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Eifel-Krieg - Ein Siggi-Baumeister-Krimi

Jacques Berndorf

 

Verlag KBV Verlags- & Medien GmbH, 2013

ISBN 9783954411436 , 350 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR


 

1. Kapitel


Mein Kater Satchmo ist tot. Er war achtzehn Jahre lang ein sehr guter Kumpel, und er bestand achtzehn Jahre lang auf seiner Unabhängigkeit, er war nicht käuflich. Er war eine echte Eifeler Scheunenkatze.

Mein Freund Tom Ewertz, Bauer in Niederehe, hatte ihn mir geschenkt, als er nicht mehr war als eine Handvoll. Anfangs lebte er zusammen mit seinem Bruder Paul bei mir, bis der an einem nebligen Tag stracks in ein Auto rannte. Satchmo mochte Autos seitdem nicht und schaute durchaus aufmerksam, ob er die Dorfstraße gefahrlos queren konnte.

Es war kein Auto, es war das Alter. Satchmo baute rapide ab, die Nieren machten ihm Schwierigkeiten, er lag desinteressiert herum, er ging immer weniger hinaus in den Garten, er wurde hager wie ein alter Mann ohne Mut und Hunger. Er sprach auch nicht mehr mit mir, was er sein ganzes Leben lang getan hatte. Immer wenn wir aufeinandertrafen, jaulte er in allen erdenklichen Tonlagen, und ich hatte den Eindruck, er wollte mir mitteilen, was er den Tag über im Dorf erlebt hatte. »Stell dir vor, wen ich getroffen habe. Die alte Lisbeth. Auf dem Weg zum Friedhof …«

In den letzten Tagen des vergangenen Jahres war es ganz schlimm. Er fraß nicht mehr. An Silvester verlor er jede Kontrolle, da begann er zu sterben, das machte mir Angst. Er konnte nicht mehr stehen. Und wenn er sich mühsam auf die Beine zu stellen versuchte, begann er, sekundenlang wild zu schwanken, und schoss dann mit zwei, drei Trippelschritten vollkommen haltlos gegen irgendein Hindernis. Gegen einen Heizkörper zum Beispiel oder einfach in eine Zimmerecke oder gegen einen Plastikeimer. Er fiel um und blieb an dem Platz, an dem er scheiterte. Es war so, als würde er nichts mehr sehen, als wäre er blind. Und wenn ich ihn rief, hob er nicht einmal mehr den Kopf.

Ich konnte nicht mehr zusehen und rief in der Praxis von Susanne Fügen in Daun an. Ich sagte, was zu sagen war. Satchmo kam in seinen Plastikbehälter, er wehrte sich nicht, und wir fuhren nach Daun. Gewöhnlich hatte mein Kater mit wilder Hysterie auf diese Praxis reagiert und mit noch größerer Hysterie auf den blanken Stahltisch. Das schien ihn nicht mehr zu berühren, wahrscheinlich begriff er das alles nicht mehr.

Er bekam eine Winzigkeit intravenös gespritzt, er zuckte nicht, er blieb ganz ruhig, zu Tode erschöpft. Dann war er fort, und Susanne Fügen fragte mich freundlich und sanft, ob ich noch eine Weile lang mit ihm allein sein wolle. Das wollte ich nicht.

Immer wieder, wenn ich im EDEKA in Kelberg einkaufen gehe, finde ich mich in der Abteilung Tierfutter wieder und überlege, ob ich Katzenstreu oder Katzenmilch mitnehmen muss. Das wird seine Zeit brauchen, auch mein alter Satchmo geht nie so ganz.

Aber eigentlich will ich die Geschichte von Blue erzählen, die in diesem sommerlichen Juni so hinterhältig, brutal und traurig begann und schlussendlich in einem Chaos endete, mit dem niemand hatte rechnen können.

Es fing an, als Rodenstock mich gegen Abend beiläufig anrief und damit lockte, dass Emma gerade Melonen mit rohem Schinken von Otten in Strohn auf den Tisch brachte – »handgeschnitzt«, wie er mir versicherte. Ob ich denn in Heyroth aufschlagen könne, um Schinken und Melone zu zerstören? Ich sagte natürlich zu, weil ich immer zusage, wenn es irgendetwas Kostenloses gibt, da bin ich sehr konsequent. Ich fuhr also die lächerlichen zwei Kilometer zu ihrem Haus und freute mich auf ein munteres Geplauder bei Schinken und Melone unter einer abendlichen, immer noch warmen Sonne.

Rodenstock stand in der Tür, empfing mich mit einer hastig geflüsterten Information, von der ich kein Wort verstand, drehte sich um und stapfte vor mir her.

Emma kam auf mich zu, umarmte mich kurz, wies hinter sich und brüllte erschreckend laut: »Das ist Tante Liene aus Sydney. Sie will noch mal Europa sehen.«

Besagte Tante Liene hockte auf einem Kissenberg in einem alten Ledersessel und sah aus wie ein Wesen aus einer anderen Welt, ein klassischer Alien. Ihr Gesicht war ein kleines, ovales, rissiges Stück altes Leder, nicht einmal die Nase war ohne Falten. Ihr Haar war ein verwirrendes, helles Gespinst in äußerst lockerer Bebauung, das in einer einzelnen Strähne quer über ihren ansonsten vollkommen kahlen Schädel gelegt war. Sie konnte auf keinen Fall mehr als vierzig Kilo wiegen, und ihre Figur war tropfenförmig. Sie trug irgendetwas Dunkelbraunes und Sackartiges, das mich an die Naturbegeisterten meiner Jugend erinnerte. Sie konnte höchstens eins vierzig groß sein, und nur ihre Augen lebten. Diese Augen waren zwei winzige, tiefschwarze, leuchtende Punkte.

