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Träume, Märchen, Imaginationen - Personzentrierte Psychotherapie und Beratung mit Bildern und Symbolen

Träume, Märchen, Imaginationen - Personzentrierte Psychotherapie und Beratung mit Bildern und Symbolen

Jobst Finke, Gesellschaft für Personzentrierte Psychotherapie und Beratung e.V. (GwG) Bundesgeschäftsstelle

 

Verlag ERNST REINHARDT VERLAG, 2020

ISBN 9783497613588 , 230 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz DRM

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28,99 EUR


 

Teil 1 – Personzentriertes Arbeiten mit Träumen

1   Die Sprache der Träume

Das Träumen könnte man als Imaginieren im Schlaf bezeichnen. Im Traum entwerfen wir eine fiktive Welt, oft in eindrücklichen Bildern. Viele Charakteristika der Imagination im Wachzustand haben im Traum ihr Analogon, so das Vorherrschen bildlich-visuellen Erlebens, die Auflockerung eines chronologischen Zeitgefüges, der abrupte Wechsel oder gar eine Überschichtung räumlicher Anordnungen sowie die Auflösung logischer Strukturen, in der z. B. logische Widersprüche bestehen können, ohne im Erleben als störend oder unpassend zu wirken. Diese Merkmale sind jedoch beim Imaginieren im Wachzustand bzw. im Tagtraum meist nur angedeutet, im Schlaftraum hingegen viel ausgeprägter. Dies bedeutet allerdings auch, dass uns das Träumen im Schlaf bzw. das entsprechende Traumerleben nur mittelbar zugänglich ist. Denn wenn wir uns aufwachend des Traums erinnern und versuchen, uns dabei Einzelheiten dieses Erlebens zu vergegenwärtigen, tun wir dies schon mit den Mitteln des Wachbewusstseins. Wir haben zunächst Bilder vor Augen, die vielleicht eigenartig verschwommen, fragmentarisch und in ihrer Anordnung zueinander unklar oder gar bizarr sind. Um sie erzählbar zu machen, wenn auch nur für uns selbst, etwa bei der Niederschrift ins Traumtagebuch, müssen wir sie in eine bestimmte Anordnung bringen, scheinbare Lücken in der Ereignissequenz durch Ergänzungen auffüllen oder den Erzählstrang durch Weglassen allzu unentwirrbarer Details glätten. Damit entfernen wir uns aber schon vom originären Traumerleben. Folglich ist der erzählte bzw. der erinnerte, besonders der niedergeschriebene Traum in der Regel nicht ganz identisch mit dem geträumten Traum, d. h. mit dem Traumerleben.

Dies hat seinen Grund in den unterschiedlichen Erzählweisen von Traum und Wachbewusstsein. Dabei geht es um unterschiedliche Ebenen der Darstellung. Der Traum erzählt in Bildern, im Zustand des Wachseins müssen wir, um uns den Traum als sinnhafte Erzählung zu vergegenwärtigen, die lexikalische Sprache gebrauchen. Aber genau hier liegt auch die therapeutische Bedeutung von Träumen (tendenziell auch von Imaginationen und Märchen). Denn hierbei kommt gegenüber der diskursiv geordneten, lexikalischen Sprache eine zusätzliche Darstellungsebene ins Spiel und insofern kann die jeweilige Problematik vielseitiger in den Blick genommen werden. Bei diesen Darstellungsebenen, nämlich der Sprache und dem Bild, also der begrifflich-diskursiven und der ikonisch-präsentativen Form der Symbolisierung von Erlebnisgehalten, gibt es allerdings auch Zwischenstufen. Betrachten wir in dieser Hinsicht zunächst das Denken in Bildern, also die ikonisch-präsentative Darstellungsweise.

