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Ronja Weisz

 

Verlag Sieben Verlag, 2017

ISBN 9783864437489 , 300 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR


 

Kapitel 1


Silver Springs, Nevada Chapter des Death Raiders Motorradclubs


Manche Dinge wird Ronan in diesem Land nie wirklich kapieren. Wie den Drang der Amerikaner, sich nach ihrem Tod in grauen, wertlosen Staub zu verwandeln und in eine Blumenvase stecken zu lassen, die die Familie dann auf den Kaminsims packt. Ein Toter gehört in einen Sarg, wo die Natur waltet, wie sie es das ganze Leben schon getan hat. Der Mensch wird alt, bekommt Falten und verwest am Schluss. Das ist der Lauf der Dinge. Aber das ist nur seine bescheidene Meinung, die er an diesem Tag lieber für sich behält.

Er sieht mit zusammengekniffenen Augen zu, wie Calebs Old Lady unter herzzerreißendem Schluchzen den Auslöser betätigt, der den Eichenholzsarg auf einer Schiene in die Brennkammer befördert. Der Raum ist mit weißen Blumen und brennenden Kerzen geschmückt. Die Männer vom Bestattungsinstitut stehen mit schicken Anzügen und gesenkten Köpfen daneben. Alles wirkt anmutig und würdevoll. Also exakt das, was der Tod nicht ist.

Ronan erinnert sich daran, wie sein Großvater starb, als er noch ein kleiner irischer Grünschnabel war. Er war der erste, schön drapierte Tote gewesen, dem er gegenüberstand. Heute weiß Ronan, dass nichts am Tod schön ist. Der Anblick seines Großvaters nichts weiter als eine Selbstdarstellung, die die Realität verschleiert. Der Tod ist hässlich und hämisch.

Ronan sieht zu ihrem Präsidenten hinüber, der gerade die letzten Worte gesprochen hat und nun mit einer demütigen Haltung dem Körper seines Vizepräsidenten beim Brennen zusieht. Seine Rede war knapp gewesen, darauf bedacht, nur das Beste zu betonen. Das war kein Tod, der seiner würdig gewesen ist, wiederholt Ronan den Abschlusssatz noch einmal in Gedanken und verkneift sich ein amüsiertes Schnauben. Nein, das war es tatsächlich nicht.

Caleb war zu Lebzeiten kein so großartiger Mann wie ihr Präsident Ezra gewesen, aber er hatte von ihm gelernt, war bereit, in dessen Fußstapfen zu treten. Der ganze Club stand hinter ihm. Als Vizepräsident hatte er in der Vergangenheit oft genug gezeigt, dass er das Zeug hatte, das Nevada Chapter in naher Zukunft anzuführen. Ronan schüttelt kaum merklich den Kopf, als er an Calebs Tod zurückdenkt. Er hatte der verfluchten Klapperschlange schon den Kopf abgeschlagen, ihn in den Händen gehalten, um ihn seinem Sohn zu zeigen, da hat das abgetrennte Mistvieh tatsächlich noch mal zugebissen. Und was macht dieser Vollidiot dann? Behauptete, dass das Gift im Schwanz der Schlange steckt und der Biss gar nicht mehr tödlich ist. Als er seinen Irrtum bemerkte, war es schon zu spät. Ein selten dämlicher Tod.

Und alles, was von der ganzen Scheiße jetzt noch übrig bleibt, ist die brennende Leiche ihres Vizepräsidenten, der nach dem Grillprozess als Häufchen Asche auf dem Kamin seiner Old Lady beim Hausputz zuschauen darf.

Der Tod ist hässlich und hämisch.

Er verlässt das Krematorium als Erster, kann es kaum abwarten, endlich draußen an der frischen Luft zu sein. Dort lehnt er an dem eindeutig zu bunt gestaltetem Willkommensschild in Form eines Grabsteines und steckt sich eine Kippe an. Während er den Qualm erleichtert aus seinen Lungen atmet, sieht er den flüchtigen Wolken nach. Asche zu Asche, Staub zu Staub.

Allmählich löst sich die Trauergemeinschaft auf und läuft in den Sonnenuntergang, wo auf dem Parkplatz des Krematoriums eine Reihe Motorräder auf sie wartet. Erste Motoren dröhnen heulend auf, Staub- und Sandwolken wirbeln hinter den Reifen umher. Ronan hat sich noch nicht bewegt, tut es auch dann nicht, als sich sein Präsident neben ihn stellt. Ezra fährt sich mit der Hand nachdenklich durch seinen weißen, strubbligen Vollbart, hält ihn am Kinn in einer Faust und regt sich nicht mehr.

„Das war ’ne bewegende Rede“, sagt Ronan und stört damit die angenehme Stille zwischen ihnen.

Ezra schnaubt. „Was hätte ich sagen sollen? Scheiße, der Idiot ist als das gestorben, was er sein Leben lang gewesen ist.“

„Als Tierfreund?“, fragt Ronan schmunzelnd.

