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Kill Shot - In die Enge getrieben - Thriller

Vince Flynn

 

Verlag Festa Verlag, 2016

ISBN 9783865524584 , 464 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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4,99 EUR


 

VORSPIEL

Der Mann wirbelte durch die Luft, nachdem ihm einer der anderen Rekruten einen entschlossenen Stoß versetzt hatte. CIA-Agentenführerin Irene Kennedy beobachtete aus der Deckung des Gebäudes mit beiläufigem Interesse, wie er sich an einem Tuck-and-Roll-Manöver versuchte. Bei dieser Technik hechtete man im vollen Lauf vorwärts, landete mit der Schulter zuerst auf dem Boden, rollte sich zu einer Kugel zusammen und nutzte den Schwung, um direkt wieder aufzuspringen und weiterzulaufen. Er versaute es komplett und landete flach und hart auf der Erde. Beim Aufschlag blieb ihm die Luft weg, wahrscheinlich hatte er sich sogar eine Rippe gebrochen. Kennedy verzog das Gesicht und überschlug die Chancen, dass er es durch die verbleibenden acht Wochen des Trainingsprogramms schaffte. Sie hatte schon so viele Rekruten erlebt, dass sie deren Chancen wie ein Buchmacher in Vegas einschätzen konnte. Bei ihm stufte sie die Erfolgsaussichten auf unter zehn Prozent ein.

Kennedys Gedanken beschäftigten sich allerdings eher am Rande mit dieser aktuellen Gruppe von Kandidaten. Vielmehr drehten sie sich um einen anderen Mann, der vor etwas mehr als einem Jahr diese rigorose Ausbildung durchlaufen hatte. Mitch Rapp war ihre Entdeckung gewesen, und nachdem sie ihn vor rund zwölf Monaten erstmals auf die Lieferanten des Terrors losgelassen hatten, hinterließ er eine Spur aus Leichen von Genf über Istanbul bis nach Beirut und darüber hinaus. Bisher hatte er kein einziges Mal versagt, aber das machte Kennedy eher nervös. Niemand war perfekt. Früher oder später leisteten sich auch die Talentiertesten den ersten Patzer. Dass sie sich dafür eingesetzt hatte, ihn in Soloeinsätze zu schicken, erhöhte das Risiko eines Versagens noch zusätzlich. Keine Verstärkung. Nur ein Vortrupp, der die Lage auskundschaftete, bevor er ganz allein ins Manöver geschickt wurde, um die Drecksarbeit aus nächster Nähe zu erledigen. Keine Teamkollegen, die seinen Hintern retten konnten, wenn es brenzlig wurde. Rapp selbst schätzte das eher positiv ein. Immerhin minderte das fehlende personelle Drumherum die Gefahr einer vorzeitigen Entdeckung.

Prinzipiell gefiel Kennedy dieser Minimalismus. Sie hatte es oft genug erlebt, dass Einsätze künstlich aufgebläht wurden, um dann bereits im Ansatz zu scheitern. Rapp überzeugte sie mit dem Argument, dass im Falle seines Scheiterns ein einziger Mann mit ausländischem Pass auf keinen Fall das Zurückverfolgen der Operation zur CIA nach Langley erlaubte. Hurley, ein echter Hardliner und sein Ausbilder, hatte darauf hingewiesen, dass dieses Spiel nur funktionierte, wenn Rapp am Ende nicht überlebte. Wurde er lebendig erwischt, packte er früher oder später aus, wie es jeder Agent tat, und dann mussten sie mit dem Schlimmsten rechnen. Allerdings ließen sich in ihrer Branche nie alle Eventualitäten ausschließen, und das hatte für Thomas Stansfield am Ende den Ausschlag gegeben, Rapp das Vertrauen zu schenken. Das junge Nachwuchstalent hatte sich bei seinen ersten Einsätzen als äußerst fähig und einfallsreich erwiesen, und Stansfield wollte unbedingt weitere Namen von der Fahndungsliste gefährlicher Terroristen streichen.

Diese Mission unterschied sich allerdings von allen bisherigen. Es stand deutlich mehr auf dem Spiel. Wenn Rapp sich in einem Entwicklungsland ausprobierte, war es das eine, aber in diesem Moment schickte er sich an, ohne offizielle Billigung etwas extrem Illegales zu tun, und zwar in einem Land, in dem er sich nicht den geringsten Fehler erlauben durfte.

Kennedy war so in Gedanken versunken, dass sie die Frage von dem Mann hinter dem Schreibtisch zunächst gar nicht mitbekam. Sie schob eine Strähne der schulterlangen rotbraunen Haare hinter das Ohr zurück. »Entschuldige, was hast du gesagt?«

Dr. Lewis hatte sie während der letzten paar Minuten nicht aus den Augen gelassen. Kennedy war eine komplizierte, selbstbewusste Persönlichkeit, die sich selten eine Blöße gab. Aus beruflichen Gründen interessierte er sich für jede Nuance ihres Verhaltens. »Du machst dir Sorgen um ihn.«

Irene Kennedy bemühte sich um einen betont neutralen Gesichtsausdruck. Dass der Kollege offenbar ihre Gedanken lesen konnte, störte sie. »Um wen?«

»Das weißt du ganz genau.« Lewis’ sanfte blaue Augen versuchten, ihr die Wahrheit zu entlocken.

