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Pontifex - Die Geschichte der Päpste

Volker Reinhardt

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2017

ISBN 9783406703829 , 928 Seiten

Format PDF, ePUB

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28,99 EUR

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Einleitung


Staatsrechtlich ist der Papst heute ein letzter Restbestand Alteuropas: Er ist der einzige absolute, durch keine gesetzgebende Versammlung in seiner Gewaltenfülle eingeschränkte Herrscher des Kontinents. Gewiss, sein Staatsgebiet auf dem Vatikanischen Hügel ist das kleinste der Welt, doch das ändert nichts an dieser Ausnahmestellung. Seine Wahl vollzieht sich nicht demokratisch, sondern unter striktester Geheimhaltung in einem kleinen Kreis von etwa hundert Personen, deren Durchschnittsalter jenseits der in vielen Ländern üblichen Pensionsgrenze liegt. Nach offizieller Lesart kommt in der Kür eines neuen Papstes der Wille des Heiligen Geistes zum Ausdruck, der mit Gottvater und dessen Sohn Christus zusammen nach christlichem Verständnis die Trinität, die heilige Dreifaltigkeit, bildet. Dementsprechend wird der Papst als Heiliger Vater oder auch als Eure Heiligkeit angeredet, was beabsichtigte Missverständnisse zur Folge hat: Der regierende Papst kann nicht als Heiliger verehrt werden, weil man dafür tot sein muss. Eine Anwartschaft auf Heiligkeit scheint das Amt allerdings mit sich zu bringen. Immerhin hat mehr als ein Viertel der Päpste diesen Rang tatsächlich erreicht, die große Mehrheit allerdings in grauer Vorzeit, als dieser Aufstieg noch ohne die Hürden eines hoch formalisierten Prozesses bewältigt werden konnte. In neuester Zeit scheinen sich die Chancen der Päpste auf Heiligkeit allerdings rapide zu verbessern. Von den acht Päpsten, die zwischen 1904 und 2005 regierten, sind immerhin drei bereits heilig, weitere haben angeblich gute Chancen, dies demnächst zu werden oder zumindest die Vorstufe der Seligsprechung zu erklimmen.

Eine Ausnahmeerscheinung, die sich aus den Tiefen der Vergangenheit in die Gegenwart verirrt zu haben scheint, ist der Papst auch durch seine Multifunktionalität. Seine beiden ersten Titel lauten: Bischof von Rom und Stellvertreter Christi auf Erden. Das soll heißen, dass sein Amt nicht von dieser Welt ist, sondern von Gott selbst eingesetzt, und zwar so lange, wie die Geschichte dauert, nach christlichem Verständnis also bis zum Jüngsten Gericht. An diesem Tag des Zorns geht die Zeit in die Ewigkeit über, und jeder Mensch wird gemäß seinen Taten sein Urteil empfangen: Himmel oder Hölle – mit Ausnahme der Heiligen, die der ewigen Seligkeit bereits teilhaftig sind. Die Position als Vikar des Gottessohnes bringt naturgemäß vielfältige Aufgaben mit sich. Nach päpstlicher Interpretation des Matthäus-Evangeliums, Kapitel 16, Verse 15 bis 19, hat Christus dem Apostel Petrus die alleinige Führung seiner Kirche anvertraut; deren «Verfassung» ist also ein für alle Mal als monarchisch festgeschrieben. Als Herren der Kirche beanspruchen die Päpste durch die Gnade Gottes die einzigartige Gabe, in den großen Fragen des Glaubens und der Sittenlehre unfehlbare Entscheidungen zu fällen. 1870 hat ihnen ein Konzil diese Irrtumslosigkeit bescheinigt; sie wurde daraufhin zum Dogma erhoben, an das jeder gute Katholik zu glauben hat.

Zu dieser ersten Vorherrschaft (Primat) über die Kirche gesellte sich früh der Anspruch auf eine zweite, nicht weniger umfassende Hoheit: Als Mittler zwischen Gott und Mensch weit über die Sphäre des rein Irdischen hinausgehoben, übt der Papst eine Aufsichts- und Korrekturfunktion über die Mächtigen der Christenheit aus. Manche Wortführer der päpstlichen Gewaltenfülle dehnten diese Hoheit sogar auf die «Ungläubigen» aus, also auf die Herrscher und Bewohner nichtchristlicher Weltgegenden. Gestützt auf diesen zweiten, moralisch-politischen Primat, haben Päpste früherer Zeiten Kaiser und Könige aus der Kirche ausgeschlossen, für abgesetzt erklärt und ihre Untertanen vom Treueeid entbunden.

Doch damit erschöpft sich das Amt eines Papstes noch keineswegs. Ein doppelter Herrschaftsanspruch von solcher Tragweite ließ sich nur durchsetzen, wenn die dafür nötigen politischen Voraussetzungen gegeben waren. Deren wichtigste lautete: Unabhängigkeit von weltlichen Herrschern durch die Verfügungsgewalt über ein eigenes Territorium. Diese Rolle als Herren Roms und seiner Umgebung haben die Päpste inoffiziell bereits in der Spätantike gespielt; seit dem 8. Jahrhundert sind sie allmählich, nicht ohne Widerstände und Rückschläge, zu Herrschern eines politischen Gebildes geworden, das als Besitz des heiligen Petrus galt und im Laufe der Jahrhunderte zum «Kirchenstaat» wurde. Als dieser am 20. September 1870 mit Waffengewalt erobert wurde und im Königreich Italien aufging, fühlten sich die Päpste um ein göttliches Recht betrogen; in den Lateranverträgen, die Papst Pius XI. am 11. Februar 1929 mit dem faschistischen Italien schloss, gewannen sie dieses Recht und ihren Staat in den bis heute bestehenden Miniatur-Dimensionen zurück.

