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Steelheart - Roman

Brandon Sanderson

 

Verlag Heyne, 2014

ISBN 9783641125660 , 448 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Prolog

ICH HABE STEELHEART BLUTEN SEHEN.

Das war vor zehn Jahren. Ich war damals acht. Mein Vater und ich hatten die First Union Bank in der Adams Street aufgesucht. Damals, vor der Annektierung, benutzten wir noch die alten Straßennamen.

Die Bank war riesig. Eine gigantische Schalterhalle mit weißen Säulen an den Seiten, in der Mitte ein Mosaikboden, hinten breite Türen, die tiefer ins Gebäude hineinführten. Zwei mächtige Drehtüren gingen zur Straße hinaus, neben ihnen gab es noch zwei normale Durchgänge. Männer und Frauen strömten hin und her, als sei der Raum das Herz eines gewaltigen Tieres, in dem der Lebenssaft der Menschen pulsierte, das Geld.

Ich kniete verkehrt herum auf einem Stuhl, der zu groß für mich war, und beobachtete die Menschen. Das tat ich gern – die unterschiedlichen Gesichter, die Frisuren, die Kleidung, die Mienen. Damals sahen die Menschen noch sehr unterschiedlich aus. Es war aufregend.

»David, dreh dich bitte herum«, sagte mein Vater. Er hatte eine leise Stimme, die er nie erhob, abgesehen von dem einen Mal bei der Beerdigung meiner Mutter. Ich schaudere heute noch, wenn ich daran denke, wie er an diesem Tag litt.

Widerwillig gehorchte ich. Wir saßen am Rand der Schalterhalle in einer der Nischen, in denen die Kreditberater arbeiteten. Unsere Nische wirkte wegen der gläsernen Wände nicht ganz so beengt, aber ich fühlte mich trotzdem unwohl. An den Wänden hingen kleine, mit Holz gerahmte Fotos von Familienangehörigen, auf dem Tisch stand eine Schale mit billigen Bonbons und einem Glasdeckel, den Aktenschrank zierte eine Vase mit verblichenen Plastikblumen.

Es war die Imitation eines gemütlichen Heims. Die aufgesetzte Freundlichkeit des Mannes, der uns bediente, passte gut dazu.

»Wenn wir mehr Sicherheiten hätten …« Der Kreditberater lächelte unaufrichtig.

»Alles, was ich besitze, ist dort aufgeführt.« Mein Vater deutete auf das Blatt, das zwischen uns auf dem Schreibtisch lag. Seine Hände waren voller Schwielen, die Haut war gebräunt, weil er so oft draußen in der Sonne arbeitete. Meine Mutter wäre zusammengezuckt, wenn sie gesehen hätte, dass er in Arbeitshosen und dem alten T-Shirt mit der aufgedruckten Comicfigur einen so wichtigen Termin wahrnahm.

Wenigstens hatte er sich die Haare gekämmt, die allmählich schütter wurden. Der Verlust traf ihn nicht so sehr wie viele andere Männer. »Das heißt doch nur, dass ich nicht mehr so oft zum Friseur muss, Dave«, hatte er mir lachend erklärt und war sich mit gespreizten Fingern durch die ausgedünnten Haare gefahren. Ich hatte ihn nicht darauf hingewiesen, dass er sich irrte. Er musste natürlich genauso oft wie früher zum Friseur, solange ihm nicht sämtliche Haare ausgefallen waren.

»Ich fürchte, ich kann nichts weiter für Sie tun«, erwiderte der Kreditberater. »Das wurde Ihnen auch schon einmal gesagt.«

»Ihr Kollege war der Ansicht, dass es reicht.« Mein Vater faltete die großen Hände. Er machte sich Sorgen, große Sorgen.

Der Kreditberater lächelte ungerührt und tippte auf einen Stapel Papiere auf seinem Schreibtisch. »Die Welt ist jetzt viel gefährlicher, Mister Charleston. Die Bank hat sich entschieden, keine Risiken mehr einzugehen.«

»Gefährlicher?«, fragte mein Vater.

»Nun ja, Sie wissen schon, die Epics …«

»Aber die sind doch nicht gefährlich«, erwiderte mein Vater leidenschaftlich. »Die Epics sind hier, um uns zu helfen.«

Nicht das schon wieder, dachte ich.

Nun verging dem Kreditberater das Lächeln, als hätte ihn der Ausbruch meines Vaters erschreckt.

»Verstehen Sie es denn nicht?« Mein Vater beugte sich vor.

»Es sind keine gefährlichen Zeiten. Es sind wundervolle Zeiten!«

Der Kreditberater legte den Kopf schief. »Wurde Ihr altes Haus nicht von einem Epic zerstört?«

»Wo es Schurken gibt, da gibt es auch Helden«, erklärte mein Vater. »Warten Sie nur ab. Sie werden kommen.«

Ich glaubte ihm. Damals dachten viele Menschen wie er. Calamity war zwei Jahre vorher am Himmel erschienen, und ein Jahr zuvor hatten sich die ersten normalen Menschen in Epics verwandelt. Sie waren beinahe wie die Superhelden aus den Geschichten.

Damals hatten wir noch Hoffnung und wollten die Wahrheit nicht sehen.

