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Zuckermond

Astrid Martini

 

Verlag Plaisir d'Amour Verlag, 2016

ISBN 9783864952746 , 348 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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6,99 EUR


 

Kapitel 1


 

Helena Denhoven bugsierte den unförmigen Rahmen, über den eine Leinwand gespannt war, aus ihrem Wagen, schnappte sich ihre Handtasche und fluchte leise. Das morgendliche Telefonat mit ihrem Vater hatte ihr gründlich die Laune verdorben und sie bezweifelte, dass sich heute noch etwas daran ändern würde. Immer noch fluchend betrat sie das kleine, gemütliche Atelier, welches sie sich mit ihrer Freundin Sabina teilte und stürmte grußlos, und mit überaus grimmigem Gesichtsausdruck, an ihrer fassungslosen Freundin vorbei.

„Hey, was soll das denn?“ Sabina, eine erfolgreiche Künstlerin, die ihre Kindergeschichten auf liebevolle Art und Weise selbst illustrierte, lief ihr kopfschüttelnd hinterher.

Vorwurfsvoll stemmte sie ihre Hände in die Hüften. „Ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber mal ganz im Ernst: Es ist alles andere als nett von dir wie ein Racheengel an mir vorbeizurauschen, ohne mich auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen.“

Helena seufzte tief auf und ihre schönen grauen Augen füllten sich mit Tränen, während ihre sanft geschwungenen Lippen zu beben begannen.

„Es tut mir leid. Aber ich war kurz vorm Explodieren und konnte in dem Moment nicht anders. Verzeihst du mir?“

„Klar, verzeihe ich dir! Was ist passiert?“ Sabinas mitfühlender Blick ruhte auf der Freundin, die mit zitternden Händen ihr Bild auf die Staffelei hievte und krampfhaft versuchte, ihre Tränen zurückzuhalten.

„Ich mach uns erst einmal einen Kaffee und dann erzählst du mir, was los ist, okay?“

Dankbar nickte Helena und zauberte sogar ein winziges Lächeln auf ihre Lippen. Zwar unter Tränen, aber immerhin. Kurze Zeit später nahm sie die dampfende Tasse entgegen.

„So und nun erzähl mir, was los ist. Welche Laus ist dir über deine entzückende Leber gelaufen? Sobald ich es weiß, werde ich ihr den Garaus machen.“

„Glaub mir, ich wünschte, es wäre lediglich eine Laus, denn gegen Ungeziefer wüsste ich mich zu wehren. Aber es sind mal wieder meine über alles erhabenen Eltern, die mir das Leben zur Hölle machen. Sie setzen mir zu. Und wie! Und das Schlimme ist, dass sie wirklich und tatsächlich die Gabe haben, mit jedem Mal energischer zu werden, während ich mich von Mal zu Mal mehr in die Enge getrieben fühle. Ich komme mir langsam aber sicher vor wie eine zappelnde Fliege, die im Netz einer Spinne gefangen ist und es einfach nicht schafft, sich zu befreien. Da kann die Fliege noch so viel zappeln und wüten – alle Befreiungsversuche bleiben erfolglos. Denn die Spinne und das Netz sind wesentlich stärker und auch mächtiger.“ Helena schlug ihre Hände vors Gesicht. „Langsam aber sicher glaube ich, die ganze Welt hat sich gegen mich verschworen.“

„Hey, hey. Vergiss nicht, ich bin auch noch da. Ebenso wie Kathrin. Wir sind immer für dich da und gehören mit Sicherheit nicht zu den Leuten, die sich jemals gegen dich verschwören würden.“

Helenas Züge wurden weich. „Ich weiß, und ehrlich gesagt wüsste ich auch gar nicht, was ich ohne euch tun würde. Ach, Sabina. Ich bin so verzweifelt und habe Angst, unter dem Druck meiner Eltern zu zerbrechen.“

„Du bist ein zerbrechlicher, sensibler und sehr emotionaler Mensch, keine Frage. Aber unter der ganzen Zerbrechlichkeit stecken auch eine enorme Stärke und Willenskraft. Sonst hättest du es mit Sicherheit nicht geschafft, dich zumindest schon einmal so weit von deinen Eltern zu befreien wie bisher.“

„Was habe ich diesbezüglich denn schon großartig geschafft? Du siehst doch, ein Telefonat und meine Welt gerät aus den Fugen.“

„Süße, trotz aller Widerstände bist du dem Gut deiner Eltern entflohen und hast dir eine eigene Wohnung gesucht. Ganz zu schweigen davon, dass du, obwohl deine Eltern strikt dagegen waren, beruflich den Weg eingeschlagen hast, den du wolltest. Und nicht den, den deine Eltern für dich vorgesehen hatten.“

Helena lachte bitter auf. „Und genau das bekomme ich nun täglich vorgeworfen. Denhoven sei nicht bloß ein Name. Er bedeute Verantwortung. Und dieser Verantwortung habe ich mich diesbezüglich – aus der Sicht meiner Eltern – schmählich entzogen. Deshalb verlangen sie von mir, ihnen nicht ganz das Herz zu brechen, sondern wenigstens in naher Zukunft zu heiraten und Kinder zu bekommen.“

„Na denen würde ich was flüstern. Mit mir könnten sie nicht so umspringen, wenn es meine Eltern wären, was sie ja – dem Himmel sei Dank – nicht sind. Sie drängen dich also zu einer Hochzeit, ja?“ Sabina schüttelte empört den Kopf. „Den passenden Schwiegersohn haben sie nicht zufälligerweise schon in petto?“

