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VIKING - Eine Jomswikinger-Saga - Roman - Der Bestseller aus Norwegen

Bjørn Andreas Bull-Hansen

 

Verlag Penguin Verlag, 2019

ISBN 9783641233082 , 688 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

1
Versklavt

Aus der Zeit vor meiner Gefangenschaft weiß ich nicht mehr viel. Mir gefällt der Gedanke, dass es glückliche Jahre waren. Oft sitze ich stundenlang da und folge den wenigen Bildern, die ich noch im Kopf habe. Bleibe an einer Eibe stehen und rieche plötzlich den Duft von Gras und warmem Moor. Ich sehe das Glitzern der Sonne grün durch die Baumkronen fallen. Es ist warm, die Hitze brennt auf der nackten Haut, während ich mir einen Weg durchs Unterholz bahne. Farnkräuter streichen an meinen Beinen entlang, und ich spüre den Bogen in der Hand und den Köcher auf der Hüfte. Ich komme in einen dichten Wald, das weiche Moos unter meinen Füßen sagt mir, dass das Meerwasser bei Springflut bis hierher gelangen kann, mitsamt Tang, Muscheln und Krebsen. Dann stehe ich am Strand in der Bucht, sehe die Wellen über das Ufer spülen, die Möwen hoch oben am Himmel.

Rechter Hand liegen die Sandbänke, und nur einen Steinwurf entfernt stehen Vater und Ulfham. Vaters graue Haare flattern im Wind. Sein sehniger Oberkörper ist wie immer etwas zur Seite gebeugt, trotzdem ist er noch so stark, dass ihn in meinen Augen nichts auf der Welt brechen kann. Ulfham bellt, bleibt aber bei Vater – wie immer. Vater nickt kaum sichtbar, bückt sich und hebt eine Muschel auf. Ich nehme den Weg zur Nordseite der Bucht. Ich bin noch jung, ein Kind, aber meine Bewegungen sind bereits geschmeidig und stark. Mit dem Bogen über der Schulter klettere ich schnell und furchtlos über die Uferfelsen bis ganz nach oben, denn ich weiß, dass Vater mich von der Sandbank aus beobachtet. Er macht sich Sorgen, dass ich mich verletzen könnte, denn er hat nur noch mich. Ich muss ihm zeigen, dass ich es kann, dass ich stark wie er bin, denn bald werden die Söhne des Bauern kommen und mich bitten, sie aufs Schiff zu begleiten.

Oben auf den Uferfelsen lasse ich den Blick weit über den Fjord schweifen. An der höchsten Stelle ist eine Warte, und in den ersten Jahren nach dem Krieg musste Vater dort immer ein Feuer entzünden, wenn er ein Langschiff sah. Jede Nacht hat er hier oben Wache gehalten.

Ich setze mich unter das alte Schutzdach, lehne den Rücken gegen die Wand und richte den Blick aufs Wasser. Folge der geraden Linie zwischen Meer und Himmel. Genau dort will ich hin. Auf der anderen Seite des Meeres, weit im Westen, liegt das Inselreich. Bjørn, mein einziger Bruder, ist im letzten Sommer dorthin aufgebrochen. In diesem Jahr bin ich an der Reihe.

Dann stehe ich auf, renne durch Wacholdergestrüpp und kratze mir Beine und Bauch auf. Ich weiß nicht mehr, was für Kleider ich trage. Vielleicht nur den Lappen, den ich mir um die Hüften geschlungen habe. Auf der Nordseite der Landzunge löse ich die Schnur, die ich um den Bogen gewickelt habe. Am Ende ist ein aus einem Dorn geschnitzter Haken. Ich zerdrücke eine Schnecke und schiebe sie darauf.

