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Die verbotenen Evangelien - Apokryphe Schriften

Jürgen Werlitz, Katharina Ceming

 

Verlag marixverlag, 2013

ISBN 9783843801577 , 264 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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12,99 EUR


 

2. DIE KANONISCHEN EVANGELIEN


BEGRIFFSERLÄUTERUNG

Bei dem griechischen Wort „Kanon“ handelt es sich um ein Lehnwort aus dem Semitischen. Die ursprüngliche Bedeutung war „Rohr“. Man muss sich wohl ein Schilfrohr oder einen Getreidehalm vorstellen. Im weiteren Sinne bedeutete es „Maßrohr“, „Maßstab“. Gebräuchlich waren im Griechischen die Bedeutungen von „Norm“, „Regel“, „Vorschrift“, aber auch „Liste“ und „Verzeichnis“. Im 4. Makkabäerbuch heißt es in Kapitel 7,21: „Sollte nicht der, der nach dem ganzen Kanon der Philosophie philosophiert, Gewalt über die Triebe erlangen?“ Der Kanon der Philosophie war die Regel, die verbindliche Gültigkeit hatte. Sie galt fast schon wie ein Gesetz. Es handelte sich also nicht mehr um das Maß für räumliches Messen, sondern vor allem um das Maß als Norm des Ethischen. Die Kirche behielt diese Bedeutung bei. Unter Kanon verstand man die verbindliche Glaubensnorm für alle. Man sprach z. B. vom Kanon des Glaubens, dem Kanon der Wahrheit. Daneben wurden aber auch Tabellen etc. als Kanon bzw. Kanones bezeichnet. Ab Mitte des 4. Jahrhunderts hatte der Begriff Kanon in der Kirche jedoch noch eine weitere Bedeutung, die nun für unser Verständnis von Kanon und kanonisch prägend wurde und ist. Unter Kanon verstand man jetzt die Schriften des Alten und Neuen Testaments. Die Bibel war Kanon. Die Geschichte der Kanonisierung der Schriften des Neuen Testaments wird noch in Kap. 3 dargestellt.

Das Wort Evangelium leitet sich vom griechischen „Euangelion“ ab und bedeutet so viel wie „Gute Nachricht“, „Frohbotschaft“, „Heilsbotschaft“. Im Evangelium wurde Jesus Christus verkündet. Es beinhaltete die frohe Botschaft von Tod und Auferstehung Jesu. Der Begriff wurde auf Werke übertragen, die zum einen Berichte der Passion und Auferstehung lieferten, und zum anderen auf Sammlungen mit Jesus-Worten, die seine Lehre und Verkündigung wiedergaben.

Es lassen sich aber auch Einflüsse etlicher anderer literarischer Gattungen in den Evangelien nachweisen. Die Sammlungen von Wundergeschichten Jesu haben in der hellenistischen Aretalogie (Darstellung göttlicher Menschen) ihre Vorläufer. Die Spruchsammlungen lassen einen deutlichen Einfluss der jüdischen Weisheitsliteratur erkennen. Kennzeichen dieser Schriften sind ihr Sammelcharakter sowie die stark biographischen Züge, ohne Biographie zu sein. Sie wollen über das Leben Jesu berichten, aber nicht um einen Menschen darzustellen, sondern um zu zeigen, dass dieser Mensch Sohn Gottes ist.

Erwachsen ist die Evangelienliteratur aus dem Interesse der frühchristlichen Gemeinden am Leben und Lehren Jesu. War in den ersten Jahren des Christentums die Überlieferung noch vorwiegend mündlich, so kam die schriftliche Weitergabe schnell hinzu. Neben den alttestamentlichen Schriften, stellten für die Urkirche die mündliche Überlieferung so genannter Herrenworte Jesu sowie kurze Erzählungen über Jesus die höchste Autorität dar. Maßgeblich für die Verschriftlichung war nicht die Sorge, dass die mündliche Tradition ungenauer sei und das Wesentliche vergessen könnte, sondern der im kulturellen Umfeld verbreitete Gebrauch der Schrift.

Nicht nur die griechische Welt liebte die Schrift. Im Judentum spielte das Buch der Bücher, vor allem die Tora, die fünf Bücher Mose, die zentrale Rolle. In der jüdischen Gemeinde gab es kein männliches Gemeindemitglied, das nicht lesen und schreiben konnte. Daneben war die schriftlich fixierte Botschaft der Lehre Jesu Christi eine Art Verkündigungsersatz bei Abwesenheit des Verkündigers. Man denke nur an die Missionsarbeit des Paulus, der in vielen, räumlich weit auseinanderliegenden Gemeinden predigte und diese nur sehr unregelmäßig besuchen konnte. An der in seinen Briefen niedergelegten Verkündigung konnte sich die jeweilige Gemeinde während seiner Abwesenheit orientieren. Die ältesten schriftlichen Dokumente des frühen Christentums stellen somit die Paulus-Briefe dar. Daneben wurden Gemeindeordnungen, Sprüche Jesu, Gleichnisse und Wundergeschichten zusammengestellt und gesammelt. Die mündliche Überlieferung wurde noch einige Zeit gepflegt und hoch geachtet.

