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Aufsichtspflicht - Was Kinder- und JugendbetreuerInnen wissen müssen

Marco Nademleinsky

 

Verlag MANZ Verlag Wien, 2019

ISBN 9783214020538 , 215 Seiten

4. Auflage

Format PDF

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

18,99 EUR


 

Besondere Herausforderungen in Kindergarten und Hort

I. Aufsicht im Gebäude

Die Aufsichtsführung im Kindergarten kann dadurch besondere Schwierigkeiten aufweisen, dass eine Vielzahl von Kindern betreut werden muss, während einzelne Kinder besondere Aufmerksamkeit benötigen. Insbesondere wenn Kinder ankommen oder abgeholt werden, zur Toilette gehen müssen oder eine Kindergärtnerin (oder Helferin) das Essen in der Küche vorbereiten muss, stellt sich die Frage, ob und wie lange die im Raum verbleibenden Kinder unbeaufsichtigt bleiben können. Die Antwort darauf hängt, wie stets, vom konkreten Einzelfall ab. Lediglich als Richtschnur darf daher der folgende Hinweis dienen:

Grundsatz

Kinder im Kindergartenalter dürfen höchstens für fünf bis zehn Minuten unbeaufsichtigt bleiben und nur, sofern sie gerade nicht mit einer gefahrenträchtigen Aktivität beschäftigt sind und der Raum auch keine Gefahren für die Kinder birgt.

Beispiel aus der Gerichtspraxis

Bis 8.00 Uhr führt die Kindergärtnerin Paula die Aufsicht allein. Während sie ein ankommendes Kind in Empfang nimmt, gelangt der unbeaufsichtigt zurückgelassene zweijährige Moritz – in einem für größere Kinder bestimmten Raum – an eine für ihn gefährliche Sprossenleiter, klettert hinauf und stürzt.

Paula hat die Aufsichtspflicht verletzt, weil sie durch Einhängen eines Sicherheitsbrettes an der Sprossenleiter – wie es auch ihre Kolleginnen immer zu tun pflegen – hätte sicherstellen können und müssen, dass Moritz während ihrer Abwesenheit nicht auf die Leiter klettern kann.

   OLG Linz, Urteil vom 30. 5. 2000, 4 R 64/00k, EF 93.548.

Gefährliche Räumlichkeiten

Generell ist es geboten, Kinder von der Küche fernzuhalten. Die Küche eignet sich auch nicht als Ort, um ein Kind vorübergehend von der Gruppe zu trennen, weil es sich unartig verhalten hat. Selbstverständlich dürfen Kinder auch nicht unbeaufsichtigt an gefährliche Gegenstände (z.B. scharfe Messer) gelangen oder sich in deren Gefahrenbereich aufhalten.

   OLG Hamm, 1. 10. 1998–6 U 92/98, NJW-RR 2000, 1193.

Das Gebäude selbst muss den Verkehrssicherungspflichten entsprechen. Dafür sind jedenfalls die maßgeblichen landesgesetzlichen Bestimmungen (für Oberösterreich z.B. die „Bau- und Einrichtungsverordnung für Kindergärten und Horte“) einzuhalten. Dies gilt nicht nur im Zeitpunkt der erstmaligen Inbetriebnahme der Einrichtung, sondern auch für später erfolgende Änderungen der Rechtsvorschriften, die in zumutbarer Zeit nachvollzogen werden sollen, um dem geltenden Stand der Sicherheit nicht „hinterherzuhinken“. Aber auch dann ist ihre Einhaltung allein noch keine abschließende Garantie dafür, dass das Gebäude und seine Einrichtung „verkehrssicher“ sind. Es können nämlich dennoch Gefahrenquellen bestehen, die, falls bekannt oder bei pflichtgemäßer Überlegung erkennbar, beseitigt werden müssen.

Beispiel aus der Gerichtspraxis

Die dreijährige Lisa ist ein Neuankömmling im Kindergarten. Als sie ihre Mutter weggehen sieht, läuft sie ihr schreiend und weinend hinterher. Vor Erreichen der Eingangstür stolpert sie über einen Fußabstreifer und fällt gegen die Tür. Das Glas der Tür bricht und Lisa erleidet Schnittwunden.

Dass die Eingangstüre nicht aus Sicherheitsglas war, widerspricht der Verkehrssicherungspflicht im Kindergarten. Bei pflichtgemäßer Überlegung ist nämlich erkennbar, dass die bloß gewöhnliche Verglasung der Eingangstür eine besondere Gefahrenquelle darstellt. Diese Gefahr hätte durch Verwendung eines anderen Glases oder eines Schutzgitters vermieden werden können. Dass die landesgesetzlichen Bestimmungen (von 1973) die Verwendung von Sicherheitsglas noch nicht vorsahen, stellt für den Betreiber des Kindergartens keine Entschuldigung dar.

   OGH, Urteil vom 7. 3. 1978, 4 Ob 505/78.

II. Spielen im Garten und auf Spielplätzen

Die Förderung der körperlichen Entwicklung der Kinder gehört mit zu den Zielen und Aufgaben einer Kinderbetreuungseinrichtung. So verlangt z.B. die niederösterreichische Kindergartenbauordnung, dass unter anderem Geräte zum Klettern, Durchkriechen, Balancieren, Hangeln und Rutschen aufzustellen sind und einer Kindergartengruppe eine Fläche von mindestens 480m2 zur Verfügung stehen muss.

