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Der Fluch des Skipetaren - Karl Mays Magischer Orient, Band 2

Alexander Röder

 

Verlag Karl-May-Verlag, 2016

ISBN 9783780214027 , 480 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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11,99 EUR


 

Erstes Kapitel
Auf fremdem Grund


„O Sihdi“, sagte mein Freund und Gefährte Halef, der an meiner Seite stand. „Ich weiß nicht, wie wir dies überstehen sollen!“ Dabei warf er mir einen furchtsamen Blick zu, was ich nur äußerst selten bei ihm erlebt hatte.

Ich, Kara Ben Nemsi, schaute ihn an und nickte ihm Mut zu. Ich hatte mit Hadschi Halef Omar, dem kleinen Mann mit dem großen Herzen, schon viele Abenteuer und Gefahren überstanden. Und niemals hatte ich an seiner Tapferkeit zweifeln müssen, wenn es wirklich zum Kampf gekommen war. In diesem Augenblick aber, so muss ich gestehen, war auch mir etwas seltsam zumute, und wenn meine treuen Leser dies verwundern mag, die ihren Helden in vielen Reiseerzählungen doch niemals als zögerlichen Zauderer kennengelernt haben, so darf ich ihnen die näheren Umstände schildern.

Halef und ich befanden uns in Istanbul, Stambul genannt, der herrlichen Stadt am Bosporus, deren Jahrtausende währende Geschichte angefüllt ist von den Herrlichkeiten und Schrecknissen, welche die Menschheit an vielen Orten gebiert, aber wohl nirgends so schillernd und atemberaubend wie hier, am Schnittpunkt von Orient und Okzident. Allein die beiden früheren Namen dieser Metropole, Byzanz und Konstantinopel, erwecken in einem jeden mannigfaltige Vorstellungen und Bilder, in denen Pracht und Macht der großen Kulturen des Mittelmeerraums sich teils funkelnd, teils furchterregend darstellen. Wer dächte nicht an die sprichwörtlichen byzantinischen Schwelgereien, an den Aufstieg des östlichen Rom, nachdem das westliche Rom in Dekadenz versunken war? Wer erinnerte sich nicht an den großen christlichen Kaiser Konstantin, dessen Namensstadt später an die osmanischen Türken fiel, welche dadurch die Künste und Werte der alten Griechen ins finstere europäische Mittelalter brachten, in dem nach Italien fliehende Dichter und Denker die Renaissance begründeten?

Und hier erlebte ich mit meinem Gefährten Halef allerlei Abenteuer voller Rettungen und Rache, Entführungen und Ehrenduelle, die ich in früheren Bänden meiner Reiseberichte getreu wiedergegeben habe: Meinen Lesern ist daher der Genueserturm im Stadtteil Galata ein Begriff ebenso wie die Landzunge des Goldenen Horns, sie kennen Eyub und Baharive Keui, sie haben gehört von Pera, Tepe Baschi und Sankt Dimitri – alles Orte und Gegenden innerhalb der Stadtgrenzen Stambuls, die ich durchstreift oder gar durchrannt hatte, um den Guten Gerechtigkeit und den Bösen Bestrafung zu bringen.

Dies alles ist nun zwei Jahre her, und seitdem ist viel geschehen.

Nun aber, in diesem Sommer 1874, war ich wieder in Stambul. Und wieder war ich mit Halef auf Verbrecherjagd. Vor zwei Jahren hatten wir die Schurken Hamd el Amasat und Mübarek gejagt und zur Strecke gebracht, und an beide dachten wir mit Abscheu und angesichts der gerechten Schicksale durchaus mit Genugtuung. Aber was war mit ihrem Herrn Kara Nirwan, dem Schut, jenem größten der Bösewichte des Balkan? Wie ich im vorigen Band meiner neuesten Abenteuer schilderte, hatte ich zu unser aller Erstaunen nicht nur erfahren, dass er noch lebte und keineswegs bei dem Sturz in die Verräterspalte, einer tiefen Schlucht bei Rugowa, gestorben war, sondern dass er zudem durch finstere Pläne mit dem ruchlosen Machtmenschen Ahmar Al-Kadir verbunden war, welcher leider ungestraft hatte fliehen können. Wir hatten außerdem herausgefunden, dass sich Al-Kadir mit dem Schut irgendwo auf dem Balkan treffen wollte, um dort gemeinsam weiter zu versuchen, ihren Machtdurst in schreckliche Taten umzusetzen.

Halef und ich hatten also beschlossen, aus dem Maschrik, dem nordöstlichen Teil Arabiens, der zur Zeit unter türkischosmanischer Herrschaft stand, in die Hauptstadt des Reiches zu reisen, um Istanbul als Ausgangspunkt für unsere Hatz auf Al-Kadir und den Schut zu nehmen. Bevor wir uns aber auf den Weg durch den wilden Balkan machen konnten, hatten wir noch die eingangs erwähnte Situation zu meistern.

Wir standen also da, an einem uns nicht vertrauten Ort, und sahen uns einer nicht geringen Zahl eigentümlich gekleideter Menschen gegenüber, die uns anstarrten. Wir waren gerade durch die Tür getreten, in diesen großen Raum in einem großen Haus in einem gewissen Viertel von Istanbul, welches von nicht wenigen gemieden und von mindestens ebenso vielen geschmäht wird. Und in den Blicken der anderen vermeinten wir eine gewisse Abneigung, wenn nicht gar Feindseligkeit zu spüren!

