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Aus dunklem Tann - Karl May´s Gesammelte Werke Band 43

Karl May

 

Verlag Karl-May-Verlag, 1973

ISBN 9783780215437 , 403 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

DER GIFTHEINER (S. 188-189)

Der Vogelsteller

Es war ein wunderschöner Frühlingsmorgen, so warm und so sonnig wie nur selten einer im Gebirge. Der freundliche Sonnenstrahl trank die glänzenden Tautropfen von den jungen Pflanzenspitzen und ließ die Nebelballen in wunderlichen Gestalten von Tal zu Berg steigen. Die schon längst aus dem Süden zurückgekehrten befiederten Sänger des Waldes hatten ihr Frühkonzert begonnen und ließen sich in ihrem fröhlichen Gezwitscher durch den Mann, der am Rand der Waldwiese an einem Baum lehnte, nicht stören.

Er achtete ihrer ja auch nicht, sondern schaute so ernst und gedankenvoll in die blaue Ferne, als ob die Nähe mit ihrem blühenden, duftenden und jauchzenden Leben für ihn nicht vorhanden sei. Doch ja, sie schwiegen plötzlich; er hatte seine Stimme erhoben und ließ ihren herrlichen Tenor mit einer Fülle ertönen, die die Vögel verstummen ließ und wie heller Glockenklang über die Wipfel des zur Tiefe sich senkenden Waldes hinflutete.

„So schwer wie der Fichtelberg Ist mir das Herz, Und so hoch wie der Fichtelberg Wächst mir der Schmerz. Es fließt von dem Fichtler Manch Wasser ins Meer Und kommt dann im Regen Und Tau wieder her.“


Die Vögel fielen am Schluss der Verse beifällig und mit verdoppeltem Eifer in ihre Weisen; er schien es nicht zu hören. Er sah auch nicht, dass ein anderer sich ihm näherte und lauschend hinter ihm stehen blieb.

„Ich stand auf dem Fichtelberg, Gab ihr die Hand; Sie ging von dem Fichtelberg Fort in das Land. Nun fällt von dem Fichtler Manch sehnender Blick Und bringt aus der Fern doch Nur Tränen zurück.“

„Bravo, bravissimo!“, ließ sich der unbemerkte Horcher jetzt hören. „So eine Stimme wie dem Giftheiner seine gibt’s net wieder, so weit der Fichtler schaut, und so schöne Reim bringt erst recht gar niemand net fertig. Die Liebste ist ihm ausgerissen und hat ihm die Treu gebrochen; darum singt er nun den Fichtelberg an und weint Honig dazu. Warum weinst net Schwefelsäure oder Salpeterwasser? Das wär doch besser zu brauchen!“

Der Sänger hatte sich ihm zugewandt und, ohne eine Miene zu verändern, ihn aussprechen lassen. Dann aber fasste er ihn mit einem unerwarteten Griff bei der Brust, drückte ihn an den Stamm des nächststehenden Baumes und bearbeitete seine Wangen so kräftig mit der flachen Rechten, dass der Schall der Streiche weithin vernehmbar war. „So, da hast’s Geld für deine schöne Red, Kartenbalzer! Ist’s genug oder willst du noch mehr?“

Die Ohrfeigen waren so überraschend schnell und ohne alle vorhergehende Einleitung über den Getroffenen hereingebrochen, dass er gar keine Zeit gefunden hatte, sich auf die Gegenwehr zu besinnen. Er schien diese auch nicht für ratsam zu halten, denn kaum fühlte er sich von der starken Faust, die ihn gehalten hatte, befreit, so wich er, die Hände an das erglühte Gesicht legend, behutsam um einige Schritte zurück.