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Allmen und die Dahlien

Martin Suter

 

Verlag Diogenes, 2013

ISBN 9783257603378 , 224 Seiten

3. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

[101] Zweiter Teil

1

Keine Dreiviertelstunde nachdem er die Suite drei hundertvier verlassen hatte, tigerte er in seiner Glasbibliothek auf und ab und wartete auf Carlos.

Dieser war im Keller der Villa mit der Heizung beschäftigt. Der Brenner sprang nicht an, der Heizungstechniker ließ auf sich warten, und Carlos versuchte, die Panne selbst zu beheben. Anstatt sich um seinen frierenden Patrón zu kümmern.

Einer der Momente, in denen Allmen die Spießigkeit seines Dieners verfluchte, mit der dieser auf seinem gesicherten Einkommen als Hauswart und Gärtner beharrte.

Es war kalt im schlecht isolierten ehemaligen Treibhaus. Grauschwarze Regenwolken hatten die hellgraue Hochnebeldecke aufgefressen. Es würde ihn nicht überraschen, wenn es auch noch zu schneien begänne.

Allmen beschloss, seinen Diener dadurch zu [102] bestrafen, dass er höchstpersönlich Feuer machte. Er öffnete die Tür des Schwedenofens, zerknüllte ein paar Zeitungen, stopfte sie in die Brennkammer und machte sich auf die Suche nach Holz.

Er hatte Carlos schon oft dabei beobachtet, wie er Feuer machte, aber noch nie darauf geachtet, wo er das Holz herholte. In der Küche war es nicht. Auch in dem Raum, der als Waschküche und Lagerraum diente, fand er es nicht. Schließlich zog er einen Mantel an und ging hinaus. Hinter dem Haus fand er tatsächlich einen sehr ordentlichen Holzstapel, den er vorher noch nie beachtet hatte. Er nahm drei Scheite und ging damit zurück zum Haus.

Carlos musste gerade das Vestibül betreten haben. Allmen war sich sicher, dass er ein Grinsen unterdrückte, als er ihn im Kamelhaarmantel mit seinen drei Holzscheiten sah. Er kam auf ihn zu und nahm sie ihm ab. Seine Hände waren rußverschmiert, und er stank nach Heizöl.

Carlos ging in die Bibliothek, Allmen folgte ihm im Mantel und sah zu, wie er die Zeitungen aus dem Ofen entfernte, aus einer Blechschachtel Anfeuerholz nahm, es aufschichtete und mit einem einzigen Streichholz in Brand setzte, alles in höchstens einer Minute. Er entschuldigte sich und kam zehn Minuten später sauber und in schwarzer Hose, weißem Hemd, Kellnerjacke und schwarzer Krawatte [103] zurück. »¿En qué le puedo servir, Don John?«, fragte er, wie kann ich Ihnen behilflich sein.

»Siéntese usted«, sagte Allmen.

Carlos nahm Platz im zweiten Lesesessel und wartete.

»Hardy Frey ist Leo Taubler!«, platzte Allmen heraus.

»¡No me diga!«

Er reichte ihm das Foto von Dalia Gutbauer und Leo Taubler aus den fünfziger Jahren. »María hatte recht. Wie auf den Erinnerungsfotos von Hardy Frey – derselbe Mann. Was wissen Sie über ihn?«

»Mucho«, antwortete Carlos. Er entschuldigte sich, ging die Treppe hinauf und kam mit dem Mäppchen seiner Internetrecherchen zurück. Er reichte Allmen ein Foto.

Es zeigte zwei Männer auf einer Hotelterrasse vor Topfpalmen, beide gutaussehend und elegant gekleidet, der eine formell, der andere sportlich, offenes Hemd mit Seidentuch. Kein Zweifel: Der mit dem Seidentuch war Leo Taubler.

Die Bildunterschrift lautete: »Kurt Bergler, alias ›Räuber Knigge‹, hier mit seinem Freund, Leo Taubler, dem man vergeblich eine Mittäter- oder Mitwisserschaft nachzuweisen versuchte.«

Das Bild stammte aus einer Folge über spektakuläre Banküberfälle, die Carlos in einem [104] Zeitungsarchiv unter dem Suchbegriff »Leo Taubler« gefunden hatte.

Bergler war ein Bankräuber, der durch seine hervorragenden Manieren auffiel und deshalb »Räuber Knigge« genannt wurde. Er trieb sechs Jahre lang sein Unwesen in verschiedenen größeren Städten des Landes, immer mit der gleichen Methode: Er betrat zu den Hauptgeschäftszeiten unmaskiert und elegant gekleidet die Bank, ließ sich eine große Note wechseln und legte dabei diskret eine SIG P210 auf den Schalter. Er drohte den Schalterbeamten höflich, aber bestimmt, sie ohne Zögern zu erschießen, wenn sie ihm nicht ohne Aufsehen einen Betrag zwischen hundert- und zweihunderttausend Franken aushändigten.

Mit dem Geld verließ er ohne besondere Eile die Bank, mischte sich unter die Passanten und verschwand kurz darauf. Vermutlich im Auto eines Komplizen, wofür es aber keine zuverlässigen Zeugenaussagen gab.

In den späten fünfziger Jahren wurde Kurt Bergler seine Vorliebe für gepflegte Garderobe zum Verhängnis. Ein aufmerksamer Schalterbeamter konnte einen Blick auf das Schneideretikett im Futter erhaschen, als Bergler kurz das Jackett aufhielt, um die Waffe aus dem Halfter zu nehmen.

