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Kleinhirn an alle - Die große Ottobiografie - Nach einer wahren Geschichte

Otto Waalkes

 

Verlag Heyne, 2018

ISBN 9783641194499 , 416 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

’s ist mal so, dass ich so bin,

Weiß selber nicht warum.

Hier ist die Schenke, ich bin drin

Und denke mir: Dideldum!

Wilhelm Busch

Familienbande

Am Anfang erschuf ich Himmel und Erde … Dass ein anderer dafür verantwortlich gemacht wird, weiß ich spätestens seit meinem ersten Film, in dem diese Behauptung mit Donner und Blitz widerlegt wird. Doch so fängt man offenbar erfolgreiche Bücher an.

Wo soll ich beginnen? Vielleicht am letzten Oktobertag des Jahres 2004. Da war ich zum ersten Mal in Coburg, Oberfranken. Nicht allein, wir hatten einen Bus gechartert, um für unseren neuen Film auf Kinotour zu gehen. Coburg war eine der ersten Stationen.

7 Zwerge – Männer allein im Wald war der erste Film, in dem ich mit anderen Komikern zusammen gespielt hatte. Zwei davon, Ralf Schmitz und Martin Schneider, fuhren mit. Außerdem waren der Produzent, der Autor und ein paar Freunde an Bord.

Ein grauer Sonntagnachmittag, dazu passend das Kino in Coburg. Es liegt an einer Anhöhe zwischen zwei grauen Ausfallstraßen, mit einem grau gepflasterten Parkplatz hinter der Rückfront aus grauem Beton. Grau waren auch unsere Gesichter, uns steckten noch die beiden Premieren nicht nur in den Knochen.

Premieren sagen erfahrungsgemäß wenig aus über die Erfolgschancen eines Films, von den beiden, die wir hinter uns hatten, war die erste eher mau gewesen. Wir hatten unsere Enttäuschung in Rotwein ertränkt, so hatte ich die zweite, am Tag darauf, nur verschwommen wahrgenommen. Außerdem waren die 7 Zwerge der erste Versuch seit jenem Katastrofenfilm, nach dem meine Kinokarriere allgemein für beendet erklärt worden war.

Trübe Aussichten, die sich schlagartig aufhellten, als wir um die letzte Ecke kamen und die breite Freitreppe sahen, mindestens 39 Stufen, die sich unter Menschen mit Zipfelmützen zu biegen schienen.

Das Geschrei, das uns empfing, ließ mich endgültig verstehen, weshalb die Beatles nach ihrem Auftritt vor 60000 hysterischen Fans im Shea-Stadium keine Livekonzerte mehr geben mochten. Ich liebte das Bad in der Menge – nur ertrinken wollte ich auch nicht.

Wie wir in das Utopolis-Kino selbst hinein- und wieder herauskamen, weiß ich nicht mehr, keine Ahnung, was wir dort gemacht haben oder wie viele Kinokarten und Programme ich im Foyer unterschrieben hatte. In Erinnerung geblieben sind mir nur das besorgte Gesicht des Kinobesitzers – Herr Heublein schwitzte unter seiner Zipfelmütze – und meine Angst davor, dass irgendjemand von der Freitreppe stürzen und eine Massenpanik auslösen könnte. Auf diesen Andrang war niemand vorbereitet gewesen, und für Ordnung sorgen mussten wir schon selbst, was bedeutet, das Chaos war programmiert. Dass alles ohne Blessuren ablief, war eines der Wunder dieses grauen Nachmittages.

Als wir Stunden später wieder im Bus saßen, schwiegen alle, die miterlebt hatten, wie sich das Utopolis in ein Ottopolis verwandelt hatte, erleichtert, erstaunt, erschöpft. Bis der Fahrer plötzlich sein Mikrofon ergriff und erzählte, wie ein paar junge Mädchen zu ihm an den Bus gekommen wären: »Und die haben so lange gebettelt«, sagte er immer noch fassungslos, »bis ich ihnen endlich ein Autogramm gegeben habe. Die wollten unbedingt ein Autogramm! Von mir!« Da aber wusste ich, was wahrer Ruhm ist: ansteckend und gar nicht so vergänglich.

Ein anonymer Chauffeur, den der bloße Zufall, dass er ein paar Komiker durch die Gegend kutschierte, schon zum Prominenten machte – nein, dass ich gerade mit den 7 Zwergen eine Art zweiten Frühling erlebte und die Kinder der Kinder meiner ersten Fans kennenlernte, hatte ich nicht erwartet. Vermutlich ist es übertrieben, so etwas eine Wiedergeburt zu nennen. Also beginne ich am besten mit meiner ersten.

Am äußersten Rand der von unseren Germanen-Ahnen besiedelten Welt liegt ein plattes Land, im Norden begrenzt von der grimmen See, im Westen vom träg fließenden Strom der Ems. Wo die Wasser sich begegnen, liegt eine alte Stadt mit stattlichem Hafen.

Hier in Emden sind sich irgendwann in den dunklen Zeiten des letzten Krieges zwei Menschen begegnet, beide nicht hoch von Wuchs oder Stand und eher unscheinbar in ihrer Erscheinung. Und dennoch bedeuteten sie einander mehr, als jeder andere einem von ihnen je bedeutet hatte. Sie hatten einander sehr lieb.

