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Historical Lords & Ladies Band 77

Carole Mortimer, Deborah Miles

 

Verlag CORA Verlag, 2020

ISBN 9783733749385 , 400 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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2,99 EUR


 

1. KAPITEL

Du musst eine Möglichkeit finden, Leo, wie du diese Ehe annullieren lassen kannst!“

Die Tante schloss die Augen und fächelte sich enerviert Luft zu. Es war ein milder Frühlingstag, aber dennoch brannte im Kamin ein Feuer, sodass der Raum überhitzt war. Am liebsten hätte Leo die Fenster weit aufgerissen, unterdrückte jedoch den Drang. Er beugte sich vor und erwiderte ruhig, aber in festem Ton: „Exaltiere dich nicht so, Tante Ellen. Julian war volljährig und im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte. Ich kann verstehen, dass diese Person nicht die Schwiegertochter ist, die du dir gewünscht hast, nehme indes an, dass er dir in dem Brief den Grund dafür erläutert hat, warum er die Ehe mit ihr eingegangen ist.“

„Er hat irgendwelchen Unsinn darüber geschrieben, sie hätte seiner Hilfe bedurft, weil ihr Vater gestorben und sie in einer sehr misslichen Lage gewesen ist“, erwiderte Tante Ellen in hysterischem Ton. „Diesen Brief hat mein armer Junge offenbar unter Druck verfasst, oder er war bereits zu krank.“ Sie schluckte und holte dann tief Luft. „Manche Passagen waren unleserlich und wahrscheinlich auch nicht von großer Bedeutung. Er enthielt ohnehin nicht viele Fakten, sondern nur die Bitte, Miranda freundlich aufzunehmen. Und jetzt weiß ich auch, warum Julian sich nicht ausführlicher über seine Frau geäußert hat.“

„Verrate es mir, Tante Ellen.“ Leos Stimme klang gelangweilt.

Sie warf ihm einen wütenden Blick zu, zwang sich jedoch zur Mäßigung. Ihr war klar, dass er sie für etwas überspannt hielt, doch selbst er musste einsehen, dass sie sich zu Recht aufregte. „Diese Person, die sich die Countess of Ridgeway nennt, ist verrufen, Leo! Ich wäre nicht im Mindesten überrascht, wenn sie Ridgeway gar nicht geheiratet hätte. Andererseits war er ein Schwächling, doch das tut hier nichts zur Sache. Als ich von Julian erfuhr, er sei verheiratet, habe ich den Namen seiner Frau nicht mit dem Count of Ridgeway in Verbindung gebracht. Natürlich war ich enttäuscht, habe mir jedoch gesagt, dass er sich aus Großherzigkeit mit dieser Person vermählt hat. Du weißt, dass er immer sehr hilfsbereit war.“

„Komm endlich zur Sache, Tante Ellen!“

„Gestern habe ich von Lady Petersham, die zurzeit in Italien weilt, einen Brief erhalten, in dem sie mir schreibt, Ridgeway habe kaum nachdem er seine erste Gattin, ein reizendes, liebenswürdiges Geschöpf, zu Grabe getragen hatte, zum zweiten Mal geheiratet und sei mit seiner Gemahlin nach Italien gezogen. Er ist vor einem Jahr gestorben, und mein armer, armer Julian habe dann die Witwe zur Frau genommen.“

Leo fragte sich, worauf die Tante hinauswollte. Schon vor einem Jahr hatte sie ihm von der Hochzeit seines Vetters und dessen Tod berichtet. Natürlich hatte es ihm leidgetan, dass Julian gestorben war. Das traurige Kapitel war jedoch mittlerweile für ihn abgeschlossen gewesen. Jetzt stellte die Situation sich indes ganz anders dar, denn die Tante hatte ihm erzählt, ihre Schwiegertochter sei nach England unterwegs und gedenke, sich am nächsten Tag bei ihm einzufinden. Über diese Neuigkeit war er nicht erfreut.

