dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Das Gift der Drachen - Die Drachen-Tempel-Saga 3 - Roman

Janine Cross

 

Verlag Heyne, 2009

ISBN 9783641025816 , 512 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

7,99 EUR


 

1
Geh schneller, wenn du kannst, heho«, murmelte Dra chenjünger Gen. »Dein Kopf müsste eigentlich längst auf einem Spieß stecken!«
Der Tunnel roch nach abgestandener Luft. An den Wänden wuchsen weder Flechten noch Schimmelpilze. Die Steine waren von einem leblosen Grau, das unter Gens Fackel nur kurz zu einem tanzenden Teppich aus Schatten und Flammenlicht erwachte, bevor es wieder in der Dunkelheit versank.
Gen packte meinen Ellbogen und trieb mich voran. Ich stolperte; meine gebrochenen Rippen schmerzten, und ich schrie auf.
»Ruhig«, murmelte er.
»Das tut weh!«, fuhr ich ihn an.
Mitleid erhoffte ich vergebens. »Der Drachenbulle wird bald die letzte Drachenkuh bestiegen haben, und dann erwartet die Menge, dass dein Kopf herumgetragen und allen gezeigt wird. Wir sollten nicht in diesem Labyrinth erwischt werden, wenn das Spektakel ausfällt, also beweg dich gefälligst, Mädchen, beeil dich!«
Der Tunnel rumpelte.
Ein Erdstoß, dachte ich mit einem Anflug von Panik, doch noch während mir der Gedanke durch den Kopf schoss, wurde mir klar, dass dieses Grollen das Brüllen des Drachenbullen in der Arena über uns war. Ihm antwortete der Jubel von zweihunderttausend Besuchern. Mir brach der kalte Schweiß aus.
In dem Moment dachte ich an Dono.
Ich weiß nicht, warum. Vielleicht, weil ich seinen Angstschweiß gerochen hatte, als er mich vorhin in der Arena angegriffen hatte.
»Was ist mit Dono?«, erkundigte ich mich.
Ich konnte hinter dem elfenbeinfarbenen Schleier des Inquisitors, den Gen trug, sein Gesicht nicht erkennen. Ich sah nur die weißen Augäpfel, die wie nasse Lilienblüten glänzten, und seine Pupillen, die so schwarz waren wie die Panzer von Käfern. »Er kann dir nichts mehr tun, Babu. Geh weiter …«
»Er ist tot?«
»Der Mistkerl wollte nicht sterben«, gurgelte eine Stimme hinter mir. Ich blickte über die Schulter zurück auf den Drachenmeister Re, der von einem Mann gestützt wurde, der wie Gen als Inquisitor verkleidet war. Dunkles Blut quoll zäh wie Pflaumenmus über die Schenkel des Drachenmeisters; er war von der giftigen Zunge des Drachenbullen verletzt worden. Auf seiner Brust wellte sich ein blutiger Hautfetzen, und die Spitze seines Knebelbartes strich über die Wunde.
»Ich konnte ihn nicht erwürgen, also habe ich ihm die Kehle mit den Zähnen herausgerissen.« Die Augen des Drachenmeisters rollten unwillkürlich in ihren Höhlen. »Der Bastard wollte trotzdem nicht sterben.«
»Dono ist da oben? Lebendig?« Ich blieb stehen und blickte zu der Steindecke hoch, die so niedrig war, dass Drachenjünger Gen nur gebückt gehen konnte.
»Tot.« Gens Ton war endgültig. »Der Bulle wird ihn längst zertrampelt haben. Geh weiter.«
Ich riss meinen Ellbogen aus seinem Griff. »Der Bulle fliegt, wenn er sich paart. Dono kann nicht von ihm zertrampelt worden sein.«
