dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Grenzlande 1 - Die Verpflichtung

Lorna Freeman

 

Verlag Blanvalet, 2009

ISBN 9783641024772 , 704 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

8,99 EUR


 

1
Wir hatten uns verirrt. Wir waren auf einer Routinepatrouille unterwegs, einer wie hundert andere, aber diesmal hatten wir irgendwie den Rückweg verpasst, während wir dafür sorgten, dass in den Bergen über der kleinen Stadt Freston keine Banditen herumlungerten. Ich kundschaftete die Gegend ein Stück vor meiner Truppe aus, war von meinen Kameraden als Freiwilliger bestimmt worden, weil ich ja aus dem Grenzgebiet stammte – ein Kind der Erde wäre oder irgend so ein Unsinn, von dem immer in den Straßentheatern die Rede war. Aber Unsinn oder nicht, nachdem wir über eine Woche herumgeirrt waren, ohne auch nur einen einzigen uns bekannten Orientierungspunkt zu Gesicht zu bekommen, war mein Hauptmann so verzweifelt, dass er sich tatsächlich daran klammerte, ich könnte einen Weg nach Hause finden, allein mithilfe meiner Nase. Aber ich hatte meine Geschicklichkeit als Fährtenleser in den tiefer liegenden Wäldern erlernt, nicht hier weit oberhalb der Baumgrenze, wo das Einzige, das ein bisschen höher wuchs als Gras, irgendwelches verkümmertes Gestrüpp war. Ich hatte keine Ahnung, wo wir waren, und ich hatte keinen Schimmer, wo ich eine Ahnung hernehmen sollte.
Ich ritt einen Pfad hinauf, der dem verdammt ähnelte, den wir am Vortag schon einige Male hoch- und runtergeritten waren, noch häufiger am Tag zuvor und wenigstens einmal an dem Tag davor. Mein Wallach erklomm ihn mit Leichtigkeit wegen des vertrauten Terrains, da er und der Pfad sich mittlerweile so gut kannten, und ich musste ihn nicht einmal zügeln, als wir den Kamm erreichten. Ich zog im beißend kalten Frühlingswind die Schultern hoch, wendete mein Pferd, um die Gegend erneut zu betrachten, und starrte auf den Faena, der vor mir stand und zurückstarrte.
An der Grenze wimmelte es von heiligen Leuten und Priestern, alle mit ihren eigenen Lehren und Ritualen, die sich gerade genug unterschieden, um erbitterte Streitigkeiten unter ihnen auszulösen, sobald sie sich über den Weg liefen. Einmal, als Kind, hatte ich staunend bei einer Feierlichen Zusammenkunft zugesehen, wie der Hexer Gless kopfüber an mir vorüberflog, von unsichtbaren Händen an den Knöcheln gehalten, während seine zeremonielle Robe um seine Ohren flatterte, weil er auf einer Pause bei der Anrufung bestanden hatte, die »Steht mit den Hühnern auf« blasphemisch fand.
Aber mit den Faena legte sich keiner an.
Faena stammten von allen Grenzlandrassen ab. Teils Priester, teils Reichsverweser, teils Rechtsprecher, waren sie die Kette, in die der Schuss der Grenze eingewoben war. Die Faena waren im letzten Krieg mit Iversterre vor der Armee der Grenzlande marschiert, hatten gebetet und Lobpreisungen gesungen. Sie waren alle zurückgekommen, im Gegensatz zu dem größten Teil der Königlichen Armee von Iversterre. Die Faena, die den Forst und den Weiler um das Anwesen meiner Familie herum durchwandelte, war eine Eschenbaumelfe. Sie hatte es einmal mit einem ganzen Nest von Trappern aufgenommen, nachdem ein Wolf bei ihr eine Eingabe wegen der Pelze gemacht hatte, welche die Trapper erbeutet hatten und die früher einmal seinen Familienmitgliedern gehört hatten. Als sie mit ihnen fertig war, predigten die Trapper von Frömmigkeit, Reinheit und der Unantastbarkeit des Landes. Sagte ich schon, dass sich besser niemand mit einem Faena anlegte?
Dieser hier war ein Berglöwe.
Er stand aufrecht auf zwei Beinen, war etwas größer als ich und trug bunte Perlen und Federn in dem rötlichen Fell um seinen Kopf und in seinen spitzen Ohren. Seine bernsteinfarbenen Augen glühten in der Sonne, und sein Schwanz zuckte im Wind. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass er meine ungeteilte Aufmerksamkeit besaß, griff er in eine Innentasche seines Mantels und zog eine Serviette heraus, die er auseinanderfaltete und aus der er einige Honigkekse zutage förderte. Ich stieg ab und strich die Falten aus meinem Überrock.
»Hase«, sagte ich und legte meine Handflächen aneinander.
»Laurel«, brummte er und drückte seine Tatzen zusammen.
»Ihr wandelt durch dieses Gebiet?«, erkundigte ich mich.
»Im Augenblick«, antwortete Laurel. Er lächelte, was seine langen, spitzen Reißzähne entblößte, und bot mir Honigkekse an. Ich nahm einen; er nahm den anderen und hockte sich hin, um zu essen.
Ich hockte mich neben ihn und aß ebenfalls, während ich die Zügel meines Pferdes fest in den Händen hielt, falls es auf die Idee kommen sollte abzuzischen. Aber mein kauender Kumpan schien es nicht weiter zu stören, denn es senkte nur den Kopf und zupfte an einem Grasbüschel. Als Laurel seinen Honigkeks gegessen hatte, wandte er sich zur Seite, ergriff einen Wasserschlauch und trank einen tiefen Zug, bevor er ihn mir reichte. Ich nahm ihn – das Wasser war kühl und lief meine trockene Kehle hinunter. Ich seufzte, als ich fertig war, und wischte mir den Mund ab. Als ich ihm den Schlauch zurückgab, holte ich Luft, um etwas zu sagen, aber in dem Moment hörte ich das Klappern von Hufen auf steinigem Boden und fester Erde. Ich drehte mich um und sah, wie mein Trupp den Pfad heraufkam.
