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Bevor der Job krank macht - Wie uns die heutige Arbeitswelt in die seelische Erschöpfung treibt - und was man dagegen tun kann

Hans-Peter Unger, Carola Kleinschmidt

 

Verlag Kösel, 2009

ISBN 9783641022921 , 200 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Einleitung
oder: Warum Georg B. nachts mit panischer Angst kämpft
»Hast du wirklich gut geschlafen, Georg?«, fragt ihn morgens seine neben ihm liegende Ehefrau und schaut ihn etwas besorgt an. »Ja«, antwortet Georg mit einem unbestimmten Lächeln, das ihm selbst wie eine Mischung aus Trotz, Verzweiflung und Selbstbetrug erscheint. Gestern Abend war er erst um 21 Uhr aus dem Büro gekommen. Nur wenig später war er bereits vor dem Fernseher eingeschlafen. Die Tagesthemen waren noch nicht einmal zu Ende. Mit seiner Frau hatte er kaum ein Wort gewechselt.
Später, sie lagen schon im Bett, hatten sie Streit bekommen. Seine Frau hatte ihm vorgeworfen, dass er sich in der Firma unter Wert verkaufe, dass er die Bodenhaftung verloren habe, mit den Kindern und ihr nur noch in scheinbarem Kontakt sei. »Du bist nicht der Mittelpunkt der Welt«, hatte sie fast verzweifelt gesagt und ihm versucht zu erklären, dass er in seinem Job doch nicht die Welt neu erfinden müsse. Die Familie, sie, alles sei der Arbeit untergeordnet. Ob er nicht spüre, dass er sich entwürdige, wenn er immer neue Aufgaben annimmt. »Was willst du eigentlich wem beweisen?« war ihre letzte Frage, bevor sie sich umdrehte und sagte: »So kann es nicht weitergehen, ich werde dich nicht pflegen, wenn du einen Herzinfarkt bekommst!«
Georg hatte geschwiegen. In seinem Kopf waren die Gedanken Karussell gefahren: Sie versteht mich nicht! Sie macht mir nur noch mehr Druck! Er spürte ein schmerzhaftes Drücken im Magen und war darüber wortlos eingeschlafen. Nach etwa drei Stunden war er jedoch schweißgebadet wieder aufgewacht. Sein Mund war trocken, er fühlte sich verletzt, enttäuscht, angstvoll und wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Bevorstehende Termine und unerledigte Aufgaben schossen ihm durch den Kopf. Er fühlte sich wie gelähmt und die Angst nahm zu. Es war einfach nicht zu schaffen! Seine Gedanken drehten sich immer schneller: Was würden die Kollegen, der Chef denken? Wie stand er da? Die Angst steigerte sich zur Panik und erfasste seinen ganzen Körper, er spürte eine unerträgliche Unruhe in Brust und Bauch. Georg stand auf und schlich sich leise in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Was hatte er falsch gemacht, wie hätte er die Arbeit noch schneller erledigen können? Bei all dem, was sich auf seinem Schreibtisch staute! War er vielleicht der falsche Mann am falschen Platz?
Was Georg zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Seine Schlafstörungen, Gedankenspiralen und Angstgefühle sind ein Zeichen dafür, dass er mitten in einer seelischen Erschöpfungskrise steckt. Nur wenige Wochen später, als er wegen seines ständigen Unwohlseins, seiner Schlafstörungen und Panikattacken zum Arzt geht, erhält er die Diagnose: Erschöpfungsdepression. Er ist schockiert. Eine Depression? Er, der aufstrebende Manager, emotional stabil und tatkräftig, entscheidungsfreudig und ehrgeizig, hat eine Depression!?
 