Zu diesen drei Seelen in einer Papstbrust kam lange Zeit eine vierte: der Papst als Haupt und Förderer eines Familienverbandes. Diese Rolle haben die Päpste vor allem vom 13. bis 18. Jahrhundert mit großer Leidenschaft und vollem Einsatz gespielt; zeitweise wurde so aus der wichtigsten Nebensache die alleinige Hauptsache, zum Beispiel unter Alexander VI. Borgia (1492–1503). Seit dem 19. Jahrhundert tritt der Nepotismus der Päpste stark zurück, doch Chefs eines persönlichen Umfelds und Netzwerks bleiben die Päpste bis heute. Sie haben eine lange Karriere innerhalb der Kirche hinter sich, ihren Aufstieg haben nützliche Freunde unterstützt, Feinde hingegen zu verhindern gesucht. Mit jedem Papst steigt daher eine neue Interessengruppe zur Macht auf; das schlägt sich in der Verteilung der Führungsämter und manchmal sogar in der Sprache nieder. Während des langen Pontifikats Johannes Pauls II. wurde vatikanischen Insidern zufolge das Polnische zur zweiten Amtssprache des Heiligen Stuhls, nach dem Lateinischen.

Als Ausnahme-Institution mit dem Anspruch auf eine doppelte Ausnahme-Macht trat das Papsttum früh in erbitterte Konkurrenz zu den etablierten Herrschern und Gewalten, die sich des Christentums als Staatsreligion, das heißt: als Instrument ihrer eigenen Herrschaft, zu bedienen suchten. Diesen langen Machtkampf konnten die Päpste nur bestehen und zeitweise sogar gewinnen, weil sie sich auf eine immer sorgfältiger und wortmächtiger ausgearbeitete Ideologie stützten, die die von ihnen angestrebte Machtstellung als Ausdruck des göttlichen Willens und zugleich als der Natur des Menschen angemessen und daher vernünftig verkündete. Gefährdet war ihre Position trotzdem. Der Herrschaftsanspruch der Päpste beruhte auf der Interpretation von Bibelstellen, war also abstrakt und angreifbar; umso dringender waren sie darauf angewiesen, die daraus abgeleitete Machtstellung eindrucksvoll zu veranschaulichen. Der Mensch glaubt, was er sieht: Dieser tiefen Einsicht in die Psyche und Beeinflussbarkeit des Homo sapiens folgend, haben die Päpste jahrhundertelang intensiver, kostspieliger und aufwendiger bauen, meißeln und malen lassen als alle anderen Herrscher Europas und sind so zu Pionieren moderner Propagandatechniken und Mediennutzung geworden. Ihr Ziel war es, ihre Hauptstadt Rom als Sitz der höchsten Autorität auf Erden zu kennzeichnen: sichtbar, anfassbar, durchwanderbar. Auf diese Weise wurde Rom zu einem Kulturzentrum ohnegleichen, und der Vatikan mit der Peterskirche, der Sixtinischen Kapelle, dem Papstpalast und seinen Museen zu einem einzigartigen Kunst-Heiligtum. Diese Rolle als pulsierender Mittelpunkt innovativer Ideen und stilbildender Kunstwerke ist seit etwa 1800 ausgespielt; bezeichnend dafür ist, dass die nobel freskierten Borgia-Apartments im Vatikan heute ein Museum für modernen religiösen Kitsch beherbergen.

Gemäß seinem Selbstverständnis steht das Papsttum zugleich über der Geschichte und in der Geschichte. Metahistorisch, also übergeschichtlich, ist sein Anspruch auf göttliche Einsetzung und Unfehlbarkeit sowie die damit verbundene Mission bis ans Ende der Zeit. Historisch und damit dem Wandel unterworfen sind nach eigener Auslegung die Erscheinungsformen des Amts: seine Organisation, seine Behörden, sein Personal und dessen Lebensstil. Mit dieser Verwurzelung in der Zeit und im Menschlichen ist – wiederum nach eigener Anschauung – auch die Sündhaftigkeit verbunden, die die Natur des Menschen nach der Vertreibung aus dem Paradies befallen hat. So kann auch ein böser Mensch Papst werden, wenn der Heilige Geist die sündhafte Menschheit mit einem schlechten Oberhaupt der Kirche strafen will. Der Heiligkeit des Amtes und seiner Irrtumslosigkeit in den dogmatischen Grundfragen aber wird damit nach eigener Auffassung kein Jota fortgenommen. Mit dieser gedanklichen Hilfskonstruktion konnte es sich die mehr oder weniger offizielle Geschichtsschreibung der Kirche erlauben, auch die sogenannten «dunklen Jahrhunderte» des Papsttums mit der «Hurenherrschaft»...