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Das magische Tor im Kaukasus - Karl Mays Magischer Orient, Band 8

Friedhelm Schneidewind, Bernhard Hennen (Epilog)

 

Verlag Karl-May-Verlag, 2019

ISBN 9783780214089 , 480 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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13,99 EUR


 

Erstes Kapitel


Eine Bahnfahrt mit Folgen


„Sihdi, glaubst du, diese neue Bahn wird irgendwann auch nach Batumi fahren? Wir wären damit bestimmt um einen Tag schneller gewesen. Und Batumi ist doch der größere der beiden Häfen, die Georgien am Schwarzen Meer hat.“ Mein treuer Freund und Begleiter Hadschi Halef Omar wurde unterbrochen, als die Pfeife der Lokomotive schrillte – das Signal für die letzten Reisenden hier in Poti, einzusteigen. Kurz danach fuhr der Zug los, nach Tiflis, georgisch Tbilissi.

Wir beide saßen schon recht gemütlich in einem ansonsten leeren Abteil. Die Wagons waren noch ziemlich neu, war doch die Bahnstrecke von Poti nach Sestaponi erst vor fünf Jahren eröffnet worden und hatte damit den Anschluss an die ein Jahr zuvor fertiggestellte Bahnstrecke Sestaponi–Tiflis geschaffen. Wir genossen es, uns in den gepolsterten Sitzen zurücklehnen und die Beine ausstrecken zu können, nach dem Gewaltritt, den wir hinter uns hatten. Von den Weidegründen der Haddedihn in der nördlichen Dschesireh waren wir rund 1.000 Kilometer geritten, und das in nur acht Tagen; unser Auftrag duldete keinen Aufschub. Wir hatten einen Termin in Kutaissi!

Die letzten beiden Tage waren dagegen regelrecht erholsam gewesen.

Diese Zeit hatte uns die Bahn geschenkt.

Ich riss mich aus meinen Gedanken und lächelte Halef an.

„Die Eisenbahngesellschaft Poti-Tbilissi hat hier, mit Poti, begonnen, weil Batumi zum Osmanischen Reich gehört, dieser Teil Georgiens hingegen zum Russischen Kaiserreich.“

Der Zug bremste und hielt zum ersten Mal an, im Dörfchen Sag.

Halef zeigte auf die Menschen, die in die Wagons stiegen.

„Sind wir jetzt in Europa, Sihdi? Die Menschen hier sehen so ganz anders aus als bei uns im Orient.“

Ich musste ihm Recht geben. Die Kleidung der meisten Männer war sehr europäisch; teils trugen sie russische Uniformen, teils moderne Anzüge, wie man sie auch in Berlin oder Paris sehen konnte, manche aber auch Anzüge aus Leder oder Leinenstoff, ähnlich der Trapperkleidung, wie ich sie üblicherweise anhatte, wenn ich mich in Amerika aufhielt; nur einige wenige Männer zeigten sich in Trachten. Die meisten Frauen hatten weite Blusen an, oft mit Jacken darüber, und lange wehende Röcke. Sie waren unverschleiert; bei manchen der älteren Frauen verhüllte ein Kopftuch das Haar.

Ich musterte Halef, der sein übliches arabisches Gewand trug; auch ich war noch orientalisch gekleidet.

„Und was sprechen die Menschen hier für eine Sprache, Sihdi?“, fragte er mich, nachdem der Pfiff der Lokomotive verhallt war und während der Zug anfuhr. „Verstehst du sie?“

Ich hatte schon in Poti und während des kurzen Aufenthalts hier aufmerksam gelauscht und mich auf der Reise natürlich infomiert.

„Es gibt mehrere einheimische Sprachen. Wir sind hier im Fürstentum Mingrelien oder Megrelien, dem ‚Land der tausend Quellen‘. Die Einheimischen nennen sich Megrelen, werden aber auch Kolcher genannt, weil hier das antike Kolchis gelegen hat. Ihre Sprache ist eng mit der georgischen und der swanetischen verwandt. Ich spreche keine dieser Sprachen, aber wir dürften hier überall mit Russisch durchkommen; das Land gehört seit Anfang des Jahrhunderts zum russischen Reich, wie seit einigen Jahren ganz Georgien. Und natürlich müssen die Georgier die Sprache ihrer Herren beherrschen.“

Ich interpretierte Halefs gequälte Miene offensichtlich richtig.

„Sihdi, du sprichst natürlich Russisch und bewegst dich wie ein Fisch im Wasser unter diesen Menschen hier. Aber was nützen mir die arabischen Dialekte, die ich beherrsche, und das bisschen Englisch und Deutsch, das ich von dir und Sir David gelernt habe? Vielleicht hätte ich doch bei den Haddedihn bleiben sollen, bei meiner geliebten Hanneh, bei meinem Sohn Kara, bei Amscha und Djamila.“

