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Ein Geschenk zum Verlieben - Roman

Karen Swan

 

Verlag Goldmann, 2013

ISBN 9783641118877 , 544 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

1. Kapitel

Laura betrachtete die Schuhe, die sie in ihrer Hand hielt. Sie ahnte jetzt schon, dass sie sie kaufen würde, egal, ob sie passten oder nicht. Sie waren rot, und das genügte. Dafür war sie bekannt hier in der Gegend, fast schon so etwas wie eine kleine Berühmtheit. Jack machte sich gern darüber lustig: »Du weißt ja, was man sagt: rote Schuhe – aber nichts untendrunter.« Er wusste natürlich, dass sie die Letzte war, die mit »nichts untendrunter« herumlaufen würde. Vielleicht fand er’s ja deshalb so witzig. Immerhin besser als eine andere seiner typischen Reaktionen, nämlich die Augen zu verdrehen. Beim letzten Mal hatte er dabei entnervt ausgerufen: »Aber du hast doch schon fast fünfzig Paar!« Als er jedoch ihren Gesichtsausdruck sah, hatte er sich rasch entschuldigt. Sie hatten in der Küche gestanden. Er war zu ihr gegangen, hatte sie umarmt und gesagt, er möge es ja, dass sie »eine Macke« habe.

Die Verkäuferin, die im Lager nach der richtigen Größe gesucht hatte, tauchte wieder auf. Sie schüttelte bedauernd den Kopf.

»Tut mir leid, wir haben nur noch diese Größe sechsunddreißig hier. In achtunddreißig ist überhaupt nichts mehr da, nicht mal mehr in einer anderen Farbe.«

Laura biss sich auf die Lippe und überlegte. Die Verkäuferin machte eine Bewegung, als wolle sie die Schuhe ins Regal zurückstellen. »Ich … ich nehme sie trotzdem«, sagte Laura, zuerst zögernd, dann entschlossen. Den Blick der Verkäuferin meidend, kramte sie in ihrer Tasche nach ihrem Geldbeutel. »Sie sind so günstig. Sicher kann ich sie irgendwem schenken …«

»Wie Sie wollen.« Die Verkäuferin beäugte verstohlen Lauras rote Pumps, die sie nach dem Frühstück heute Morgen so kräftig poliert hatte, dass sich ihre Blicke nun in deren glänzender Oberfläche trafen.

Kurz darauf ließ sie erleichtert die bimmelnde Ladentür hinter sich zufallen. Sie holte tief Luft und blieb einen Moment lang stehen, um sich an die hier vorherrschende Helligkeit und das Treiben zu gewöhnen. Der Tag hatte sich bereits gestreckt und ausgedehnt, die Novembersonne stand sanft strahlend am Himmel, ohne ihre wärmende Kraft. Geschäftsleute aus der Gegend hasteten mit dampfenden Kaffeebechern an ihr vorbei und verbrannten sich an der überschwappenden braunen Flüssigkeit die Finger. Rentner tauchten, Rollwägelchen hinter sich herziehend, kopfschüttelnd aus dem Metzgerladen oder dem Supermarkt auf und schimpften brummelnd über den Preis für Rinderbrust. Vor dem Bäcker standen ein paar Mütter mit Kinderwagen herum und versuchten sich gegenseitig zu Kuchen und Kaffee zu überreden, damit sie sich über ihre Sorgen mit dem Nachwuchs austauschen konnten.