Meine Mutter hieß Adele Waalkes, nach ihrer Heirat versteht sich. Vorher hieß sie Lüpkes. Der Nachname ist nicht selten in Ostfriesland und oft mit schönen friesischen Vornamen verbunden: Wiard und Wiarda, Menno und Habbo, Gebdine und Harmine, Martje und Trientje, Nantke und Rixte. Waalkes kommt nicht ganz so häufig vor. Immerhin hat in Pilsum bis vor Kurzem ein Mann gelebt, der Waalke Waalkes hieß. Mehr weiß ich nicht von ihm, seinen waaltönenden Namen habe ich zufällig auf einem Grabstein entdeckt.

Was der Name Waalkes bedeutet, weiß ich auch nicht. Ohne das kesse »kes« am Schluss hätte er etwas Urteutonisches: Waalhalla, Waalküre, Waalstatt, Waalgeheimnis – das klingt alles bedrohlich, Unheil verkündend, kriegerisch. Ich bin Pazifist und bilde mir lieber ein, mein Name hätte etwas mit der Waaldorfschule zu tun, deren Begründer Rudolf Steiner bekanntlich ein friedliebender Geist war, der mehr Wert auf Ausdruckstanz und Aquarellmalerei legte. Zu meiner Zeit gab es diese musische Erziehung allerdings noch nicht, zumindest nicht in Emden.

Vielleicht hat der Name Waalkes aber auch mit Walfang zu tun, was ja eine ziemlich tranige Angelegenheit sein kann. Wer als Kind mit Lebertran gefüttert wurde, der schüttelt sich bei dem Gedanken daran noch heute. Angeblich sollte dieser übel riechende Urschleim gut gegen Unterernährung sein. Unter Ernährung stelle ich mir etwas Besseres vor.

Von meinem Vater sind keine walfängerischen Ambitionen bekannt, er war Malermeister. Mein Bruder Karl-Heinz ist immerhin ein paar Jahre zur See gefahren, allerdings nicht als Harpunier, sondern als Bordelektriker. Seine erste Reise sollte ihn nach Osaka in Japan führen. Im Herbst ging es los, Weihnachten sollte er wieder daheim sein.

Als die Stadt Emden, so hieß sein Schiff, den Suez-Kanal passieren wollte, war der gesperrt. Die Suez-Krise! Ich hatte zwar keine Ahnung, wer dafür verantwortlich war, verfolgte aber seine Route auf der Landkarte: Einmal um Afrika herum – und Afrika zieht sich in die Länge. Dann durch den ganzen Indischen Ozean und den halben Pazifik nach Japan. Auf der Rückfahrt fuhren sie um das Kap der Guten Hoffnung und durch den Atlantik. Das geht auch nicht viel schneller.

Zu Weihnachten bekam mein Vater regelmäßig ein sogenanntes Rauchbesteck: Aschenbecher, Zigarettenschachtelhalter und Tischfeuerzeug auf einem versilberten Tablett festgeschraubt. Dazu ein paar Socken. Meine Mutter freute sich seit 1957 alle Jahre wieder über eine Schachtel Mon Chéri. Erst Jahrzehnte später habe ich entdeckt, dass diese Kirschpralinen mit Branntwein gefüllt werden. Den längsten Wunschzettel hatte traditionell ich geschrieben: »Eine Gitarre, ein Fahrrad, ein Schlitten, ein Fahrtenmesser, ein Leuchtglobus« usw.

Dieses eine Weihnachtsfest – es muss Anfang der Sechzigerjahre gewesen sein – mussten wir also ohne Karl-Heinz feiern und sangen auf Wunsch meines Vaters statt »Stille Nacht« dreistimmig »Junge, komm bald wieder, bald wieder nach Haus«.

Es war alles sehr traurig, und als der Junge endlich wiederkam, hatte er keinen Wal erbeutet, sondern ein chinesisches Teeservice für meine Mutter und für mich ein japanisches Kofferradio. Damit konnte man einen Sender namens Radio Luxemburg empfangen, und ich hörte zum ersten Mal die Stimme eines Mannes namens Elvis Presley. Insofern hatte sich die Reise doch gelohnt.

Neulich hat mein Freund und Kollege Michael »Bully« Herbig in aller Öffentlichkeit über mich gesagt, ich wäre für die deutschsprachige Comedy das, was Elvis Presley für den amerikanischen Rock ’n’ Roll gewesen ist. Ich wiederhole das hier gern, weil es so gut klingt und es sonst womöglich keiner tut.

Mein Großvater väterlicherseits ist mit einem Fischkutter in der Nordsee untergegangen. Ob er gerade einem Wal nachgestellt hat, wird bezweifelt. An Lebertran erinnere ich mich nicht, ich wurde vermutlich mit Labertran gepäppelt, der Drang, ständig zu reden – mal anständig, mal unanständig –, ist mir geblieben. Damit war ich in meiner Heimat ein Außenseiter. Frisia non dixit, so viel Latein muss sein.

Meine Landsleute nichtssagend oder mundfaul zu nennen wäre dennoch ungerecht. Mit Faulheit hat ihre Schweigsamkeit nichts zu tun. Sie halten es nur für überflüssig, viele Worte zu machen, wenn man sich auch kurz fassen könnte. Eine Unterhaltung, die nur der Unterhaltung dient, gilt in strengen Kreisen sogar als Sünde.

Meine Mutter kam aus solchen Kreisen. Entsprechend kinderreich war ihre Familie. Sie hatte ungefähr zehn Geschwister, davon allein acht Brüder. Die Lüpkes waren Kohlenhändler und müssen überhaupt ziemlich reich gewesen sein, verglichen mit anderen Familien in Transvaal – ich hab mir den Namen übrigens nicht ausgedacht,...