Nun, solches waren Halef und ich als Reisende und Abenteurer durchaus gewöhnt. Die Menschen vieler Orte stehen fremden Neuankömmlingen, wenn nicht unbedingt feindselig, so aber doch misstrauisch gegenüber. Ob in der Wüste, im wilden Kurdistan, in den Schluchten des Balkan oder anderswo: Halef und ich hatten uns stets mit Freundlichkeit und Ehrerbietung behaupten können, und wenn die Dinge ärger liefen, so hatten wir auch die heftigsten Gefechte unbeschadet überstehen können. Doch heute waren wir unbewaffnet! Wir hatten weder Revolver noch Messer oder Säbel, und mein treuer Henrystutzen hing nicht über meiner Schulter. Doch die Menschen gegenüber hielten blitzende Dinge in den Händen, die mit ihren Augen um die Wette funkelten, als sie uns anstarrten.

„Nur Mut, Halef“, sagte ich jetzt zu meinem kleinen Gefährten. „Wir haben nichts zu befürchten. Wir werden auch dieses Abenteuer, diese Prüfung bestehen. Wir sind weitgereist und kampferfahren. Wir werden uns tapfer schlagen.“

„Aber Sihdi“, gab Halef zurück. „Ich fühle mich nicht ganz wohl, wie ich so dastehe. Du sprichst von früheren Kämpfen und Abenteuern. Ich will nicht klagen, dass wir unsere vertrauten Waffen nicht dabei haben. Wir werden andere Dinge finden. Aber früher waren wir immer angemessen gekleidet, praktisch und bequem. Diese Maskerade ist so unbequem.“

„Ich stimme dir zu, Halef. Auch ich vermisse die Stiefel und die Jacke, so wie du den Burnus vermisst. Aber ich muss dich auch berichtigen: Wir sind hier und jetzt sehr angemessen gekleidet und eine Maskerade ist es keineswegs.“

„Mir kommt es aber durchaus so vor, Sihdi“, meinte Halef. „Schau dich doch um! Ob unter Kurden oder Tscherkessen, ja nicht einmal unter Albanern habe ich so etwas gesehen.“

„Halef, sei nicht ungerecht“, erwiderte ich. „Jeder Stamm, jede Kultur hat ihre eigenen Gepflogenheiten, nicht nur was die Gebräuche, sondern auch was die Kleidung anbetrifft.“

„Aber es wirkt so unkultiviert“, beharrte Halef. „Diese Schlichtheit und Strenge und Eintönigkeit der Farben ist mir so gänzlich fremd. Und alle stehen herum, während sie rauchen. Niemand sitzt bequem.“

„Du wirst sehen, Halef“, sagte ich, „wenn wir uns erst einmal unter die Menge gemischt haben, wird es nicht mehr so schlimm sein.“

„Das hoffe ich, Sihdi“, gab Halef zurück. „Ich vertraue dir. Du hast noch immer Recht behalten.“ Er schaute noch einmal über die Menschenmenge. „Oder in den meisten Fällen.“

„Nun komm, Halef!“

Und dann betraten wir den großen Saal der britischen Botschaft in Istanbul, wo wir zu einer Abendveranstaltung zu Ehren der Königin Victoria geladen waren.

Der Raum war hoch und prächtig, wenngleich auf eine recht kühle Art. Im Licht der kristallenen Kronleuchter schimmerten Stuck und Marmor und die Messingkübel der Zimmerpalmen. Diese waren natürlich, wie der Name schon sagt, jene niedrige, fiedrige Art von Palmengewächsen, wie sie überall in Europa von Wohlhabenden und Bürgerlichen als Belebung ihrer heimatlichen vier Wände genutzt werden, und die sich von den großen Palmen des Orients, welche sich in Oasen und Plantagen finden lassen, deutlich unterscheiden. Und auch die Menschen in diesem Saal boten einen völlig anderen Anblick als die Orientalen, die sich in Basar und Karawanserei tummeln. Es war hier eben britischer Grund und Boden, auch wenn er sich in Istanbul befand. Die Gäste, oder vielmehr die geladenen Herrschaften, waren auch zum größten Teil Briten, standen ehrenhaft und steif da und hielten Konversation. In schwarzem Frack und weißem Hemd erschienen die Herren wie gravitätische Trauervögel, während die Damen sich paradieshaft geplustert hatten und zwar immer noch verhalten, aber eben doch farbenfroher als die Herren, in aufwändigen Kleidern und voluminösen Roben und funkelndem Schmuck nach Aufmerksamkeit heischten und diese auch erhielten: anerkennend durch die Herren, wohl eher neidisch und herablassend durch die anderen Damen.

Auch Halef und ich waren, wie erwähnt, passend und angemessen gekleidet. Wir beide trugen Frackschöße und Lackschuhe in Schwarz, Kragen und Schleife sowie Weste in Weiß, und alles aus den feinsten Materialien und dem edelsten Zuschnitt. Halef hatte Recht: Sonst trugen wir durchaus andere Kleidung, robust, bequem und weit, aus Leder und Kamelhaarwolle, dem heißen Klima und den sandigen, staubigen Landschaften geschuldet. Es war nun aber nicht so,...