Kennedy zuckte die Achseln, als sei es völlig normal. »Ich mache mir immer Sorgen, wenn es um einen laufenden Einsatz geht.«

»Allerdings ganz besonders, wenn er daran beteiligt ist.«

Kennedy dachte über den außergewöhnlichen jungen Mann nach, den sie im Umland von New York City entdeckt hatte. Es ließ sich nicht leugnen, Lewis’ Einschätzung traf den Nagel auf den Kopf. Kennedy wusste nicht, ob ihre Sorge mit Rapp selbst zu tun hatte oder mit der zunehmend gefährlicheren Natur der Einsätze, an denen er beteiligt wurde. So oder so, mit dem Psychologen wollte sie darüber nicht reden.

»Was mich betrifft«, sagte Lewis betont sorglos, »mach ich mir eher keine Sorgen um ihn. Ich glaube, das hab ich noch nie.«

Kennedy ließ den Kommentar sacken. Man konnte ihn auf mindestens zwei unterschiedliche Arten interpretieren. »Du hast in deiner Position gut reden. Ich bin seine Agentenführerin und dafür verantwortlich, dass er überhaupt in derartige Situationen gerät. Und ich bin der einzige Rettungsanker, auf den er zurückgreifen kann, falls etwas schiefgeht. Wenn du ein bisschen darüber nachdenkst« – sie zog eine Augenbraue hoch und äffte damit eine von Lewis’ Macken nach – »dürftest selbst du das kapieren.«

Der Psychologe pulte mit dem Zeigefinger an der Unterlippe herum. »Dass man sich über jemanden … oder etwas … Sorgen macht, ist völlig normal und auch gesund. Aber wenn man’s übertreibt …« Er schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht. »Definitiv ungesund.«

Geht das schon wieder los!, ächzte Kennedy innerlich. Dies war kein entspanntes Geplauder. Lewis hatte sich im Vorfeld Gedanken über dieses Gespräch gemacht und den Verlauf genauestens geplant. Kennedy wusste aus Erfahrung, dass jeder Versuch, seinen Fragen auszuweichen, es nur schlimmer machte. Lewis bohrte geduldig und hartnäckig nach, und Stansfield nahm seine Einschätzungen nicht auf die leichte Schulter. Der Doktor schoss sich auf ein Problem ein und bombardierte einen so lange mit Fragen, bis er zufrieden war. Kennedy beschloss, den Ball auf seine Seite des Netzes zurückzuschlagen. »Du findest also, ich mach mir zu viele Sorgen.«

»Das hab ich nie behauptet«, entgegnete der Doktor im Plauderton.

»Aber du hast es angedeutet.«

»Es war lediglich eine Frage.«

»Eine Frage, die du gestellt hast, weil du dir einbildest, etwas bemerkt zu haben. Du machst dir Gedanken um mich. Und nachdem du schon damit rausgerückt bist, wär ich dir dankbar, wenn du das hier nicht wie eine deiner üblichen Therapiesitzungen behandelst, sondern mir erklärst, worum es geht.«

Lewis seufzte. Kennedy reagierte oft so, bei ihm allerdings eher selten. Eher bei Stan Hurley, der ein echter Experte darin war, bei anderen die richtigen Schalter zu drücken. In Lewis’ Gegenwart verhielt sie sich sonst ruhig und professionell. Dass sie auf diese Weise überreagierte, bestätigte ihn in seiner Einschätzung. »Ich finde einfach, wenn es um einen bestimmten Agenten geht, bist du zu sehr mit dem Herzen dabei.«

»Rapp?«, hakte Kennedy nach.

»Genau.«

»Bitte erspar mir dein Psychogeschwätz, dass ich angeblich in ihn verliebt bin.« Kennedy schüttelte den Kopf, als wollte sie damit andeuten, dass so etwas Banales unter ihrer Würde war. »Du weißt genau, so tick ich nicht.«

Lewis quittierte die Äußerung mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Das seh ich genauso. Und darum geht’s auch gar nicht.«

»Sondern?«

»Du traust Rapp zu wenig zu.«

»Ich trau ihm zu wenig zu? Inwiefern?«

»Es geht schon damit los, dass er vor etwa einem Jahr ohne jegliche militärische Erfahrung hier aufgetaucht ist und jeden einzelnen Gegner, den wir ihm vorgesetzt haben, in seine Schranken verwiesen hat. Deinen Onkel Stan eingeschlossen. Seine Fähigkeit, zu lernen, vor allem in so beeindruckender Geschwindigkeit, übertrifft alles, was ich bisher erlebt habe.« Lewis’ Stimme wurde eindringlicher. »Und das betrifft jede einzelne Disziplin.«

»Nicht jede einzelne Disziplin. Was geopolitische Zusammenhänge und diplomatisches Verhalten angeht, gibt er eine schwache Figur ab.«

»Das liegt nur daran, dass er diese Themen als völlige Zeitverschwendung betrachtet, und ich kann ihm da nicht mal widersprechen.«

»Ich dachte, wir legen Wert darauf, Leuten das komplette Paket mitzugeben.«

Lewis zuckte die Achseln. »Innere Ausgeglichenheit halte ich für wichtiger als umfassendes Wissen. Schließlich schicken wir ihn nicht in diplomatische Verhandlungen.«

»Nein, aber er muss trotzdem das große Ganze im Blick behalten.«

»Das große Ganze.« Bei Lewis klang es fast verächtlich. »Ich glaube, Mitch würde die Auffassung vertreten, dass er als Einziger hier das große Ganze im Auge behält.«

Kennedy arbeitete als Frau in einer absoluten Männerdomäne und sie hasste es abgrundtief, wenn Kollegen sie behandelten, als müsse man ihr alles wie einer Erstklässlerin erklären. »Ach wirklich?«, fragte sie gekünstelt.

»Dein Kandidat bringt eine gewisse Grundhaltung mit. Ein besonderes Talent, das noch durch den Umstand verstärkt wird, dass er sich von belanglosen externen Faktoren nicht...