Dann lege ich mich auf den Bauch und bleibe lange so liegen, unter mir mein Spiegelbild. Die langen, ungekämmten Haare umrahmen mein Gesicht. Meine Züge haben noch etwas kindlich Rundes, aber das wird verschwinden. Man sieht bereits, dass ich zum Mann werde, Stirn und Wangenknochen wirken schärfer als zuvor, und meine Augen liegen tiefer. Sie heben sich blau von dem sonnengebräunten Gesicht ab.

Manchmal streicht ein Fisch an der Angel vorbei. Manche sind dicht an der Oberfläche und zerfurchen mein Spiegelbild mit ihrer Schwanzflosse. Dann sind sie wieder unten am Haken, aber sie sind klein und taugen nicht als Nahrung. Ich zupfe an der Schnur und jage sie weg.

Über viele Jahre hinweg waren das die einzigen Erinnerungen aus der Zeit vor dem Schrecklichen. Ich als Kind beim Fischen und Vater, wie er auf der Sandbank Muscheln sammelt. Erst Jahre später sollte ich zur Halbinsel meiner Kindheit zurückkehren und die Wege finden, die Hirsche und Rehe gebahnt hatten. Ich würde das Schutzdach, das mein Vater errichtet hatte, erneuern und mich erinnern.

Ich muss dort auf dem Felsen eingeschlafen sein. Als ich aufschrecke, ist alles still. Die Sonne steht noch hoch am Himmel, ich kann also nicht lange geschlafen haben. Ich drehe mich um und sehe einen Mann an Vaters Aussichtsplatz. Er trägt nur eine zerrissene lederne Hose, und sein Oberkörper ist von blauen Streifen übersät. Als er mich erblickt, dreht er sich zur Seite. Er ruft etwas in einer unbekannten Sprache und kommt schnell auf mich zu.

Ich weiß noch, wie ich gerannt bin. Von Fels zu Fels, runter ans Wasser. Ich schlage mir das Knie auf, bin aber sofort wieder auf den Füßen. Drei Männer folgen mir, einer von ihnen hält eine Axt in den Händen. Die beiden anderen sind fast nackt, tragen Sklavenringe um den Hals und springen von Stein zu Stein. Einer der beiden heult wie ein Hund. Als sie näher kommen, stürze ich mich ins Wasser und schwimme los, aber sie bekommen mich zu fassen, packen meine Haare und pressen meinen Kopf unter die Oberfläche, bis ich die Besinnung verliere. Dann tragen sie mich über die Landzunge zurück zur Sandbank, wo Ulfham mit einem Pfeil in der Brust im Spülsaum der Wellen liegt.

Vater hatte unser Haus zwischen den Klippen am Ufer errichtet. Damals empfand ich es als ebenso schön wie das Langhaus des Bauern. Andere hätten es bestimmt auf der Leeseite der Felsen gebaut, Vater schien seine Aufgabe aber nie aus den Augen verlieren zu wollen. Sein Blick ging immer über den Fjord, denn sein langes Leben hatte ihn gelehrt, dass Feinde von dort kamen. Nur dieses eine Mal nicht. Im Schutz der Bäume hatten sie sich angeschlichen. Ein alter, abgekämpfter Krieger allein auf einer Landzunge war kaum eines Schwerthiebs würdig.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf der Seite, die Arme auf dem Rücken gefesselt. Erst sah ich nur die Männer, die hin und her liefen. Einige bündelten den Kabeljau, den wir zum Trocknen aufgehängt hatten. Andere prüften die Spannung von Vaters Eibenbogen. Erst als ich mich umdrehte, erblickte ich Vater selbst. Er saß gegen die Wand gelehnt, einen Pfeil in der Brust, und atmete schwer. An der Außenseite seines Schenkels war ein tiefer Schnitt, ein weiterer im Oberarm. Seine Hand lag zitternd und rot von Blut auf seinem Schoß.

Als ich mich aufrappeln wollte, straffte sich das Seil, das man mir um den Hals gelegt hatte.

»Auf dem Hof haben sie mir gesagt, dass du für den Ladejarl kämpfst«, ertönte es hinter mir. Sie sprachen mit meinem Vater. »Was machst du hier in Vingulmørk?«

Vater antwortete nicht.