»Nein, nicht zertrampelt. Er nicht, oh nein.« Der Drachenmeister keckerte. Sein Kopf schwankte haltlos hin und her; er war fast nicht mehr bei Sinnen durch das Gift des Drachen. »Als ich ihn verließ, kroch er durch den Staub, drückte sich an die Wand der Arena. Oh nein, er ist nicht tot, dieser Bastard, nicht tot!«
»Gen«, schnappte der andere als Inquisitor verkleidete Mann. »Wir müssen gehen!«
Gen riss an meinem Arm, und wir gingen weiter.
»Dieser Hurensohn hat sich gegen mich gestellt!«, kreischte der Komikon. Seine Stimme hallte dumpf durch den Tunnel.
»Halts Maul«, knurrte der Mann hinter ihm.
Wir kamen an eine Kreuzung in dem Tunnelsystem. Ein Weg war durch einen Einsturz blockiert. Ob das ganz frisch passiert war oder schon vor langer Zeit, konnte ich nicht erkennen, überlegte aber, dass vielleicht unter diesem Schutthaufen menschliche Knochen moderten. Oder auf der anderen Seite.
Ohne zu zögern, führte Gen uns in den Tunnel zu unserer Rechten. Die Luft hier war kühler und etwas feuchter. Ich stellte mir Dono vor, Dono, meinen Milchbruder, das Waisenkind, mit dem ich meine Kindheit verbracht hatte, wie er durch die glühendheiße, staubige Arena über uns kroch, im Sehen behindert durch die Verletzung an seinem Auge, die ich ihm am Tag zuvor zugefügt hatte, und mit von den Zähnen des Drachenmeisters zerfetzter Kehle.
»Sie werden ihn hinrichten«, sagte ich. »Er sollte mich in der Arena töten und hat versagt. Der Tempel wird ihn köpfen.«
»Das wäre eine Gnade«, erwiderte Gen schlicht. »Für einen verkrüppelten Drachenschüler ist kein Platz in einem Stall.«
Ich blieb wieder stehen. »Wir müssen ihn holen.«
»Sei keine Närrin!«
Mir klapperten die Zähne. Mein Kopf pochte schmerzhaft, meine Rippen brannten wie Feuer. Das Bild meiner Schwester Waivia stieg vor meinen Augen auf. Ich hatte sie in den Logen der Arena gesehen, wo sie sich aufreizend an Waikar Re Kratt schmiegte, den Mann, der unseren Vater ermordet und Gesundheit und Verstand aus meiner Mutter herausgeprügelt hatte. Ob Waivia wohl gerade beobachtete, wie Dono blindlings durch den Staub kroch? Wenn ja, würde sie nichts unternehmen, um ihn zu retten, dessen war ich mir sicher.
Plötzlich wurde es für mich ungeheuer wichtig, Dono zu retten. Tat ich es nicht, war ich dazu verdammt, durch die dunklen Gänge unter der Arena zu kriechen, bis ich erschöpft zusammenbrach. Ich war fest davon überzeugt.
Also log ich und benutzte die einzige Waffe, die ich besaß: Gens Überzeugung, ich wäre die Dirwalan Babu, die Tochter des Himmelswächters, eine Frau, der prophezeit worden war, die Drachen und die Menschen von der Knute des Tempels zu befreien. »Dono ist von Bedeutung für uns, Gen. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber wir brauchen ihn. Ich spüre es in meinem tiefsten Innern. Wir müssen umkehren.«
Der Drachenmeister plapperte vor sich hin wie ein Baby, das in den Schlaf hinüberdämmerte.
Drachenjünger Gen antwortete langsam und bedächtig. »Zarq. Du stehst unter dem Einfluss des Giftes …«
»Ihr habt mir doch kaum welches gegeben!«, stieß ich hervor. »Jeder Schritt ist die reinste Qual für mich. Ich fühle jeden gebrochenen Knochen, als hätte ich nur Wasser getrunken!«
Die Fackel flackerte und warf Wellen von Hitze und Licht über mein Gesicht, über seinen Schleier und die bedrückenden Steinwände.