Die wirren Bildfragmente mancher Träume und die damit einhergehenden oft noch ganz diffusen Gefühle und Stimmungen hat man affektsymbolisches (Bild-)Denken genannt und es dem begriffssymbolischen Bilddenken gegenübergestellt (Zepf 2000). Das erstere ist bezeichnend für jene Träume, in denen Bilder eigenartig zusammenhanglos, fragmentarisch und schon insofern rätselhaft und wirr erscheinen. Andere Träume können hingegen in der Art ihrer Bilderzählung klar und folgerichtig strukturiert sein. Hier kann man von begriffssymbolischem Bilddenken sprechen, insofern als dass hier Bilder wie Begriffe fungieren. Denn sie sind gewissermaßen logisch-diskursiv geordnet, so dass mit Hilfe dieses Bilddenkens auch eine gewisse Sachaussage gemacht werden kann. Man hat hier deshalb von einer semantischen Äquivalenz von Wort und Bild gesprochen (Soldt 2005). Ein Beispiel wäre ein in voller Bewusstheit inszenierter Tagtraum, in dem ich etwa die erhoffte oder gefürchtete Begegnung mit einer anderen Person in klar umrissenen und folgerichtig strukturierten Einzelheiten vorwiegend optisch ausphantasiere. Hier kommt das Bilddenken in der relativen Klarheit seiner Aussage dem Sprachdenken nahe, was sich auch daran zeigt, dass ich den Inhalt dieser bildhaften Phantasien ohne große Mühe, im Gegensatz zu vielen Traumbildern, in Worte fassen könnte. Es gibt also keinen scharfen Bruch, sondern eher einen fließenden Übergang von einem verworrenen Bilddenken über ein relativ klar strukturiertes Bilddenken zu einem exakten Sprachdenken.

Ein stark emotionsbestimmtes, wenig strukturiertes bildhaftes Vorstellen stellt also den Gegenpol zur Klarheit des Begriffsdenkens dar. Dieses Erstere ist psychotherapeutisch deshalb so interessant, weil das organismische Erleben sich hier noch relativ unverstellt zeigt. Daher ist es für die Therapie wichtig, sich mit diesem zu beschäftigen und zumindest ansatzweise auf der Ebene dieses Bilddenkens zu operieren, d. h. sich im Falle des Traumes auf dessen bildhaft-vieldeutige Darstellungsebene einzulassen und nicht sofort die Übersetzung in die Begriffssprache leisten zu wollen. So nämlich können die Vieles ausschließenden Glättungen der sprachlichen Kommunikation mit ihrem Ordnungs- und Konformitätszwang umgangen und so der Klient in der Unmittelbarkeit seines organismischen Erlebens erreicht werden. Der Therapeut wird also bemüht sein, zumindest ansatzweise von einer Ebene des rein diskursiven Sprechens eine Ebene des Bildsprechens zu erreichen, um sich so auf die Sprache des Traumes einzulassen. Von hier aus wird er später jedoch wieder auf die Ebene des begriffssymbolischen Denkens zurückkehren und so in der diskursiven Symbolordnung der Sprache das gewonnene Bildmaterial auf den Begriffbringen. Denn es gilt, die Bilder der Imaginationen und der Träume verstehend zu begreifen oder, wie Rogers (1959 / 1987, 24) formuliert, exakt zu symbolisieren („accurately symbolize“). Erst damit können sie reflexiv angeeignet und in das Selbstkonzept integriert werden.

