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Soziale Konstellation und historische Perspektive - Festschrift für M. Rainer Lepsius

Steffen Sigmund, Gert Albert, Agathe Bienfait, Mateusz Stachura

 

Verlag VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2008

ISBN 9783531909981 , 485 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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56,64 EUR

  • Die Zeit der Gesellschaft - Auf dem Weg zu einer soziologischen Theorie der Zeit
    Lebensqualität aus Nutzersicht - Wie Menschen mit geistiger Behinderung ihre Lebenssituation beurteilen
    Gemeinschaft in Gesellschaft - Soziologie nach Hegel und Parsons
    Erkenntniskritische Sozialisationstheorie - Kritik der sozialisierten Vernunft
    Erziehung zur Armut? - Soziale Arbeit und die 'neue Unterschicht'
    Wieviel Subjekt braucht die Theorie? - Ökonomie / Soziologie / Philosophie
    Das Soziale gestalten - Über Mögliches und Unmögliches der Sozialpädagogik
    Politische Steuerung von Integrationsprozessen - Intentionen und Wirkungen
  • Das Individuum im Widerspruch - Zur Theoriegeschichte des modernen Individualismus.

     

     

     

     

     

     

     

     

 

 

III. Demokratie in Deutschland und Europa (S. 286-288)

Nationalität und Supranationalität in Europa. Zur Anwendbarkeit von M. Rainer Lepsius’ Institutionensoziologie auf die europäische Einigung

Maurizio Bach

Fragt man mit M. Rainer Lepsius, welches der geeignete Gegenstand und die tragfähigsten Problemstellungen für eine entwicklungsfähige politische Soziologie der europäischen Integration sind, dann sind das weder der europäische Staat, noch die europäische Gesellschaft, noch die europäische Kollektividentität. Es ist auch nicht der europäische Raum oder die Frage der territorialen Grenzen, mit dem sich die spezifische Integrationsdynamik Europas soziologischanalytisch am Besten fassen ließe.

Es sind vielmehr die konkreten Institutionen und institutionellen Konstellationen der Europäischen Union, deren Ausdifferenzierung im supranationalen Handlungsfeld, die damit einhergehenden Institutionenkonflikte sowie Konfliktinstitutionalisierungen, weiterhin die Verfahren der Kompromiss- und Entscheidungsfindung sowie der Legitimierung. Mit der institutionalistischen Problemstellung hat Lepsius einen herausragenden Entwurf zur Entwicklung einer spezifisch soziologischen Perspektive für die Analyse des europäischen Einigungsprozesses vorgelegt, dessen Analyse- und Prognosefähigkeit in diesem Beitrag gewürdigt werden sollen.

Der von Lepsius entwickelte Ansatz ist wie kein anderer dazu geeignet, zwei grundlegende Fehlschlüsse bzw. Erkenntnisschranken der gegenwärtigen Europaforschung zu überwinden: das Denken in nationalstaatlichen Analogien einerseits und die Ausrichtung der Forschungsfragen an der Selbstbeschreibung und den politischen Programmen von EU-Organe andererseits. Die nationale Analogiebildung führt in eine Sackgasse, weil sie der post-nationalen Singularität und Eigendynamik des europäischen Verbandes nicht gerecht wird. Die Europaforschung als EU-Auftragsforschung steht in der Gefahr, zu einer Legitimationswissenschaft der herrschenden Europaideologie zu entarten und dadurch mit der Unabhängigkeit ihre Kritik- und Prognosefähigkeit einzubüßen.

Das von Lepsius entwickelte Analysemodell vermag demgegenüber sowohl kritische Distanz den Selbstbeschreibungen bestehender Herrschaftsordnungen und gegenüber deren selbstgefälligen Legitimationsformeln zu wahren, als auch den in der Europaforschung verbreiteten nationalstaatlichen Reduktionismus zu vermeiden. Der von ihm entwickelte Institutionenbegriff besitzt zudem einen höheren Grad der begrifflichen Generalisierung. Dabei stellt die nationalstaatliche Vergesellschaftungsform nur eine spezifische institutionelle Konstellation unter anderen möglichen Ordnungen, wie etwa der des supranationalen Verbandes, dar.

Mit einer eigenständigen soziologischen Begriffsbildung und den entsprechenden Problemstellungen, um die sich Lepsius stets bemüht hat, sind zudem spezifische Beurteilungskriterien verknüpft, die sich weder mit den normativen „Verfassungs"-prinzipien der europäischen Verträge und des Europarechts noch mit den ökonomischen Effektivitätszielen der Europäischen Union decken. Die politische Soziologie der europäischen Integration ist, heute vielleicht mehr denn je, aufgefordert, ihr fachspezifisches theoretisch-analytisches Instrumentarium für eine unabhängige und kritische Beobachtung und Beurteilung der neuartigen transnationalen Herrschaftsstrukturen sowie den ihnen zugrunde liegenden Machtverhältnissen und institutionellen Prozessen nutzbar zu machen. Das beinhaltet auch, die Selbstbeschreibungen des herrschenden europäischen Systems und deren Mythen sowie Illusionen zum Gegenstand soziologischer Forschung zu erheben.

Im Folgenden stehen zunächst die zentralen Problemstellungen von Lepsius’ institutionensoziologischem Analysemodell im Vordergrund. Im Anschluss daran soll versucht werden, mit Bezug auf dieses Modell die gegenwärtige Dynamik der Europäischen Union zu analysieren und Prognosen zu den Entwicklungschancen und -potentialen des europäischen Integrationsprojekts zu formulieren. Soziologische Institutionenanalyse bedeutet für Lepsius immer Analyse gesamtgesellschaftlicher Ordnungsstrukturen und zugleich des sozialen Wandels unter Modernisierungsbedingungen, das heißt unter Bedingungen der fortschreitenden Rationalisierung im Sinne Max Webers.

Institutionen und institutionellen Ordnungen kommt eine zentrale ordnungsbildende Funktion zu und sie bestimmen besonders in der modernen Gesellschaft die ständigen institutionellen Neubildungen sowie Institutionenreformen und die daraus notwendig erwachsenden interinstitutionellen Konflikte die soziale Dynamik (Institutionenwandel). Diese bricht beständig traditionelle Strukturen und „revolutioniert" das gesamtgesellschaftliche Gefüge.