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Lumfiti kawumm! oder Wie meine Eltern Steinzeitmenschen wurden

Birte Hosoda

 

Verlag Tulipan Verlag, 2015

ISBN 9783864292859 , 175 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

Montag


Homo sapiens sapiens bedeutet »kluger« oder »weiser Mensch« und ist die Gattung, der wir alle angehören. Es gibt ihn schon seit etwa 100.000 Jahren, aber natürlich hat er während dieser langen Zeit viele Entwicklungssprünge gemacht, ist weitestgehend sesshaft geworden und kultiviert, sodass er heute nicht mehr als Jäger durch die Wiesen streift.

Ich hatte einen Traum. Denselben, immer wieder. Jeden Abend kurz vor dem Einschlafen. Wie in einem Kinofilm zogen die Bilder an der Zimmerdecke vorüber und es gab zwei Hauptrollen darin: eine für Mama und eine für mich. Ich trug ein blaues Nachthemd und Mama ihren Morgenmantel. Wir standen in der Küche und beugten uns über die große Rührschüssel.

»Und jetzt noch 200 Gramm Zucker«, sagte Mama. Das sagte sie wirklich so. Z-U-C-K-E-R. Als sei es ein ganz normales Wort. Ich griff also nach dem Messbecher und füllte ihn fast bis ganz oben. Dann schüttete ich den Zucker zu den übrigen Zutaten und blickte auf. Mama reichte mir den Mixer und sagte: »Los geht’s!«

Unter lautem Getöse und viel Protest mischten sich Butter, Eier, Mehl und Zucker zu einem zähen Brei, der sich kaum von den Rührstäben lösen wollte. Aber es war ein echter Teig und er duftete herrlich nach Geburtstag oder Schulfest. Und das Beste war: Ich durfte ihn probieren. Einfach so meinen Zeigefinger in die Schüssel stecken, kreisen lassen und ablecken. So oft ich wollte. Und ich wollte ziemlich oft. Bestimmt zehn Mal. Dann war Mama an der Reihe. Sie schob sich den Ärmel ein wenig nach oben, brachte ihren Finger in Position und …

... der Film riss. Immer wieder an derselben Stelle. Es ging nicht. Sosehr ich mich auch bemühte, ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass Mama ihren Finger in den Kuchenteig steckte. Nicht sie, nicht Rosemarie Katharina Isabella Marie von Trottenburg. Das passte nicht. So wenig wie Silberbesteck zu Plastiktellern oder Glitzerhaarspangen zu pinken T-Shirts. Aber Mama konnte nichts dafür. Es war alles nur wegen Fräulein Dupont.

»Wir haben Häuser verloren und Ländereien und leben heute wie ganz gewöhnliche Menschen. Aber dass ich die gute Erziehung von Fräulein Dupont genießen durfte, das ist der größte Schatz, den ich besitze, und den kann mir niemand mehr nehmen«, hatte Mama früher oft gesagt, und ich habe mich lange gefragt, wie man Erziehung genießen kann.

Jetzt bin ich zehn und weiß, dass man nicht nur Schokopudding, Gummibärchen und Sahnebaisers genießen kann, sondern auch lange Opernaufführungen, dicke Bücher und Erziehung. Gute Erziehung. Weil mir der Schokopudding aber trotzdem lieber ist, hätte ich Fräulein Dupont am liebsten auf eine Rakete geschnallt und zur Venus geschickt. Aber Mama, die für tausend Jahre voll guter Manieren und vornehmen Verhaltens steckte, hätte auch dann nicht ihren Finger in den Kuchenteig gesteckt. Sie wäre niemals durch die Wohnung getanzt oder hätte sich zusammen mit Edgars Yoga-verliebter Mutter Shala auf den Kopf gestellt. Sie hätte einfach nur alles richtig gemacht. Ferngesteuert von Fräulein Dupont auf der Venus.

