dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Angststörungen im Alter

Sigrun Schmidt-Traub

 

Verlag Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2011

ISBN 9783840923289 , 206 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

26,99 EUR

  • Meine Familie ist arm - Wie Kinder im Grundschulalter Armut erleben und bewältigen
    Biographie, Profession und Migration - Rekonstruktion biographischer Erzählungen von Sozialpädagoginnen in Deutschland und Kanada
    Handbuch Jugendkriminalität - Kriminologie und Sozialpädagogik im Dialog
    Biographien verhaltensschwieriger Jugendlicher und ihrer Mütter - Mehrgenerationale Fallrekonstruktionen und narrativ-biographische Diagnostik in Forschung und Praxis
    Soziale Arbeit im Kontrolldiskurs - Jugendhilfe und ihre Akteure in postwohlfahrtstaatlichen Gesellschaften
    Handlungskompetenz in der Jugendhilfe - Eine qualitative Studie zum Erfahrungswissen von Fachkräften
    Die soziale Seite des Lernens - Positionsbestimmung von Schulsozialarbeit
    Schwarzbuch Soziale Arbeit
  • Zwischen Ausschluss und Anerkennung - Lebenswelten wohnungsloser Mädchen und junger Frauen
    Beteiligt sein - Partizipation aus der Sicht von Jugendlichen
    Der klinische Blick in der Sozialen Arbeit - Systemtheoretische Annäherungen an eine Reflexionstheorie des Hilfesystems
    Psychologie - Kultur - Gesellschaft
    Praxisforschung in der Kinder- und Jugendhilfe - Theorie, Beispiele und Entwicklungsoptionen eines Forschungsfeldes
    Der Anti-Bias-Ansatz - Zu Konzept und Praxis einer Pädagogik für den Umgang mit (kultureller) Vielfalt
    Die Soziale Arbeit und ihr Verhältnis zum Humor - Möglichkeiten humorvoller Intervention im Beratungsgespräch
    Kritik der Angst - Zur Bedeutung von Konzepten der Angst für eine reflexive Soziale Arbeit
 

 

3 Überlegungen zu Diagnostik und Therapie von Angststörungen im Alter (S. 72-73)
Sofern sie nicht dement sind, erfüllen auch ältere Patienten die psychischen Voraussetzungen für eine psychotherapeutische Behandlung. In einer vergleichenden Studie zur Psychotherapiefähigkeit von älteren und jüngeren Patienten, die in einer Ambulanz behandelt wurden, konnten in den untersuchten Gruppen keine Unterschiede in der Eingangsdiagnostik oder Diagnosehäufi gkeit – das galt für alle psychischen Störungen – gefunden werden (Maercker et al., 2004). Die älteren Patienten zeigten jedoch eine höhere psychische Funktionsfähigkeit und in zwei von acht interpersonellen Merkmalen sogar günstigere Ausgangswerte. Die von ihnen benötigte Anzahl von psychotherapeutischen Behandlungsstunden war infolgedessen auch signifi kant geringer (nur 21) als bei jüngeren Erwachsenen.

Warum besteht aber bei älteren Menschen eine geringere Nachfrage nach Psychotherapie? In Kindheit, Jugend und jüngerem Erwachsenenalter der Geburtskohorten aus den zwanziger und dreißiger Jahren grassierten noch starke Vorurteile gegenüber psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung. Vorurteile bestanden bei Psychiatern und Psychotherapeuten ebenso wie bei Patienten. In der psychiatrischen Lehrmeinung der Nachkriegsjahre wurden Kriegsheimkehrer trotz schrecklicher Fronterfahrungen in der Regel für psychisch unversehrt erklärt. Die meisten Psychiater jener Zeit erwarteten von ihren Patienten, dass sie trotz aller Widrigkeiten des Lebens hartnäckig und mit Willenskraft zupacken (Goltermann, 2009). Wen wundert es, dass die meisten Vertreter dieser Altersgruppen heute noch psychische Probleme für Schwäche halten und sie deshalb eher verschweigen als in psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung zu gehen.

Psychotherapie wird aber nicht nur aus Schamgefühlen oder Vorurteilen (vgl. S. 91) von älteren Menschen gemieden. Manchmal spielen auch ganz pragmatische Gründe eine Rolle, wie körperliche Bewegungseinschränkungen oder der Geldmangel für Fahrkarten zur Praxis. Nicht zuletzt wissen viele Senioren nicht, dass ihnen psychotherapeutische Behandlung als Leistung der Krankenkasse zusteht.

