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Kushiel - Das Zeichen - Roman

Jacqueline Carey

 

Verlag Heyne, 2013

ISBN 9783641135409

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

1. KAPITEL


Damit niemand annimmt, ich sei ein Kuckuckskind, das von lüsternem Bauernvolk unehelich gezeugt und in einem schlechten Erntejahr in die Leibeigenschaft verkauft wurde, will ich vorausschicken, dass ich einem der Dreizehn Häuser entstamme und im Nachtpalais selbst großgezogen wurde, auch wenn es mir nicht viel genützt hat.

Es fällt mir schwer, meinen Eltern dafür böse zu sein, obgleich ich sie um ihre Naivität beneide. Niemand hatte ihnen bei meiner Geburt gesagt, dass sie mich mit einem Unglück verheißenden Namen bedacht hatten. Sie nannten mich Phèdre, ohne zu wissen, dass dies ein hellenischer Name ist, auf dem ein Fluch lastet.

Bei meiner Geburt hatten sie, so glaube ich, noch Grund zur Hoffnung. Als ich die Augen zum ersten Mal aufschlug, waren sie noch von unbestimmter Farbe, und schließlich ändert sich das Aussehen eines neugeborenen Kindes ununterbrochen, verwandelt sich von Woche zu Woche. Blonde Strähnen weichen pechschwarzen Locken, anfängliche Blässe reift zu einem satten Goldbraun und so fort. Doch nachdem ich alle Stufen meiner frühkindlichen Wandlung durchlaufen hatte, war es offenkundig.

Ich hatte einen Makel.

Natürlich fehlte es mir nicht an Schönheit, selbst als Säugling nicht. Immerhin bin ich eine D’Angeline, und seit der Heilige Elua damals den Boden unserer großen Nation betrat und sie zu seiner Heimat ernannte, ist auf der ganzen Welt bekannt, was es bedeutet, ein D’Angeline zu sein. Die sanften Züge meiner Mutter spiegelten sich in zierlicher Vollkommenheit in meinem Gesicht wider. Auch wenn meine Haut für den Kanon des Jasmin-Hauses zu hell war, gab es gegen ihren elfenbeinfarbenen Teint nichts einzuwenden. Mein Haar, das sich anmutig und in üppiger Pracht lockte, war schwarz wie die Schatten der Nacht, was in manchen Häusern als besonderer Vorzug erachtet wurde. Meine Glieder waren gerade gewachsen und geschmeidig, meine Knochen ein Wunder an anmutiger Kraft.

Nein, das Problem war ein anderes.

Es waren meine Augen; und nicht einmal beide, sondern lediglich das eine.

Ein so kleines Detail bestimmte über ein ganzes Schicksal. Es war nichts weiter als ein winziges Körnchen, ein kleiner Fleck, ein bloßer Farbpunkt. Hätte er eine andere Färbung gehabt, wäre vielleicht alles anders gekommen. Als meine Augen sich klärten, leuchteten sie in der Farbe, welche die Dichter Bister nennen, dunkel und glänzend wie ein Waldweiher im Schatten uralter Eichen. Außerhalb von Terre d’Ange würde man vielleicht braun dazu sagen, doch die Sprache jenseits der Grenzen unseres Landes ist äußerst unzureichend, wenn es um die Beschreibung von Schönheit geht. Bister, also satt und dunkel glänzend – bis auf das linke Auge, in dessen Iris ein farbiger Fleck funkelte.

Er leuchtete Rot, und doch ist Rot nur eine sehr unvollkommene Bezeichnung für seine tatsächliche Farbe. Scharlachrot, könnte man sagen, oder Karmesinrot; röter als der Kehllappen eines Hahns oder der glasierte Apfel im Maul eines Schweins.

So kam ich auf die Welt, mit einem fluchbeladenen Namen und einem winzigen blutroten Punkt, der in meinem Blick prangte.

