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Der Tartuffe

Sigrid Behrens

 

Verlag epubli, 2018

ISBN 9783746727943 , 166 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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6,49 EUR


 

1. AKT

Szene I

MADAME PERNELLE und FLIPOTE, ihre Dienerin. ELMIRE. MARIANE. DORINE.

DAMIS. CLÉANTE.

 

MME PERNELLE
Gehen wir, Flipote, gehen wir, damit ich endlich von hier wegkomme.

 

ELMIRE
So schnell, wie Ihr geht, kommt man ja gar nicht hinterher!

 

MME PERNELLE
Lasst gut sein, Schwiegertochter, begleitet mich nicht weiter – solche Förmlichkeiten kann ich gerade überhaupt nicht gebrauchen.

 

ELMIRE
Ehre, wem Ehre gebührt! Doch sagt mir, Mutter, warum nur wollt Ihr so rasch fort?

 

MME PERNELLE
Weil ich diese Zustände hier einfach nicht ertrage, und weil sich hier niemand darum kümmert, ob sie mir gefallen! Ganz genau, ich gehe ziemlich entrüstet von Euch: Was immer ich sage, mir wird widersprochen, nichts wird respektiert, jeder ist anmaßend – Hier geht es wirklich zu wie auf dem Hofe von König Knall!

 

DORINE
Wenn –

 

MME PERNELLE
Für so eine Zofe habt Ihr, meine Gute, ein reichlich großes Maul. Und unverschämt seid Ihr obendrein! Zu allem gebt Ihr Euren Senf dazu.

 

DAMIS
Aber –

 

MME PERNELLE
Ihr, mein Junge, seid ein Dummkopf, wie er im Buche steht – das sage ich Euch als Eure Großmutter, die ich bereits meinem Sohn, Eurem Vater, tausendmal vorhergesagt habe, dass Ihr sehr viel Ähnlichkeit mit einem Taugenichts habt und ihm zeitlebens nur Kummer bereiten würdet.

 

MARIANE
Ich glaube –

 

MME PERNELLE
Mein Gott, seine Schwester, Ihr tut so harmlos und sanftmütig, als könntet Ihr keiner Fliege etwas zuleide tun! Dabei weiß jeder, dass die stillen Wasser die schlimmsten sind, und im Verborgenen führt Ihr Dinge im Schilde, die mir überhaupt nicht gefallen.

 

ELMIRE
Aber meine Mutter –

 

MME PERNELLE
Beste Schwiegertochter, nehmt es mir nicht übel, aber Euer Verhalten ist in jeder Hinsicht schlecht; Ihr müsstet ihnen doch mit gutem Beispiel vorangehen! Ihrer verstorbenen Mutter ist das weit besser gelungen … Ihr hingegen seid ver­schwenderisch, und es kränkt mich ungemein, dass Ihr hier wie eine Prinzessin gekleidet herumlauft. Eine, die nur ihrem Ehemann gefallen will, Schwiegertochter, die braucht sich bestimmt nicht so herauszuputzen.

 

CLÉANTE
Aber Madame, bedenkt doch –

 

MME PERNELLE
Was Euch, ihren Bruder, betrifft, so schätze ich Euch sehr, liebe und verehre Euch; wäre ich allerdings mein Sohn, ihr Gatte, ich bäte Euch eindringlich, uns nicht mehr zu besuchen. Ständig predigt Ihr Grundsätze fürs Leben, die ehrbare Menschen niemals befolgen sollten. Ich spreche frei heraus, so bin ich eben – wenn mir etwas auf der Seele brennt, nehme ich kein Blatt vor den Mund.

 

DAMIS
Da hat es Euer Herr Tartuffe aber gut getroffen …

 

MME PERNELLE
Das ist in der Tat ein guter Mensch, auf den man hören sollte, und es macht mich wütend, mit anzusehen, wie er von einem Verrückten wie Euch lächerlich gemacht wird.

 

DAMIS
Bitte? Soll ich etwa erdulden, dass sich ein miesepetriger Heuchler in diesem Hause breitmacht und seine tyrannische Herrschaft errichtet, auf dass wir uns an gar nichts mehr erfreuen dürfen, solange es dem feinen Herrn nicht beliebt?

 

DORINE
Hörte man auf ihn und glaubte seinen Grundsätzen, jede Handlung wäre schon eine Straftat; alles kontrolliert er, dieser übereifrige Kritiker –

 

MME PERNELLE
– und alles, was er kontrolliert, ist seine Kontrolle auch wert. Sein Ziel ist es, Euch den Weg des Himmels zu weisen! Mein Sohn sollte Euch beibringen, ihn zu mögen.

 

DAMIS
Nein! Versteht doch, Großmutter, dass weder ein Vater noch irgendetwas mich dazu bringen wird, ihm wohlgesonnen zu sein – ich verriete mein Herz, würde ich anders sprechen. Über sein bloßes Benehmen kann ich mich jedes Mal aufregen. Ich ahne es schon, irgendwann werde ich mit diesem Plattfuß gehörig aneinander geraten.

 

DORINE
Im Übrigen ist es doch wirklich skandalös, wie sich hier ein Wildfremder zum Hausherren aufschwingt – ein Habenichts, der, als er kam, keine Schuhe besaß und dessen gesamte Kleidung gerade mal sechs Heller wert war! Dass es so einem gelingt, sich derart zu verkennen, über alles hinweg­zugehen und den Herren zu spielen –

 

MME PERNELLE
Ja, Gottlob! Die Dinge lägen weit besser, wenn sich alle an seine frommen Befehle hielten.

