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Julia und die Stadtteilritter

Antje Herden

 

Verlag Tulipan Verlag, 2014

ISBN 9783864292095 , 200 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

7,99 EUR


 

 

Heute Nacht habe ich von dem Baumhaus aus Mamas famosem Kindheitserinnerungsbuch geträumt. Allerdings hockte ich ganz alleine da drin und wartete auf die anderen. Bevor die kamen, wachte ich leider auf. Beim Zähneputzen grübele ich darüber nach, wer die anderen wohl gewesen sein könnten. Denn eigentlich habe ich nur eine richtige Freundin.

Herr Radetzky klopft schon das zweite Mal an die Badezimmertür. »Julia, ich muss mich wirklich fertig machen.«

»Moment, ich putze mir immer noch die Zähne«, blubbere ich zwischen zwei Zahnpastaschaumblasen hervor.

»Wenn du noch länger putzt, werden deine Zähne dünn wie Papier und rasiermesserscharf«, sagt Herr Radetzky durch die Tür.

»Quatsch«, blubbere ich und eine kleine, weiße Flocke fliegt gegen den Spiegel.

Nach dem Ausspülen fahre ich aber vorsichtshalber mit der Zunge über meine Zahnkante. Alles in Ordnung.

Herr Radetzky ist Mamas Freund. Die meiste Zeit wohnt er bei uns. Eigentlich heißt er gar nicht Herr Radetzky, sondern Michel. Aber Michel ist der Name eines frechen schwedischen Jungen. Weil Mamas Freund weder frech noch Schwede ist, aber den Radetzky-Marsch auf einem Kamm blasen kann, nenne ich ihn Herrn Radetzky. Er hat nichts dagegen. Das gefällt mir.

Später auf dem Schulweg fährt ein BMX-Rad ganz knapp an mir vorbei.

»Hoppsala!«

Es ist Paul. Paul ist ein Angeber und findet sich unheimlich toll. So toll, dass er eigentlich mit niemandem spricht. Er kam erst vor zwei Wochen in unsere Klasse. Aus irgendeinem Grund denkt er, es sei lustig, mich jeden Morgen abzupassen und beinahe umzufahren. Und jedes Mal sagt er »Hoppsala!«. Ich finde das total albern.

Dann rast er davon, springt kurz auf den Poller vor der Kirche, rutscht die kleine Mauer runter und fährt im Stehen weiter. Wenn ich in die Klasse komme, beachtet mich »Mister Obercool aus der großen Stadt« aber nicht mehr.

Luisa ist heute nicht da. Der Platz neben mir bleibt leer. Das ist schade. Nun muss ich in der Pause alleine auf dem Schulhof herumstehen. An solchen Tagen will die Zeit überhaupt nicht vergehen. Ob sie plötzlich krank geworden ist oder einfach keine Lust hatte, in die Schule zu gehen?

Unser Deutschlehrer kommt in die Klasse. Herr Hänsel ist nett. Außerdem sieht er süß aus. Findet jedenfalls meine Mutter. Obwohl sie mir so etwas eigentlich gar nicht sagen sollte. Das ist mir nämlich peinlich. Ich weiß auch nicht, wie Herr Radetzky das finden würde.

»Hört mal bitte alle her«, sagt Herr Hänsel und schaut erwartungsvoll in die Runde. Dabei sollten wir das doch tun, erwartungsvoll schauen, meine ich. Natürlich nicht in die Runde, sondern ihn an. Aber die meisten fummeln unterm Tisch an ihren iPods und Handys herum oder blättern in Heften und Büchern.

»Heute beginnen wir mit unserem Projekt«, fährt Herr Hänsel fort, ohne sich an uns zu stören. Und da schauen ihn doch alle erwartungsvoll an. »Ich möchte, dass ihr jeweils zu viert oder zu fünft eine Projektgruppe bildet.«

Oh nein, so etwas mag ich gar nicht! Eine Gruppe zu bilden ist schon schlimm genug. Aber eine Projektgruppe? Was für ein Projekt überhaupt?

»Ihr werdet euch etwas überlegen, an dem ihr gemeinsam arbeiten werdet. Was es ist, steht jeder Gruppe frei. Aber das Projekt muss einen gemeinnützigen oder einen umweltbezogenen Hintergrund haben. Ihr könnt etwas bauen, ein Theaterstück einstudieren, eine Radiosendung oder eine Zeitung machen. Donnerstag in zwei Wochen sollt ihr dann eure Arbeiten vor der Klasse präsentieren.«

Ich mache meinen Mund wieder zu und versuche zu schlucken. Meine Spucke kratzt im Hals wie ein Scheuerschwamm.

»Können wir auch etwas alleine machen?«, fragt Alexander.

Na klar, wenn einer so etwas fragt, dann Alexander. Weil ihm keiner gut genug ist für eine Projektgruppe. Weil er denkt, er weiß und kann alles besser. Und jeder andere würde ihm nur die Note versauen. Alexander, der Besserwisser. Ich werde auf alle Fälle mit Luisa eine Projektgruppe bilden. Auch wenn wir nur zwei und nicht vier oder fünf sind. Aber das werden wir Herrn Hänsel schon irgendwie verklickern.

»Nein«, sagt Herr Hänsel. »Ein Zweck der Aufgabe ist es, gemeinsam zu arbeiten. In der nächsten Stunde stellen wir die Tische so, dass die Gruppen zusammensitzen können. Und jetzt wollen wir überlegen, welche Themen die Projekte haben könnten.«

Verena hat schon den Finger oben, bevor Herr Hänsel ausgeredet hat.