Seit achtzehn Jahren war er das Familienoberhaupt, inzwischen fünfunddreißig und überzeugt, über genügend Lebenserfahrung zu verfügen. Er wusste, er war attraktiv, strahlte jedoch eine gewisse Kühle aus, die manche Leute daran zweifeln ließ, dass er ein Herz hatte. Julian, der eine sehr gute Menschenkenntnis gehabt hatte, hätte diese angebliche Gefühlskälte als Schutzschild gegen die großen Belastungen bezeichnet, denen Leo schon von früher Jugend an ausgesetzt gewesen war, und als Folge des von ihm als oberflächlich und nichtssagend empfundenen Lebens.

Er führte zwar ein geordnetes Dasein und verfügte über ein jährliches Einkommen von zwanzigtausend Pfund, hatte jedoch in letzter Zeit oft den Eindruck gehabt, es fehle ihm etwas. Wäre er sentimental gewesen, hätte er angenommen, er sehne sich nach Liebe, doch er war viel zu pragmatisch, um sich romantischen Neigungen hinzugeben.

„Julian war bestimmt vernünftig genug, sich eine Frau zu nehmen, die weder seinem guten Namen noch seiner gesellschaftlichen Stellung Schande machte, Tante Ellen!“

„Du scheinst noch immer nicht begriffen zu haben, Leo!“, entgegnete Mrs. Fitzgibbon schrill. „Diese Person ist inakzeptabel. Mir ist völlig unerklärlich, warum er sie geheiratet hat. Wahrscheinlich hat sie sich bei ihm eingeschmeichelt, um einen respektablen Ruf zu bekommen, denn von ihrem kann man das nicht behaupten.“

Gleichgültig zuckte Leo mit den Schultern, und das verärgerte seine Tante noch mehr.

„Oh, Leo!“, sagte sie entrüstet. „Wenn dir schon nichts an meinen Gefühlen liegt, dann denk wenigstens an meinen armen, armen Jungen. Du musst etwas unternehmen!“

Leo unterdrückte eine bissige Bemerkung. Er schaute die Tante an, deren Wangen hektisch gerötet waren, und fand, er habe sie nie so aufgelöst erlebt. Innerlich seufzend sagte er sich, dass wahrscheinlich selbst der vernünftigste Mann Schwächen hatte. Vermutlich war die Countess of Ridgeway Julians Schwäche gewesen. Leo fand es zwar lästig, sich mit dieser Person befassen zu müssen, aber als Familienoberhaupt oblag es ihm zu handeln, und er gedachte sie so schnell wie möglich wieder loszuwerden.

„Wann müssen wir mit deiner Schwiegertochter rechnen, Tante Ellen?“

„Sie kann jederzeit hier eintreffen“, antwortete Mrs. Fitzgibbon. „Sie hat mir mitgeteilt, sie würde am Vormittag mit der Postkutsche in London ankommen. Weißt du, wie man sie nennt? Lady Petersham hat das in ihrem Brief erwähnt. Kaum hatte ich das gelesen, brauchte ich mein Riechsalz.“

„Klär mich auf, Tante Ellen. Wie nennt man deine Schwiegertochter?“

„Die ‚dekadente Gräfin‘!“

Leo verengte die blauen Augen. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass die Sache so schlimm war. Das hätte die Tante ihm von Anfang an sagen sollen. Die als die „dekadente Gräfin“ bekannte Countess of Ridgeway war ihres höchst unkonventionellen Lebensstils wegen berüchtigt. Leo entsann sich nur vage an Ridgeway, da er nicht in denselben Kreisen wie dieser verkehrt hatte. Daher hatte er ihn nicht sofort, nachdem der Name von der Tante erwähnt worden war, mit ihrer Schwiegertochter in Verbindung gebracht. Nun jedoch fiel ihm ein, dass Ridgeway ein hoch gewachsener, stets fröhlicher, beim Glücksspiel ständig vom Pech verfolgter Mensch gewesen war, ein netter Kerl, der sich seiner hohen Verluste wegen ins Ausland abgesetzt hatte. Dessen zweite Gattin hatte Leo nie getroffen, jedoch genug über sie gehört, um zu begreifen, dass sie als Mitglied seiner Familie vollkommen inakzeptabel war.