Laura kehrte alldem den Rücken – sie war froh, dass das nicht ihre Probleme waren. Ihre Tüte hin und her schwingend, ging sie in die entgegengesetzte Richtung. Sie war groß und schmal und hatte langes, glattes, hellbraunes Haar, das im Takt ihrer Schritte über ihren Rücken schwang. Ihr Studio befand sich in einem umgebauten Bootshaus, ein Stück draußen, gleich hinter dem Jachthafen, nur acht Minuten entfernt. Wenn sie den Leuten erzählte, wo sie arbeitete, stellten diese sich das meist sehr romantisch vor, aber die Werkstatt war alles andere als das. Sie erhob sich auf dünnen Stelzen über den anderen Wellblechdächern und verfallenen Bootshütten ringsum. Das sah aus, als habe ein Architekt, dessen Berufserfahrung sich auf das Spielen mit Legosteinen beschränkte, noch ein Stockwerk ungeschickt draufgesetzt. Im Holz war der Wurm drin, was man allerdings nicht sah, da sie im vorletzten Sommer alles von einem Studenten aus dem Jachtklub, der dringend Cash brauchte, neu hatte streichen lassen. Aber ihr gefiel’s trotz allem. Es war ihr zweites Zuhause geworden.

Sie bog von der Hauptstraße in eine von zahlreichen schmalen, mit Kopfsteinen gepflasterten Gassen ein, ging vorbei an den schmucken kleinen, in Pastellfarben gestrichenen Fischerhütten mit ihren buschigen Reetdächern – mittlerweile fast alles Ferienhäuser von wohlhabenden Londonern – den betonierten Pier entlang und auf den schmalen, ausgetretenen Treidelpfad, der zu ihrem Studio führte. Es stand auf einem kleinen Hügel, mitten im Marschgebiet der Flussmündung. Jack nannte ihn den »Sankt-Laura-Hügel«. Das braune Wasser umspülte nur während der Springtide die Stelzen, aber der Damm, der dorthin führte, war allein bei Ebbe begehbar – und das war auch der Grund, warum sie sich heute erst so spät an die Arbeit machte. Genau genommen hätte sie sich natürlich ein Ruderboot zulegen und hinüberrudern können, wenn sie wirklich morgens um acht anfangen und abends um fünf zu arbeiten hätte aufhören wollen, so wie jedermann. Aber sie mochte die Unregelmäßigkeiten, zu denen die Tide sie zwang. Mehr noch liebte sie – was sie Jack gegenüber nie hätte zugeben können –, dass sie gelegentlich im Atelier eingeschlossen war. Wenn sie es versäumte, rechtzeitig loszugehen, weil sie so in ihre Arbeit vertieft war. Nachdem dies das erste Mal passiert war, hatte sie vorsorglich Bettzeug und eine Tasche mit dem Nötigsten in ihrer Werkstatt deponiert, damit sie für alle Eventualitäten gerüstet war. Jack hasste es, wenn das passierte. Er hatte das Gefühl, dass sie unter diesen Umständen noch dazu ermutigt wurde, »es zu übertreiben«, wie er es nannte, und nicht rechtzeitig zuhause zu sein.

Die Ebbe hatte nun beinahe ihren Tiefststand erreicht. Ringsum erstreckten sich, weit und grau glänzend, die schlammigen Marschflächen. Laura verlor jedoch keine Zeit mit der Beobachtung der Säbelschnäbler und Rohrdommeln, die pickend und wie schwerelos über die weiten Flächen staksten. Nach beiderseitigem anfänglichen Misstrauen lebten sie inzwischen in gleichgültiger Harmonie nebeneinanderher. Laura lief rasch die zweistöckige Stahltreppe hinauf und schob den Schlüssel ins Schloss. Jack lag ihr andauernd in den Ohren, wie schlecht ihre Werkstatt abgesichert sei. Immerhin bewahrte sie Materialien im Wert von Tausenden von Pfund darin auf.

