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Die Kunst des Liebens - The Art of Loving. An Inquiry into the Nature of Love

Erich Fromm, Rainer Funk

 

Verlag Edition Erich Fromm, 2014

ISBN 9783959120012 , 81 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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1  Ist Lieben eine Kunst?


Ist Lieben eine Kunst? Wenn es das ist, dann wird von dem, der diese Kunst beherrschen will, verlangt, dass er etwas weiß und dass er keine Mühe scheut. Oder ist die Liebe nur eine angenehme Empfindung, die man rein zufällig erfährt, etwas, was einem sozusagen „in den Schoß fällt“, wenn man Glück hat? Dieses kleine Buch geht davon aus, dass Lieben eine Kunst ist, obwohl die meisten Menschen heute zweifellos das Letztere annehmen.

Nicht als ob man meinte, die Liebe sei nicht wichtig. Die Menschen hungern geradezu danach; sie sehen sich unzählige Filme an, die von glücklichen oder unglücklichen Liebesgeschichten handeln, sie hören sich Hunderte von kitschigen Liebesliedern an – aber kaum einer nimmt an, dass man etwas tun muss, wenn man es lernen will zu lieben.

Diese merkwürdige Einstellung beruht auf verschiedenen Voraussetzungen, die einzeln oder auch gemeinsam dazu beitragen, dass sie sich am Leben halten kann. Die meisten Menschen sehen das Problem der Liebe in erster Linie als das Problem, selbst geliebt zu werden, statt zu lieben und lieben zu können. Daher geht es für sie nur darum, wie man es erreicht, geliebt zu werden, wie man liebenswert wird. Um zu diesem Ziel zu gelangen, schlagen sie verschiedene Wege ein. Der eine, besonders von Männern verfolgte Weg ist der, so erfolgreich, so mächtig und reich zu sein, wie es die eigene gesellschaftliche Stellung möglich macht. Ein anderer, besonders von Frauen bevorzugter Weg ist der, durch Kosmetik, schöne Kleider und dergleichen möglichst attraktiv zu sein. Andere Mittel, die sowohl von Männern als auch von Frauen angewandt werden, sind angenehme Manieren, interessante Unterhaltung, Hilfsbereitschaft, Bescheidenheit und Gutmütigkeit. Viele dieser Mittel, sich liebenswert zu machen, sind die gleichen wie die, deren man sich bedient, um Erfolg zu haben, um „Freunde zu gewinnen“. Tatsächlich verstehen ja die meisten Menschen unseres Kulturkreises unter Liebenswürdigkeit eine Mischung aus Beliebtheit und Sex-Appeal.

Hinter der Einstellung, dass man nichts lernen müsse, um lieben zu können, steckt zweitens die Annahme, es gehe bei dem Problem der Liebe um ein Objekt und nicht um eine Fähigkeit. Viele Menschen meinen, zu lieben sei ganz einfach, schwierig sei [IX-441] es dagegen, den richtigen Partner zu finden, den man selbst lieben könne und von dem man geliebt werde. Diese Einstellung hat mehrere Ursachen, die mit der Entwicklung unserer modernen Gesellschaft zusammenhängen. Eine Ursache ist die starke Veränderung, die im zwanzigsten Jahrhundert bezüglich der Wahl des „Liebesobjektes“ eingetreten ist. Im Viktorianischen Zeitalter war die Liebe – wie in vielen traditionellen Kulturen – kein spontanes persönliches Erlebnis, das hinterher vielleicht zu einer Heirat führte. Ganz im Gegenteil: Ein Heiratsvertrag wurde entweder zwischen den beiden Familien oder von einem Heiratsvermittler oder auch ohne eine derartige Vermittlung abgeschlossen; der Abschluss erfolgte aufgrund gesellschaftlicher Erwägungen unter der Annahme, dass sich die Liebe nach der Heirat schon einstellen werde. In den letzten Generationen ist nun aber die Vorstellung von der romantischen Liebe in der westlichen Welt fast Allgemeingut geworden. Wenn in den Vereinigten Staaten auch Erwägungen herkömmlicher Art nicht völlig fehlen, so befinden sich doch die meisten auf der Suche nach der „romantischen Liebe“, nach einer persönlichen Liebeserfahrung, die dann zur Ehe führen sollte. Diese neue Auffassung von der Freiheit in der Liebe musste notwendigerweise die Bedeutung des Objektes der Liebe – im Gegensatz zu ihrer Funktion – noch verstärken.

