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Riding Free

Ronja Weisz

 

Verlag Sieben Verlag, 2018

ISBN 9783864437755 , 251 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR


 

Kapitel 1


Portland, Oregon Chapter des Death Raiders Motorradclubs

Meine Oma beschloss, sich im Alter von sechsundsiebzig Jahren von meinem Großvater scheiden zu lassen, weil sie während ihrer letzten Zeit auf dieser Erde keine Kompromisse mehr eingehen wollte. Anschließend tat sie fünf Jahre lang exakt nur, worauf sie Lust hatte. Reiste mit Gruppen von alleinstehenden, ebenfalls jung gebliebenen, älteren Menschen um die Welt, begann mit Yoga und Pilates oder trug neumodische Sneakers. Es gab zudem wohl auch zahlreiche Affären in ihrem neu gestalteten Leben, über die ich lieber nicht im Detail nachdenken will. Bis sie vor vier Jahren aufgrund eines Schlaganfalles viel zu früh verstarb. Als wir sie das letzte Mal sehen durften, kurz bevor man sie einäscherte, wirkte es, als würde sie zufrieden lächeln. Als wenn die vergangenen fünf Jahre ohne die Person, mit der sie vorher ein halbes Jahrhundert ihres Lebens teilte, dennoch die schönsten waren.

Tief drin glaube ich, dass meine Oma und ich uns von all den Menschen in meiner Familie am besten verstanden. Dass ihr Einfluss am einprägsamsten durch meine Adern fließt.

Es erklärt zumindest eine Menge über mein Verhältnis in Bezug auf Männer.

Zeit genug, um über den Ursprung meiner Bindungsphobie nachzudenken, habe ich, denn mein Blind Date ist eine halbe Stunde überfällig. Mein Blind Date, von dem mein bester Freund Alec behauptete, dass er so genau wie ein Schweizer Uhrwerk ticke. Buchhalter, Fitnessfreak, Katzenliebhaber. Mehr weiß ich nicht von ihm. Und wenn ich mir die Kombination der Eigenschaften erneut durch den Kopf gehen lasse, bin ich beim besten Willen nicht sicher, warum ich überhaupt zugesagt habe. Der Steckbrief dieses Kerls klingt wie der wahrgewordene Schwiegersohntraum meiner Mutter. Und wie meine persönliche Garantie, mein Leben endgültig in die Bedeutungslosigkeit verlaufen zu lassen.

Den Tisch in dem Pub, der angeblich die besten Burger in ganz Oregon serviert, habe ich bereits aufgegeben und sitze an der Bar, starre missmutig in mein zweites Gin Tonic Glas. Warum ich nicht nach Hause gehe? Hauptsächlich deshalb, weil mich dort Alec erwartet, der alles über diesen grandiosen Abend erfahren möchte. Ein weiterer, nicht zu verachtender Grund ist mein leerer Kühlschrank. Und mit leer meine ich, dass sich dort nicht einmal Alkohol befindet, auf den ich aktuell nicht verzichten kann. Ich will dieses Glas nur noch zu Ende trinken und mich anschließend nach Hause begeben, um dort frustriert ins Bett zu fallen. Frustriert vielmehr, weil ich tatsächlich so dämlich war und auf Alecs permanentes Drängen eingegangen bin.

Ich hebe das Glas an meine Lippen und will einen Schluck trinken, als mein Handy auf dem Tisch vibriert.

Alec Malone [22:12] Wie läuft’s? Brauchst du einen Notfall-Anruf?

Eva Peters [22:12] Es läuft toll! Bislang habe ich ja nicht an Liebe auf den ersten Blick geglaubt, aber seit heute …

Alec Malone [22:13] Ist das dein Ernst?

Eva Peters [22:14] Natürlich. Er hat mir Bilder seiner Katzen gezeigt und da war’s einfach um mich geschehen.

Alec Malone [22:14] Grant hat nur eine Katze. Und der ist ein Kater.

Eva Peters [22:15] Ich werde ja wohl die Liebe meines Lebens besser kennen als du.

Alec Malone [22:15] Okay, was hast du getan? Ihm wieder deine Waffensammlung auf dem Handy gezeigt? Selbstverteidigungstricks und ihm dabei die Schulter ausgekugelt? Sag nicht, dass du wieder Witze darüber gemacht hast, dass du ihm Drogen aus der Asservatenkammer untergeschmuggelt hast und ihn gleich verhaften wirst!

„Aufgescheuchtes Huhn …“, murmele ich genervt, als ich das Handy mit einem Kopfschütteln zurück auf den Tresen lege und erneut nach meinem Glas greife.

„Hahn. Wenn überhaupt.“ Eine tiefe Stimme lässt mich zusammenzucken. Erschrocken sehe ich zu dem Mann, der direkt neben mir an der Bar steht und gerade eine Bestellung für den Barkeeper aufgeben möchte. Aber da kann er hier ewig stehen. Obwohl nicht sonderlich viel los ist, musste ich den Mann hinter dem Tresen mit diversen ‚Hey’s‘ und ‚Hallo’s‘ gefühlte Stunden auf mich aufmerksam machen. Irgendwann hat der fette Barkeeper dann seine Nase aus dem Smartphone gezogen, um seinen gottverdammten Job zu erledigen. Nur hier stehen und auf ein Wunder warten, wird dem Kerl neben mir also sicherlich keinen Erfolg …

„Oh hey, Mann. Schön dich zu sehen, was darf ich dir bringen?“

Fassungslos starre ich zu dem übergewichtigen Barkeeper, der sich dem Fremden innerhalb von Nanosekunden zugewandt hat und diesen nun fragend anblickt.

