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COLD EAST - Thriller

Alex Shaw

 

Verlag Luzifer Verlag, 2019

ISBN 9783958351172 , 352 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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4,99 EUR


 

Eins

Morristown, New Jersey, USA

Als sich James East Morristown Green näherte, wehte ihm der kräftige Oktoberwind eiskalten Regen ins Gesicht, der wie Nadelstiche schmerzte. Dafür, dass er ein toter Mann war, fühlte er sich ausgesprochen lebendig. Im Winter verlieh der Schnee, der im Park lag und an den Fassaden der Geschäfte haftete, der ansonsten tristen Architektur aus der Zeit kurz nach dem Unabhängigkeitskrieg etwas von Charles Dickens' Stadtbildern. Heute jedoch bekam man nichts weiter als den Regen. Samstagseinkäufer bummelten mit Schirmen auf Schnäppchenjagd umher wie Herdentiere. East stellte den Kragen seiner Jacke auf. Es war nicht die Kälte, die er unangenehm fand, sondern der Wind, der erbarmungslos in seine ungeschützte Haut schnitt. Er betrat die Grünanlage auf einem Weg, der über den Platz in der Mitte führte, wo sich mehrere jugendliche Latinos in zu großen Freizeithosen unter den Bäumen trocken hielten, rauchten und dabei Fotos voneinander machten. Ein älteres Paar, das sich einen Golfschirm teilte, stellte sich zu East, während er darauf wartete, dass die Ampel umsprang. Die beiden hielten einander die Hände, wie sie es bestimmt schon in den 1950ern getan hatten. East wurde ein wenig neidisch. Dass er die Hand einer jungen Frau gehalten hatte, war drei Jahre her. Sie hatte ihn geliebt, doch er war ohne ein Wort verschwunden. Obwohl sie nicht viel Zeit miteinander verbracht hatten, erinnerte er sich an jede Sekunde, jeden Lidschlag und daran, wie sich ihre Unterlippe beim Lächeln gespannt hatte. Als er kurz seine Augen schloss, konnte er ihr Parfüm riechen und ihren Kopf an seiner Brust spüren. East schauderte. Es war an der Zeit, sie zu vergessen. Erschrocken riss er die Augen wieder auf, als ein Auto hupte. Die Ampel hatte auf Grün gewechselt, zurück in die Wirklichkeit: seine Wirklichkeit. Der Mann, den sie gekannt hatte, lebte nicht mehr – durfte nicht –, doch James East war alles andere als tot.
  Er überquerte die Straße und ging in ein Kaufhaus, das Designerkram zu günstigen Preisen anbot. Drinnen nickte er dem Wachmann zu, der die Geste gravitätisch erwiderte. East zog seine Jacke aus, fuhr sich mit einer Hand durchs nasse Haar und sah sich um. Zu seiner Linken standen Handtaschen aufgereiht, und rechts die Kosmetiktheke, wo eine Frau mittleren Alters von einer eifrigen Angestellten, die noch keine 20 war, mit Make-up »verschönert« oder besser gesagt verkleistert wurde wie ein Zirkusclown. Nachdem East an weiteren Frauen vorbeigegangen war, die Taschen begutachteten, gelangte er in die Abteilung für Männerkleidung. Die Hemden lagen ordentlich nach Marke, Farbe und Größe geordnet in den Auslagen. Er wählte eine Nummer größer, als er brauchte; ihm war es lieber, nicht darauf hinzuweisen, dass er trainierte. Drei Hemden in unauffälligen Farben und dazu passende Krawatten nahm er mit hinüber in die Schneiderei, wo ein weißhaariger Mann mit osteuropäischem Akzent arbeitete. Sehr zu dessen Freude griff East zu einem dunkelgrauen Zweiteiler und begab sich in die Umkleide.

Am Haupteingang tat sich Finch, der Sicherheitsbeamte des Geschäfts, schwer damit, seine Augen aufzuhalten. Zu behaupten, der ehemalige US-Marine langweile sich in seinem Job, wäre untertrieben gewesen. Nach zehn Jahren treuer Gefolgschaft der guten alten Stars and Stripes hatte man ihn mit einer lächerlichen Invalidenrente als arbeitsunfähig entlassen. Ironischerweise war er dem ärztlichen Befund der Navy gemäß außerstande, über lange Zeitspannen hinweg Wache zu halten, und eignete sich darum nicht für den aktiven Dienst. Dennoch stand er jetzt als Wachmann in einem Kaufhaus und hielt sich acht Stunden täglich auf den Beinen. Was war daran noch logisch? Finch ging hinaus, um sich von der eisigen Windbö frisch machen zu lassen. Als er das tat, piepten die Detektoren. Vier Männer traten ein, während zwei Frauen mit schweren Tüten das Lokal verließen. Finch seufzte und bat sie, wieder hineinzugehen, man habe wohl vergessen, den Diebstahlschutz von den Waren zu entfernen. Sie stellten sich an die Schmucktheke, wo er ihre Käufe herausnahm und untersuchte.