Lange Zeit galt die Depression als eine Krankheit, die vor allem Frauen trifft, die nach Schicksalsschlägen oder Verlusten auftreten kann, vielleicht auch vererbbar ist, aber immer mit Schwäche, Schuld und Versagen in Verbindung gebracht wird. Erst seit einiger Zeit weiß man um die Bedeutung, die Dauerstress bei der Entstehung von Depressionen haben kann.1
Mit diesem Wissen ist auch die Arbeit als auslösender Faktor in den Fokus der Wissenschaftler und Psychiater gerückt. Immer mehr Zeichen deuten inzwischen darauf hin, dass die heutigen Arbeitsbedingungen, mit ihrem hohen Tempo und der wachsenden Arbeitsdichte, ihren hohen Anforderungen an Flexibilität und soziale Fähigkeiten, oftmals Auslöser für Erschöpfungskrankheiten bis hin zu Depressionen sind.
Kann es also sein, dass Arbeit krank macht? Und wenn ja, was sind die konkreten Auslöser? Welche Krankheiten verursacht Arbeit in der modernen Dienstleistungsgesellschaft? Und, nicht zuletzt, wie können wir uns davor schützen? Diese und ähnliche Fragen werden in der Öffentlichkeit zunehmend gestellt. Die Informationsmedien haben das Thema entdeckt. Das Magazin Stern schreibt über »Kollege Angst«.2 Das TV-Magazin Report widmet dem Thema »Psychostress im Job« einen Beitrag.3 Die Süddeutsche Zeitung berichtet über Leistungsdruck und den »Tatort Arbeitsplatz«.4 Nur die Unternehmen stellen sich zum Großteil noch taub. Psychische Probleme im Job, Stress und Erschöpfung sind immer noch ein Tabu.
Die Krankenkassen weisen umso vehementer auf das Thema hin. Der DAK-Gesundheitsreport 20025 zeigte in Deutschland zum ersten Mal deutlich, dass Arbeitsunfähigkeit aufgrund von seelischen Erkrankungen deutlich zunimmt. Der Trend hat sich im Gesundheitsreport 20056 so sehr verstärkt, dass der Report sich speziell mit der konstanten Zunahme von psychischen Erkrankungen – vor allem Depressionen – und den möglichen Zusammenhängen mit den heutigen Arbeitsbedingungen beschäftigt. Die Zahlen sind alarmierend: Die Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund seelischer Erkrankungen haben im Beobachtungszeitraum 1997 bis 2004 um 69 Prozent zugenommen. Die Zahl der Krankheitsfälle ebenfalls um 70 Prozent. Besonders betroffen sind Mitarbeiter im Gesundheitswesen, in der öffentlichen Verwaltung, in Organisationen und Verbänden, also in Bereichen, in denen direkt mit Menschen gearbeitet und kommuniziert wird.
Die Experten sind sich in der Beurteilung der Zahlen nicht einig. Viele sehen einen engen Zusammenhang zwischen dem Anstieg der seelischen Erkrankungen und den Belastungen in der Arbeitswelt. Andere weisen darauf hin, dass seelische Erkrankungen heute vielleicht auch nur besser diagnostiziert werden. Oder dass einfach mehr und offener über seelische Probleme in der Öffentlichkeit gesprochen wird. In jeder Talkshow berichten Menschen inzwischen über ihre Probleme, Befindlichkeiten und Grenzbereiche.
Doch selbst wenn diese Faktoren bei der sichtbaren Zunahme von Depressionen eine Rolle spielen mögen, scheint es doch, dass Depressionen und andere psychische Erkrankungen in der Bevölkerung auch tatsächlich zunehmen. Nicht nur in Deutschland berichten Studien von der Zunahme depressiver Erkrankungen. Berichte aus Nachbarländern wie den Niederlanden oder Schweden zeigen ebenso eine Zunahme von Langzeiterkrankungen aufgrund von Depressionen.7
Die »Burden of Desease Statistics« (Statistik der Belastung durch Krankheiten)8 der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Weltbank sieht die Depression im Jahre 2030 weltweit an zweiter Stelle der Erkrankungen, die, gemessen am Grad von Behinderung und Verlust von Lebensqualität, die Menschheit am stärksten belasten. Damit käme die Depression direkt hinter Aids. Derzeit steht die Depression bereits auf dem vierten Platz auf der Leidensstatistik der Menschheit, nach Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen, Infektionen der Atemwege und Aids.
Auf Kongressen und Tagungen zum Thema Depression in Deutschland, Europa und den USA rückt dabei immer häufiger die Rolle der modernen Arbeitswelt in den Vordergrund. Prof. Marie Asberg, eine führende Depressionsforscherin des Stockholmer Karolinska-Instituts, berichtete auf dem Europäischen Psychiaterkongress 2002,9 dass eine Nachuntersuchung bei 70 Prozent der Arbeitnehmer, die wegen einer Depression länger als drei Monate arbeitsunfähig waren, ergab, dass die möglichen auslösenden Faktoren im Bereich der Arbeitswelt lagen. Das »Deutsche Bündnis gegen Depression« hat unter dem Titel »Müde, erschöpft, leer – krank? Was tun, wenn Mitarbeiter ausbrennen oder depressiv werden?« Materialien zur Früherkennung von Depressionen und zur Erleichterung der Wiedereingliederung am Arbeitsplatz entwickelt.10 Die amerikanische Psychiatergesellschaft hat zusammen mit großen Firmen eine »Nationale Partnerschaft für seelische Gesundheit am Arbeitsplatz«11 gegründet. Und der französische Soziologe Alain Ehrenberg schreibt zusammenfassend über die deutliche Zunahme von depressiven Erkrankungen seit dem Zweiten Weltkrieg: »Nur eines ist diesen epidemiologischen und statistischen Untersuchungen gemeinsam: Sie betonen die Bedeutung des gesellschaftlichen Wandels«.12 Alle Zeichen deuten darauf hin, dass die moderne Gesellschaft, und vor allem die heutige Arbeitswelt, immer mehr Menschen aus dem seelischen Gleichgewicht bringt.
»Die fetten Jahre sind vorbei«, dies ist nicht nur der Titel eines preisgekrönten Films aus dem Jahr 2004. In der Bundesrepublik ist mit dem Fall der Mauer ein beschütztes und prosperierendes Leben an der Schnittlinie der Blockkonfrontationen zwischen West und Ost, zwischen Kapitalismus und Kommunismus zu Ende gegangen. Das viel beschworene Wirtschaftswunder ist rückblickend nicht nur der Tüchtigkeit und Leistungsfähigkeit der Deutschen und der sozialen Marktwirtschaft zuzuordnen, sondern auch den Vorzügen einer geopolitischen Sondersituation zuzuschreiben.
Günter Grass beschreibt in der Wochenzeitschrift Die Zeit vom 4. Mai 2005 die Herausforderung, die sich für Deutschland aus dem Fall der Mauer ergeben hat.13 Er sieht den Bundesbürger schutzlos einem Diktat der Ökonomie ausgesetzt und hält Politik und Staat nicht so sehr von Rechts- oder Linksradikalismus bedroht,...