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Mein wunderbarer Buchladen am Inselweg - Roman

Julie Peters

 

Verlag Aufbau Verlag, 2018

ISBN 9783841215017 , 288 Seiten

3. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

Kapitel 1


Frieke hasste Überraschungen. Aber sie liebte ihre Hamburger Kollegen und Freunde. Nur deshalb war sie an diesem verregneten Montagmorgen Ende Mai auf dem Weg in die Redaktion der Zeitung, für die sie die letzten zehn Jahre als freie Journalistin gearbeitet hatte. Sie hielt dem grauen Himmel ihr Gesicht entgegen, ein bisschen trotzig: Mich kriegst du nicht, Schietwetter, nächste Woche bin ich weg.

Unterwegs hielt sie bei einem Bäcker und kaufte zwei große Tüten Franzbrötchen. Das war ihre Beteiligung an der Nicht-Abschiedsparty, die hoffentlich auf sie wartete. Also keine Party. Sie hatte nichts geplant, weil sie es albern fand. Schließlich war sie nie fest angestellt gewesen, auch wenn sie zuletzt immer mal einen Arbeitsplatz in der Redaktion gehabt hatte, je nachdem, weil sie an einer großen Enthüllungsstory über Offshore-Konten von Fußballern und deutschen Unternehmern mitgearbeitet hatte. Aber das rechtfertigte nicht, dass heute irgendwer mehr Aufregung als nötig um sie machte.

An was sie nicht dachte, passierte auch nicht. Punkt.

Weil sie auf den Aufzug warten musste, zog sie das Smartphone aus der Tasche und fotografierte die beiden Bäckertüten in der anderen Hand.

Heute Abschiedstour beim KOMET, nach zehn Jahren. Morgen packen und am Wochenende geht’s über’n Teich!

Sie schickte den Tweet ab und steckte das Smartphone wieder ein. Ihre tausendvierhundert Follower würden vermutlich nicht übermäßig auf diese Kurznachricht reagieren. Bis auf die Hamburger, die sich sofort in einer Diskussion darüber auslassen würden, wo es die besten Franzbrötchen gab. In der vierten Etage wurde sie von Emma erwartet, die ihren dicken Bauch vor sich herschob wie ein Frachtschiff, das in den Hamburger Hafen einfuhr und die Containerladung vor sich Richtung Docks schob.

»Meine Güte, wo soll das denn enden?«, fragte Frieke.

Emma grinste. »Hoffentlich in sechs bis acht Wochen in einem Kreißsaal mit zwei gesunden Babys.«

»Ich hab was mitgebracht.« Etwas linkisch hob Frieke die Bäckertüten hoch. Aber neben Emma fühlte sich jeder linkisch. Ihre beste Freundin arbeitete in der Buchhaltung und kümmerte sich um die Reisekostenabrechnungen der vielen Reporter und Journalisten, die für den KOMET Jahr für Jahr die besten politischen Artikel und Reiseberichte schrieben und dafür in alle Ecken der Welt reisten. Frieke hatte zwischen ihren vielen Reisen in den vergangenen Jahren immer wieder mit ihr zu tun gehabt, und aus einem anfänglich rein professionellen Verhältnis war inzwischen eine innige Freundschaft geworden, und das, obwohl sie so unterschiedlich waren. Emma war die Besonnene, die nichts dem Zufall überließ. Sie war sehr penibel und besaß eine natürliche Eleganz, die Frieke so gänzlich fehlte. Vermutlich hatte sie nicht nur ihre Schwangerschaft generalstabsmäßig geplant, weil es jetzt der richtige Zeitpunkt war, sondern auch die Vorbereitungen für die Zeit nach der Geburt bereits vor Monaten abgeschlossen.

Frieke hingegen kam zu ihrem letzten Tag nach acht wundervollen Jahren mit zwei Tüten Franzbrötchen. Was bei jemand anderem vielleicht ein Statement gewesen wäre, musste man ihr schon hoch anrechnen.

»Oh, damit komme ich bis zum Mittagessen.« Emma war trotz ihres Kugelbauchs irgendwie immer noch dünn, und sie konnte essen, was und so viel sie wollte. »Willst du die etwa in der Teeküche abstellen? Die Meute wird die so schnell verputzen, dass die meisten gar nichts davon mitbekommen.«

Ratlos schaute Frieke auf die Tüten. Es sollte eine nette Geste sein, mehr nicht. Immerhin musste sie nachher noch in der Redaktionssitzung ihren letzten Artikel vorstellen. Der Redaktionsleiter Florian, der zugleich ihr bester Freund war, wollte später noch etwas mit ihr besprechen, das hatte er ihr gestern Abend geschrieben, und im Anschluss wollte sie mit Emma einen alkoholfreien Prosecco auf der Dachterrasse trinken. Das war schon mehr Abschied, als sie vertragen konnte. Und danach wäre das Kapitel Hamburg geschlossen. Für immer.

»Wir machen es so, ich bringe die Franzbrötchen in die Küche, und du gehst in die Redaktionssitzung.«

»Ist es schon so spät?« Hektisch tastete Frieke nach ihrem Smartphone, das ihr als Armbanduhrersatz diente, aber Emma hakte sich bereits bei ihr unter und zog sie Richtung Konferenzraum.

»Hast du die E-Mail nicht bekommen? Florian hat den Beginn vorverlegt auf halb elf.«

»Hm, nee. Komisch …«

Die Gänge zwischen den Büros waren zu ihrer Überraschung völlig leer. Sonst herrschte hier immer Betrieb wie in einem Bienenstock. Das Redaktionsteam schien nie zu ruhen.