   Siehe Verordnung Nö. LGBl. 1985/46 gemäß § 12 Abs. 1 Nö. Kindergartengesetz.

Die Möglichkeit zum Aufenthalt und Spielen im Freien soll auch Kindergartenkindern erhalten bleiben. Dennoch dürfen die im Hof oder Garten spielenden Kinder(gruppen) der Aufsicht einer fachkundigen Kindergartenpädagogin nicht entgleiten. Wie „nahe“ die Aufsicht geführt werden muss, hängt von der Gefährlichkeit der ausgeübten Spiele ab.

Gefahren beim Spielen im Garten können sich insbesondere daraus ergeben, dass

Spiel(an)ordnungen fehlen bzw. missachtet werden,

den Kindern zur gleichen Zeit mehrere Spielgeräte offenstehen oder

mehrere Kinder gleichzeitig an einem gefahrenträchtigen Spielgerät spielen.

Die Aufsichtsführung muss also auf diese drei Kriterien hin abgestimmt werden.

Spielordnung

Zu Beginn (des Kindergartenjahres, oder bei Neueintritten) sollte den Kindern die allgemeine Spielordnung im Garten, die Benutzungsregeln von Spielgeräten und besonders von gefahrenträchtigen Spielgeräten vermittelt werden. Diese Regeln sind in pädagogisch zweckmäßigerweise zu wiederholen und ihre Einhaltung zu überwachen.

Ist ein Kind mit den Regeln wohl vertraut und handelt es sich nicht um eine typischerweise gefährliche Tätigkeit, bei der Regelverstöße oft vorkommen und meist weitreichende Konsequenzen haben, so kann es einer aufsichtsführenden Kindergärtnerin nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn das Kind eine Regel überraschend und unvorhersehbar bricht.

Beispiel aus der Gerichtspraxis

Der sechseinhalbjährige Max fährt im Garten des Kindergartens mit einem Tretroller auf dem dafür vorgesehenen und entsprechend gekennzeichneten Weg. Der ebenfalls sechseinhalbjährige Lukas, der seit drei Jahren den Kindergarten besucht und mit den Regeln wohl vertraut ist, läuft unvorsichtig und für die aufsichtsführende Kindergartenpädagogin völlig unvorhersehbar in den Fahrweg des Max und stößt mit diesem zusammen, wodurch sich beide verletzen. Der Kindergartenpädagogin ist kein Vorwurf zu machen.

   LGZ Wien, Urteil vom 9. 7. 2003, 34 R 254/03k, EF 104.731; ähnlich auch LGZ Wien 14. 5. 1996, 37 R 168/96x, EF 81.508.

Mehrere Spielgeräte

Spielen beispielsweise zehn bis zwölf Kinder einer altersgemischten Sammelgruppe im Garten, hat die allein Aufsicht führende Kindergartenpädagogin dafür Vorsorge zu tragen, dass die an verschiedenen Spielgeräten spielenden Kinder ihrer Aufsicht nicht entgleiten. Sie muss, ähnlich wie eine Radaranlage, stets wissen, wo sich welches Kind befindet. Dabei brauchen zwar nicht jene Kinder durchgehend im Blick behalten werden, die ein gefahrloses Spiel (siehe dazu nächste Seite) betreiben. Wird aber die Aufsichtsperson durch einen Vorfall in Anspruch genommen, darf sie die an einem gefahrenträchtigen Spielgerät spielenden Kinder nicht unbeaufsichtigt zurücklassen, sondern muss das Spiel vorübergehend unterbinden.

Beispiel aus der Gerichtspraxis

Die Kindergartenpädagogin Maria beaufsichtigt ab 15.30 Uhr alleine die aus zehn bis zwölf Kindern bestehende altersgemischte Sammelgruppe. Die Kinder spielen im Garten an verschiedenen Spielgeräten. Maria hält sich auf der Terrasse auf, von wo aus sie die in Gruppen spielenden Kinder überblicken kann. Zwei Kinder spielen in der 22m (von der Terrasse) entfernten Sandkiste, zwei beim 10m entfernten Ringelspiel, zwei vor einem 30m entfernten Gartenhaus und vier bis sechs Kinder, darunter auch der fünfjährige Dirk, bei der 34m entfernten Rutsche.

Obwohl die Kinder zu Beginn des Kindergartenjahres belehrt wurden, dass sie die Rutsche nicht „hinauflaufen“ dürfen, klettert Dirk „auf allen Vieren“ die Rutsche hinauf. Dabei wird er von einem Kind, das gerade abrutschen will, die Rutsche hinuntergestoßen, wodurch sich Dirk schwer verletzt. Maria ist der Vorfall jedoch unbemerkt geblieben. Warum sie ihn nicht wahrgenommen hat, bleibt unklar.

Der Träger des Kindergartens wurde zur Leistung von Schadenersatz verurteilt, weil Maria – als fachkundige Kindergartenpädagogin – dadurch, dass sie vom...