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Rentner-Disco - Ein Best Ager-Roman

Rotraut Mielke

 

Verlag mainbook Verlag, 2014

ISBN 9783944124407 , 260 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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5,99 EUR


 

DREI


Die Villa Merton war wie so oft auch heute wieder gut besucht. Neben der ausgezeichneten Küche schätzte Martin besonders das angenehme Ambiente und den diskreten Service. Wie immer hatte er den Ecktisch reserviert, von dem man einen Ausblick auf die Terrasse und den Garten hatte, der jetzt im zeitigen Frühjahr nur wenige optische Reize zu bieten hatte.

Die regelmäßigen Treffen mit Frank Claasen, dem langjährigen Berater der Familie Herboltz, hatten fast schon privaten Charakter, wenn sich auch die Gespräche hauptsächlich um die neuesten Trends und Entwicklungen des Finanzmarktes drehten. So war heute die anhaltende Wirtschaftsflaute das nicht sehr erfreuliche Thema. Das perfekt zubereitete Essen versetzte die Herren in eine milde Stimmung.

„Der europäische Geldmarkt gibt nichts mehr her, und daran wird sich auch in absehbarer Zeit nichts ändern“, fasste Claasen zusammen. „China böte eventuell Möglichkeiten, aber Sie wissen ja, dass das Reich der Mitte seine Risiken hat. Man durchschaut letztlich nicht, was Theaterdonner ist und wo wirklich der Hase im Pfeffer liegt.“

Martin nickte und legte sein Besteck auf den Teller. Er hatte noch nie ein Faible für unkalkulierbare Risiken gehabt und gedachte nicht, seine konservativ ausgerichtete Anlagestrategie zu ändern. „Dann bleibt also mittelfristig fast nur der Immobilienmarkt.“

Claasen runzelte sorgenvoll die Stirn. „Und selbst da ist es schwierig, etwas Geeignetes zu finden. Wenn sich zu viele Investoren um denselben Kuchen streiten, werden die Stücke zwangsläufig kleiner.“

„Nun, es eilt ja nicht. Keinen Zeitdruck zu haben ist heutzutage ein unschlagbarer Vorteil.“ So schnell ließ sich Martin nicht entmutigen.

„Die Landflucht tut ein Übriges“, gab Claasen weiter zu bedenken. „In Zeiten steigender Benzinpreise ist ein Wohnsitz in den umliegenden Gemeinden nicht mehr lukrativ, die Einsparungen beim Kaufpreis werden schlichtweg aufgefressen durch die weiteren Wege. Aber auch Frankfurt selbst ist im Umbruch. Wenn das so weiter geht, verliert unsere schöne Stadt auch noch den letzten Rest an Profil. Diese schnell hoch gezogenen Wohnblöcke sind beliebig, da ist nichts mehr von der Unverwechselbarkeit zu spüren, die Frankfurt einmal hatte.“

Gedankenverloren betrachtete Martin die alten Bäume draußen. „Ein Herrenhaus wie dieses hier in Bockenheim, das muss eine Goldgrube sein. Gegessen wird immer, egal wie schlecht die Zeiten sind.“

Claasen lachte. „Da haben Sie zweifelsohne recht. Und wohnen müssen die Leute schließlich auch irgendwo.“

„Spacey, lass das gefälligst! Ich komme ja schon.“

Schon seit zwei Jahren versuchte Schorsch vergeblich, seinem Hund das Kratzen an der Haustür abzugewöhnen. Es war nicht die Sorge, dass die Tür einen Schaden davontragen könnte. Das massive Holz war sowieso verzogen und vom Zahn der Zeit schon deutlich angenagt, auf ein paar ramponierte Stellen mehr kam es da nicht an. Aber das Geräusch der Krallen auf dem Holz verursachte bei Schorsch jedes Mal eine unangenehme Gänsehaut. Er musste dann sofort alles stehen und liegen lassen und zur Leine greifen. Auch jetzt hievte er sich von der Couch hoch und stellte den Fernseher aus. Der Hund fiepte aufgeregt und zappelte herum. Nicht zu bändigen, dieses Temperamentsbündel!

Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, als Schorsch den Terriermischling als Welpen bei einem Bekannten gesehen und sich gleich unter den Arm geklemmt hatte. Ein spontaner Entschluss, den beide nie bereut hatten. Genau wie sein Herrchen war der Hund ein richtiger Großstadt-Guerilla, der sich mit Wonne durch die Straßen Frankfurts kämpfte. Er ging keinem Streit aus dem Weg, egal wie groß der gegnerische Hund war. Nach mehreren Vorfällen, die nach einer durchgerissenen Leine und blindwütiger Rauflust beim Tierarzt geendet hatten, erwies sich das jetzige Modell, eine äußerst stabile Konstruktion aus Kunststoff, endlich als beiß- und reißfest. Eine Weile war der Hund richtig gekränkt gewesen, aber inzwischen hatte er sich damit abgefunden, dass es am anderen Ende der Leine jemand gab, der ihm überlegen war.

Schorsch ließ die Haustür ins Schloss fallen. Er machte sich nicht die Mühe abzuschließen. Bei ihm gab es kaum etwas von großem Wert. Und hier, am äußersten Ende von Bornheim, funktionierte auch die nachbarliche Gemeinschaft noch recht gut. Jeder Fremde, der in seinem Hof herumschnüffelte, würde unweigerlich das Interesse der umliegenden Bewohner auf sich ziehen.