Hausärzte und Internisten sind häufig die erste Anlaufstelle für ältere Patienten. Nicht immer wird nach psychischen Problemen gefragt. Die diagnostische Nosologie wird zudem erheblich erschwert durch komorbide somatische Erkrankungen, Medikamentenwirkungen und funktionelle Einschränkungen. So kommt es, dass in etwa 50 % der Fälle bei älteren Menschen Angststörungen übersehen werden (Ayers et al., 2007, Wisocki, 2002). Nach der Auswertung von einschlägigen Studien nennen Ayers et al. (2007) und Boerner (2004) folgende Gründe für das häufi ge Übersehen von Angststörungen im Alter:

• Pathologische Ausprägungen der Angst lassen sich bei Betagten nicht so leicht von normaler Angst unterscheiden. Herausforderungen im Alter, wie z. B. das Ausscheiden aus dem Beruf, Leistungseinbußen oder Sterben und Tod von Nahestehenden, lösen bei vielen älteren Personen Ängste aus. Angesichts solcher Erfahrungen würden auch eine ganze Reihe von jüngeren Personen Angst bekommen. Diese normalen Ängste im Alter tragen dazu bei, irrationale Ängste zu überlagern.

• Angststörungen stellen sich im Alter etwas anders dar. Die geringere Bewegungsfreude und das soziale Rückzugsverhalten von älteren Menschen mit agoraphobischen und sozial-phobischen Ängsten werden von den Betroffenen oftmals selbst und von ihren Ärzten als Alterserscheinungen abgetan und heruntergespielt.

• Angstbedingte Beeinträchtigungen, die mit einer oder mehreren Angststörungen einhergehen, werden von älteren Personen oft hingenommen oder als nicht der Rede wert abgetan.

• Da die Diagnose und Behandlung von Angststörungen im Alter empirisch noch zu wenig abgesichert ist, sind Ärzte und Psychotherapeuten weniger sensibilisiert für die Wahrnehmung von Angststörungen im Alter.

Merke: Ältere Personen mit Angststörungen kommen dreimal weniger in psychotherapeutische Behandlung als ältere Patienten mit affektiven Störungen (Ayers et al., 2007). Anstatt in psychotherapeutische Behandlung zu gehen, nimmt schätzungsweise jeder vierte Senior über 70 Jahre Psychopharmaka ein, an erster Stelle Beruhigungsmittel (Ayers et al., 2007, Helsley & Vanin, 2008, Kuhlmey, 2009, Volz & Stieglitz, 2010, vgl. S. 115). Kurzfristig sedieren diese Mittel und rufen Schwindel, veränderte Reaktionszeiten und weitere Nebenwirkungen hervor, langfristig können sie zu Abhängigkeit führen.

3.1 Allgemeine Hinweise für Diagnostik und Therapie
Entsprechend der Vorkommenshäufi gkeit von Angststörungen im Alter (vgl. S. 58) werden in den Kapiteln 4 bis 7 die Diagnostik und Therapie von spezifi schen Ängsten dargestellt. Abgesehen von der Fallangst (vgl. S. 130) sind es dieselben Angststörungen, mit denen auch jüngere Erwachsene zu kämpfen haben. Sie zeigen allerdings eine andere Auftretenshäufi gkeit. Zudem werden bei Senioren häufiger komorbide Ängste und Depressionen beobachtet als bei jüngeren Menschen (vgl. S. 69).

Die am häufigsten vorkommenden spezifi schen Angststörungen im Alter sind generalisierte Angststörung (vgl. Kapitel 4), gefolgt von Panikstörung mit und ohne Agoraphobie, spezifi scher und sozialer Phobie (vgl. Kapitel 5), posttraumatischer Belastungsstörung (vgl. Kapitel 6) und Zwängen (vgl. Kapitel 7). Im Kapitel 8 wird auf die Diagnose und Behandlung von Depressionen und auf die Charakteristika von Demenz und Delirium eingegangen. Internationale klinische Studien orientieren sich an den diagnostischen Kriterien des DSM-IV. Demgegenüber halten sich Therapeuten in der praktischen klinischen Arbeit in Europa mehrheitlich an die Kriterien des ICD-10, das als diagnostischer Leitfaden für explorative Gespräche dient und die Grundlage für die diagnostische Einschätzung und den Bericht zum Antrag auf kognitive Verhaltenstherapie bildet.