Meine Mutter war Liliane de Souverain, eine Adeptin des Jasmin-Hauses, deren Familie schon seit Generationen im Dienste Naamahs stand. Mit meinem Vater verhielt es sich ganz anders: Er war der dritte Sohn eines Handelsfürsten, doch war der Scharfsinn, durch den sein Vater in der Cité Eluas zu hohen Würden gelangt war, leider schon in jenem Samen verschwendet worden, mit dem seine älteren Brüder gezeugt worden waren. Er hätte uns dreien gewiss einen besseren Dienst erwiesen, hätten seine Neigungen ihn zu einem anderen Haus geführt; zum Bryonia-Haus zum Beispiel, dessen Adepten im geschickten Umgang mit Geldangelegenheiten ausgebildet werden.

Aber Pierre Cantrel hatte einen schwachen Verstand und starke Begierden, sodass er, wenn klingende Münze den Beutel an seinem Gürtel füllte und aufwallende Lust den Beutel zwischen seinen Beinen fast zum Bersten brachte, zum lasziven und sinnlichen Jasmin-Haus eilte.

Und dort, umgeben von der Ebbe seines Geistes und der Flut in seinen Lenden, verlor er obendrein auch noch sein Herz.

Von außen betrachtet mag es nicht so erscheinen, aber im Palais der Nachtblumen, das nur vom einfachen Volk aus den Provinzen mit anderen Namen belegt wird, herrschen komplizierte Gesetze und Regeln. So muss es auch sein, denn wir dienen nicht nur Naamah allein  – wie seltsam, dass ich es immer noch betone –, sondern auch den großen Abgeordnetenhäusern, den Nachfahren Eluas und seiner Gefährten und von Zeit zu Zeit sogar dem Königshaus selbst. Obgleich die königliche Familie nicht gerne zugeben mag, wie häufig wir ihren Söhnen und Töchtern tatsächlich schon gedient haben. Außenseiter behaupten, die Adepten würden wie Vieh gezüchtet, um Kinder zu zeugen, die dem jeweiligen Kanon der Häuser entsprechen. Dem ist jedoch nicht so; oder zumindest ist dies nicht verwerflicher als die Tatsache, dass andere Ehen aus politischen oder finanziellen Gründen arrangiert werden. Wir heiraten aus ästhetischen Gründen, das ist wahr, doch soweit ich zurückdenken kann, wurde noch niemand in einen Bund gezwungen, der ihm oder ihr zuwider gewesen wäre. Dies wäre ein grober Verstoß gegen die Gebote des Heiligen Elua.

Dennoch entspricht es der Wahrheit, dass meine Eltern ein zu ungleiches Paar waren, und als mein Vater um die Hand meiner Mutter anhielt, sah sich die Doyenne des Jasmin-Hauses gezwungen, abzulehnen. Dies war nicht weiter verwunderlich, denn meine Mutter war treu nach den Maßstäben ihres Hauses geformt, mit honigfarbener Haut, Haaren so schwarz wie Ebenholz und großen dunklen Augen, die schwarzen Perlen glichen. Mein Vater dagegen war von hellerem Teint. Er hatte flachsblondes Haar und dunkelblaue Augen. Wer konnte da voraussagen, was die Vermischung ihrer Anlagen hervorbringen würde?

Mich, natürlich, was der Doyenne im Übrigen recht gab. Ich habe das nie geleugnet.

Da er sie nicht mit der Erlaubnis des Nachtpalais ehelichen konnte, lief mein Vater kurzerhand mit meiner Mutter davon. Es stand ihr frei, mit ihm zu gehen, denn sie hatte ihre Marque mit neunzehn vollendet. Alle Adeptinnen und Adepten des Nachtpalais tragen in Andenken an Naamah traditionelle Muster auf dem Rücken, die ihnen von Marquisten auf die Haut gezeichnet werden. Sie dürfen jedoch nur Gaben zur Gestaltung ihrer Marque verwenden, die ihnen Freiersleute aus freien Stücken zur Huldigung Naamahs überreicht haben. Sobald ihre Marque vollendet ist, können sie das Nachtpalais verlassen und ihre Dienste auf eigene Rechnung anbieten. So machten sich meine Eltern, ausgestattet mit dem prallen Geldbeutel meines Vaters, der Gunst meines Großvaters und der Mitgift meiner Mutter, die sie für ihre Marque erhalten hatte, auf und davon.