»Der da, ist das dein Sohn?«

Vater hob den Kopf. »Er ist noch jung, lasst ihn am Leben.«

Der Mann hinter mir fauchte den beiden Sklaven etwas zu, die mich gleich darauf an den Armen packten. Dann gab er seinen Männern einen Befehl, den ich nicht verstand. Zwei von ihnen hockten sich neben Vater und drückten ihn an die Wand.

»Torstein«, rief Vater. »Sieh weg!«

Ich wusste in diesem Moment noch nicht, wer mit ihm gesprochen hatte, doch mit einem Mal spürte ich eine Klinge am Hals, und einer der Fremden trat vor. Ein großer Mann mit blutbeflecktem Kettenhemd. Ohne ein Wort zog er ein langes, gebogenes Messer aus der Scheide und stieß es Vater in den Bauch.

Vater gab keinen Laut von sich, als er aufgeschnitten wurde, nur seine Beine zuckten. Dann ließen sie ihn los. Er saß still da, während sein Blick langsam zu mir wanderte. Er weinte. Ich hatte ihn noch nie Tränen vergießen sehen.

»Brennt es ab«, sagte der Mann mit dem Kettenhemd.

Einer der Sklaven ging in die Hütte. Ich hörte ihn an der Feuer­stelle hantieren, wo wir die Glut im Sand eingruben, damit sie bis zum Abend hielt.

Zwei andere Männer zogen Vater hoch. Er wollte etwas zu mir sagen, aber da steckte der Mann mit dem Kettenhemd seine Hand in Vaters Bauch. Vater stöhnte vor Schmerzen auf und rang nach Atem. Plötzlich hielt der Mann etwas in der Hand, das wie ein blutiges Tau aussah. Er starrte einen Augenblick darauf, ehe er es mit dem Messer an die Wand spießte. »Geh!«, befahl er. »Geh los!«

Vater setzte sich in Bewegung. Nach einem Schritt blieb er stehen und rang nach Luft. Dann machte er noch einen. Er krümmte sich zusammen und erbrach sich. Aber der Mann mit dem Kettenhemd schrie ihm zu, dass er weitergehen müsse und nicht stehen bleiben dürfe. Schließlich richtete Vater sich wieder auf und ging weiter, als bemerkte er nicht, dass ihm der Darm aus dem Bauch gezogen wurde, bis schließlich eine große Blase herausplatzte und vor seinen Füßen landete. Er sank erneut zu Boden, richtete den Blick noch einmal auf mich, kippte auf die Seite und blieb liegen.

Die Sklaven schleppten ihn in die Hütte und ließen ihn dort zurück. Man nahm das Messer von meiner Kehle, und ich wollte zu Vater, aber die Sklaven packten meine Arme und zogen mich weg.

Ich erinnere mich, wie ich mich umdrehte und die Flammen sah, die aus unserem Torfdach leckten, als sie mich über die Felsen schleppten. Dann ging es in den Wald. Am Bach durfte ich trinken, ich weigerte mich aber.

Sie trieben mich über die Felder bis zum Hof. Das Langhaus stand in Flammen. Überall auf dem Boden lagen Tote, den alten Bauern hatten sie an dem großen Baum aufgehängt. Seine beiden Töchter sah ich nicht, aber Hilda saß mitten auf dem Platz, gefesselt wie ich. Ihr Kleid war am Rücken aufgerissen.

Sie führten mich in die Schmiede, wo mir ein Sklavenring um den Hals gelegt und mit einem rot glühenden Nagel verschlossen wurde. Ich weiß noch, dass ich mich nicht zu rühren gewagt habe, der Nagel sollte mich nicht verbrennen. Also blieb ich stehen, festgehalten mit einem Seil am Sklavenring, während Hilda ebenfalls ihrer Freiheit beraubt wurde.

Noch am gleichen Abend...