„Was mag Julian sich dabei gedacht haben, diese Frau zu heiraten?“, fragte er kopfschüttelnd.

Mrs. Fitzgibbon lächelte zufrieden. Endlich hatte Leo eingesehen, worum es ging.

„Also gut“, fuhr er ärgerlich fort. „Ich werde deiner Schwiegertochter Geld geben und von ihr verlangen, dass sie nach Italien zurückkehrt.“

Miranda schob die Hände in den Pelzmuff und lehnte sich erleichtert zurück. Nach der neunstündigen Reise über den Ärmelkanal und sieben Stunden Fahrt in einer voll besetzten Postkutsche von Dover zeichnete die Erschöpfung sich deutlich in ihrem von der Sonne gebräunten Gesicht ab. Mit vierundzwanzig Jahren war sie noch zu jung, um für den Rest ihres Lebens Witwe zu sein. Ihre Ehe mit Julian war unter sehr ungewöhnlichen Umständen zustande gekommen. Sie hatte ihn gern gehabt, denn er war freundlich und großzügig gewesen. Gegen die Tränen anblinzelnd, besann sie sich ihrer inneren Kraft und war bemüht, das Gefühl der Trauer zu verdrängen. Es war nicht ihre Art, sich von Kummer überwältigen zu lassen und der Niedergeschlagenheit hinzugeben. Ihr war es lieber, sich voller Dankbarkeit und Gelassenheit an Julian zu erinnern, der nicht gewollt hatte, dass sie um ihn trauerte. Ihm hatte sie es zu verdanken, dass die langen Jahre des Exils in Italien zu Ende waren.

Sie hatte nie in dem Haus in Mayfair, das ihrem Vater gehörte, gelebt. Zunächst hatte sie mit der Mutter auf dem Land gewohnt, nach deren Tod die Schule in einem Mädchenpensionat in Hampshire abgeschlossen und war dann im Alter von sechzehn Jahren zu ihrem Vater und ihrer Stiefmutter nach Italien gezogen. Im Internat war sie von den Mitschülerinnen entweder bedauert oder beneidet worden. Ihr Vater war ein gut aussehender, aber charakterschwacher Mann gewesen, der sein Vermögen schon in jungen Jahren zu vergeuden begonnen hatte. Ihre Stiefmutter hingegen war weithin als die „dekadente Gräfin“ bekannt.

Die Kutsche näherte sich der Gegend, in der Mirandas Angehörige lebten. Julian hatte Miranda noch kurz vor seinem Tod im November des vergangenen Jahres ein Schreiben an seinen Vetter mitgegeben, in dem er ihm mitteilte, die Überbringerin des Briefs sei seine Gattin, die Leos Hilfe bedürfe, damit sie sich nach dem langen Aufenthalt in Italien in der englischen Gesellschaft zurechtfände. Er versicherte seinem Cousin, dem Duke of Belford, sie sei liebenswert und umgänglich und werde ihm nicht zur Last fallen. Zum Schluss drückte er die Hoffnung aus, sich auf ihn verlassen zu können.

Die Chaise hielt, und in Gedanken stellte Miranda sich auf die erste Begegnung mit ihren angeheirateten Verwandten ein, von denen sie bisher niemanden kennengelernt hatte. Julian hatte ihr seinen Vetter jedoch in einem so positiven Licht geschildert, dass sie davon ausgehen konnte, Leo werde sie zwar nicht mit offenen Armen aufnehmen, aber doch Verständnis für ihre Lage aufbringen und ihr behilflich...