee und verdauen die Neuigkeit, daß keine medizinischen Gründe vorliegen, warum sie unfähig sein sollten, gemeinsam ein Kind zu zeugen. Später am selben Tag beschließen sie nochmals einen Versuch (ein gutes Wort, fand ich), zu einem Baby zu kommen. Persönlich bemerkt, Schlürfen ist etwas, bei dem ich ziemlich brilliere, doch Schweigen, welcher Art auch immer, sorgt bei mir für Unbehagen. Ich halte die Tasse ein Stück von meinem Gesicht weg und schiebe die Lippen in einer gewinnenden spitzen Schnute zum Rand hin. Gleichzeitig rolle ich die Augen in den Schädel. Es gab eine Zeit – ich erinnere mich besonders an die erste Gelegenheit –, da zauberte die ganze Vorstellung ein Lächeln auf die weniger biegsamen Lippen von Sally Klee. Jetzt ist mir beim Brillieren unbehaglich zumute, und wenn meine Augäpfel wieder in die Welt hinausblicken, sehe ich kein Lächeln, sondern Sally Klees bleiche, unbehaarte Finger auf der polierten Oberfläche des Eßtisches trommeln. Sie füllt ihre Tasse nach, steht auf und verläßt das Zimmer, läßt mich zurück, und ich lausche ihren Schritten auf der Treppe.

Obwohl ich unten bleibe, bin ich auf Schritt und Tritt bei ihr – ich sagte es bereits, meine Nähe ist obszön. Sie steigt die Treppe hoch, geht in ihr [46] Schlafzimmer, setzt sich an ihren Tisch. Von meinem Sitzplatz aus höre ich sie einen einzelnen Bogen Papier in ihre Schreibmaschine spannen, grauweiß, DIN A4, 61 mg pro Quadratmeter, eben das Papier, auf dem sie mühelos ihren ersten Roman verfaßte. Sie wird sich vergewissern, daß die Maschine auf doppelten Zeilenabstand eingestellt ist. Nur Briefe an ihre Freunde, an den Agenten und den Verleger werden mit einfachem Zeilenabstand getippt. Entschlossen hämmert sie auf die rote Taste, die, sofern es Worte drum herum gibt, für eine ordentliche, weiße Leere sorgen wird, die ihrem ersten Satz vorausgeht. Eine ehrfurchteinflößende...