Abrupt fuhr Gen zu dem Mann herum, der den Komikon stützte. »Bring sie zum Ende des Tunnels.« Er klang wütend. Nein. In die Enge getrieben. »Dort kommt ihr an einen Scheideweg mit drei Gängen. Nehmt den mittleren Tunnel und biegt an seinem Ende links ab. Beeilt euch. Und sagt den Männern, die draußen postiert sind, sie sollen auf mich warten.«
»Ihr scherzt!«, erwiderte der Angesprochene entsetzt.
»Beeil dich!«, brüllte Drachenjünger Gen, drückte mir die Fackel in die Hand und drängte sich an mir vorbei, den Weg zurück, den wir gekommen waren. »Wartet draußen auf mich, mit unseren Drachen!«
»Wie lange denn?«, schrie der Mann Gen nach. Doch der war bereits verschwunden.
Jetzt würde ich es schaffen. Wir würden den Weg aus dem Labyrinth finden, und ich würde nicht dazu verdammt sein, in den Tunneln zu sterben, zur Strafe dafür, dass ich Dono zurückgelassen hatte.
Warum klapperten mir dann die Zähne?
Ich wusste vage, dass ich unter dem Einfluss des Giftes stand, dass ich Hirngespinsten, Wahnvorstellungen nachhing, berauscht war, dass mir schwindelte. Doch das spielte keine Rolle. Dono gehörte zur Familie, und ich würde verdammt sein, wenn ich ihn zurückließ, damit der Tempel ihn unter dem gleichgültigen Blick meiner Schwester exekutierte. Ich war verdammt, wenn ich ihr auch nur im Entferntesten ähnlich würde.
Danach setzten wir unseren Weg fort, fast im Laufschritt. Vor uns huschten Kreaturen davon, manchmal hörten wir sie auch hinter uns. Einmal sah ich etwas in der Dunkelheit vor mir. Es war kniehoch, und seine Farbe glich dem gelblichen Grau gekochten Eigelbs. Sein Rückgrat sah aus wie die Knöchel einer geballten Faust. Es bewegte sich geduckt und stank nach verfilztem Fell und Palmöl. Ich hatte keine Ahnung, was es sein konnte, und meine Haut kribbelte.
Wortlos folgten wir Gens Anweisungen. Selbst der Drachenmeister war verstummt. Wir stolperten weiter, immer weiter durch das endlose Dunkel.
Unaufhörlich weiter.
Großer Drache, hatten wir etwa die Abzweigung verpasst? Nein. Vor uns gabelte sich der Tunnel in drei Gänge. Wir nahmen den mittleren und gingen durch einen noch schmaleren Tunnel, der zunächst sanft, dann zunehmend steiler anstieg und urplötzlich endete. Vor mir erhob sich eine Steinwand, und nach rechts und links führte jeweils ein Gang. Ich wandte mich nach links. Der Tunnel krümmte sich, hierhin, dorthin, immer wieder. Die Decke wurde niedriger, immer niedriger. Wir liefen gebückt im Kreis.
»Das ist der falsche Weg!«, stieß ich pfeifend hervor. Die Hitze der Fackel trocknete meine Gesichtshaut so sehr aus, dass sie spannte. Meine gebrochenen Rippen bohrten sich wie Drachenklauen in meine Eingeweide.
Plötzlich machte der Tunnel erneut einen Bogen, in die andere Richtung diesmal, und der Mann hinter mir, der den Drachenmeister schleppte, schrie erleichtert auf. Vor uns schimmerte Licht, und ich roch frische Luft, Vegetation und warme Erde. Ich verkniff mir ein Wimmern und stolperte voran.
Gebückt traten wir aus dem Eingang des Tunnels. Ich ließ die Fackel fallen und sank auf die Knie. Warmer Wind trocknete den Schweiß auf meiner Haut. Drachen schnaubten,...