Die Barthaare des Terriers zitterten vor Erregung, als er, heftig an der Leine zerrend, das offene Hoftor passierte. An der Ecke hob er sofort das Bein und pinkelte inbrünstig eine Straßenlaterne an. Es war höchste Zeit gewesen, dass er endlich raus durfte. Geduldig wartete Schorsch, während der Hund schnüffelnd seine Umgebung erkundete. Er kannte das schon, es dauerte immer Ewigkeiten, bis sie sich zur Berger Straße vorgearbeitet hatten. Dann ging es meist etwas zügiger voran, weil die Lust am Laufen bei seinem Vierbeiner allmählich die Oberhand gewann.

Schorsch schlenderte stadteinwärts und warf ab und zu einen Blick in die Vorgärten. Seine übliche Runde dauerte eine gute halbe Stunde. Vorausgesetzt, sie trafen nicht auf einen von Spaceys Lieblingsfeinden wie diesen hysterischen Dalmatiner, den sein Frauchen kaum bändigen konnte. Oder auf die Mischlingsdame, von der sich sein Hund unwiderstehlich angezogen fühlte. Heute jedoch war von denen nichts zu sehen, so dass Schorsch seinen Gedanken nachhängen konnte. Es gab ein Problem mit dem Öldruck seiner 80er-BMW, das er noch nicht in den Griff bekommen hatte. Neben einem reichlich altersschwachen Golf war das fast genauso betagte Motorrad das Highlight seines Fuhrparks. Und der hielt ihn ganz schön auf Trab. Wenn die Dinge in die Jahre kamen, brauchten sie eben mehr Aufmerksamkeit.

Das galt im Übrigen auch für das Haus, in dem er wohnte, und die meisten Möbel darin, aber er hing an jedem einzelnen Stück. Seine heiß geliebte Oma hatte ihm alles vererbt. Das Häuschen hatte jetzt schon an die hundert Jahre auf dem windschiefen Buckel.

Der Gedanke an die Oma entlockte ihm ein Lächeln. Sie hatte ihn groß gezogen, nachdem seine Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren, als er noch ganz klein war. Sie hatte immer Pflaster für blutende Knie und ein tröstendes Stück Kuchen zur Hand gehabt und ihn mit ihrer patenten, praktischen Art zu einem aufrechten Menschen erzogen. Bei dem Problem mit dem Öldruck half ihm das jetzt allerdings kein Bisschen weiter. Er runzelte die Stirn und ließ sich gedankenverloren von dem eifrig schnüffelnden Hund weiterziehen.

Sie waren beim alten Finanzamt Nord angelangt. Das Gebäude stand seit ein paar Monaten leer, aber es passierte nichts damit. In den Fugen des gepflasterten Vorplatzes machte sich das Unkraut breit, und das Grünzeug rund um das Haus hatte sich zu einem regelrechten Dschungel entwickelt. Es war schon erstaunlich, wie schnell ein Garten verwilderte, wenn er nicht mehr gepflegt wurde. Amüsiert entdeckte Schorsch, dass das große ‚F’ an der Fassade abgerutscht war und jetzt in einem steilen Winkel nach unten hing. Das gab dem an sich bedrohlichen Wort fast etwas Heiteres.

Plötzlich ruckte die Leine in seiner Hand ein paar Mal und erschlaffte dann. Überrascht stellte Schorsch fest, dass der Hund am anderen Ende fehlte. Irgendwie hatte Spacey sich aus dem Halsband befreit und jagte nun laut bellend mitten in das Gestrüpp aus Efeu und Brennnesseln. Schorsch schaute ihm nach und entdeckte eine Katze, die nur ein paar Meter Vorsprung hatte und um ihr Leben rannte.

„Verdammt!“, murmelte er.

Sein Hund hatte Katzen zum Fressen gern, das war einfach nicht aus ihm herauszubekommen. Sobald er eine sah, zerriss es ihn fast, und er musste hinterher.

Binnen weniger Sekunden war von seinem Vierbeiner nichts mehr zu sehen. Nur ein wackelnder Holunderbusch zeigte an, wo die wilde Jagd stattfand. Schorsch holte tief Luft.

„Spacey!“, brüllte er aus vollem Hals. „Komm sofort her, du blödes Vieh!“

Mit dem Halsband in der Hand postierte er sich etwas ratlos vor dem Gebäude. Keine Chance, seinen Hund im dichten Unterholz zu finden. Da hörte er hinter sich ein Lachen.

„Da werden Sie wohl ein Weilchen warten müssen, bis Ihr Fiffi wieder auftaucht. Aber die Katze kriegt er nicht, die ist ihm über.“

Schorsch drehte sich um. Auf den Stufen vor dem Eingang saß ein alter Mann und lachte amüsiert. Froh, dass er es mit Humor nahm, ging Schorsch ein paar Schritte auf ihn zu und breitete in gespielter Verzweiflung die Arme aus. „Das ist halt sein Jagdtrieb, dagegen kommt man einfach nicht an.“

Der Mann trug einen blauen Arbeitsanzug und derbe Schuhe. Auf dem Kopf mit schütterem, weißen Haar saß eine gelbe Kappe mit der Aufschrift...