Ich musste mich räuspern, dann sagte ich brav etwas lauter: »Ich bin der Siggi«, und reichte ihr eine Hand.

»Sie hört nicht mehr richtig«, dröhnte Emma. »Aber sie ist immerhin auch schon dreiundneunzig.«

Tante Liene griff nicht nach meiner Hand, wahrscheinlich sah sie gar nichts mehr.

»Mit dem Sehen ist das auch so eine Sache«, schrie Emma.

Ich wiederholte lauter: »Ich bin der Siggi« und legte der Zwergin flüchtig eine Hand auf die Schulter.

»Und nun wollen wir essen!«, schrie Rodenstock.

Die Zwergin fragte krächzend: »Is er a Jidd?«

»Neeh!«, brüllte Emma. Sie stand an der Arbeitsplatte und matschte eine Scheibe der Melone mit einer Gabel klein, dann schnitt sie eine Scheibe des Schinkens in winzige Bestandteile, kam mit dem Teller zu der Zwergin, setzte sich auf die Sessellehne und schrie: »Dann wollen wir mal!«

»Du lieber mein Vater!«, flüsterte Rodenstock mit geschlossenen Augen.

»Wie ist sie denn hergekommen?«, hauchte ich. »Mit einem Segelschiff?«

»Verwöhnkomfort, Singapore Airlines, erste Klasse«, antwortete er. »Den Rest von Frankfurt mit dem Taxi. Vorgestern waren wir noch völlig ahnungslos. Sie will vier oder sechs Wochen bleiben. Ich fange an, meine Frau zu hassen. Wir hatten es hier so schön.«

Einen Augenblick lang dachte ich, Rodenstock wäre ein hervorragender Bauchredner, seine Lippen bewegten sich kaum. »Wieso seid ihr nicht gewarnt worden?«

»Das hätte doch keinen Sinn gehabt, sie wäre sowieso gekommen. Und wahrscheinlich waren die in Sydney froh, sie mal loszuwerden.«

»Das hast du gut gemacht«, stellte Emma laut fest. »Willst du jetzt ein Schläfchen machen?«

»Yep!«, nickte Tante Liene. Dann sackte ihr Kopf zur Seite, und sie tat einen tiefen Atemzug. Sie atmete leicht rasselnd, sie schlief.

»Setzen wir uns in den Garten?«, fragte Emma lächelnd.

Wir nahmen das Geschirr und setzten uns in den Garten an den Holztisch. Emma brachte die Eifeler Köstlichkeiten.

»Das wird eine Katastrophe«, murmelte Rodenstock düster.

»Es ist schwer! Ja!«, pflichtete Emma mit schneidender Stimme bei. »Aber du wirst den Mund halten, verdammt noch mal.« Sie machte eine Pause und nahm einen neuen Anlauf. »Liene hat Auschwitz überlebt. Da war sie fünfundzwanzig. Sie hatte zwei kleine Kinder, sie hatte einen Ehemann. Alle drei wurden getötet.« Sie machte wieder eine Pause. »Es ist gesagt worden, dass sie nur überlebte, weil sie mit ein paar Männern der KZ-Aufsicht schlief. Wann immer die es wollten. Sie war bei einem dieser furchtbaren Todesmärsche dabei. Sie hat bis heute nie mehr darüber geredet. Es war also ein Scheißleben, Rodenstock! Und sie ist einfach zu uns gekommen, weil sie den Schlussstein ihres Lebens sucht.«

»Ist ja gut, es tut mir leid«, murmelte Rodenstock. Dann stand er auf, beugte sich zu seiner Frau hinunter und umarmte sie.

Weil Emma plötzlich weinte, schwiegen wir.

»Verdammte Kacke!«, explodierte sie heftig. »Es muss doch endlich mal Schluss sein damit.«

Natürlich war das Essen vergessen, natürlich schwiegen wir, natürlich wirkte das sehr gequält, bis Rodenstock mich fragte: »Kennst du einen jungen Mann, der Blue genannt wird? Hier aus der Gegend? Ungefähr zwanzig Jahre alt?«

»Nie gehört. Wer ist das?«

»Angeblich lebt er seit drei Jahren auf dem Eulenhof. Aber so ganz genau scheint das niemand zu wissen.«

»Eulenhof? Diese Leute, von denen es heißt, sie seien Neonazis?«

»Genau«, sagte er und nickte knapp. »Neonazis und Zuhälter und Rassisten und was weiß der Teufel noch alles.«

»Keine Ahnung«, sagte ich.

»Der Junge ist seit gestern spurlos verschwunden. Er wollte frühmorgens zu seinen Eltern nach Trier. Er kam aber nicht dort an. Dann riefen seine Eltern die Polizei, und die fuhr ein bisschen herum und erkundigte sich. Bisher ohne Erfolg. Die vom Eulenhof haben gesagt, sie hätten keine Ahnung, wohin der Junge...