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Kulturgeschichte des Altertums - Leben und Legende der vorchristlichen Seele

Egon Friedell

 

Verlag Null Papier Verlag, 2019

ISBN 9783954188475 , 1282 Seiten

Format PDF, ePUB

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0,99 EUR


 

Ge­schich­te der Ge­schich­te


Von der Ge­schich­te hat es zu al­len Zei­ten eine Art Wis­sen­schaft ge­ge­ben; aber mit sehr ver­schie­de­nen Metho­den. Denn nicht nur jede Wis­sen­schaft, son­dern auch je­des Teil­ge­biet ei­ner Wis­sen­schaft er­for­dert sei­ne be­son­de­re Metho­de, man kann auch sa­gen: sei­nen ei­ge­nen Stil. So be­steht zum Bei­spiel zwi­schen Ge­schich­te der Neu­zeit und Ge­schich­te des Mit­tel­al­ters ein Un­ter­schied nicht bloß des The­mas, son­dern auch der an­ge­mes­se­nen Dar­stel­lungs­art: das Mit­tel­al­ter kann man näm­lich nur als Theo­log be­han­deln. Zu je­ner Zeit wa­ren alle Men­schen Theo­lo­gen, vom Bau­ern bis zum Papst, also muß es doch wohl auch ihr His­to­ri­ker sein. Tritt man mit dem Aspekt ei­nes Pro­fa­nen an die­se Epo­che her­an, so ent­steht: nun, man hat ge­se­hen, was seit der Auf­klä­rung ent­stan­den ist. And­rer­seits aber hat auch je­des Zeit­al­ter sel­ber, ja viel­leicht schon je­des Men­schen­al­ter sei­ne ei­gen­tüm­li­chen Stil­prin­zi­pi­en, so­zu­sa­gen »Bau­ge­dan­ken« im Hin­blick auf die Wis­sen­schaft im all­ge­mei­nen und de­ren sämt­li­che Ein­zel­dis­zi­pli­nen. So ha­ben auch über Zweck und We­sen der Ge­schichts­schrei­bung nach­ein­an­der die un­ter­schied­lichs­ten Auf­fas­sun­gen ge­herrscht. Schon über den Maß­stab, nach dem man den Quel­len »Au­to­ri­tät« zu­zu­schrei­ben habe, war man durch­aus nicht im­mer der­sel­ben An­sicht. Im Mit­tel­al­ter gal­ten als ab­so­lut zu­ver­läs­si­ges Fun­da­ment alle Au­to­ren, von de­nen man an­nahm, daß sie ent­we­der di­rekt in­spi­riert sei­en oder doch auf in­spi­rier­ten Be­rich­ten fuß­ten, also in ers­ter Li­nie alle Apos­tel, alle Kir­chen­vä­ter, aber auch, mit ge­wis­sen Ein­schrän­kun­gen, so­wohl die spä­te­ren Leh­rer von Rang, die s­crip­to­res ec­cle­sia­sti­ci, als auch die Ha­gio­gra­phen, die Ver­fas­ser der Hei­li­gen­le­gen­den. An ihre Stel­le tra­ten in der Re­naissance alle an­ti­ken Au­to­ren: Sie gal­ten für sa­kro­sankt; wahr, sagt der Hu­ma­nist Ma­net­ti, sei al­les, was zum Bei­spiel von Cur­ti­us, Jus­tin, Li­vi­us, Sal­lust, Pli­ni­us und Sue­ton be­rich­tet wer­de, was die Spä­te­ren er­zähl­ten, sei nur wahr­schein­lich. Für die mo­der­ne For­schung spielt die­se Rol­le das so­ge­nann­te »di­plo­ma­ti­sche« Ma­te­ri­al: Ge­sandt­schafts­be­rich­te, Ver­wal­tungs­pa­pie­re, Ver­hand­lungs­pro­to­kol­le und ähn­li­che Ur­kun­den, wie sie vor­nehm­lich in den Archi­ven auf­ge­sta­pelt sind. Es ist viel­leicht nicht über­flüs­sig, dar­auf hin­zu­wei­sen, daß die­ser Ge­sichts­punkt um nichts we­ni­ger sub­jek­tiv und da­her um nichts wis­sen­schaft­li­cher ist als die frü­he­ren; denn es ist beim bes­ten Wil­len nicht ein­zu­se­hen, warum das Zir­ku­lar ei­ner Re­gie­rung kei­ne Lüge und die Re­la­ti­on ei­nes At­tachés kei­nen Un­sinn ent­hal­ten soll. Viel­mehr muß der Be­griff der ab­so­lut zu­ver­läs­si­gen Quel­le für alle Zei­ten und Völ­ker da­hin de­fi­niert wer­den, daß sie dazu wird, nicht weil sie »wahr« ist, son­dern weil die Zei­ten und Völ­ker ihr glau­ben. Im Mit­tel­al­ter glaub­te man an die Kir­che, in der Re­naissance an die An­ti­ke und im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert an die Be­hör­de.