»Nun …« Der Kreditberater faltete direkt neben einem aufgestellten Foto, das lächelnde afroamerikanische Kinder zeigte, die Hände. »Leider teilen unsere Risikoprüfer Ihre Position nicht. Sie müssen …«

Ich achtete nicht mehr auf das, was die beiden weiter besprachen. Mein Blick wanderte zu den Besuchern, und ich kniete mich wieder verkehrt herum auf den Stuhl. Mein Vater war zu sehr in die Unterhaltung vertieft, um mich zu ermahnen.

Deshalb konnte ich beobachten, wie der Epic die Bank betrat. Ich bemerkte ihn sofort, auch wenn sonst kaum jemand auf ihn achtete. Die meisten Menschen behaupten, man könne einen Epic nicht von einem normalen Menschen unterscheiden, solange er seine Kräfte nicht einsetzt, aber da irren sie sich. Epics verhalten sich anders. Diese sichere Ausstrahlung, diese Selbstzufriedenheit. Ich konnte sie jederzeit erkennen.

Obwohl ich noch ein Kind war, bemerkte ich sofort, dass dieser Mann anders war. Er trug einen locker sitzenden schwarzen Geschäftsanzug mit hellbraunem Hemd, aber keine Krawatte. Er war groß, schlank und kräftig, wie es viele Epics waren, muskulös und von einer Kraft erfüllt, die man trotz der lockeren Kleidung nicht übersehen konnte.

Er schritt mitten in den Raum. In der Brusttasche klemmte eine Sonnenbrille, die er jetzt lächelnd aufsetzte. Dann hob er eine Hand, deutete auf eine Frau, die vorbeiging, und machte eine Bewegung, als wollte er jemandem auf die Schulter tippen.

Sie zerfiel zu Staub, die Kleidung verbrannte, das Skelett stürzte klappernd auf den Boden. Die Ohrringe und der Ehering hatten sich nicht aufgelöst. Mit einem lauten Klirren, das ich trotz des Lärms im Raum gut hören konnte, fielen sie herunter.

Es wurde totenstill in der Schalterhalle. Die Menschen hielten entsetzt inne. Sämtliche Unterhaltungen erstarben. Nur der Kreditberater hörte nicht auf, meinem Vater einen Vortrag zu halten.

Erst als die Schreie einsetzten, unterbrach er sich.

Ich weiß nicht mehr, wie ich mich fühlte. Ist das nicht seltsam? An die Beleuchtung erinnere ich mich gut – unter der Decke hingen prächtige Lüster, die gebrochenes Licht in den Raum sprenkelten. Auch den Zitrone-Ammoniak-Geruch des kürzlich gewischten Mosaikbodens habe ich noch in der Nase, und die schrillen Angstschreie höre ich bis heute. Ich sehe die Menschen voller Angst zu den Ausgängen stürzen.

Am deutlichsten erinnere ich mich an den breit lächelnden Epic – die Miene wirkte beinahe höhnisch –, der auf die fliehenden Menschen zielte und sie mit einer kleinen Geste bis auf die Knochen zu Asche verbrannte.

Wie gebannt sah ich zu, wahrscheinlich hatte ich einen Schock erlitten. Ich hielt mich an der Stuhllehne fest und beobachtete das Gemetzel mit weit aufgerissenen Augen.

Einige Bankkunden, die sich in der Nähe der Tür aufgehalten hatten, konnten fliehen. Wer dem Epic zu nahe kam, starb im Handumdrehen. Anstellte und Kunden kauerten auf dem Boden oder versteckten sich hinter den Schreibtischen. Seltsamerweise wurde es nun wieder ganz still in dem Raum. Der Epic stand da, als sei er allein, einige Papiere segelten durch die Luft, vor ihm lagen Knochen und schwarze Asche auf dem Boden.

»Ich heiße Deathpoint«, verkündete er. »Zugegeben, das ist kein sehr einfallsreicher Name, aber man kann ihn sich gut merken.« Es klang fast beiläufig, als unterhielte er sich bei einem Drink mit seinen Freunden.

Dann schlenderte er durch die Schalterhalle. »Heute Morgen ist mir etwas eingefallen«, fuhr er fort. Der Raum war so groß, dass es hallte. »Beim Duschen kam es mir in den Sinn. Ich habe mich gefragt: Deathpoint, warum willst du heute eigentlich eine Bank ausrauben?«

Lässig zielte er auf zwei Wachleute, die neben den Verschlägen der Kreditberater aus einem Seitengang spähten. Sie zerfielen zu Staub, und die Abzeichen, die Gürtel, die Waffen und die Knochen fielen klappernd zu Boden. Im Körper eines Menschen gibt es viele Knochen. Viel mehr, als mir bewusst war, und wenn sie einfach so herunterfallen, entsteht ein großes Durcheinander. Seltsam, dass mir in diesem schrecklichen Moment ausgerechnet dieses Detail auffiel, aber ich kann mich noch genau daran erinnern.

Ich spürte eine Hand auf der Schulter. Mein Vater hatte sich vor seinen Stuhl gehockt und wollte mich herunterziehen, damit mich der Epic nicht bemerkte. Ich wollte mich jedoch nicht rühren, und mein Vater konnte mich nicht zwingen, ohne Deathpoints Aufmerksamkeit zu erregen.

»Ich habe das schon seit Wochen geplant«, fuhr der Epic fort. »Aber erst heute kam mir diese Frage in den Sinn. Warum? Warum die Bank ausrauben? Ich kann auch so alles bekommen, was ich haben will. Es ist lächerlich!« Er sprang um einen Schalter herum, worauf die dahinter kauernde Kassiererin...