Sie ließ ihre Tasche auf den Boden plumpsen und nahm die deutlich zu kleinen Schuhe heraus. Liebevoll stellte sie sie aufs Fensterbrett. Im weiß gestrichenen Studio wirkten sie wie zwei blutrote Farbtupfer. Die breiten Holzdielen waren ebenfalls weiß gestrichen und lackiert, sodass sie edler aussahen, als sie in Wirklichkeit waren. Sie hatte über zwanzig Farbproben getestet und Jack fast an den Rand des Wahnsinns getrieben, ehe sie sich für einen bestimmten Weißton entschied. Sie wollte ein warmes Weiß haben, damit es im Winter nicht zu ungemütlich wirkte – ohne großen Erfolg, denn gegen den charakteristischen grauen Suffolk-Winter war kaum ein Kraut gewachsen. Immerhin hatte sie beige-weiß gestreifte Jalousien an den Fenstern angebracht, die allem eine etwas behaglichere Atmosphäre verliehen. Was bitter nötig war – zu jeder Seite gab es gleich mehrere Fenster, die Hütte war praktisch rundumverglast. Jack machte sich deswegen immer Sorgen. Sie stände ja hier wie auf dem Präsentierteller, meinte er, jeder könne sie sehen, wenn sie abends allein arbeitete. Aber Laura winkte ab. Wer solle sich denn für sie interessieren? Die herumlungernden Teenager? Oder die Vogelkundler, die die Marsch durchstreiften? Die hatten etwas Besseres zu tun.

Das rote Lämpchen auf dem Anrufbeantworter blinkte. Sie ging hin, um ihn abzuhören. Nachdem sie vier Jahre lang allein vor sich hin gearbeitet hatte, nur mit dem Radio als Gesellschaft, fand sie es noch immer erstaunlich, dass die Leute nun tatsächlich anriefen, um Schmuckstücke in Auftrag zu geben. Dass ihr Hobby zum Beruf geworden war, war reiner Zufall. Sie hatte für Fees Mutter eine Charm-Kette gemacht, die beim »Women’s Institute« überraschend gut angekommen war. Fee hatte sie daraufhin wochenlang belagert, sie möge sich jetzt doch endlich ordentlich selbstständig machen, aber Laura hatte stets abgewinkt. Fee hatte sich daraufhin, obwohl sie noch ziemlich jung war, kurzerhand zu Lauras Managerin gemacht und eine Anzeige im »Charrington Echo« aufgegeben. Eine glückliche Fügung bewirkte, dass eine Redakteurin des »FT-Magazins«, der Wochenendbeilage der Financial Times, zu der Zeit im benachbarten Walberswick Urlaub machte und zufällig auf die Anzeige stieß, während sie in einem Restaurant saß und auf ihr Mittagessen wartete. Eine Stunde später hatte sie an Lauras Tür geklopft, und damit war es nur noch ein Katzensprung hin zu einer Erwähnung in der Schmuckbeilage des namhaften Blattes gewesen.

Heute hatte sie zwei Nachrichten, beide von Fee – die sich mittlerweile auch zu ihrer PR-Beraterin ernannt hatte. Zumindest an den Tagen, an denen sie nicht an der Rezeption des Freizeit-Centers stand. Quiekend und aufgeregt mit den Fingern trommelnd, verkündete sie die Gewinnung von drei weiteren Kunden. Gestern war’s auch schon ein neuer gewesen – und das, obwohl der Artikel inzwischen mehrere Wochen zurücklag. Laura notierte kopfschüttelnd die Daten in ihrem Notizbuch. Unbegreiflich, dass immer noch Leute hinzukamen … In dem Artikel waren Schmuckhersteller der neuen Generation porträtiert worden. Lauras Abschnitt war der kürzeste gewesen, in letzter Minute noch reingequetscht. Als sie den Artikel sah, hatte sie sich kaum etwas davon versprochen, hatten sie doch auch noch das Foto von ihr abgeschnitten, und man konnte ihre roten Schuhe gar nicht sehen. Trotzdem hatten sich Interessenten gemeldet – und meldeten sich noch immer, wie das rote Licht auf dem Anrufbeantworter verriet, das ihr jeden Morgen entgegenblinkte –, sobald ihr die Gezeiten den Zutritt zu ihrer Werkstatt erlaubten.

Laura trat an ihre Werkbank und musterte kritisch die...