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Der Zwischenmann

Sabine Wolf

 

Verlag BookRix, 2020

ISBN 9783748735298 , 416 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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5,99 EUR


 

2


 

Am nächsten Morgen durchforstete Carola das Internet, um nach Stellenanzeigen zu suchen. Gar nicht so einfach: Sie hatte ein fast 20 Jahre altes Abitur und ansonsten leider mehr Abbrüche als Abschlüsse vorzuweisen. Eine ordentliche Allgemeinbildung und gute Sprachkenntnisse reichten wohl nicht mehr aus, so viel wurde Carola schnell klar. Für die einfachsten Sachbearbeitungstätigkeiten wurden kaufmännische Ausbildungen vorausgesetzt. Selbst als Sekretärin würde sie kaum Chancen haben, da ihr Englisch eingerostet war und ihre Computerkenntnisse sich auf ein kostenloses Schreibprogramm beschränkten - googeln zählte wohl nicht als Expertenwissen...

Das Einzige, das wohl auf Anhieb in Frage käme, wäre ein Job in einem Callcenter. Dort schien man nicht ganz so hohe Ansprüche zu haben - zumindest im unteren Bereich. Das erklärte wohl auch, warum man mit den Antworten eines Callcenters immer so unzufrieden war. Carola konnte sich aber wirklich nicht vorstellen, mit einem Headset vor einem Bildschirm zu sitzen und wahlweise unbedarften Menschen irgendein Abo aufzuschwatzen oder blöde Fragen nach der richtigen Inbetriebnahme eines Bügeleisens zu beantworten. Eher würde sie wieder kellnern gehen. Allerdings waren dort die Arbeitszeiten nicht so ganz geeignet für die Betreuung einer Sechsjährigen.

Wenn sie sich einer Sache sicher war, dann dass sie mit Menschen zu tun haben wollte. Ob in Form von Teamarbeit mit gelegentlichem Kundenverkehr oder sonstwie - auf jeden Fall vis-à-vis und nicht ausschließlich telefonisch.

Sie rief bei einem Arzt an, der eine Sprechstundenhilfe für die Anmeldung suchte: leider wollte er eine gelernte Arzthelferin, obwohl die Dame nur Termine vereinbaren sollte.

Sie rief bei einem System-Gastronomen an, stellte jedoch fest, dass es sich um ein Burger-Restaurant handelte, bei dem sie bestimmt nicht die nächsten 25 Jahre arbeiten wollte.

Sie rief sogar bei einem Privatdetektiv an, der jedoch körperlich fitte Männer mit Erfahrung in diesem Bereich suchte. Das hatte er wegen ‘dem Bohei um politisch korrekte Ausdrücke’ nur nicht so in seinen Text schreiben wollen. So viel zum Thema Gleichberechtigung - und zum Thema Genitiv (wenn schon, dann wegen des Boheis, aber Carola sparte sich diesen Kommentar. Da sie aber keinerlei diesbezügliche Erfahrung hatte, konnte sie sich die Aufregung sparen. Von Fitness ganz zu schweigen...

Also doch kellnern! Sie rief in einem angesagten Bistro an und war schwer enttäuscht, als man ihr mitteilte, dass sie wohl eher nicht zum ansonsten „jungen“ Team passte. So viel dann auch zum Thema Altersdiskriminierung - und das mit 38!! Zählte man neuerdings mit 38 schon zum alten Eisen? Und dass, wo doch alle immer länger arbeiten sollten. Wenn die Regierung könnte, würde sie den Start in den Ruhestand noch bis auf 70 Jahre hochschrauben, ausgenommen natürlich für Beamte, die mit der Pension eh schon besser dran waren.

Sie hatte noch etwa 30 Jahre zu arbeiten, wurde aber jetzt schon als alt empfunden. Das war genauso wenig zu glauben wie die vielen Großpackungen, die in Supermärkten angeboten wurden, obwohl die Zahl der Single-Haushalte seit Jahren stieg.

Oder wie die ‘werberelevante Zielgruppe’, die mit 49 Jahren endete. So, wie die Werbung heute war, hatte sich diese Zielgruppe wohl eher verlagert: interessanter als die mittelalten waren Kinder und Teenager, da diese kaum Bezug zum Wert ihres Geldes hatten (sie mussten ja auch nicht dafür arbeiten) und es deshalb leicht ausgaben und die Senioren, Verzeihung: Best-ager, die ihr mühsam erspartes Geld besonders leicht unters Volk brachten, da sie ja nun nicht mehr ‘für später’ sparen mussten.

So war also der Arbeitsmarkt - herzlichen Glückwunsch.

Hörte man nicht überall, dass Fachkräfte gesucht wurden? Qualifizierte Fachkräfte korrigierte Carola sich selber. Sie war weder eine Fachkraft noch qualifiziert. So ein Mist. Irgendwie musste sie Geld verdienen. Sie wollte aber nicht putzen gehen.

Blieb natürlich noch der Weg zum Arbeitsamt. Carola versprach sich selbst, dass sie sich eineinhalb Wochen Zeit geben wollte. Wenn sie am nächsten Ersten keine Geldquelle aufgetan hätte, würde sie zum Amt gehen.

Eigentlich hätte sie überlegen sollen, welche beruflichen Möglichkeiten sonst noch so in Frage kamen, aber ihre Gedanken schweiften schon wieder zu Michael und ihrem schönen Haus ab. Warum nur hatte Michael sie hintergangen? Jetzt musste sie doch weinen, mehr aus Ärger über den Verlust des Lebens, in dem sie sich so bequem eingerichtet hatte als über das Beziehungsaus, das wurde ihr so langsam klar.