Plötzlich ertönten ein Schrei und mehrere Rufe, gefolgt von einem durchdringenden, abgehackten Knallen. James Easts Blick begegnete jenem des Herrenausstatters. Beide warfen sich auf den Boden, denn sie kannten das Geräusch: Schüsse aus Automatikwaffen.
  »Unten bleiben.« Easts Stimme klang fest und verbindlich. Der ältere Angestellte nickte zustimmend mit dem Kopf und kroch weiter in den Umkleidebereich. East schlich sich geduckt aus der Nische. Was sich vor ihm auf der Verkaufsfläche offenbarte, war bestürzend: Im mittleren Gang standen zwei Männer mit Uzi-Maschinenpistolen und feuerten wahllos auf jeden Kunden, der es wagte, sich zu bewegen. Der Wachbeamte – sein weißes Hemd war dunkelrot getränkt – lag lang gestreckt auf einer zusammengebrochenen Glasvitrine. Zwei Frauen waren neben ihm niedergestreckt worden. Als es still im Geschäft wurde, wechselte einer der Schützen sein Magazin, während der andere fortfuhr, seine Waffe in übertrieben weitem Bogen zu schwenken. East fiel das Verhalten als unbeherrscht, fahrig und amateurhaft auf. Unvermittelt nahm er eine verschwommene Bewegung wahr, als eine korpulente Frau hinter einem umgeworfenen Aufsteller hervorstürzte. Die Schützen nahmen sie mit Dauerfeuer aufs Korn. Die Mündungen spuckten Patronen auf die Kundin und in den umgebenden Raum. East legte sich flach hin, als mehrere in die hintere Wand einschlugen, Verstrebungen trafen und im stumpfen Winkel abprallten.
  Die Frau riss ihre Augen weit auf – wurde im Laufen zur Seite geworfen, ihr Fleisch von glühend heißem Blei zerhackt. Sie fiel mit einem widerlich dumpfen Plumpsen auf den dünnen Teppichboden des Lokals. Ihr Blick fiel auf East, und ihr Mund bewegte sich. Sie streckte eine Hand aus.
  »Pamageet minya« – »Helfen Sie mir« –, bat sie auf Russisch.
  »Ne dvigat'sya!«, zischte er in derselben Sprache zurück: »Bewegen Sie sich nicht!« Es war jedoch zu spät – ihre Hand zitterte und erschlaffte, die Augen wurden glasig. East biss krampfhaft auf seine Zähne; er würde die Kerle aufhalten.
  Von links, wo sich die Rolltreppe befand, hörte er Schritte, wo zwei weitere Bewaffnete auf dem Weg in die oberen Stockwerke waren. East verrenkte seinen Hals. Das erste Paar hatte ihm nun den Rücken zugedreht und hielt die Uzis in eine andere Richtung. Er näherte sich leise dem einen Schützen, der gerade verschwand. Als er den Fuß der Treppe erreichte, eilte er je zwei Stufen gleichzeitig nehmend hinauf, wobei er nicht mehr darauf bedacht war, möglichst leise zu sein, sondern nur darauf, den Typen einzuholen. Auf einmal drehte sich derjenige der beiden anderen um, der seine Maschinenpistole noch senkrecht in einer Hand hielt, sodass der kurze Lauf an die Betondecke zeigte. Seine Augen registrierten East, doch er rammte ihm bereits eine flache Hand unter die Nase, womit er den Knorpel stauchte und den Knochen brach. Wie von einem Vorschlaghammer getroffen, ließ der Mann die Uzi fallen und kippte seitwärts um. East schnappte sich die Waffe und drückte ab. Mit der Salve erzielte er drei Durchschüsse, wobei die Kugeln schließlich in die Balustrade der Treppe schlugen.
  Oben wurde weitergefeuert. East machte sich auf dem Treppenband klein, um nach oben zu fahren. Als er über den Boden der nächsten Etage schauen konnte, sah er, dass der vierte Killer, dem der Tod seines Gefährten nicht aufgefallen war, begonnen hatte, im Raum herumzuballern. East hob die Uzi und gab mehrere Schüsse in den Hinterkopf seines Gegners ab. Der fiel sofort um. Ringsum gingen weinend und schluchzend Kundschaft und Personal in Deckung. East drückte den Notfallknopf zum Anhalten der Treppe und schaute über die Balustrade ins Erdgeschoss. Abgesehen von Geschluchze war es dort wieder still, während die beiden Schützen wieder nachluden. East musste etwas unternehmen. Es galt, die beiden sofort unschädlich zu machen. Er bewegte sich die Metallstufen hinab und holte einmal tief Luft, bevor er seine Deckung aufgab.
  Der vorderste Bösewicht schaute auf und machte große Augen, als East feuerte. Er taumelte rückwärts, während die Kugeln seine Brust trafen, und stürzte schließlich in eine Theke. Der verbliebene Mann schoss zurück und stürmte auf East zu. Dieser schwenkte herum, fiel auf ein Knie, um weniger Angriffsfläche zu bieten, und erfasste sein Ziel.
  »Allahu akbar!«, rief der Mann.
  East schaute ihm in die Augen und übte festen Druck auf den Abzug aus. Der Getroffene sackte auf ihn, und Glas barst rings um die beiden Männer. Zwar war der Attentäter jetzt erledigt, doch East ging unter der Wucht seines Körpers mit zu Boden. Als sein Kopf mit einem lauten Knall auf den Teppichboden schlug, verlor er das Bewusstsein.

Britische Botschaft – Kiew, Ukraine

Aidan Snow trank schwarzen Kaffee, während er sich die Nachrichtensendung von Radio 4 übers Internet anhörte. Die wichtigste Meldung des Morgens befasste sich mit einer Explosion in der Moskauer U-Bahn zur Hauptverkehrszeit. Sie hatte sich an einem Bahnhof ereignet, den Snow gut kannte, weil er in der Nähe der internationalen Schule lag, auf die er 20 Jahre zuvor als »Botschafterbengel« gegangen war. Die Zahl der Todesopfer hielt man vorerst noch zurück, doch Snow wusste, sie würde hoch sein. Der Nachrichtensprecher gab an, der Anschlag wäre mit einer nicht industriell hergestellten Sprengfalle begangen worden, und...