 

DORINE
In Eurer Phantasie habt Ihr es offenbar mit einem Heiligen zu tun … Dabei ist sein ganzes Wesen, glaubt mir, die reinste Heuchelei –

 

MME PERNELLE
Hütet Eure Zunge!

 

DORINE
Weder ihm noch seinem Laurent würde ich trauen, es sei denn, ich hätte einen sehr guten Bürgen zur Hand.

 

MME PERNELLE
Über seinen Diener weiß ich im Grunde nichts, dafür bürge ich für seinen Herren als einen ganz hervorragenden Menschen. Ihr wollt ihm doch nur Schlechtes und weist ihn ab, weil er jedem von euch die Wahrheit ins Gesicht sagt! Die Sünde ist es, gegen die sein Herz in Zorn gerät, das Anliegen des Himmels allein ist es, was ihn antreibt.

 

DORINE
Mag sein, nur: Weshalb erträgt er es neuerdings nicht mehr, dass irgendjemand hier verkehrt? Wie kann ein ehrlicher Besuch den Himmel so kränken, dass man darüber in ein derartiges Geschrei verfällt und uns allen hier die Ohren abfallen? Darf ich einmal sagen, was ich darüber denke, ganz unter uns? Ich glaube, er ist wegen Madame – nun ja: eifersüchtig.

 

MME PERNELLE
Haltet den Mund – und passt auf, was Ihr sagt. Er ist nicht der einzige, der diese Besuche nicht gutheißt. All der Lärm, der von den Leuten ausgeht, mit denen Ihr verkehrt, all die Kutschen, die pausenlos vor der Tür stehen, dazu Ansammlungen von kreischenden Lakaien, all das ist dieser Nachbarschaft ein Dorn im Auge. Ich will gerne glauben, dass da im Grunde nichts passiert, aber man spricht darüber, und das ist nicht gut.

 

CLÉANTE
Ja, wollt Ihr denn, Madame, tatsächlich verhindern, dass man plaudert? Das wäre wahrlich eine unerfreuliche Sache im Leben, wenn man angesichts all der dummen Reden, die über einen geschwungen werden, auf seine besten Freunde verzichten sollte! Und selbst wenn es einem gelänge, glaubt Ihr wirklich, Ihr brächtet die ganze Welt zum Schweigen? Gegen üble Nachrede ist keiner gefeit … Kümmern wir uns also nicht um die dummen Lästermäuler, sondern bemühen wir uns darum, ein anständiges Leben zu führen – und lassen wir die Schwätzer schwätzen, so viel sie lustig sind.

 

DORINE
Daphné, unsere Nachbarin, und ihr kleiner Gatte – sind es nicht vielleicht die beiden, die so schlecht über uns sprechen? Die, deren eigenes Verhalten das lächerlichste von allen ist, sie sind immer die ersten, die über andere herziehen! Kaum ahnen sie auch nur den leisesten Schimmer einer Zuneigung, schon ergreifen sie die Gelegenheit und versäumen es nicht, die Neuigkeit freudig zu verbreiten und die Sache so hinzubiegen, wie es ihnen gerade passt! Genüsslich tauchen sie das Verhalten dritter in ihre Farben und meinen, damit ihr eigenes Tun zu rechtfertigen, spekulieren auf irgendwelche Ähnlichkeiten, die ihre eigenen amourösen Verwicklungen verharmlosen würden und bilden sich ein, der öffentliche Tadel, mit dem sie längst überhäuft sind, könnte womöglich andere treffen als sie selbst –

 

MME PERNELLE
Solche Überlegungen tun nichts zur Sache. Nehmt zum Beispiel Orante, von der jeder weiß, dass sie ein vorbildliches Leben führt: Ihr ganzes Trachten gilt dem Himmel. Nun, ich habe mir sagen lassen, dass auch ihr das Treiben hier ganz und gar nicht gefällt.

 

DORINE
Das Beispiel ist bemerkenswert, denn, Gott!, was ist diese Dame nicht gut! Es ist wahr, dass sie ein enthaltsames Leben führt, allerdings war es das Alter, das ihr das glühende Verlangen danach eingegeben hat – man weiß doch, dass diese Enthaltsamkeit ihren Körper viel kostet! Solange es ihr noch möglich war, den Herzen Schmeicheleien zu entlocken, hat sie die Vorteile reichlich zu nutzen gewusst; allein, seit ihr Glanz zu verblassen beginnt, da will sie der Welt, die sie hinter sich lässt, lieber entsagen, um mit dem pompösen Schleier höchster Weisheit die Schwäche ihrer verbrauchten Züge zu verbergen – so gehen die Koketten von einst mit der Zeit: Es fällt ihnen schwer, mit anzusehen, wie die Reihen der Verehrer ausdünnen, und derart zurückgelassen sieht ihre dunkle Verzweiflung keinen anderen Weg als den der Prüderie. Die Strenge dieser ach so guten Damen verurteilt alles und verzeiht nichts. Lauthals tadeln sie das Leben selbst, nicht etwa aus Nächstenliebe, oh nein! Aus purem Neid, der es einfach nicht erträgt, dass andere jenen Freuden nachgehen dürfen, um die das zunehmende Alter ihre Sehnsüchte gebracht hat …

 

MME...