»Man könnte über unsere Stadt berichten. Zur Abwechslung mal über etwas Schönes, nicht immer nur über Probleme«, plappert Verena los, als Herr Hänsel sie anschaut. »Zum Beispiel, was es für Freizeitangebote gibt, die verhindern, dass die Leute immer nur vor der Glotze hängen. Oder wo und wie man sich engagieren könnte. Sozial, meine ich. Da gibt es ja immer so tolle Sachen.«

Verenas Fanklub sitzt die ganze Zeit daneben und nickt zu ihren Worten, als wären die ein superguter Beat. Mir wird richtig übel. Obwohl ich mich ärgere, dass ich mich darüber so ärgere.

»Das wäre doch ein nettes Thema«, sagt Herr Hänsel auch noch und Verena strahlt ihn an.

»Könnte man auch sein Hobby zum Projekt machen?«, fragt der dicke Mike Schubert. »Also, das wäre ja dann etwas, das einen interessiert. Also, wenn man mit dem Hobby anderen eine Freude machen würde oder helfen könnte, oder so?«

Der dicke Mike Schubert sagt eigentlich nie etwas. Darum ist er auch ganz rot im Gesicht. Dabei hören die meisten sowieso nicht zu, sondern reden durcheinander.

»Im Grunde schon. Du müsstest aber noch drei Mitschüler finden, die ebenfalls dein Hobby zu ihrem Projekt machen wollen«, antwortet Herr Hänsel freundlich.

Was wohl der dicke Mike Schubert für ein Hobby hat, mit dem er anderen helfen kann? Ich weiß nicht, ob es etwas gibt, bei dem ich mir vom dicken Mike Schubert helfen lassen würde. Ich muss ein bisschen kichern und finde mich schrecklich gemein.

Was können Luisa und ich bloß machen? Es wäre toll, einen Film zu drehen. Aber worüber? Über unser Leben? Das ist allerdings nicht besonders gemeinnützig. Und Mamas Versuche, unseren Müll zu sortieren, sind auch kein wirkliches Umweltprojekt. Die Streitereien zwischen Herrn Radetzky und meiner Mutter zu diesem Thema sind allerdings sehr spannend. Mama sammelt nämlich wie verrückt jede Flasche, jeden Fetzen Papier, jede Dose und jedes Stück Plastik, säubert, glättet und faltet die Dinge und verstaut ein jedes in einem entsprechenden Sack. Nur um dann zu guter Letzt doch alles einfach in die Mülltonne zu schmeißen. Weil das eben schneller geht, als zum Wertstoffsammelplatz zu laufen.

Außerdem will meine Mutter immer Wasser sparen. Manchmal benutzt sie einen ganzen Tag lang nur eine Schüssel Wasser zum Putzen und Saubermachen. Das Schmutzwasser kippt sie dann abends, wenn kein Nachbar und vor allem Frau Tulpe nicht schaut, heimlich ins Blumenbeet hinterm Haus. Sie hat mal gelesen, dass sich Seife besser abbaut, wenn sie von der Erde gefiltert und nicht einfach ins Abflussrohr geschüttet wird. Aber dann vergisst sie die nasse Wäsche in der Waschmaschinentrommel und muss sie nach zwei Tagen noch mal waschen, weil die so stinkt. Herrn Radetzky macht das ganz verrückt. Er rauft sich die Haare und beginnt eine Diskussion über Inkonsequenz. Aber ob Luisa und ich das filmen dürfen? Ich muss sie nachher gleich anrufen.

In der Pause gehe ich mit meinem Frühstücksbrot langsam in den Hof. Dort haben sich schon lauter aufgeregte Grüppchen gebildet. Ideen werden ausgetauscht, dringen an mein Ohr und ärgern mich. Da fällt mein Blick auf den tollen Paul. Er steht auch ganz alleine da und schaut in die Gegend. Als ob es auf unserem öden Betonschulhof irgendetwas Besonderes zu entdecken gäbe. Als er aufblickt, drehe ich mich schnell weg.

Nach der Schule rufe ich Luisa an.

»Hallo Julia«, sagt Luisas Mutter, und ich kann schon hören, dass irgendetwas nicht stimmt. »Luisa hat eine ganz schlimme Angina. Sie kann nicht sprechen. Du darfst sie in den nächsten Tagen auch nicht besuchen, wegen der Ansteckungsgefahr. Aber ich richte ihr Grüße von dir aus.«

»Auweia, wann kommt sie denn wieder in die Schule?«, frage ich. Auf einmal wird mir angst und bange wegen Herrn Hänsels Projekt.

»Der Arzt sagt, es kann schon zwei Wochen dauern.«

»Ach, du Schreck!«, rufe ich.

Als ich den Hörer wieder aufgelegt habe, gehe ich in die Küche, um mir etwas zum Essen zu machen. Dabei habe ich gar keinen Hunger mehr. Im Kühlschrank steht der Topf mit dem Gemüseeintopf, den ich mir aufwärmen soll. Aber mir wird schon vom Geruch ganz übel.

Ich stelle den Topf in den Kühlschrank zurück, schnappe mir meine Inliner und gehe auf Socken das Treppenhaus hinunter. Als ich an der Tür von Frau Tulpe vorbeikomme, wird die natürlich aufgerissen.

»Ach,...