Die Bewegung vom bildsymbolischen Denken zum begriffssymbolischen Denken und so eben auch zur diskursiv geordneten Begriffssprache ist ein bedeutsames Stadium im Prozess psychotherapeutischen Verstehens, das im Prinzip z. B. auch im Focusing (Gendlin 1998, Deloch 2019) mit der Schrittfolge vom noch impliziten „Felt Sense“ über die Explizierung von Symbolen zum „Felt Shift“ beschrieben wird. Der Therapeut versucht hier vor allem leibnahe und semantisch unbestimmte Gefühle und Empfindungen zu fokussieren. Bei der intensiven, anschaulich bildhaften Vergegenwärtigung dieser Empfindungen spürt der Klient dumpf, dass diese einen noch unbestimmten Sinn (Felt Sense) haben könnten. Im sodann klärenden Umkreisen des möglichen Bedeutungshofes dieser Empfindung (in einer nun zunehmend diskursiven, begriffssymbolischen Sprache) stellt sich bei dem Klienten eine immer deutlichere Ahnung der zutreffenden Bedeutung der ursprünglichen Empfindung ein (Felt Shift). Das von Therapeut und Klient gemeinsam unternommene Verstehen von Träumen folgt im Prinzip dem gleichen Schema. Dies soll in der Darstellung eines Therapiefalles in Kap. 9.4 veranschaulicht werden, wobei aber keine enge Anlehnung an das Focusingmodell von Gendlin erfolgen wird.

2   Neurophysiologische und psychologische Charakteristika des Traums

Ist es gerechtfertigt, die Beschäftigung mit Träumen überhaupt als sinnvoll anzusehen? Die empirische Forschung scheint das im Ergebnis zu bejahen.

1953 wurde der REM-Schlaf als eigenes Schlafstadium entdeckt. Diese Schlafphase ist durch rhythmische, schnelle Augenbewegungen (REM = Rapid Eye Movement) gekennzeichnet, sowie durch einen sehr geringen Muskeltonus (also ausgeprägte Entspannung) und das EEG-Bild eines flachen Schlafes, obwohl tatsächlich die Weckschwelle erhöht ist („paradoxer Schlaf“). Außerdem ist die REM-Schlafphase stark mit dem Vorgang des Träumens assoziiert. In diesem Stadium besteht ferner einerseits eine ausgeprägte Deaktivierung jener Hirnregionen, die für eine kognitive Kontrolle von Handlungsvollzügen verantwortlich sind (frontale Cortexareale) und andererseits eine deutliche Aktivierung von Strukturen des vorderen limbischen Systems, die an der Regulation von Gefühlen beteiligt sind (Wiegand 2006).

Es ergab sich natürlich die Frage der ursächlichen Beziehung zwischen der REM-Phase und dem mentalen Vorgang des Träumens. Hobson / McCarley (1971) postulierten, dass in dieser Phase zufällige Erregungsmuster im Hirnstamm erzeugt würden, die in der Hirnrinde zu meist bizarren Traumbildern verarbeitet würden, Traumbilder, die ebenso zufällig wie sinnlos seien. Diese Position hat die Diskurse über den Traum, besonders die naturwissenschaftlich beeinflussten, lange Zeit bestimmt. Dagegen sprach jedoch, dass in der Non-REM-Phase ebenfalls Träume auftreten, wenn auch nicht so häufig und weniger bizarr, die oft ein gut nachvollziehbarer Reflex des vorangegangenen Tagesgeschehens zu sein scheinen. Auch wurden schließlich andere neurochemische Mechanismen zur Erzeugung des Traumerlebens aufgezeigt, die es erlaubten, in diesem Erleben einen durchaus sinnhaften Ausdruck des Gesamterlebens der Person zu sehen (Solms 1997).

Vor allem auch durch die Ergebnisse der empirischen experimentellen psychologischen Traumforschung kann die These, dass der Inhalt von Träumen keine Beziehung zum Wacherleben habe, sondern zufällig und insofern sinnleer sei, als widerlegt gelten. Zum einen erwiesen sich die unter methodisch kontrollierten Gesichtspunkten erfassten Trauminhalte in der Mehrzahl als weitgehend realitätsbezogen. Bizarre, gewissermaßen märchenhaft phantastische Inhalte, ihrerseits eine wesentliche argumentative Stütze der Sinnlosigkeitsthese, fanden sich lediglich in ca. 8 % der Fälle (Strauch / Meier 1992). Zum anderen ließ sich ein starker Einfluss von Tagesereignissen und -erlebnissen auf die...