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Abschied von der Solidarität? - Zum Wandel der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit

Andreas Schild

 

Verlag NZZ Libro, 2015

ISBN 9783038100805 , 376 Seiten

Format ePUB

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24,90 EUR

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1. Nepal – Wiege der schweizerischen 
Entwicklungszusammenarbeit

Neben meiner Tätigkeit als Teamleiter des Entwicklungshelferprogramms (Swiss Technical Assistants Programme) war ich Koordinator für die Vorbereitung des Integrated Hill Development Programme (IHDP) 1973/74 und von 1974 bis 1978 Leiter der SATA (Koordinator DEH und Teamleiter Helvetas).

Zwischen 1982 und 2000 besuchte ich Nepal wiederholt im Auftrag von Helvetas und INTERCOOPERATION.

Von März 2007 bis Ende 2011 leitete ich ICIMOD (International Centre for Integrated Mountain Development) mit Sitz in Kathmandu.

1.1  Nepal als Schweizer Land und Land der Schweizer

Keinem sogenannten Entwicklungsland hat die Schweiz so viel Sympathie entgegengebracht wie Nepal. Für viele Schweizer und Schweizerinnen war es das erste Land, das sie ausserhalb Europas kennenlernten. Es war das erste Land, in dem die Schweiz Entwicklungshilfe leistete, bevor diese überhaupt ein Thema war.

Einige betrachten Nepal als eigentliche Wiege der Schweizer Entwicklungshilfe. Weshalb?

Da nach der Unabhängigkeit Indiens 1947 in Südasien ein neuer Wind wehte, glaubte das damalige Regime in Nepal, die hermetische Abriegelung zugunsten einer vorsichtigen Öffnung des Landes aufgeben zu müssen. Weshalb ausgerechnet die Schweiz als Türöffner eingeladen wurde, ist nicht ganz klar. Die verschiedenen Erklärungsmodelle sind interessant, weil sie in einen bestimmten historischen Kontext passen: Einig ist man sich, dass der nepalesische Botschafter in London eine wichtige Vermittlerrolle spielte. Ob er nun seinen Vorgesetzten die Schweiz empfahl, weil er sie wie die englischen Touristen kannte oder weil er das Geld der Ranas, der damaligen Herrscher, über Schweizer Banken verwalten liess, ist nicht klar.

In der Schweiz waren verschiedene Kreise erpicht, der Einladung Nepals Folge zu leisten. Wem sollte das Privileg zukommen, in das geheimnisvolle Land zu reisen? Die Alpinisten um den Schweizer Alpen-Club und Vertreter der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) machten sich die Expedition streitig. In Bern war Aussenminister Petitpierre damit beschäftigt, die schweizerische Neutralität in die Nachkriegszeit zu retten. Mit der Mission nach Nepal konnte ein kleines Fenster der Solidarität ausserhalb des europäischen Kontinents geöffnet werden. Den Zuschlag für die erste Reise und für das, was später als Swiss Forward Team bezeichnet wurde, erhielt 1949 die ETH.

So befand sich die Schweiz in Nepal gewissermassen in der Poleposition, und Nepal wurde geradezu zum Prototyp, wenn von den armen Entwicklungsländern die Rede war. Dies war sicher zu einem wesentlichen Teil den ersten Everest-Expeditionen 1952 und 1956 zuzuschreiben. Die Schweizer Expeditionen hinterliessen nicht nur alpinistisch prägende Eindrücke. Sie rüsteten die Sherpas alpin aus und machten damit die Kulis der Engländer zu Alpinisten und Partnern. Das registrierten die Sherpas sehr wohl, und es entstanden persönliche Freundschaften zwischen Bergkameraden, die späteren Expeditionen wie den Engländern unter Hunt verwehrt blieben.

Von grosser entwicklungspolitischer und historischer Bedeutung sollte aber die Arbeit des Swiss Forward Team ab 1949 sein. Das aus vier ETH-Experten bestehende Team formulierte erstmals konkrete Vorschläge, wie sich die Landwirtschaft und andere Sektoren der Wirtschaft Nepals entwickeln könnten. Eine ganz besondere Anerkennung verdient der frühe Nepal-Kenner und Geologe Toni Hagen. Er schuf mit seinen Fotos und einem Nepal-Buch ein bleibendes Bild eines armen Gebirgslandes mit phantastischen Landschaften, einer unversehrten Gebirgskultur und einer gastfreundlichen Bevölkerung. Dieses Nepal-Bild entsprach den positiven Werten, mit denen sich die Schweizer in der Nachkriegszeit identifizierten. Die schweizerischen Pioniere konnten die Lebensumstände der hart um ihr tägliches Brot kämpfenden Bergbauern sehr gut nachvollziehen. Sie suchten nach Lösungen, die sie aus den Alpen kannten, und hinterliessen ihrerseits in Nepal bleibende Spuren.

Wie Werner Schulthess, der erste Projektleiter des Molkereiprojekts, mit Filzhut, wehendem Bart und Rucksack auf seinem Fahrrad von seinem Wohnort in Patan den Pulchowk hinuntergefahren ist, um in der Molkerei Lainchaur seine Arbeit aufzunehmen, nahmen viele junge Nepalesen sehr wohl wahr und erzählten es weiter. Wie die Schweizer in Banepa, 20 Kilometer ausserhalb des Kathmandu-Tals, regelmässig Milchsammelstellen kontrollierten, während sich die Amerikaner nicht aus dem Kathmandu-Tal hinauswagten, hielt Kaisar Bahadur K. C. dichterisch fest.