Die apostolische Tradition, d. h. die Berufung auf die Autorität eines Apostels, war ein Produkt der nachapostolischen Zeit. Genannt seien hier nur die Petrustradition im westlichen Syrien – auf das aus dieser Tradition stammende apokryphe Petrusevangelium wird noch gesondert eingegangen – die Thomastradition im östlichen Syrien – auch deren Schrifttum wird noch genauer dargestellt – sowie die Johannestradition, die in syrischen Randgebieten zu Hause war, deren Schriften zum Teil kanonisiert wurden, zum Teil nicht. Ferner gab es eine ausgeprägte Tradition der 12 Apostel, die sich in den verschiedenen Apostelgeschichten niederschlug. Im 2. Jahrhundert machten viele gnostische Gruppen ausgiebig Gebrauch vom Namen der Apostel, wenn sie Schriften verfassten, um diesen damit apostolische Autorität zu verleihen. Nahezu jeder Apostel wurde durch die Apokryphen zum Verfasser einer eigenen Schrift.

Dass es sich dabei aber nicht um einen unüblichen Akt handelte, der unlautere Absichten des eigentlichen Schreibers dokumentierte, zeigt ein Blick in die Geschichte. Wollte man einer Schrift besonderes Gewicht verleihen oder wähnte sich der Verfasser im Einklang mit der Lehre einer berühmten Persönlichkeit, wurde der Name dieser Person als Urheber des Werkes angegeben. Solche Texte finden sich unter anderem auch im neutestamentlichen Kanon, denn einige der Paulus zugeschriebenen Briefe stammen nicht von ihm selbst. Man bezeichnet sie heute als Deuteropaulinen, als zweite Paulusschriften. Dazu rechnet man den Epheserbrief, den Kolosserbrief, den zweiten Thessalonicherbrief. Ähnliches gilt für die Pastoralbriefe, den ersten und zweiten Petrusbrief, den Judasbrief und den Jakobusbrief. Sie alle stammen nicht von den Personen, deren Namen sie tragen.

Aber auch in anderen Bereichen der antiken Literatur findet sich dieses Phänomen. So waren z. B. unzählige philosophische Schriften unter den Namen großer Denker im Umlauf, die diese nie verfasst hatten.

ENTSTEHUNG DER KANONISCHEN EVANGELIEN

Wie bereits angesprochen, verdanken die kanonischen Evangelien ihre Entstehung dem Interesse einer Gemeinde am Leben und Lehren Jesu. Für gewöhnlich wurde ein Evangelium für eine bestimmte Gemeinde verfasst. Es handelte sich dabei also um Schriften, die auch auf die Probleme, Fragen und Glaubensvorstellung einer bestimmten Gruppe, nämlich für die sie geschrieben wurden, eingingen. Jedes der kanonischen Evangelien spiegelt einen ganz speziellen sozio-kulturellen Hintergrund wider, der deutlich in der Konzeption und Darstellung des Lebens und Verkündens Jesu zum Tragen kommt. Dabei konnten die Verfasser der Evangelien auf bereits vorhandene Stoffe und Sammlungen zurückgreifen. Wichtig ist hierbei, dass es den Evangelisten nicht um eine möglichst genaue historische Wiedergabe des Lebens Jesu ging, sondern um die Heilsverkündigung Jesu. Die Stärkung und Verbreitung des Glaubens an Jesus Christus war das Ziel und die Absicht dieser Schriften.

Bei der Betrachtung der vier kanonischen Evangelien lässt sich ein großer Unterschied zwischen Markus, Matthäus und Lukas auf der einen Seite und Johannes auf der anderen Seite feststellen. Der Unterschied liegt darin, dass das Johannesevangelium eine eigene Darstellung des Lebens und Wirkens Jesu gibt, die ohne erkennbare Einflüsse der anderen drei Evangelien ist, während die anderen drei Evangelien sehr stark von einander abhängen. Genauer gesagt, Matthäus und Lukas weisen eine deutliche Abhängigkeit von Markus auf. Diese Abhängigkeit und Ähnlichkeit lässt sich sehr leicht zeigen, wenn man die Texte in Spalten angeordnet nebeneinanderstellt und vergleicht. Dabei erhält man eine Zusammenschau der Texte. Der griechische Begriff für Zusammenschau lautet Synopse.

Seit Ende des 18. Jahrhunderts, mit Beginn der kritischen Bibelwissenschaft, werden die ersten drei Evangelien auch als synoptische Evangelien bezeichnet bzw. deren Verfasser als Synoptiker. Beim Vergleich der drei Evangelien hatte man bemerkt, dass der Stoff des Markus auch bei Matthäus und Lukas vorhanden war, und dass Matthäus und Lukas gemeinsame Passagen hatten, vor allem im Bereich der Jesus-Sprüche, die nicht bei Markus zu finden waren. Ferner gab es Stellen bei Matthäus und Lukas, die nur bei diesen beiden vorkamen.

Seit dem Entstehen der kritischen Bibelwissenschaft wurden vier verschiedene Theorien entwickelt, um dieses Phänomen der Abhängigkeit zu erklären. Die erste und älteste ging von einem nicht erhaltenen aramäischen Urevangelium aus, das von den Synoptikern eigenständig übersetzt wurde. Eine Erweiterung dieser These – sie wurde Traditionshypothese genannt – vermutete, dass die Übersetzer den Text bearbeiteten. Sie nahm ein mündliches Evangelium an, das von den einzelnen Evangelisten übersetzt, umgestaltet und schriftlich fixiert wurde. Die dritte...