Was fiel Michael eigentlich ein, sie einfach aus dem Haus zu jagen wie einen räudigen Köter? Hätte er sich nicht mit ihr streiten können? Wenn man sich eines nach so langer Beziehung verdient hatte, dann ja wohl, dass man nicht so leicht aufgibt. Sang Grönemeyer nicht auch so was wie „hätt´ mich zwar schockiert, wahrscheinlich hätt´ ich´s nooooch kapiert“? Vielleicht hätte sie es ja kapiert... Dass er sich von einer anderen Frau angezogen fühlte... Dass er sich von ihrem gemeinsamen Leben mehr Pep und Abwechslung und Spaß erhoffte... Dass er ... was auch immer...

Vielleicht sollte sie sich als Schriftstellerin versuchen und ein paar Märchen weitererzählen: Der Prinz, der Dornröschen so zärtlich wachgeküsst hatte, entpuppt sich als unzuverlässiger Spieler, der das Schloss verkauft um zocken zu können; der Prinz, der Aschenbrödel vor der Stiefmutter gerettet hatte, war total unselbständig und verlangte später, dass sie sich um seine senilen Eltern kümmerte; Rapunzel wurde von ihrem Prinzen bei spärlichem Haushaltsgeld im Schloss vernachlässigt, durfte aber auch nicht im örtlichen Theater als Sängerin auftreten. Ja, das hätte bestimmt Potenzial. Die ein oder andere geschiedene Mutter würde ihrer Tochter bestimmt ein Exemplar kaufen. Und möglicherweise würden Mädchen sich dann auch in der Schule nicht mehr zurücknehmen und sich besser auf den Unterricht als auf ihr Styling konzentrieren und zu Hause Vokabeln lernen statt vorteilhaftes Selfie-knipsen zu vervollkommnen. Sie jedenfalls wünschte sich gerade sehr, sie hätte mehr Wert auf eine richtige Ausbildung gelegt.

Und dann noch Michaels Vorwurf, körperlich nicht mehr so attraktiv zu sein!! Sicher, nach Jolies Geburt hatte sie die Schwangerschaftspfunde kaum verloren und im Laufe der letzten fünf Jahren war hier und da nach jeder Diät noch ein Pfund dazugekommen... Aber sie wurde ja auch älter, da war man nicht mehr so agil und umtriebig wie früher. Yoga und Walking hatten nicht den gewünschten Erfolg gehabt. Das war zwar weniger die Schuld von Yoga und Walking an sich als von dem reichhaltigen Frühstück vor dem Fernseher, das Carola sich anschließend immer gönnte, aber man musste sich ja auch belohnen für die Schufterei. Während sich Sylvester Stallone dann als Rocky die Seele aus dem Leib schwitzte, gönnte sie sich ein zweites Croissant und einen süßen Milchkaffee.

Sie war sich so sicher gewesen, dass Michael sie niemals verlassen könnte. Er liebte sie doch, das hatte er ihr wirklich oft gesagt. Jedenfalls früher. Wo war diese Liebe denn hin, wenn man sie mal wirklich brauchte? Im Moment war sie so sauer, dass sie ihm die Pest an den Hals wünschte.

Gerade überlegte sie, welche anderen Krankheiten sie ihm wünschen könnte, da die Pest ja nicht mehr so verfügbar war, als es klingelte und sofort danach klopfte. Eigentlich fast schon schade, denn nach einem kurzen Gedanken an einen grauenvollen Brechdurchfall war Carola gedanklich gerade bei einem fiesen, juckenden Hautausschlag gelandet, der ihn nicht nur nerven sondern auch ein wenig entstellen würde - wäre bestimmt interessant, ob Miss Arzthelferin dann auch für ihn da wäre.

„Mach mal auf Carola, ich bin es.“ Dann fügte ihre Mutter unnötigerweise noch: „Mama.“ hinzu.

Während sie den Fernseher ausschaltete wischte sie sich hastig mit dem Ärmel über das Gesicht, sah aber im Spiegel, den sie gestern Abend noch im Flur aufgehangen hatte, dass ihre Augen hoffnungslos gerötet waren, und öffnete die Tür. Egal, es war ja nur ihre Mutter...

Zwei Menschen sprachen nun gleichzeitig:

Der Typ, der mit einem Werkzeugkoffer in der Hand die Augen abwandte, als er Carola sah, nuschelte: „Wenn`s gerade ungelegen ist, kann ich auch später kommen.“

Herrschaftszeiten, hatte der eine tiefe Stimme. Gurgelte wohl mit Scheuermilch. In Wild-West-Filmen hätte er gut und gerne einen tapferen Cowboy synchronisieren können. Oder einen hochrangigen Mafioso in Italo-Filmen. Oder jeden, den Sylvester Stallone mal gespielt hatte. Dessen Originalstimme liebte Carola. Angeblich glaubten die Väter der Mädchen, die er so als Teenager telefonisch sprechen wollte, nie, dass er damals wirklich nur fünfzehn Jahre alt war - nur wegen seiner Stimme!

Der Typ mit dem Werkzeugkoffer war irgendwie zu groß, hatte zu lange, völlig verwuschelte blonde Haare und trug ein verwaschenes T-Shirt und Cargo-Hosen. Für Leute, die so wenig Wert auf ihr Äußeres legten, hatte Carola nicht allzu viel übrig. Definitiv nicht...