Was die For­m der Ge­schichts­schrei­bung an­langt, so kann man sa­gen, daß je­dem Zeit­al­ter ein an­de­rer Ty­pus als Ide­al vor­ge­schwebt hat, und fast je­dem ei­ner, der sich mit dem Be­griff des His­to­ri­kers nicht deckt. Im Al­ter­tum ist es der Rhe­tor. Die lan­gen ein­ge­leg­ten Re­den wa­ren, ob­gleich durch­wegs er­fun­den, die Glanz­lich­ter und Kern­stücke der Dar­stel­lung und ent­schei­den­den Prüf­stei­ne für das Ta­lent des Ge­schichts­schrei­bers. Aber auch die üb­ri­gen Par­ti­en wa­ren nach rhe­to­ri­schen Ge­sichts­punk­ten ge­formt, näm­lich für den lau­ten Vor­trag, der in der An­ti­ke mu­si­ka­li­schen Cha­rak­ter hat­te; sie wa­ren eine Art von Par­ti­tu­ren. Da man künst­le­ri­sche Ein­heit for­der­te, so war al­les ver­pönt, was von ei­ner an­de­ren Per­son und da­her in ei­nem an­de­ren Stil ver­faßt war. Des­halb wur­den Re­den, die so vor­la­gen, wie sie wirk­lich ge­hal­ten wor­den wa­ren, so­wie Brie­fe und über­haupt alle schrift­li­chen Be­le­ge stets um­ge­ar­bei­tet und der Aus­drucks­wei­se des Au­tors an­ge­paßt. Es ist dies eben das rhe­to­ri­sche Prin­zip. Denn in ei­ner Rede stört je­der frem­de Ton.

Die mit­tel­al­ter­li­che Ge­schichts­schrei­bung dient der Er­bau­ung. Sie schil­dert die Ta­ten Got­tes durch Völ­ker und Füh­rer, die ges­ta Dei per Fran­cos. Sie wäre vor dem Ge­dan­ken zu­rück­ge­schau­dert, Selbst­zweck zu sein. Zwi­schen ei­ner Chro­nik und ei­ner Pre­digt be­steht kein Un­ter­schied der Form. Bei­de sind ein Ge­fäß, in das from­mer Sinn sein Ge­fühl er­gießt. Da­rum ver­mei­den sie auch im all­ge­mei­nen das In­di­vi­dua­li­sie­ren. Denn der ho­mo re­li­gio­sus denkt in Uni­ver­sa­li­en. Die­se Art, die Ver­gan­gen­heit zu schau­en, ist mit dem Mit­tel­al­ter nicht ver­schwun­den, sie hat in Bos­su­ets ge­wal­ti­gen Ge­schichts­dich­tun­gen wei­ter­geblüht und lebt noch in dem feu­ri­gen Schwung der zür­nen­den Kan­zel­re­den Car­ly­les.

Die His­to­ri­ker der Re­naissance hin­ge­gen woll­ten span­nen und er­schüt­tern, Furcht und Mit­leid er­we­cken. Ihr ein­ge­stan­de­nes Vor­bild wa­ren die Tra­gö­di­en Sene­cas. Ne­ben die üb­li­chen drei Dich­tungs­gat­tun­gen trat für sie als vier­te die His­to­rie. Wa­ren die an­ti­ken Ge­schichts­wer­ke Par­ti­tu­ren, so wa­ren die ih­ri­gen ge­wis­ser­ma­ßen Li­bret­ti. Auch die­ses Gen­re hat Nachtrie­be her­vor­ge­bracht, zum Bei­spiel in den dra­ma­tisch be­weg­ten Kom­po­si­tio­nen Schil­lers, die eben­falls von der großen Oper her­kom­men. In­des hat schon die Re­naissance noch eine zwei­te Form her­vor­ge­bracht, die am volls­ten von Ma­chia­vel­li ver­kör­pert ist. Für ihn ist die Ge­schich­te Lehr­meis­te­rin der prak­ti­schen Po­li­tik, Ma­ga­zin der Staats­kunst, De­mons­tra­ti­ons­saal für Re­gen­ten und Di­plo­ma­ten. Die­se Art His­to­rio­gra­phie hat bis in die jüngs­te Ver­gan­gen­heit im­mer wie­der Ver­tre­ter ge­fun­den, eben­so wie die der Auf­klä­rungs­zeit, die pi­kant und po­pu­lär, ha­ran­guie­rend und po­le­misch, ak­tu­ell und ten­den­zi­ös, kurz eine Art Zei­tung ist: ihr glän­zends­ter Ver­tre­ter war im acht­zehn­ten Jahr­hun­dert Vol­taire, im neun­zehn­ten Ma­cau­lay, aber auch die Welt­ge­schich­te von Wells be­wegt sich noch ge­nau in der­sel­ben Rich­tung des ele­gan­ten Leit­ar­ti­kels ei­nes li­be­ra­len Welt­blatts. Aber es hat be­kannt­lich auch eine »ro­man­ti­sche« Ge­schichts­schrei­bung ge­ge­ben, die sich an der Ma­le­rei ori­en­tier­te: ihr Pro­gram­ma­ti­ker war Cha­teau­bri­and, der die Pa­ro­le von der...