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Die Stahlhöhlen - Roman

Isaac Asimov

 

Verlag Heyne, 2014

ISBN 9783641132033 , 288 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

8,99 EUR


 

1.   Gespräch mit einem Kommissar

Lije Baley hatte gerade seinen Schreibtisch erreicht, als ihm auffiel, dass R. Sammy ihn erwartungsvoll ansah.

Die mürrisch wirkenden Linien in seinem langen Gesicht verhärteten sich. »Was willst du?«

»Der Chef will Sie sprechen, Lije. Gleich wenn Sie hereinkommen.«

»In Ordnung.«

R. Sammy blieb unbewegt stehen.

»In Ordnung, hab ich gesagt«, sagte Baley. »Geh jetzt!«

R. Sammy machte kehrt und entfernte sich, um seinen Pflichten nachzugehen. Baley fragte sich gereizt, warum diese Pflichten nicht auch von einem Menschen erfüllt werden konnten.

Er holte seinen Tabaksbeutel heraus, öffnete ihn und überlegte. Wenn er sich auf zwei Pfeifen pro Tag beschränkte, würde es bis zur nächsten Zuteilung reichen.

Dann trat er hinter seiner Trennwand hervor (sein Rang verlieh ihm seit zwei Jahren Anspruch auf eine Trennwand) und ging durch den Gemeinschaftsraum.

Simpson blickte von seinem Bildschirm auf, als er an ihm vorbeiging. »Der Chef will Sie sprechen, Lije.«

»Ich weiß. R. Sammy hat es mir gesagt.«

Ein Codeband quoll seitlich aus dem Bildschirm heraus, während das kleine Gerät sein Gedächtnis nach den gewünschten Informationen absuchte, die in winzigen Schwingungsmustern der glänzenden Quecksilberfläche im unteren Teil des Gerätes enthalten waren.

»Ich würde R. Sammy gerne in den Hintern treten, wenn ich nicht Angst hätte, mir dabei ein Bein zu brechen«, sagte Simpson. »Neulich habe ich Vince Barrett gesehen.«

»Oh?«

»Er hat sich nach seinem Job umgesehen, den er gern wieder hätte. Oder irgendeinen anderen Job hier bei uns. Der arme Teufel ist verzweifelt. Aber was hätte ich ihm denn sagen sollen? R. Sammy macht seine Arbeit, mehr gibt es da nicht zu sagen. Der Junge bedient jetzt irgendeinen Apparat in den Hefefarmen. Ein intelligenter Bursche war das übrigens. Und alle haben ihn gemocht.«

Baley zuckte die Achseln und meinte, wesentlich steifer als er das vorgehabt hatte oder als es seinen Empfindungen entsprach: »Das ist etwas, mit dem wir alle fertigwerden müssen.«

Der Chef hatte Anspruch auf ein Einzelbüro. Auf der Milchglasscheibe stand:

JULIUS ENDERBY

Schöne, hübsche Buchstaben, sorgfältig in das Glas eingeritzt. Und darunter stand:

COMMISSIONER OF POLICE,

CITY OF NEW YORK

Baley trat ein und sagte: »Sie wollten mich sprechen, Commissioner?«

Enderby blickte auf. Er trug eine Brille, weil er empfindliche Augen hatte und die üblichen Kontaktlinsen nicht vertrug. Es dauerte eine Weile, bis man sich an den Anblick gewöhnte, und erst anschließend kam man dann dazu, den Rest des Gesichts auf sich einwirken zu lassen; ein Gesicht, das nicht besonders auffällig war. Baley war davon überzeugt, dass der Commissioner seine Brille deshalb besonders schätzte, weil sie ihm Persönlichkeit verlieh. Und dann konnte er sich des Verdachts nicht erwehren, dass seine Augen vielleicht gar nicht so empfindlich waren.

Der Commissioner wirkte ausgesprochen nervös. Er schob sich die Manschetten zurecht, lehnte sich zurück und sagte mit viel zu herzlicher Stimme: »Setzen Sie sich, Lije. Setzen Sie sich doch!«

Baley nahm steif Platz und wartete.

»Wie geht’s Jessie?«, wollte Enderby wissen. »Und dem Jungen?«

»Gut«, sagte Baley ausdruckslos. »Gut, danke. Und Ihrer Familie?«

»Gut«, kam es wie ein Echo von Enderby. »Danke, gut.«

Es war ein schlechter Anfang gewesen.

Und Baley dachte: Irgendetwas mit seinem Gesicht stimmt nicht.

Und sagte: »Commissioner, es wäre mir recht, wenn Sie nicht R. Sammy schicken würden, wenn Sie mich sprechen wollen.«

»Nun, Sie wissen ja, wie ich über diese Dinge denke, Lije. Aber man hat ihn uns nun einmal geschickt, und ich muss ihn ja für irgendetwas einsetzen.«

»Es macht mich irgendwie unbehaglich, Commissioner. Er sagt mir, dass Sie mich sprechen wollen, und dann steht er einfach da. Sie wissen schon, wie ich das meine. Ich muss ihm sagen, dass er weggehen soll, sonst bleibt er einfach stehen.«

»Oh, das ist meine Schuld, Lije. Ich hab ihm den Auftrag gegeben und vergessen, ihm ausdrücklich zu sagen, dass er anschließend wieder an seine Arbeit gehen soll, wenn er fertig ist.«

Baley seufzte. Die feinen Runzeln um seine auffällig braunen Augen traten deutlicher hervor. »Nun, Sie wollten mich jedenfalls sprechen.«

»Ja, Lije«, sagte der Commissioner, »aber das ist eine recht schwierige Angelegenheit.«

Er stand auf, wandte sich ab und ging an die Wand hinter seinem Schreibtisch. Er berührte einen unauffälligen Schalter, worauf ein Teil der Wand durchsichtig wurde.

