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Kaufen Sie noch ein Los, bevor wir abstürzen - Aus meinem Alltag als Pilotin bei einer Billig-Airline

Julia November

 

Verlag riva Verlag, 2014

ISBN 9783864135064 , 208 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR

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Reaktionen des Umfelds


Wenn sich ein Sohn für den Beruf des Piloten entschließt, wird das vermutlich seinen Vater stolz machen, seine Mutter ebenso. Die Entscheidung wird vom Umfeld zumeist durchweg positiv wahrgenommen. Fliegen – das klingt schließlich nach Freiheit, das klingt abenteuerlich und ausgesprochen männlich. Als ich mich hingegen für die Fliegerei entschied, protestierten meine Großeltern vehement. Das sei doch nichts Gescheites, mit diesem Beruf würde ich ganz sicher niemals geheiratet werden – ein Gedanke, der meine arme Oma ernstlich umtrieb. Sie machte sich große Sorgen, zumal ich alle ihre Versuche, mir das Stricken, Sticken oder das Kochen von Hausmannskost beizubringen, hartnäckig verweigert hatte. Ihr war stets anzusehen, dass meine Berufswahl in ihren Augen einem großen Scheitern gleichkam. Mein Großvater krönte seine Skepsis, indem er mich spöttisch aufzog: »Glaubst du wirklich, wenn schon einige Männer mit dem Beruf nicht zurechtkommen, dass du das dann packst?« Ich blieb ebenso trotzig wie damals, als ich mich geweigert hatte zu lernen, wie man mehlige Kartoffeln so lange breiig kocht, dass man sie hinterher in einer klumpig gebräunten Mehlschwitze ertränken kann.

Meine Oma startete noch ein paar Versuche. Sie schenkte mir Handtücher und Spitzendeckchen und steckte mir bisweilen Geld zu, damit ich mir einen gescheiten Rock kaufen könnte und nicht immer nur diese amerikanischen Jeans (wobei ein »gescheiter Rock« bei ihr selbstredend bis zum Knie ging und nicht, wie in meiner Vorstellung, nur knapp bis über den Po). Ganz nebenbei fragte sie mich, ob ich nicht mal zum Backen vorbeikommen wollte, und immer wieder versuchte sie herauszufinden, ob es da nicht vielleicht doch einen adretten jungen Mann aus gutem Hause gab, der mir die Flugflausen austreiben und mich anschließend zu einer kirchlichen Hochzeit und ein paar bodenständigen Urenkelchen überreden würde.

Meine Eltern hingegen waren großartig. Sie förderten und unterstützten mich und taten alles, damit ich meine Ausbildung abschließen konnte. Die Einwände meiner Großeltern sowie von Freunden und Bekannten ignorierten sie oder argumentierten sachlich und überlegt dagegen an. Meine Mutter begab sich sogar mit mir auf Wohnungs- beziehungsweise Zimmersuche in Flugschulnähe. Sie nähte mir Vorhänge und Kissen und machte mit mir die große Runde durch den IKEA-Container, wo sie mir meine Erstausstattung an Salatschüsseln und Töpfen kaufte und mich so flügge werden ließ. Sie und mein Vater hatten sich auf die Fahnen geschrieben, dass sie jedes ihrer Kinder bei seinem Wunschberuf unterstützen würden, egal, wie viele dumme Kommentare sie sich dafür anhören müssten.

Als ich zu arbeiten begann, wurden meine Eltern für ihren Freundes- und Bekanntenkreis endgültig zu kuriosen Exoten, zumal zwischenzeitlich auch mein Bruder ein Studium im Ausland begonnen hatte. Sie waren die, die ihren Kindern dabei halfen, höchst seltsame Träume auszuleben. Diese merkwürdige Tochter flog nun tatsächlich! Ein mittelgroßes Flugzeug! Bei einem Billigflieger!

Viele Bekannte unterhielten sich fortan mit meinen Eltern, als seien diese Zeugen einer Ufo-Landung geworden oder würden heimlich kleine grün und blau getupfte, fließend Kapadokisch sprechende Aliens im Keller züchten. Die Leute musterten meine Eltern, als ob die Ärmsten sich irgendeinen Infekt eingefangen hätten, den man bei sich selbst besser rechtzeitig erkennt, um dagegen angehen zu können. Die Freunde meiner Eltern waren fasziniert, gruselten sich aber vor der Vorstellung, ihre eigenen Kinder könnten ebenfalls derart verdorbene Ideen entwickeln.

So führte meine Mutter einige Gespräche beim Dorfbäcker, die in etwa so verliefen: »Ach Mensch, hallo! Du, ich hab gehört, deine Tochter ist jetzt … äh … Pilotin?!«

Wobei die Stimme der Bäckerin immer mehr ins Flüstern verfiel und das Wort »Pilotin« betont wurde, als sei eigentlich »Prostituierte« gemeint.

»Und … äh … euer Sohn, der ist jetzt wirklich in Frankreich? Und studiert da? Das ist ja sooo weit weg! Und diese fremde Kultur … Ogottogott … Na ja, wenn man es mag. Für unsere Lisa und den Tom wäre so was ja nichts, die haben wir ganz bodenständig erzogen. Lisa macht jetzt übrigens eine Lehre als Bankkauffrau!«

Meine Mutter konnte manchmal gar nicht schnell genug eine Antwort finden, obwohl sie eigentlich eine sehr schlagfertige Person ist.

Zuweilen kamen auch Leute und fragten, ob meine Mutter es nicht furchtbar schwer hätte. Sie lächelte dann und erwiderte: »Nein, ich wüsste auch nicht, wieso!« Und meinem Vater schlug man jovial auf die Schulter und meinte, er habe ja eine vollkommen verkehrte Welt herangezogen. Der Sohn studierte im weibischen »Fronkreisch«, während die Tochter zum fliegenden Mannsweib wurde. Ob ich denn einen Freund hätte, na, er wisse schon … oder vielleicht doch eine kleine Freundin, haha?