»Da ist er, Sir«, sagte Leutnant Groskin.
Die Grenzlande waren zwar nicht direkt eine Bastion der Toleranz, aber die meisten hatten gelernt, die in Ruhe zu lassen, die einen selbst in Ruhe ließen – und wenn jemand vorhatte, Essen und Trinken zu teilen, dann wusste man, dass man soeben die Chance bekommen hatte, einen der vielfältigen Mahl-Pakte zu schließen. Sie konnten eine Stunde lang halten, aber auch bis zum Ende der jeweiligen Geschlechter. Sic! Also störte es mich nicht, dass ich, ein Mensch, mit jemandem aß und trank, der sich anschließend die Tatzen zierlich mit seiner Katzenzunge säuberte – aber es störte die Truppe. Als sie uns umzingelte, waren jede Menge Geräusche von geöffneten Schnallen, singendem Metall und Waffengeklapper zu hören.
Hauptmann Suiden beugte sich in seinem Sattel vor. »Was geht hier vor, Hase?«
Ich stand auf und schüttelte meine Hosenbeine herunter. Diese verdammte Uniform schien irgendwie nie richtig zu sitzen.
»Wir haben uns verirrt«, antwortete ich. Ich hörte das Klappen von Helmvisieren, die heruntergelassen wurden, und beeilte mich mit meiner Erklärung. »Und ich dachte mir, dass diese Person hier uns vielleicht helfen könnte, einen Weg hier heraus zu finden, Sir.«
Der Hauptmann starrte mich an. »Woher wollen Sie wissen, dass sie uns nicht direkt in ihren Kochtopf führt?«
»Ganz recht«, knurrte Groskin.
Ich wollte etwas erwidern, aber bevor ich auch nur ein Wort herausbekam, stand Laurel Faena auf. Seine Perlen und Federn klapperten und flatterten, als er sich elegant vor dem Hauptmann verbeugte und mit seinem Schwanz die Balance hielt. In einer Tatze hielt er einen großen geschnitzten Stab, der ebenfalls mit Federn, Perlen und verknoteten Tüchern geschmückt war. Dann verbeugte er sich auch vor mir, etwas kürzer, und berührte mit einer Tatze seinen Mund und seine Brust. Die Geste kannte ich: Mahl-Pakt. Ich tat das Gleiche und spürte die Blicke der anderen auf mir lasten. Als ich mich wieder aufrichtete, sah ich, wie Laurel auf die Phalanx der Soldaten zu und dann durch die Gasse ging, die sie mit ihren Pferden bildeten, bis er auf unseren Leutnant stieß.
Leutnant Groskin war zur Bergpatrouille versetzt worden, weil er irgendwann in seiner militärischen Karriere den falschen Leuten auf die Zehen getreten war; also war er sich selbst nur treu, als er sich auf den Sattelknauf lehnte, die Hand auf dem Schwertgriff und ein dreckiges Grinsen im Gesicht.
»Und wohin willst du gehen …?« Der Leutnant brach überrascht ab, als sein Pferd Feind (ein sehr passender Name, übrigens) bockte, zur Seite sprang, leise wieherte und dann einen langen Hals machte, um mit seinen weichen Lippen sanft Laurels Ohr zu liebkosen, als der Berglöwe vorbeiging.
»Na famos«, flüsterte Reiter Jeffen neben mir.
Ich zuckte nicht mit der Wimper, als wir uns allesamt umdrehten und dem Faena folgten, als würde er uns an der Leine führen. Er blieb am Rand des steilen Pfades stehen, den zunächst ich und anschließend meine Kameraden heraufgeritten waren, und streckte den Arm aus. Ein kollektives Stöhnen entrang sich meiner Truppe, und mir verging der Wunsch zu lachen, und zwar gründlich.
Wir waren mehrere Tage lang diesen pockenverseuchten Pfad hinauf- und hinuntergetrabt und hatten jedes Mal nur Berge und noch mehr Berge gesehen. Jetzt plötzlich mündete der Pfad in eine Straße, die den Berghang hinab zu einem Flickwerk aus Höfen, Wäldern und Besitzen führte, welche Freston umgaben, das in einem schüsselartigen Tal lag. In der Stadt selbst konnten wir die grünen Gärten sehen, die Plätze und die von Bäumen gesäumten Alleen, die sich gegen die roten Dachziegel der Häuser, die blauen Dächer der Geschäfte und die goldenen der Regierungsgebäude abhoben. Wir konnten die Karawanen sehen, die über die Königsstraße zum Königstor zogen, das zu dem größten Markplatz führte. Wir sahen sogar die ausgeblichenen roten Ziegel der Königlichen Garnison in der Nähe des Westtores und in der Mitte der von einer Mauer geschützten Stadt die hohen silbernen und kristallenen Türme der Kirche, die in der Sonne glitzerten. All das war kaum zu übersehen. Wir starrten darauf und konnten schon das höhnische Johlen hören, das uns bei unserer Rückkehr zur Basis begrüßen würde.
Groskin hatte sich von seiner Begegnung mit dem Faena erholt und trieb sein Pferd neben das des Hauptmanns. »Ein Hinterhalt von einem Magier würde von den Kameraden weit wohlwollender aufgenommen, Sir, als wenn wir zugeben müssten, dass wir in der ganzen letzten Woche unserem eigenen Hintern...