Erst als Emma die Tür zum Konferenzraum öffnete, der in völliger Dunkelheit lag, schoss Frieke durch den Kopf, was dahinterstecken könnte. Vor allem aber, dass sie Überraschungen hasste. Dass sie in den letzten Wochen immer wieder betont hatte, an ihrem letzten Tag möge bitte niemand irgendwas veranstalten, keinen Empfang, keine Party, auf gar keinen Fall eine Überraschungspar…

»Überraschung!«, schallte es ihr aus Dutzenden Kehlen entgegen, und im selben Moment ging das Licht an. Frieke war auf einmal umringt von den Kollegen, über deren Köpfen ein pinkes Spruchband »Bye-bye Frieke!« verkündete. Sie trugen alberne Partyhütchen und warfen mit Glitzerkonfetti, das auf das üppige Büffet regnete, in das sie den Konferenztisch verwandelt hatten.

»Aber …«

Bevor sie weiter protestieren konnte, schloss Florian sie in die Arme. »Ich weiß«, flüsterte er. »Sie ließen sich nicht davon abbringen. Lächle einfach! Du musst da jetzt durch.«

Frieke lächelte. Etwas verkrampft, aber es war ein Lächeln. Jemand drückte ihr einen ebenfalls pinken Pappbecher mit Sekt in die Hand, Emma war mit einem türkisen Partyhütchen zur Stelle, das sie auf Friekes dunkelbraune Haare setzte und mit einem Gummiband unter ihrem Kinn festzurrte. Irgendwo formierten sich ein paar Kollegen und skandierten »eine Rede, eine Rede!«. Frieke warf Florian einen bösen Blick zu, warf auch Emma einen bösen Blick zu, aber beide hoben verlegen die Schultern, tut uns wirklich leid, schienen sie zu sagen, aber da musst du jetzt durch. Du hast hier Wurzeln geschlagen, ob du es willst oder nicht.

Frieke räusperte sich. Sie zog ihr Smartphone hervor, filmte die lachenden Gesichter ihrer Kollegen, die ihr ja doch irgendwie ans Herz gewachsen waren, die sich um sie drängten und ihr alles Gute wünschten. »Okay«, sagte sie. »Ihr Verrückten. Ihr seid wirklich ein toller Haufen. Ich danke euch.«

Sie schickte den Videoschnipsel über Instagram ab und stürzte den ersten Becher Sekt runter, bevor sie anfing zu reden.

Sie hasste Überraschungen. Aber noch mehr hasste sie es, Abschied zu nehmen. Mit einem schiefen Grinsen sah sie in die vielen Gesichter rings um sich und konnte nicht anders: Sie liebte diese Menschen, die ihr den Abschied so schwer machten.

Fünf Stunden später war die Party fast zu Ende. Nur der harte Kern um Florian und Emma hatte sich in der Küche um die letzten Franzbrötchen geschart. Nach Bier und Frikadellen mit Kartoffelsalat war das der krönende Abschluss.

»Wann geht’s denn los?«, erkundigte sich Daniel und stopfte sich ein halbes Franzbrötchen auf einmal in den Mund. Es war ein glücklicher Zufall, dass er heute hier war. Eigentlich reiste Daniel noch viel mehr als Frieke, er war Reporter für Krisengebiete und war erst vor zwei Tagen aus dem Nordirak zurückgekehrt.

»In einer Woche.«

»Dann lebst und arbeitest du also in Trumpland.«

Sie zuckte mit den Schultern.

»Du wirst uns großartige Reportagen liefern. Ist bestimmt eine spannende Zeit.«

Es war Haralds Idee gewesen, nach Amerika zu gehen. Ihr Freund hatte genug davon, durch die Welt zu reisen, behauptete er. Für ein anderes Nachrichtenmagazin schrieb er seit Jahren von den Krisenherden der Welt und machte damit im Prinzip denselben Job wie Daniel. In den USA wollte er nun mit Frieke eine Agentur aufbauen, die journalistische Arbeit und Magazine – sowohl Print als auch Online – zusammenbrachte. Darin lag die Zukunft, behauptete er. Und sie mussten nach Amerika, um auch den US-Markt zu bekommen. Europäische Agenturen nehme in den USA keiner ernst, außerdem seien die USA der wichtigste Markt. Und Harald dachte in großen Dimensionen.

Frieke hatte gezögert. Doch dann war alles ganz einfach geworden, denn Florian hatte ihr signalisiert, dass er auch weiterhin ihre Reportagen veröffentlichen wolle. Eine Art »Bulletin aus Amerika«, nannte er es, eine feste wöchentliche Rubrik, mit der sie Beobachtungen aus einem veränderten Land schrieb, das schon unter normalen Umständen für europäische Maßstäbe schwer zu begreifen war. Und machte es einen Unterschied, ob sie aus Hamburg oder aus Boston berichtete? Sicher nicht.

Nach diesem anfänglichen Zögern freute sie sich auf die neue Aufgabe.

»Kommst du gleich noch in mein Büro?« Florian schob sich neben Daniel. »Es geht um deinen letzten Auftrag.«

»Oh, ich dachte … Äh …« Frieke geriet ins Stottern. Der Sekt war ihr zu Kopf gestiegen. Sie hatte mit jedem angestoßen, das machte sich bereits bemerkbar.

»Was denn? Dass es nur ein Vorwand war, damit du dich heute nicht vor dem Abschied drückst?«

Sie nickte verlegen.

»Ja doch, es gibt diesen letzten Auftrag.« Florian grinste, denn er wusste genau, was sie dachte. »Und es ist wirklich etwas, das nur du machen...