Meine Eltern wurden notgedrungen zu Reise- und Buchungsexperten, da man sie ständig anrief, sobald irgendwo auf der Welt ein Flugzeug abstürzte. »Gott, habt ihr schon gehört – das ist ja total furchtbar! Wie geht es euch denn da als Eltern? Und dir, als Mutter?! Oh, ihr Armen!« Offenbar gingen die Bekannten davon aus, dass jedes Unglück sofort persönliche Assoziationen weckte und meine armen Eltern sich stets grämend auf dem Sofa zusammenrollten. Jeder dieser Anrufe wirkte wie ein kleiner Vorschuss an Beileid, ganz so, als müsste man meine Eltern schon mal auf den Tag vorbereiten, an dem ein Kriseninterventionsteam sie abholen und zu meiner Absturzstelle bringen würde.

Meine Mutter reagierte äußerlich wie immer stoisch und gelassen, und die Anrufer bekamen lediglich einen trockenen Kommentar serviert. Innerlich ärgerte sie sich allerdings über ihren sensationslüsternen Bekanntenkreis und rief mich in diesen Situationen oftmals empört an. Sie werde schließlich auch nicht bei jedem Autounfall in Frankreich gleich angerufen oder sobald eine Bombe in Kabul explodierte (mein Bruder arbeitete inzwischen bei der Bundeswehr). Was denn an Flugzeugunglücken bloß immer so toll sei?

Ich konnte ihr das auch nicht beantworten. Vielleicht war es der Nervenkitzel, dass man selbst als Passagier einmal betroffen sein könnte. Und ein schnöder Autounfall in Frankreich war als Gesprächsthema zu banal, während Afghanistan wiederum zu weit weg war und als politisches Thema die Menschen zu sehr polarisierte, als dass es für den alltäglichen Small Talk infrage gekommen wäre.

Zu Beginn meiner Karriere war die Airline noch relativ unbekannt in Deutschland. Entsprechend oft kam es vor, dass man meine Eltern besorgt fragte, was das denn für eine Firma sei. Billigflieger waren damals erst auf dem Vormarsch, und alle Unternehmen jenseits der Lufthansa hatten einen leicht anrüchigen Touch. Viele Freunde und Bekannte stellten sich offenbar ein abgewracktes kleines Flugzeug mit zusammengetackerten und mit Klebeband geflickten Tragflächen vor. So ganz genau wussten meine Eltern natürlich auch nicht, was das für eine ausländische Firma war, dem sie ihre Tochter da anvertrauten. Sie konnten aber zumindest versichern, dass die Flugzeuge, soweit sie das gehört hatten, neu und nicht alt und geflickt waren.

Meine Eltern waren stets klassische Auto-Touristen gewesen und wussten ohnehin nicht viel zu den verschiedenen Flugzeugen der einzelnen Airlines zu sagen. Als sie dann das erste Mal mit meinem neuen Arbeitgeber flogen, waren sie daher etwas aufgeregt. Meinem Vater war anzusehen, dass er kurz davor war, jedem, der es hören oder auch nicht hören wollte, gleich mitzuteilen, dass seine Tochter bei diesem Unternehmen als Pilotin arbeitete und sowieso die Schönste und Klügste und Bezaubernste von allen war. Weil ich um den liebevollen Stolz wusste, mit dem er das Flugzeug betrat, hatte ich ihn vorher gebeten, sich einfach zu entspannen, den Flug zu genießen und ein wenig auf meine Mutter zu achten, die trotz aller Coolness leider weder große Höhen mag noch gern auf Dingen steht oder sitzt, die allzu wackelig sind.

Die beiden überstanden den Flug offenbar gut. Meine Mutter, ohne grün zu werden und gleich die nächstbeste Kotztüte zu füllen, mein Vater, ohne alle umliegenden Passagiere mit den Kindheitsgeschichten einer der angestellten Pilotinnen zu behelligen. Da nach Aussage der Kabinencrew weder Babyfotos gezeigt noch Geschichten von meiner Zeit auf der Flugschule erzählt worden waren und sich auch kein Passagier beschwert hatte, dass ein attraktiver Herr mittleren Alters nicht mehr zu reden aufgehört hätte, muss mein Vater den Flug wirklich genossen haben. Oder meine Mutter hatte ihm schlichtweg Redeverbot erteilt.

Nach ihrem Flug stand das Telefon zu Hause endgültig nicht mehr still. Meine Eltern waren nun zu Billigflugexperten mit persönlichem Erfahrungshintergrund avanciert und mussten haarklein von ihren Erlebnissen berichten.

»Und es war wirklich ein ganz normales Flugzeug?«, fragte eine der Freundinnen.

»Nee«, sagte meine Mutter, »da saßen kleine Männchen in so einem Rad, und wenn man Münzen eingeworfen hat, dann haben die Männchen zu treten begonnen und die Triebwerke haben sich gedreht. Die mussten ganz schön treten, bis wir abgehoben sind. Junge, Junge!«

»Oh wirklich?«, quiekte die sogenannte Freundin entsetzt und entzückt zugleich.

»Boah, natürlich nicht! Sag mal, bist du schon mal geflogen? Ist ja unglaublich!«, erwiderte meine Mutter, und das Gespräch war daraufhin relativ schnell beendet.

Mit der Sensationslust paarte sich allerdings auch die Gier. Einige Freunde wollten gern ein Stückchen vom Kuchen abbekommen, und...