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Der Jargon der Betroffenheit - Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt

Erik Flügge

 

Verlag Kösel, 2016

ISBN 9783641188535 , 160 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

13,99 EUR


 

Flucht nach Jericho

Das Schweigen ist eine althergebrachte Disziplin im Gottesdienst. Man könnte, wenn man böse sein will, auch »das Husten« sagen. Noch nie habe ich so viele Menschen husten hören, wie immer genau dann, wenn im Gottesdienst geschwiegen wird. Wahrscheinlich hört man sonst das Hustengeräusch ob des ganzen Gesprächslärms nicht. Oder aber der Husten drängt in diesen Momenten besonders stark nach außen, um die Stille zu durchbrechen. Stille ist schwierig, viel leichter scheint es, wenn man sie mit sanften Tönen oder mit Musik abmildert. Doch das beraubt die Stille ihres innersten Selbst.

Es ist eine schöne Kirche. Sie ist viele hundert Jahre alt. Die Kirchenbänke erzählen von Generationen betender Menschen. Jesus schaut gequält von einem alten Holzkreuz herab und nimmt den Kirchenraum ganz für sich ein. Vorne steht eine Pastoralreferentin. Sie trägt seltsame Gewänder. Zu viele Farben sind in diesem Outfit kombiniert. Sie nennt es »authentisch«, ich nenne es oh je.

Sie hat soeben eine kleine Schale mit warmem Wasser gefüllt und sagt laut das Wort »Wasser« in den alten Kirchenraum. Aus einem kleinen CD-Player tönt Nora Jones’ Musik. Beständig habe ich Angst, die CD könnte hängen bleiben. Sie ist bestimmt schon über zehn Jahre alt und nach vielen Jahren Firmunterricht verkratzt. Ich frage mich, wie viele der heutigen Firmlinge selbst schon mal Musik von einer CD abgespielt haben. Wahrscheinlich nur noch wenige. Heute hat man Lieder schlicht auf dem iPod oder Smartphone.

Bedeutungsschwanger zieht die Frau ein Knäuel vertrocknetes Zeug hervor, zeigt es den Anwesenden und sagt das Wort »Tod«. Eine andere Person am Ende des Raumes hat die Anweisung erhalten, in diesem Moment eine Klangschale anzuschlagen. Der lang gezogene Ton wummert durch den Raum.

Schließlich legt sie die vertrocknete Pflanze in das Wasser und sagt ganz ruhig und überbetont leise: »Aus Wasser und Tod kann Leben werden. Wir werden es miteinander erleben und erfahren. Ich möchte euch jetzt einladen, mit mir Abendessen zu gehen und später mit mir gemeinsam zurückzukehren, um das Wunder des Lebens zu sehen.«

Aua, das tut weh. Die Gruppe steht auf und trottet zum Abendessen in den Speisesaal des Bildungshauses. Ich bleibe sitzen und verdrehe die Augen angesichts des aufgeführten Theaterstücks.

Bei dem vertrockneten Knäuel handelt es sich um eine Rose von Jericho. Eine Wüstenpflanze, die man in jedem Esoterikladen kaufen kann. Diese Pflanzen können lange ganz ohne Wasser auskommen. Legt man sie in eine Schale Wasser, so kann man innerhalb von rund zwei Stunden sehen, wie die Wüstenpflanze grün erblüht. Gewiefte Expertinnen und Experten für gestaltete Mitten wissen aber, dass man das Verfahren mit warmem Wasser auch beschleunigen kann, sodass der Effekt schon nach rund 40 Minuten eintritt – genügend Zeit für ein Abendessen.

Mir ist der Appetit vergangen. Ich frage mich, was das hier wohl soll. Ich ahne fast, dass am Ende dieses Schauspiels noch eine Jesus-Schleife kommen wird. Irgendetwas in der Art von »auch Jesus ist durch den Tod gegangen, um dann zu neuem Leben in der Auferstehung zu kommen«. Wahrscheinlich waren seine Jünger dazwischen auch was essen, um die Zeit zu überbrücken.

Ich muss zugeben, dass die Methode mit der Wüstenpflanze ganz wunderbar funktioniert. Gruppen, die sie noch nicht kennen, sind meist wirklich begeistert davon, dass aus dem vertrockneten Haufen eine grüne Pflanze werden kann. Das Dramatische ist nur, dass diese Methode das christliche Osterfest aushöhlt.

Will ich das Osterereignis methodisch inszenieren, um es leichter verständlich zu machen, dann muss ich auch versuchen, es in seiner ganzen Struktur abzubilden.

Am Anfang stehen Begeisterung und Jubel, gefolgt vom gemeinsamen Mahl mit den Vertrauten. Der nächste Schritt ist die Einsamkeit Jesu, dann die Folter und der Tod. Die Verzweiflung der Jünger nach dem Tode Jesu gehört genauso dazu wie die Trauer um die Zerstörung aller Hoffnung. Schließlich, nach all dieser Verzweiflung, kommt das absurde, das befremdliche, das unverstehbare Moment der Auferstehung.

Der Ablauf des Osterfestes lässt unendlich viel Spielraum für gute Theologie und für sinnvolle Interpretation. Im Osterereignis als ganzem kann man theologisch auf alle Fragen von Leid und Verzweiflung, von Hoffnung, Liebe, Vertrauen und Gemeinschaft Antworten finden. Das Entscheidende dabei ist, nicht selektiv Momente des Osterereignisses zu isolieren und andere, die zwischen den gewählten Punkten liegen, fallen zu lassen. Genau das passierte aber hier bei der schlecht gemachten Methode mit der »ollen« Rose.