Toni Hagen hat nicht nur dem schweizerischen Publikum mit seinem Nepal-Buch eine neue Welt eröffnet. Auch die nepalesischen Primarschüler lernten ihr Land dank den Informationen von Toni Hagen kennen. Wichtige Tatsachen und Hintergrundinformationen über das eigene Land stammten direkt aus Toni Hagens Büchern und wurden auch so zitiert.

Diesen Anfängen fehlte eine klare, mit Daten unterlegte Analyse. Die Schweizer waren nicht die Entwicklungshelfer der 1970er-Jahre, sondern Praktiker. Sie nutzten ihre Fachkenntnisse und die Erfahrungen aus den Alpen, um konkrete Projekte zu realisieren: Käseproduktion blieb während Jahrzehnten das typische Beispiel für die Arbeit der Schweizer im Himalaja und wirkte noch Jahrzehnte als Aushängeschild der schweizerischen Entwicklungshilfe nach.

Die 1970er-Jahre waren nicht mehr die Pionierzeit in Nepal. Erstmals hatten junge Schweizer an der ETH eine fachliche Vorbereitung in Form von Postgraduate-Kursen erhalten. Es ging darum, auf dem fruchtbaren Boden, den die Pioniere hinterlassen hatten, weiterzuarbeiten. Die jungen Schweizer Entwicklungshelfer und -helferinnen waren mehrheitlich von einer echten Nepal-Begeisterung getragen. Respekt vor der ganz anderen Welt und der Wille, diese zu verstehen, standen im Zentrum. Annemarie Spahr, Miss Spahr, wie sie respektvoll genannt wurde, hatte eine wichtige Brückenfunktion. Sie war vertraut mit den Anfängen und eine bestens vernetzte Nepal-Kennerin. Sie versorgte die «Nepal-Schweizer» regelmässig mit Hintergrundinformationen.

Diese Zeit war die Periode der ersten Entwicklungshelfer, deren Ausbildung durch die Nach-68er-Jahre beeinflusst war. Nepal war damals auch der Pilgerort der internationalen Hippiekultur. Die Zeit der Selbsterfahrung kündigte sich unter den jungen Schweizern an. Diese beförderte oft Widersprüche zutage zwischen der formalen Welt der nepalesischen Beamten, die in traditioneller Bekleidung mit Topi, der traditionellen Kopfbedeckung der Nepalesen, arbeiten mussten, und der Informalität eines jungen Schweizer Ingenieurs, der unbedingt in kurzen Hosen zur Arbeit in den Singha Durbar, den alten Ranapalast, der als Sitz der nepalesischen Verwaltung diente, gehen wollte.

1.2  Die 1970er-Jahre: ein Höhepunkt der 
schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit

Das Profil der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit in Nepal

Die 1970er-Jahre des letzten Jahrhunderts waren für die schweizerische Entwicklungshilfe in Nepal in vielerlei Hinsicht eine Periode des Erntens und des Umbruchs. Einerseits gelang es, frühere Erfahrungen der Pioniere zu bestätigen, andererseits hatte die Schweiz den Mut, Neues anzugehen. Beide Tendenzen legten, begünstigt durch grosszügigere Finanzmittel der Schweiz, die Grundsteine für ein langfristiges Unterstützungsprogramm, das die schweizerische Präsenz bis in die Gegenwart mitgeprägt hat.

Der Beginn der 1970er-Jahre stellte für das schweizerische Programm auch eine Art Zäsur dar. Das alte Jiri-Projekt (Jiri Multipurpose Development Project) in Ostnepal, auf halbem Weg zum Everest, das seit 1956 als Flaggschiff der schweizerischen Präsenz in den Hügeln des Landes galt, wurde 1970 beendet, und die Tibeterprojekte befanden sich in einer Konsolidierungsphase. So wurde das Programm, das bisher auf das Hügelgebiet fokussiert gewesen war, vorübergehend auf Aktivitäten im Kathmandu-Tal konzentriert.

In der Periode von 1973 bis 1978 veränderte sich das Profil der schweizerischen Präsenz stark. Bestehende Projekte wie die Teppichproduktion der Tibeter gewannen dank dem aufkommenden Massentourismus an Dynamik. Die Teppiche entwickelten sich zu einem der wichtigsten Devisenbringer des Landes. SATA (Swiss Association for Technical Assistance), die Dachorganisation schweizerischer Entwicklungszusammenarbeit in Nepal, führte auf technischer Ebene Neuerungen ein. Unter dem Einfluss des Buchs von Schuhmacher, Small is beautiful (1973), das westliche Grossprojekte kritisierte und als Antwort auf die erste Energiekrise die Förderung von erneuerbaren Energien propagierte, wurde angepasste Technologie (Sonnenenergie für Warmwasser, Kleinstkraftwerke usw.) ausprobiert. Die Einführung und die kommerzielle Produktion von Solar-Wasserheizungen vorwiegend im Kathmandu-Tal und der Bau und der Vertrieb von Durchströmturbinen für mechanische und elektrische Energie in den Hügeln waren die Folgen. Die Konstruktion von Hängebrücken wurde ständig vereinfacht und das Programm dynamisiert. Aus dem Hängebrückenbauprojekt entstand ein nationales Programm. Entwicklungspolitisch war die Privatisierung der Balaju-Yantra-Shala-Unternehmungen (BYS) eine Innovation. Neu war die Idee, eine ganze Gegend in Ostnepal (die Bezirke Sidhu Palchowk, Dolakha und Ramechap) «integriert» durch ein Förderprojekt zugunsten der Hügelgebiete (Integrated Hill Development Project, IHDP) mit dem Bau einer 115 Kilometer langen Strasse zu erschliessen (Lamusangu-Jiri-Projekt). Dieses...