Wäre da nicht dieser Montag gewesen, der alles veränderte. Der sich so gewöhnlich anschlich, wie Montage es immer tun, und sich dann als trojanischer Montag entpuppte. Der zum ersten Dienstag meiner Erinnerung wurde, an dem Fräulein Dupont keine Rolle in meinem Leben spielte, und in einen Freitag mündete, an dem ich mir nichts sehnlicher wünschte als Fräulein Duponts Manieren in Tröpfchenform. Für Mama. Aber der Reihe nach.

*

»Kari, es ist 19 Uhr. Würdest du bitte den Tisch decken.« Mama blickte streng auf die Küchenuhr, denn genau genommen war es schon zwei Minuten nach sieben. Im Ofen schmorte das Hähnchen und Papa würde pünktlich in sechs Minuten zur Tür hereinspazieren.

»Wir nehmen die Menümesser, damit tut man sich beim Hähnchen leichter. Ach, und die Serviettenringe sind oben in der Schublade. Vielleicht kannst du schnell noch einmal mit dem Silberputztuch drübergehen.«

Genau wie ich morgens schnell noch mein T-Shirt bügeln und meine Schuhe putzen konnte. Ich schnappte mir das Tuch und rubbelte so lange an den Ringen, bis ich mich wie eine Sonnengöttin darin spiegelte. Dann legte ich die frisch gebügelte Tischdecke auf, besorgte drei Platz- und drei Speiseteller, das Menümesser rechts, die Gabel links und daneben die gestärkten Servietten. Zum Schluss stellte ich den CD-Spieler an, und eine helle Sopranstimme durchschallte den Raum, dass die Fenster zitterten. Mama sah zufrieden aus, denn so liebte sie unser Familienessen.

Im Hausflur hörte ich Fridolin schreien, lauter noch als die Sopranistin. Wahrscheinlich wollte ihn Shala wieder dazu bringen, seine Gummistiefel vor der Tür auszuziehen. Zweijährige mögen das nicht, das weiß ich inzwischen, denn Fridolin ist Edgars Bruder und Edgar mein bester Freund. Er wohnt direkt gegenüber von uns, seit ich denken kann. Und wenn wir bei uns in der Küche ein Loch durch die Wand bohren würden, dann kämen wir in Edgars Wohnzimmer wieder raus. Das wäre total praktisch, aber Mama ist dagegen. Nicht wegen dem Loch, sondern weil Shala, Edgars Mama, leider nicht die gute Erziehung von Fräulein Dupont genossen hat und es deshalb bei Edgar und seinen drei kleinen Brüdern im Wohnzimmer immer aussieht wie in einem Wimmelbuch. Das hat Mama natürlich nicht so gesagt, denn sie mag Edgar, sehr sogar. Sie hat unseren Vorschlag einfach nur weggelächelt, wie sie es immer tut, wenn ihr keine vornehmen Worte einfallen. Und deshalb müssen wir jetzt immer noch den Umweg über die Haustür nehmen.

»Das duftet ja wunderbar!« Papa hängte seinen Mantel an seinen Haken und stellte seine Schuhe in sein Regalfach.

Dann wusch er sich die Hände, brachte noch einmal sein Haar in Form und schlüpfte in seine Hausschuhe. Er kam ins Wohnzimmer und gab mir einen Kuss.

»Hast du den Tisch so schön gedeckt?«, erkundigte er sich und klang dabei nur wenig begeistert. Papa hätte keinen glänzenden Serviettenring gebraucht und auch keine gebügelte Tischdecke. Ein Tisch und ein Teller hätten ihm gereicht. Das liegt daran, dass er früher nur Schubert hieß und erst durch Mama zu einem von Trottenburg wurde. Als »Schubert« hat er noch Pizza mit der Hand gegessen und Apfelkuchen im Stehen. Aber er redet darüber nicht gerne, denn Mama zuliebe hat er vieles aus seinem früheren Leben vergessen. Hat es nach links unten in sein Gedächtnis verschoben, dort wo es sicher vor Entdeckung ist.