Der Startpunkt des Impulses ist das Wasser, das nun im Osterfest eher weniger eine Rolle spielt. Mit viel Fantasie könnte man noch unterstellen, jenes Wasser repräsentiere das gemeinsame Mahl und steht damit für physische Nahrung und Gemeinschaft, die Bedingung des guten Lebens sind. Das Gebet entfällt, das Urteil und Leiden auch, und es folgt der Tod durch das Zeigen der scheinbar toten Pflanze. Die Trauer, die Verzweiflung, die Einsamkeit im Tod wird durch ein Abendessen ersetzt, um später wieder zusammenzukommen und sich zu freuen, dass aus der angeblich toten Pflanze doch noch was geworden ist. Das ganze Schauspiel zeugt vom Versuch der Effekthascherei, aber eben nicht von christlich-theologischer Substanz.

Der Impuls mit der Rose von Jericho zählt noch zu den besseren Inszenierungen, weil immerhin ein Rest christlicher Osterereignisse zu erkennen ist, auch wenn das Ganze unangenehm unvollständig bleibt. Im Normalfall sind diese angeblich christlichen Impulse noch viel schlimmer. Mir passiert das wieder und wieder. Ich werde von gestandenen Theologinnen und Theologen, von Priestern und Pfarrerinnen und Pfarrern in der katholischen und der evangelischen Kirche aufgefordert, Kraftsteine aneinander zu schlagen, Kraftplätze zu erspüren, barfuß Spuren im Sand zu hinterlassen, Licht zu teilen, Zettelchen zu beschreiben oder einer Klangschale zu lauschen. Wir sollen mit unseren Händen Wasser berühren oder jemand anderem den Rücken massieren, aus Wolle ein Netz spannen oder ein laminiertes Bild von irgendetwas auswählen. Damit man es nicht Esoterik nennen muss, wird irgendwie – und sei es mit Gewalt – eine Bibelstelle passend zur Methode umgebogen.

Warum ist die Lust der Theologinnen und Theologen so groß, ins Emotionale abzuschweifen? Ich gehe dieser Frage eine Weile nach. Ich frage Menschen, die solche Methoden gerne anwenden und sich damit wohl fühlen. Die Antworten folgen einem immer gleichen Muster.

Man folgt bei solchen emotionalen Methoden dem Plan, im anderen etwas zu bewirken. Man möchte den Horizont erweitern und eine Erfahrung zur Verfügung stellen. Wohl dosierte, emotional stark aufgeladene Worte und die Klangschale im richtigen Moment bringen Menschen dazu, starke Reaktionen zu zeigen. Oft fließen Tränen, und man kann jemanden in den Arm nehmen und trösten für eine Trauer, die diese Person erst durch mich erspürt hat, aber das in dem Moment nicht reflektieren kann.

Es ist faszinierend, diese Macht über andere Menschen zu haben. Man zwingt ihnen das Gefühl auf, das man auslösen möchte und durchbricht deren Selbstschutzinstitutionen.

Man nennt dies Performativität – durch eine Handlung oder durch Sprechen werden nicht nur Informationen übertragen, sondern es ändert sich real etwas. Wenn man beispielsweise als Standesbeamter zwei Menschen traut und ihnen das Eheversprechen abnimmt, dann ist nicht nur eine Information übermittelt worden, sondern es ändert sich auch gleich die ganze Rechtsform dieser Personen. Das formal ausgesprochene »ja« im Trauakt ist ein performatives. Es erschafft eine neue Realität. Wir Menschen sind fasziniert von Performativität. Bei keinen anderen Handlungen erleben wir uns selbst als mächtiger, als in den Momenten, in denen unser Sprechen performativ wird.

Wenn ein Regierungschef einem anderen Land einen Krieg erklärt, dann hat er nicht nur einen Satz gesagt, sondern er hat in diesem Moment eine Weltordnung verändert und das Schicksal von Millionen Menschen bestimmt. Eine Form der Kommunikation, die bei weitem über schlichte Aneinanderreihungen von Worten hinausgeht.

Noch vor wenigen Jahrhunderten glaubte die überwiegende Masse der Menschen in unserem Land, dass die Kirche performativ das Himmelreich verschließen kann. Wer von der Kirche gebannt wurde, der verlor das ewige Leben. Damit hatte die Kirche eine gewaltige Macht in Händen und ihre Vertreter waren angesichts dieser Macht hoch geschätzt. Die Kirche glaubt noch immer, diese Macht in Händen zu halten, nur leider glaubt ein Großteil der Bevölkerung ihr nicht mehr. Sie hat ihre Macht verloren, weil ihr niemand glaubt, sie könnte ihre Drohungen in Konsequenz überführen. Es ist wie bei Eltern, die ihre Autorität verspielt haben. Sie können noch so viel rufen, fordern, mahnen, belehren oder drohen, ihre Kinder werden einfach nicht mehr folgen. Doch ohne Performativität ist alles theologische Tun recht langweilig.

Die emotionale Methodik bietet hier einen Ausweg. Hält man einen Impuls, an dessen Ende zwanzig Menschen weinend vor einem sitzen, dann spürt man endlich wieder auch als Theologe oder Theologin Macht.

Dabei wird die in den performativen Übervorteilungen innewohnende Machtperspektive nur selten von denjenigen eingenommen, die sie anwenden. Sie nutzen Worte wie »jemanden emotional berühren«, »etwas erlebbar machen«, »jemanden aufwühlen« oder »jemandem einen Perspektivwechsel ermöglichen«.

Ich stelle die Frage: Geht es wirklich um das...