In engem Zusammenhang hiermit steht ein weiterer charakteristischer Zug unserer heutigen Kultur. Unsere gesamte Kultur gründet sich auf die Lust am Kaufen, auf die Idee des für beide Seiten günstigen Tauschgeschäfts. Schaufenster anzusehen und sich alles, was man sich leisten kann, gegen bares Geld oder auf Raten kaufen zu können – in diesem Nervenkitzel liegt das Glück des modernen Menschen. Er (oder sie) sieht sich die Mitmenschen auf ähnliche Weise an. Der Mann ist hinter einem attraktiven jungen Mädchen und die Frau ist hinter einem attraktiven Mann her. Dabei wird unter „attraktiv“ ein Bündel netter Eigenschaften verstanden, die gerade beliebt und auf dem Personalmarkt gefragt sind. Was einen Menschen speziell attraktiv macht, hängt von der jeweiligen Mode ab – und zwar sowohl in körperlicher wie auch in geistiger Hinsicht. In den zwanziger Jahren galt ein junges Mädchen, das robust und sexy war und das zu trinken und zu rauchen wusste, als attraktiv; heute verlangt die Mode mehr Zurückhaltung und Häuslichkeit. Ende des neunzehnten und Anfang unseres Jahrhunderts musste der Mann ehrgeizig und aggressiv sein – heute muss er sozial und tolerant eingestellt sein, um als attraktiv zu gelten. Jedenfalls entwickelt sich das Gefühl der Verliebtheit gewöhnlich nur in Bezug auf solche menschlichen Werte, für die man selbst entsprechende Tauschobjekte zur Verfügung hat. Man will ein Geschäft machen; der erwünschte Gegenstand sollte vom Standpunkt seines gesellschaftlichen Wertes aus begehrenswert sein und gleichzeitig auch mich aufgrund meiner offenen und verborgenen Pluspunkte und Möglichkeiten begehrenswert finden. So verlieben sich zwei Menschen ineinander, wenn sie das Gefühl haben, das beste Objekt gefunden zu haben, das für sie in Anbetracht des eigenen Tauschwerts auf dem Markt erschwinglich ist. Genau wie beim Erwerb eines Grundstücks spielen auch bei diesem Geschäft oft noch entwicklungsfähige, verborgene Möglichkeiten eine beträchtliche Rolle. In einer Kultur, in der die Marketing-Orientierung[3] vorherrscht, in welcher der materielle Erfolg der höchste Wert ist, darf man sich kaum darüber wundern, dass sich auch die menschlichen Liebesbeziehungen nach den gleichen [IX-442] Tauschmethoden vollziehen, wie sie auf dem Waren- und Arbeitsmarkt herrschen.

Der dritte Irrtum, der zu der Annahme führt, das Lieben müsste nicht gelernt werden, beruht darauf, dass man das Anfangserlebnis, „sich zu verlieben“, mit dem permanenten Zustand „zu lieben“ verwechselt. Wenn zwei Menschen, die einander fremd waren – wie wir uns das ja alle sind –, plötzlich die trennende Wand zwischen sich zusammenbrechen lassen, wenn sie sich eng verbunden, wenn sie sich eins fühlen, so ist dieser Augenblick des Einsseins eine der freudigsten, erregendsten Erfahrungen im Leben. Besonders herrlich und wundervoll ist er für Menschen, die bisher abgesondert, isoliert und ohne Liebe gelebt haben. Dieses Wunder der plötzlichen innigen Vertrautheit wird oft dadurch erleichtert, dass es mit sexueller Anziehung und sexueller Vereinigung Hand in Hand geht oder durch sie ausgelöst wird. Freilich ist diese Art Liebe ihrem Wesen nach nicht von Dauer. Die beiden Menschen lernen einander immer besser kennen, und dabei verliert ihre Vertrautheit immer mehr den geheimnisvollen Charakter, bis ihr Streit, ihre Enttäuschungen, ihre gegenseitige Langeweile die anfängliche Begeisterung getötet haben. Anfangs freilich wissen sie das alles nicht und meinen, heftig verliebt und „verrückt“ nacheinander zu sein, sei der Beweis für die Intensität ihrer Liebe, während es vielleicht nur beweist, wie einsam sie vorher waren.

Diese Auffassung, nichts sei einfacher als zu lieben, herrscht noch immer vor, trotz der geradezu überwältigenden Gegenbeweise. Es gibt kaum eine Aktivität, kaum ein Unterfangen, das mit so ungeheuren Hoffnungen und Erwartungen begonnen wurde und das mit einer solchen Regelmäßigkeit fehlschlägt wie die Liebe. Wäre das auf irgendeinem anderen Gebiet der Fall, so würde man alles daransetzen, die Gründe für den Fehlschlag herauszufinden und in Erfahrung zu bringen, wie man es besser machen könnte – oder man würde es aufgeben. Da letzteres im Falle der Liebe unmöglich ist, scheint es doch nur einen richtigen Weg zu geben, um ein Scheitern zu vermeiden: die Ursachen für dieses Scheitern herauszufinden und außerdem zu untersuchen, was „lieben“ eigentlich bedeutet.

Der erste Schritt auf diesem Wege ist, sich klarzumachen, dass Lieben eine Kunst[4] ist, genauso wie Leben eine Kunst ist; wenn wir lernen wollen zu lieben, müssen wir genauso vorgehen, wie wir das tun würden, wenn wir irgendeine andere Kunst, zum Beispiel Musik, Malerei, das Tischlerhandwerk oder die Kunst der Medizin oder der Technik lernen wollten.

Welches sind die notwendigen Schritte, um eine Kunst zu erlernen?

Man kann den Lernprozess in zwei Teile aufteilen: Man muss einerseits die Theorie und andererseits die Praxis beherrschen. Will ich die Kunst der Medizin erlernen, so muss ich zunächst die Fakten über den menschlichen Körper und über die verschiedenen Krankheiten wissen. Wenn ich mir diese theoretischen Kenntnisse erworben habe, bin ich aber in der Kunst der Medizin noch keineswegs kompetent. Ich werde erst nach einer langen Praxis zu einem Meister in dieser Kunst, erst dann, wenn schließlich die Ergebnisse meines theoretischen Wissens und die Ergebnisse meiner praktischen Tätigkeit miteinander verschmelzen und ich zur Intuition gelange, die das Wesen der Meisterschaft in jeder Kunst ausmacht. Aber abgesehen von Theorie und [IX-443] Praxis muss noch ein dritter Faktor gegeben sein, wenn wir Meister in einer Kunst werden wollen: Die Meisterschaft in dieser Kunst muss uns mehr als alles andere am Herzen liegen; nichts auf der Welt darf uns wichtiger sein als diese Kunst....