Sein Präsident schenkt ihm einen spöttischen Blick. „Als verfluchter Oberlehrer. Nenn mir einen, der ihn nicht einen Kopf kürzer machen wollte, wenn er wieder stundenlang über die Flora und Fauna Nevadas referiert hat! Wette, dass er seinem Sohn gerade erklärt hat, wo das Gift aus der Schlange kommt.“

„Schätze, sein Sohn weiß es nun.“

„Du bist ein sarkastischer Bastard, Ronan.“ Ezra lacht heiser auf und lehnt sich neben ihn an das massive Willkommensschild. Sie sind inzwischen die Letzten. Lediglich Ezras Harley Davidson Chopper und Ronans Sportster stehen einsam an der Straße wie treu wartende Begleiter.

„Du weißt, was ich dich nun fragen muss?“ Ezras durch jahrelangen Zigarettenkonsum geprägte Stimme durchbricht die Stille.

„Du kennst meine Antwort.“

„Du hattest damals recht, als du sagtest, dass Caleb ein guter Kandidat ist, den die anderen schätzen lernen werden. Doch die Dinge haben sich geändert. Soll ich jetzt etwa Cope zum Vize machen oder Neil?“

„Nein“, antwortet Ronan ihm bestimmt und sieht zu seinem alten Freund. „Ich bin für den Job nur auch nicht der Richtige.“

„Sagst du mir vielleicht warum?“

Nun blickt Ronan wieder weg von Ezra in die karge Landschaft hinaus. Etwas weiter hinten erheben sich Sandsteingebilde in die Höhe, leuchten feuerrot im Sonnenuntergang. Er kneift die Augen zusammen, als schmerzhafte Erinnerungen seine Gedanken kreuzen. „Ich bin kein Anführer.“

„Ich brauch dich als meine rechte Hand, als den, dem ich vertraue wie keinem Zweiten.“

„Ich geh nirgendwo hin, Ezra. Wenn du mich brauchst, bin ich da. Du hast meine Loyalität und meine Treue, das war noch nie anders.“

Ezra seufzt daraufhin und fährt sich kratzend durch seinen Bart. „Ich kann dich nicht umstimmen? Der Posten schreit nach ’nem Haufen Weiber und Gefälligkeiten.“

„Noch mehr Weiber? Ich komm bei denen, die sich im Clubhaus rumtreiben, schon nicht nach“, sagt Ronan müde lachend.

„Hab ich da was nicht mitbekommen? Hast du dir etwa einen meiner Ratschläge zu Herzen genommen und endlich Trost zwischen zwei Schenkeln gesucht?“

Ronan antwortet darauf nichts, sondern stößt sich von dem Willkommensgrabstein ab und trottet gemächlich auf sein Motorrad zu. Er hört, dass ihm Ezra folgt. Während Ronan ein Bein über den Sattel schwingt und mit einem Seufzen in das weiche Leder gleitet, bleibt Ezra direkt vor ihm stehen. Er greift nach Ronans Lenker und beugt sich zu seinem Freund nach vorn.

„Letztes Wort?“

„Das Clubhaus ist voller potenzieller Kandidaten, denen du nur die Flausen austreiben musst“, antwortet Ronan.

„Du weißt, dass das nicht alles ist, was man ihnen austreiben müsste.“ Ezra schüttelt seinen Kopf frustriert, hält Ronans Lenker weiterhin fest umschlossen und sieht nun zu seinen eigenen, altersgezeichneten Händen hinab. Ronan wartet geduldig darauf, dass Ezra mit den letzten Gedanken rausrückt, die ihm offensichtlich quälend durch den Kopf spuken. Als der alte Mann wieder zu Ronan sieht, trägt er den Blick eines Anführers im Gesicht. „Du wirst ein Auge auf Henry haben. Ich weiß, dass er nicht der Präsident ist, den die Männer sehen wollen. Scheiße, der Junge ist nicht mal das, was ich in ihm sehen will. Aber vielleicht ist da noch eine letzte Chance. Vielleicht kann er sich beweisen, den Respekt der Brüder erlangen. Auch wenn uns nicht mehr viel Zeit bleibt. Mach einen Anführer aus ihm. Einen, dem die Menschen folgen, weil sie’s wollen und nicht weil sie’s müssen.“

Bevor Ronan den Mund öffnen kann, schließen sich Ezras Hände noch fester um den verchromten Lenker. „Erzähl mir jetzt nicht, dass du dafür auch nicht der Richtige bist, verfluchte Scheiße! Ich weiß, was du aus den zitternden Schlappschwänzen in Irland gemacht hast.“

„Und? Hat’s was gebracht? Wo sind diese Soldaten jetzt?“, antwortet er mit dunkler Stimme.

„Niemand hätte ihr Schicksal aufhalten können. Nicht einmal der härteste Ire, den ich kenne. Du hast geschafft, dass aus dem verweichlichten Haufen noch mal Männer wurden, bevor sie ihrem Schöpfer ins Gesicht blicken durften.“

Ronan schnaubt verächtlich und senkt den Blick, die Hände in seinem Schoß. Ezra macht es sich verflucht einfach bei dieser ganzen Geschichte. Er hat nicht sehen müssen, wie viel Stolz und naive Vaterliebe diese Jungs an den Tag gelegt hatten. Sie waren alle von Anfang an chancenlos gewesen. All die...