Bei dem unerwartet grellen, grau wirkenden Licht kniff Baley unwillkürlich die Augen zusammen.

Der Commissioner lächelte. »Ich habe mir das letztes Jahr einrichten lassen, Lije. Ich glaube nicht, dass ich es Ihnen schon einmal gezeigt habe. Kommen Sie her und sehen Sie sich das an. Früher hatten alle Zimmer so etwas. Man nannte das ›Fenster‹. Haben Sie das gewusst?«

Baley wusste das sehr wohl; schließlich hatte er viele historische Romane gesichtet.

»Ich habe davon gehört«, sagte er.

»Kommen Sie her!«

Baley zögerte etwas, tat dann aber, was der andere wollte. An dem Vorgang, das Privatleben eines Zimmers der Außenwelt offenzulegen, war irgendwie etwas Ungehöriges. Manchmal ging der Commissioner mit seiner Vorliebe für das Mittelalterliche etwas weit, und dann wurde es peinlich – um nicht zu sagen albern.

So wie seine Brille, dachte Baley.

Das war es! Das hatte ihn an seinem Gesicht gestört!

Und dann meinte er: »Entschuldigen Sie, Commissioner, aber Sie tragen eine neue Brille, nicht wahr?«

Der Commissioner starrte ihn etwas überrascht an, nahm die Brille ab und sah zuerst sie und dann Baley an. Ohne Brille wirkte sein rundes Gesicht noch runder, und sein Kinn ein wenig auffälliger. Und irgendwie wirkte er auch vage, weil seine Augen offenbar nicht richtig fokussierten.

»Ja«, sagte er.

Er setzte sich die Brille wieder auf und fügte mit echtem Zorn hinzu: »Ich hab die alte vor drei Tagen zerbrochen. Und dann war ich die ganze Zeit irgendwie beschäftigt und konnte mir erst heute Morgen eine neue besorgen. Lije, diese drei Tage waren scheußlich.«

»Wegen der Brille?«

»Und auch wegen anderer Dinge. Darauf komm ich gleich.«

Er wandte sich wieder zum Fenster, und Baley tat es ihm gleich. Baley erkannte mit einem leichten Schock, dass es regnete. Einen Augenblick lang nahm ihn das Schauspiel vom Himmel fallenden Wassers völlig gefangen, während der Commissioner sichtlich stolz wirkte, ganz so, als hätte er das Phänomen arrangiert, um es seinem Besucher vorzuführen.

»Das ist jetzt das dritte Mal in diesem Monat, dass ich es regnen sehe. Ein interessanter Anblick, finden Sie nicht?«

Baley musste sich widerwillig eingestehen, dass es ein eindrucksvolles Bild war. In seinen zweiundvierzig Jahren hatte er selten Regen gesehen oder, was das betraf, irgendwelche anderen Naturphänomene.

Er meinte: »Mir kommt es immer wie Verschwendung vor, dass so viel Wasser auf die Stadt herunterfällt. Es sollte sich auf die Reservoirs beschränken.«

»Lije«, sagte der Commissioner, »Sie sehen die Dinge nur von der modernen Warte. Das ist ja unser Problem. Im Mittelalter haben die Leute im Freien gelebt. Ich meine nicht nur auf den Farmen, ich meine auch in den Städten. Selbst in New York. Wenn es damals regnete, empfanden die das nicht als Verschwendung. Sie haben es genossen. Sie haben in enger Beziehung zur Natur gelebt. Das ist gesünder, besser. Die meisten Probleme des modernen Lebens kommen daher, dass wir uns von der Natur abgekapselt haben. Sie sollten einmal über das Kohle-Jahrhundert nachlesen.«

Das hatte Baley. Er hatte viele Leute über die Erfindung der Atomkraftwerke klagen hören. Er klagte selbst darüber, wenn etwas schiefging oder wenn er müde wurde. Solche Klagen gehörten mit zur Natur des Menschen. Im Kohle-Jahrhundert hatten sich die Menschen über die Erfindung der Dampfmaschine beklagt. In einem der Stücke Shakespeares hatte sich eine der Personen über die Erfindung des Schießpulvers beklagt. Und tausend Jahre später würde man sich wahrscheinlich über die Erfindung des Positronengehirns beklagen.

Zum Teufel damit!

Er meinte verstimmt: »Schauen Sie, Julius.« (Es war nicht seine Art, sich während der Arbeitszeit anzubiedern, und wenn der Commissioner ihm auch noch so viele »Lijes« an den Kopf warf; aber jetzt schien die Zeit für etwas Besonderes gekommen zu sein.) »Schauen Sie, Julius, Sie reden hier von allem und jedem, nur nicht von dem, weshalb...