»Na dann wollen wir mal.«

Es roch sehr lecker und mir lief das Wasser im Mund zusammen. Das Hähnchen stand auf dem Tisch, und Papa machte sich daran, es fein säuberlich zu zerlegen. Ein Schenkel landete auf meinem Teller. Dann noch ein paar Kartoffeln und etwas Salat. Wir wünschten uns einen guten Appetit und es ging los.

»Im Stadttheater soll demnächst ein neues Schauspiel inszeniert werden. Mit sehr hochkarätiger Besetzung. Da sollten wir uns Karten reservieren.« Mama nahm einen Bissen und tupfte sich den Mund ab, bevor sie den Wein probierte.

»Unbedingt«, pflichtete Papa ihr bei. »In der Zeitung stand, dass sogar dieser bekannte Filmschauspieler dabei sein würde. Wie heißt er noch gleich …?«

»Ja, ich glaube, ich weiß, wen du meinst …« Mama legte die Stirn in Falten und konzentrierte sich ganz aufs Nachdenken. Ihren Hühnerflügel zerteilte sie nebenbei mit derselben Mühelosigkeit, mit der sie Gedichte aufsagte und Tagespläne aufstellte. Mir hingegen stand der Schweiß auf der Stirn. Einen Hühnerschenkel mit Messer und Gabel zu essen ist mindestens so schwierig wie den 100-Punkte-Stab beim Mikado von ganz unten herauszufischen.

»Ellenbogen, Ellenbogen, sei doch nicht so ungezogen …« Mama räusperte sich und vergaß den Filmschauspieler. »Das kannst du aber besser, Kari.« Wieder lächelte sie ihr Lächeln, das keine Widerworte duldete. »Setz dich einfach mal gerade hin, dann geht das von ganz alleine.«

Einen Hühnerschenkel mit Messer und Gabel zu essen, dabei gerade zu sitzen und die Ellenbogen nicht auf den Tisch zu legen ist mehr als schwierig, es ist unmöglich. Also gab ich nach zwei Versuchen auf, obwohl mir der Magen knurrte. Aber es störte niemanden, denn Mama und Papa waren schnell wieder mit dem Schauspieler beschäftigt. So lange, bis ihre Teller leer gegessen und die Bestecke ordentlich auf 16:20 Uhr abgelegt waren. Das war übrigens die erste Uhrzeit, die ich lesen konnte. Lange vor 12 oder 18 Uhr. »Es signalisiert der Bedienung, dass wir das Essen beendet haben«, hatte Fräulein Dupont Mama verraten, und sie mir.

Nur leider wollte bei uns im Wohnzimmer einfach keine Bedienung erscheinen. Dasselbe Problem, jeden Abend. Also stand ich auf und begann abzuräumen. »Lass uns das schnell zusammen machen, dann habe ich noch eine Überraschung«, sagte Mama plötzlich. Sie zwinkerte mir zu, und ich begann zu hoffen, dass es sich dabei weder um eine Kragenbluse noch um Karten für ein Violinkonzert in e-Moll handeln möge. Vielleicht ein Schokopudding?

Als auf dem Esstisch nichts mehr an Essen erinnerte und sich alle Gerüche durchs Fenster auf die Straße verflüchtigt hatten, ließ Mama endlich die Katze aus dem Sack und zauberte hinter ihrem Rücken ein kleines Zellophantütchen hervor, in dem drei kugelrunde Pralinen steckten. »Die hat mir der Herr Castrovani heute zum Testen gegeben. Es sind die ersten Pralinen aus seiner Fertigung, die mit rein natürlichen Aromen hergestellt wurden …«

Herr Castrovani wohnte auch bei uns im Haus. Unterm Dach in einer riesengroßen Wohnung. Er war der Chef der Schokoladenfabrik und sehr reich. Aber er war auch sehr geizig, und deshalb war es wirklich eine...