Ich bin mir sicher, auch wenn ich sie seit meinem vierten Lebensjahr nicht mehr gesehen habe und daher nicht fragen konnte, dass beide glaubten, meine Mutter würde ein vollkommenes Kind, einen wahren Schatz für das Haus zur Welt bringen, den die Doyenne mit offenen Armen empfangen würde. Dort würde man mich großziehen, umsorgen und mich lehren, den Heiligen Elua zu lieben und Naamah zu dienen, und sobald ich meine Marque vollendet hätte, würde das Haus meinen Eltern ihren Pflichtteil auszahlen. Daran glaubten sie einst, davon bin ich überzeugt.

Gewiss war dies ein schöner Traum.

Das Nachtpalais ist nicht allzu grausam, und während meine Mutter im Kindbett lag, nahm das Jasmin-Haus sie wieder bei sich auf. Zwar konnte sie nicht auf Unterstützung für ihren unerwünschten Ehemann aus den Geldtruhen des Hauses hoffen, aber ihre Ehe war anerkannt und geduldet, da sie in gebührender Form vor einem Landpriester Eluas geschlossen worden war. Hätten die Ereignisse ihren vorgesehenen Lauf genommen und wären mein Aussehen und mein heranreifendes Wesen im Einklang mit dem Kanon des Hauses gewesen, wäre ich dort großgezogen worden. Hätte ich dem Kanon eines der anderen Häuser entsprochen – wie dies beinahe der Fall gewesen wäre –, hätte die Doyenne oder der Doyen bei meiner feierlichen Aufnahme in ihr Haus eine Bürgschaft für meine Erziehung bis zu meinem zehnten Lebensjahr geleistet. In beiden Fällen – hätte sie sich dazu entschlossen – wäre meiner Mutter die Ausbildung der Adepten anvertraut worden, und man hätte ihr im Gegenzug für meine Marque ein Ruhegeld gewährt. Da meines Vaters Beutel, wenn auch feurig, nicht gerade üppig ausgestattet war, hätten sie sicher diesen Weg gewählt.

Aber als sich herausstellte, dass der scharlachrote Fleck in meinem Auge mich für immer brandmarken würde, fasste die Doyenne einen endgültigen Entschluss. Ich hatte einen Makel. Unter den Dreizehn Häusern gab es kein einziges, dessen Kanon sich mit solch fehlerhaftem Gut nachsichtig zeigte. Das Jasmin-Haus würde nicht für meinen Unterhalt aufkommen, und wenn meine Mutter bleiben wollte, musste sie für uns beide sorgen, und zwar als Dienerin und nicht als Lehrerin.

Auch wenn er sonst nicht viel besaß, so hatte mein Vater seine leidenschaftlichen Eigenheiten, und Stolz war eine davon. Er hatte meine Mutter zur Frau genommen, und ihre Dienste sollten nur noch ihm zuteil werden und nicht länger vor Naamahs Altar dargereicht werden. Er bat seinen Vater, ihm die Verantwortung für eine Handelskarawane in Richtung Caerdicca Unitas zu übertragen, und nahm meine Mutter und mich zweijähriges Mädchen mit auf die Reise, damit wir gemeinsam unser Glück versuchten.

Unterwegs ließ er sich mit Straßenräubern und Söldnern gleichermaßen ein, zwischen denen kaum noch ein Unterschied bestand, seit Tiberium gefallen und die Sicherheit der Straßen nicht mehr gewährleistet war. Daher...