„Gib mir ’n Bier“, antwortet der Kerl neben mir.

Daraufhin macht sich der Barkeeper, ohne zu zögern ans Werk. Ich betrachte den Fremden verstohlen und kann den plötzlichen Wunsch nicht unterdrücken, dass es sich bei ihm vielleicht um Grant handelt. Es wäre eine Überraschung. Definitiv. Denn er sieht nicht aus wie ein klassischer Buchhalter, den ich felsenfest mit Anzug und Krawatte in diesem Pub erwartet habe.

Das Exemplar neben mir trägt ein blau-weiß kariertes Holzfällerhemd, das ihm eine Nummer zu groß zu sein scheint. Er füllt es trotzdem ordentlich aus, ohne übermäßig muskulös zu wirken. Doch das könnte auch an seiner Körpergröße liegen, denn obwohl ich mit meinen eins neunundsiebzig eher groß für eine Frau bin, wird er mich im Stehen sicherlich mit mindestens einem halben, wenn nicht sogar einem ganzen Kopf überragen.

Als er sein Gesicht langsam in meine Richtung dreht, schaffe ich es erst viel zu spät, wieder zu meinem Glas zu sehen. Das verfluchte Starren muss ihm aufgefallen sein. Eigenartigerweise erwidert er es, indem er unverblümt, beinahe nachdenklich, ebenfalls in meine Richtung stiert. Vielleicht ist er es ja doch? Unwahrscheinlich … aber nicht unmöglich …

„Hey.“ Ich wende mich ihm zu. „Du bist nicht zufällig Grant?“

Seine Augenbrauen wandern überrascht in die Höhe, lassen mich den nussbraunen Farbton der schmalen Augen im schummrigen Kneipenlicht erkennen.

„Wer zur Hölle heißt denn Grant? Scheiße, so heißen doch nur Kerle, die seit dem Tag ihrer Geburt schon im Krankenhaus vergessen wurden, weil sie so bedeutungslos sind.“

Ich antworte darauf nichts, außer einem müden Lächeln, und nippe an meinem Gin Tonic. Also nicht. Schade.

„Sag bloß, du bist mit ’nem Kerl hier verabredet, der Grant heißt und der noch nicht aufgekreuzt ist?“ Er wendet sich mir vollkommen zu.

Wenn er von der Seite betrachtet schon ansehnlich ist, dann enttäuscht die Front ebenfalls nicht. Er ist breit gebaut, ohne unnatürlich massiv zu wirken. Seine dunkelblonden, fast braun wirkenden Haare trägt er ungeordnet zu einem Zopf am Hinterkopf. Ließe er sie offen, würden sie ihm vielleicht bis über die Schultern reichen, was vereinzelte Strähnen, die sich aus dem Zopf gelöst haben und in den Augen hängen, zeigen. In dem verengten, lauernden Blick liegt etwas Spielerisches, und als er meinen kreuzt, wandert sein Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen in die Höhe. Ich sehe von den Lippen zu dem unordentlichen Rund-um-den-Mund-Bart, der mich irgendwie an den Bart von Johnny Depp erinnert. Außer, dass sich der Mann vor mir offensichtlich nicht einmal die Mühe macht, ihn an den Wangenknochen wegzurasieren. Zusammen mit dem lockeren Zopf wirkt er wie ein Kerl, der sich nicht viel um sein Äußeres schert. Nicht, dass er es nötig hätte, darin viel Zeit zu investieren. Wirklich nicht.

Ich weiß, dass er noch immer auf eine Antwort von mir wartet, also reiße ich mich von seinem anziehenden Aussehen los und räuspere mich.

„Objektiv betrachtet schon.“

„Ich sag dir, wie’s war.“ Er greift nach dem Bier, und ich habe das Gefühl, dass er mir dabei noch näher kommt. Als wollte er mir ein Geheimnis verraten, lehnt er sich ein Stückchen vor zu mir. „Der Kerl hat sich pünktlich ’n Taxi bestellt und wartet jetzt vor seiner Haustür, weil der Taxifahrer ihn vergessen hat. Grants vergisst jeder. Das ist ’ne Tatsache.“ Mit einem bedeutungsschweren Nicken trinkt er einen Schluck von dem Bier.

„Ist das so?“ Ich lache und spiele mit dem Strohhalm des Gin Tonics.

„Ja.“ Er bestätigt mit einem Schmunzeln.

Leichte Fältchen um seine Augen lassen mich ernsthaft an meiner ersten Einschätzung seines Alters betreffend zweifeln. Ich hatte ihn auf Anfang dreißig geschätzt, aber vielleicht lag ich damit daneben.

Während ich von ihm wegsehe, spüre...