„Ich hoffe nicht. Zutrauen würde ich ihnen aber alles. Zumal schon Andeutungen in dieser Richtung gefallen sind.“

„So, so. Und nun hast du also das Gefühl, du musst so schnell wie möglich heiraten und Kinder in die Welt setzen, damit Mami und Papi wieder lieb mit dir sind?“

„Es ist kein Gefühl. Es ist eine Verpflichtung. Schließlich bin ich ein Einzelkind. Dadurch gehöre ich zu den letzten Denhovens und ich kann sie nicht schon wieder enttäuschen.“

„Womit hast du deine ‚ach so armen’ Eltern denn so tragisch enttäuscht? Du lebst anständig und solide, hast am Wochenende deine erste Ausstellung und bist auf dem besten Weg eine gefragte Künstlerin zu werden. Soweit ich weiß, hast du auch noch nie einen Strafzettel bekommen oder sonst gegen irgendwelche Regeln verstoßen. Wo also liegt deine Untat? Oder hast du etwa eine skandalöse Vergangenheit, die du mir bisher verschwiegen hast?“

Helena lachte amüsiert auf. „Um Himmels Willen, nein. Aber ich bin vom Gut Denhoven weggezogen, habe statt Medizin Kunst studiert. Und nun arbeite ich auch noch als freischaffende Künstlerin.“

„Daran kann ich nun wirklich nichts Verwerfliches finden.“

„Ich auch nicht. Aber es ist nicht das, was Leute wie ich tun sollten.“ Helena seufzte. Sie fühlte sich immer noch schuldig, als sie an die Reaktion ihrer Familie dachte, als sie ihnen ankündigte, dass sie ausziehen und sich voll und ganz der Malerei widmen wolle. Ihre Mutter hatte eine Woche lang deprimiert und von Migräneattacken geplagt im Bett gelegen, ihre Großmutter war tagelang in schwarzer Kleidung herumgelaufen und ihr Vater hatte einen cholerischen Anfall nach dem anderen bekommen und Psychologen und Anwälte konsultiert, um sie von ihrem skandalösen Vorhaben abzuhalten.

„Und was sollten Leute wie du tun?“ Sabina hob spöttisch die Augenbraue.

„Wir sollten einen anständigen Beruf erlernen, einen Mann von Stand heiraten, uns auf Wohltätigkeitsveranstaltungen entsprechend präsentieren und uns nur in elitären Kreisen bewegen.“

„Und natürlich den Stammbaum weiter ergänzen. Vergiss das bloß nicht“, spöttelte Sabina, der man ihre Fassungslosigkeit deutlich anmerken konnte.

Helena übersah das entsetzte Gesicht ihrer Freundin geflissentlich. „Genau. Und genau deshalb werde ich diesbezüglich nun schon seit Wochen von meinen Eltern unter Druck gesetzt. Wenn ich schon beruflich aus dem Rahmen falle, dann soll ich doch wenigstens die anderen Punkte zu ihrer Zufriedenheit erfüllen, damit sie nicht vollkommen unglücklich sind.“

„Du sollst also heiraten, um deine Eltern dafür zu entschädigen, dass du Kunst studiert hast, eine vorzügliche Malerin geworden bist und es verstehst, dein eigenes Leben zu leben? Ich fass’ es nicht!“ Sabina verzog das Gesicht zu einer angewiderten Grimasse. „Was bin ich froh, das ich nicht aus solch erlauchten Kreisen stamme, denn stell dir bloß vor, welche Entschädigung man dann von mir verlangen würde. Schließlich bin ich mit siebzehn für eine Weile von zu Hause weggelaufen, habe am aktiven Tierschutz teilgenommen, war an Demonstrationen für den Frieden beteiligt und habe einschlägige Flugblätter verteilt, um der damaligen Regierung die Augen zu öffnen. Einmal bin ich deswegen sogar verhaftet worden. Skandalös, nicht wahr?“

„Ach, Sabina, ich weiß ja, wie du das meinst und ich beneide dich sehr um deine Freiheiten. Glaub mir, ich habe mir mehr als einmal gewünscht, lediglich ein ganz normales Mädchen aus der Provinz zu sein, ohne dieses strenge Korsett und langweilige gesellschaftliche Verpflichtungen.“

„Das glaub ich dir nur zu gern. Nur – was willst du jetzt tun? Dich etwa auf die Suche nach einem standesgemäßen Mann begeben, so schnell wie möglich heiraten und anschließend ebenso rasch Kinder bekommen?“

Sabina lachte amüsiert auf. „Ich hätte da übrigens einen tollen Anmachspruch, damit du sofort weißt, ob es der passende Mann ist: Hi, mein Name ist Helena Denhoven. Wie weit reicht Ihr Stammbaum zurück?“

„Ja, ja. Mach dich ruhig über mich lustig.“ Helena musste schmunzeln. „Aber ehrlich gesagt könnte ich mir die Mühe sparen, denn meine Eltern würden diese Suche nur allzu gerne selbst in die Hand nehmen. Mit dem Gespür eines Trüffelschweins würden sie ruck, zuck die wenigen passenden Männer aufspüren und einladen. Ich müsste sie dann lediglich noch treffen und sie ein wenig kennenlernen.“

„Ach – du darfst sie vorher kennenlernen? Ich dachte, dein Ehemann wird dir erst nach der Hochzeit vorgestellt.“

„Sabina!“

„Na, ist doch wahr! Das klingt doch wahrhaftig alles nach einer arrangierten Ehe. So etwas lässt doch heutzutage niemand mehr mit sich...