Ich konnte meinen Freund gut verstehen, war es uns doch erst vor Kurzem gelungen, die beiden jungen Frauen aus der Gewalt levantinischer Piraten zu befreien, und das auch nur mit Hilfe der legendären Teuta. Die Bande hatte Halefs Frau und Schwägerin entführt, aus Rache dafür, dass wir einige Zeit zuvor eine Gruppe von Sklavinnen aus ihrer Gewalt befreit hatten, und weil sie Halef für einen konkurrierenden Sklavenhändler hielten, den sie beseitigen wollten. Mit Hilfe der mächtigen Piratenwitwe Teuta und des Magiers Haschim hatten wir die beiden Frauen befreien und sogar eine friedliche Lösung mit den Piraten aushandeln können. Hanneh und ihre Mutter Amscha waren in ihre Heimat gereist, wir Männer (und Djamila, die sich an Bord geschlichen hatte), wurden vom britischen Geheimdienst genötigt, in Kreta ein geheimnisvolles Labyrinth zu erforschen. Durch Kapitän Nemo und die Gefangenschaft auf dessen Nautilus wurde unsere Rückreise zu den Haddedihn erheblich verzögert. Und dann hatte Halef die Gesellschaft seiner jungen Familie kaum genießen können, denn nach nur wenigen Tagen im Beduinenlager erreichte uns unser Auftrag. An diesen erinnerte ich meinen Freund nun, um ihn aufzumuntern.

„Ich kann dich gut verstehen, mein lieber Halef. Umso mehr bewundere ich deine Tapferkeit und deine Entschlossenheit, mich zu begleiten auf dieser Queste, die mir Marah Durimeh auferlegt hat, in ein fremdes Land, dessen Sitten du nicht kennst und dessen Sprache du nicht sprichst. Du hättest bei Weib und Kind bleiben können; dass du mich aus Freundschaft begleitest, rechne ich dir hoch an, und ja, ich bin darüber sehr froh.“

Halefs Miene hellte sich auf.

„Ich hätte es mir nie verziehen, wenn ich dich alleine in diese Gefahr hätte ziehen lassen und dir dann etwas zugestoßen wäre. Ausruhen in den Zelten meines Stammes kann ich mich, wenn ich ein alter Mann bin. Jetzt ist die Zeit, die Welt von bösen Menschen zu befreien, ganz besonders, wenn Marah Durimeh, die hochgeschätzte Königin, uns darum bittet. Und wenn wir dabei ein paar spannende Abenteuer erleben und interessante Menschen kennenlernen, soll es mir recht sein.“

Halefs Augen funkelten, unbewusst hatte er sich aufgerichtet und den Kopf stolz erhoben. So klein er war, so wenig imposant er wirkte mit seinen spärlichen Barthaaren – mir wurde wieder einmal bewusst, wie sehr sich mein ehemaliger Diener und jetziger guter Freund zu einem klugen und tapferen Mann entwickelt hatte. Nur wenigen Männern würde ich mein Leben eher anvertrauen als ihm – meinem Blutsbruder Winnetou, meinem Freund Scheik Haschim … Halef war wohl ein wenig impulsiver als diese beiden, weniger bedacht in Wort und Tat, doch mein Vertrauen in ihn war nicht geringer. Da hatte ich schon gestandene Männer kennengelernt, die weitaus unvernünftiger und unzuverlässiger gewesen waren; ich musste an Amad el Ghandur denken und den einen oder anderen Westmann wie Old Surehand und Old Firehand.

Wieso kamen mir solche Gedanken? Weil ich seit Längerem zum ersten Mal wieder über meine Trappergewandung nachgedacht hatte? Ich musterte Halef noch einmal gründlich, dann nickte ich ihm zu.

„Mein lieber Halef, wir sind schon in anderen Gegenden gewesen, wo wir uns mit der Sprache schwertaten. Doch muss ich dich bitten, dein Gewand einzutauschen gegen eine Kleidung, wie sie hier üblich ist. Auch ich werde das tun.“

Mein treuer Freund riss für einen Moment Augen und Mund auf, dann platzte es aus ihm heraus:

„Nein, Sihdi, das kannst du nicht verlangen. Ich bin ein Sohn der Wüste, ein Bedu, ein stolzer Araber. Ich werde nicht solche engen Beinkleider tragen wie diese Männer hier.“ Er zeigte nach draußen auf den Bahnsteig; wir hielten gerade am Bahnhof Tekleti. „Und warum sollte ich meinen Turban ablegen, den Schmuck meines Hauptes? Und meinen Oberkörper in solch ein enges Jacket zwängen?“

Wir hatten wohl schon die halbe Strecke zurückgelegt auf unserer Fahrt zu dem Bahnhof, an dem wir in den Zug nach Kutaissi umsteigen mussten. Bis wir in Kutaissi angekommen sein würden, wollte ich Halef überzeugt haben. Ich wies auf einen älteren Mann.

„Schau dir diesen an. Er trägt Hosen, aber doch weit und bequem, ganz ähnlich der Sirwal, der langen und weiten Pluderhose, wie sie in weiten Teilen der arabischen Halbinsel üblich ist. Nur trägt er darüber keine Dischdascha, kein knöchellanges Gewand, wie es bei euch die Hose in der Regel verbirgt. Und denke an den unglücklichen Hassan Ardschir Mirza, der diese teuren weiten Seidenhosen trug.“

„Ja, Sihdi, aber über diesen Sirdschame hatte er stets ein Pirahan an, ein Hemd, und sein Alkalik, sein Unterkleid, reichte ihm bis unter die Knie. Dazu kamen dann noch Kaba und Balapusch, Rock und Oberkleid. Aber dieser Mann hier hat ja nur ein Hemd und eine offene Weste an, und seine Jacke bedeckt gerade mal die Hüften!“

Ich musste lachen.

„Mein guter Halef, sei froh, dass wir im Osten...