Danach war es ein Leichtes, »Räuber Knigge« ausfindig zu machen. Er wurde zu zwölf Jahren [105] Zuchthaus verurteilt und nahm sich nach weniger als einem Jahr das Leben. Leo Taubler verschwand noch während des Prozesses von der Bildfläche, vermutlich ins Ausland.

Allmen legte den Bericht beiseite und sah Carlos an.

»Las relaciones«, sagte der, schulterzuckend.

»Und was für eine Beziehung hat er zu Dalia Gutbauer?«, wollte Allmen wissen.

Carlos reichte ihm einen Stapel Computerausdrucke, die er bereitgehalten hatte. Das meiste waren Fotos von Dalia Gutbauer mit Leo Taubler bei verschiedenen gesellschaftlichen Anlässen. Aus den Begleittexten ging Folgendes hervor:

Nach einer langen Reihe illustrer und mondäner Begleiter wurde Dalia Gutbauer plötzlich nur noch mit einem gewissen Leo Taubler gesehen.

Für die Klatschpresse war die Liaison ihrer liebsten Skandalnudel mit einem Nobody eine Enttäuschung. Das änderte sich schlagartig, als der Serienbankräuber »Knigge« entlarvt wurde und sich als Kurt Bergler herausstellte. Ein Freund des ständigen Begleiters von Dalia Gutbauer.

Noch interessanter wurde Leo Taubler, als die Journalisten seine Vorstrafen entdeckten. Nichts Größeres, ein paar Finanzdelikte, Unterschlagungen, Betrügereien. Aber genug, um die Tochter eines [106] der größten Industriellen des Landes als Gangsterbraut abzustempeln.

Dalia hielt zu ihm. Sie sprach von Taubler öffentlich als von ihrem Verlobten und erschien weiterhin an seinem Arm zu allen gesellschaftlichen Anlässen von Bedeutung.

Bis zum Victoria-Ball. Bei diesem Höhepunkt der Saison wurde sie in Begleitung von Gert von Tyllern gesehen, einem Berufserben aus der deutschen Schwerindustrie.

Das Interesse an Leo Taubler war bald erloschen. Dalia Gutbauer führte ihr früheres Leben mit wechselnden Begleitern noch ein gutes halbes Jahr fort. Danach verschwand sie von der Bildfläche.

Allmen sah von der Dokumentation auf und nickte anerkennend. »Buen trabajo«, bemerkte er, gute Arbeit. »Und der Zeitpunkt, zu dem Taubler verschwand, stimmt ungefähr mit dem Victoria-Ball überein, nehme ich an.«

Carlos nickte. »Así es, Don John.«

2

Als er aus dem Hotel trat, schneite es tatsächlich. Er hatte im Grillroom gegessen und die Zeit bis halb elf in der Bar zugebracht.

[107] Herr Arnold hatte hinter dem Steuer seines Fleetwood gewartet und öffnete die Tür zum Rücksitz, als Allmens Silhouette vor dem erleuchteten Hoteleingang auftauchte.

Der Schnee war nass und schwer und blieb nicht liegen. Das Rauschen des Samstagsverkehrs klang wie in einer Regennacht.

Herr Arnold fuhr in seiner feierlichen Art ein Stück am See entlang und dann durch das Straßengewirr am Fuß des Villenhügels zu einem der Mehrfamilienhäuser aus den Gründerjahren, in welchem Remo di Gioya eine herrschaftliche Wohnung besaß. Herr Arnold ging zur Tür und klingelte, Allmen wartete im Auto. Er wusste, dass di Gioya ihn nicht heraufbitten würde. Aus einem ähnlichen Grund, wie auch Allmen seine Besucher nicht hereinbat: In den schönsten Räumen von di Gioyas Etage wohnten andere Leute.

Als Remo sich neben ihn setzte, roch Allmen, dass er nicht der Einzige war, der die Zeit bis zur angemessenen Verspätung mit ein wenig Alkohol überbrückt hatte. Remo hatte auch das überlegene Lächeln, das seine unberechenbare Stimmung verriet. »Nur dir zuliebe«, sagte er. »Ich gehe praktisch nicht mehr aus.« Er unterstrich die Behauptung mit einer seiner tuntigen Handbewegungen, die ihm mit zunehmendem Pegel unterliefen.

[108] Sie fuhren stumm durch das Schneegestöber.

»Wenn ich nur daran denke«, stöhnte Remo, »wie oft wir hören werden, wie passend es sei, dass es bei der Eröffnung des Snow White Clubs schneit, muss ich gleich kotzen.«

Der Club lag im ehemaligen Industriegebiet der Stadt in einem gläsernen Neubau. Zwei schwarzuniformierte Security-Leute bewachten den Parkplatz und lotsten Herrn Arnold bis zum Eingang. Allmen gab dem Fahrer zwei Hunderternoten aus Madame Gutbauers Spesenvorschuss und bat ihn zu warten.

Vor dem Eingang staute sich eine kleine Menschenmenge, aber einer der zwei Meter großen Türsteher kannte di Gioya und ließ sie durch.

Der Club war ganz in Schneeweiß gehalten und bildete den Hintergrund für ein Lichtdesign, das alles in wechselnde Farben tauchte. Auch die Gäste, von denen die meisten ganz in Weiß erschienen waren. Remo bahnte sich einen Weg durch die tanzende, trinkende und schwatzende Menge, und Allmen blieb ihm dicht auf den Fersen.

Sie erreichten einen von einem Neonlichtbogen eingefassten Durchgang. Ein Türsteher war gerade damit beschäftigt, zwei jungen Frauen den Eintritt zu verwehren, di Gioya drängte sich nonchalant vorbei. Der Security-Mann blickte auf, erkannte ihn und nickte ihm zu. Di Gioya deutete hinter sich und...